Samstag, 17. November 2018

Der transzendentale Gesichtspunkt.

Renè Burri, Magnum

Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des natürlichen und gemeinen, da man unmittel- bar Objekte denkt, und den des vorzugsweise so zu nennenden künstlichen, da man, mit Absicht und Bewußt- sein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben, und die Wissenschaft; auf dem zweiten die Transzendentalphilosophie, die ich eben deshalb Wissenschaftslehre genannt habe, Theorie und Wissenschaft alles Wissens, keineswegs aber selber ein reelles und objektives Wissen.  
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 111.]


Nota. - Das transzendentale Denken ist kein anderes, besonderes oder eigenes Denken, das für sich selbst Realität oder praktische Bedeutung hätte. Es ist nichts anderes als die (spiegelverkehrte) Reflektion unseres wirklichen täglichen Denkens. Nicht etwa nur des alltäglichen gesunden Menschenverstands der Normalmen- schen - auch des vielfach reflektierten sophistizierten Denkens der fortgeschrittensten Wissenschaft! Jene ist real, weil und inwiefern sie stets auf wirkliche - vorgefundene oder selbsterzeugte   - Gegenstände geht. Das trans- zendentale Denken dagegen ist kritisch, inwiefern es auf jenes - zwar selbsterzeugte, aber vorgefunde - reale Den- ken geht. 

Vorgefunden, ja - aber so, wie es vorfindbar ist, eignet es sich noch nicht zu einer kritischen Überprüfung. Es muss - das ist die wahre Arbeit der Kritik - erst seine innere Struktur, sein Schema freigelegt werden. Doch es ist eine dynamische Struktur, denken ist tätigsein und sein Schema kann nur das Modell einer Tätigkeit sein. Wirklich ist denken vorstellen. Doch stellen wir es einander dar in Begriffen und Schlussregeln.

Das ist der wesentliche Unterschied zu unserm realen Denken, dessen Gegenstände - im Begriff - stets als bestimmt und ruhend aufgefasst werden. Im Vorstellen ist Bewegung und aktives Bestimmen.
JE

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