Mittwoch, 7. November 2018

Philosophie ist keine Weisheitsschule, sondern Reinigungsmittel.

Manfred Janzen-Habtz, pixelio.de

Was soll denn nun eine Philosophie, und wozu bedarf es der spitzfindigen Zurüstung derselben, wenn sie ge- steht, dass sie für das Leben nichts andres sagen, zu demselben [sich] nicht einmal als Instrument bilden kann; daß sie nur Wissenschaftslehre, keineswegs Weisheitsschule ist?
 
Ich erinnere auch hier an die oft gegebene Antwort. Ihr Hauptnutzen ist negativ und kritisch. Es mangelt in dem, was nun gewöhnlich für Lebensweisheit gehalten wird, nicht daran, daß sie zu wenig, sondern daran, daß sie zu viel enthält. Man hat eben die erräsonierten Sätze der oben beschriebenen erschaffenden Metaphysik hereingetra- gen – und diese sollen [wieder heraus]gesondert werden. Sie hat die Bestimmung, die gemeine Erkenntnis von aller fremden Zutat zu reinigen.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 122]
 

Nota. - Philosophie ist nicht irgendwann fix und fertig vom Baum gefallen. Bevor die Griechen der Überliefe- rung nach vor bald dreitausend Jahren mit dem begonnen haben, was wir heute unter Philosophie verstehen, hattben sich unsere Vorfahren schon zwei Millionen Jahre lang die Welt angesehen und sich was dabei gedacht. Philoso- phieren sollte demgegenüber etwas Spezifisches bedeuten, das über ein bloßes sich-was-Denken hinaus- geht. 

Als ihren ersten Philosophen haben die Griechen Thales genannt. Er soll gemeint haben, dass im Grunde Alles aus Wasser besteht. Mehr weiß man nicht. Wozu wollte er das wissen? Was hat er daraus für Schlüsse gezogen? Die Herkunft des Gedankens liegt aber wohl in den orientalischen Mythen, die den Urgrund der Welt in einem Wasserstrom vermuteten; man denkt an Tigris, Euphrat und Nil. Es war kein Bruch, sondern ein sanftes Über- gehen vom mythischen Zeitalter ins Zeitalter der Vernunft.

Danach wird berichtet von Anaximander und Anaxagoras, die jeweils den Geist - noûs - und das Unendliche - apeirón - für Ursprung - arché - und Wesen der Welt angesehen haben. Hier wird der Sinn schon deutlicher: Das wahre Sein - ontos ón - soll, entgegen dem Augenschein, nicht in den stofflichen Dingen, sondern im grenzenlo- sen Denken erkannt werden. 

Der Sinn ist offenbar, in den gleichgültig mannigfaltigen Erscheinungen in Raum und Zeit einen Maßstab, einen Wert aufzufinden, an dem ein Mensch sein Leben orientieren kann. Die Suche nach dem richtigen Leben wurde zum unverhohlenen Zweck des griechischen Philosophierens und der griechischen Tragödie. Und widerstreitende Schulen treten gegeneinander an, Heraklit mit Alles fließt in Kleinasien, die Eleaten - Ist oder ist nicht - in Süditalien. Sinn der theoretischen Frage Was ist? war unumstritten die praktische Frage Was soll gelten?


Während des dogmatischen Zeitalters war die Frage nach dem Sinn a priori beantwortet und war die Frage nach dem Sein überhaupt nur statthaft, wenn sie vom gegebenen Sinn ausging. Doch schon die messerscharfe Logik der Scholastiker zermürbte das Dogma, und mit Galileo verselbständigte sich die Frage nach dem Sein zur Naturwissenschaft. Von der Philosophie blieb übrig eine mathematisch herleitende Metaphysik, die neben einer residualen Religisosität und einer herausfordernden bürgerlich Subjektivität  lebensphilosophisch nichts mehr zu bieten hatte. 

Die Philosophie trat einen Schritt zurück und, statt wie die Metaphysik den Sinn des Seins zu konstruieren, suchte sie als Kritik nach der Begründung des Wissens. Positiv ist sie nun nicht mehr, doch rein negativ oder nihilistisch wird sie dabei doch nicht. Zwar erweist sie die Unmöglichkeit, einen Sinn des Lebens in abstracto theoretisch zu demonstrieren; doch mit leeren Händen steht sie auch nicht da. Denn da das Leben doch immer noch zu führen bleibt, wird sich ein jeder konkret und aktual seinen Sinn selbst bestimmen müsse.
JE

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