Freitag, 16. November 2018

Ich muss etwas Dauerndes annehmen.



Ich kann – dies liegt in meinem Denken – von dem einen Prädikate zu dem andern nicht fortgehn, sie nicht zu- einander zählen und sammeln, ohne etwas Daurendes, welchem diese Prädikate insgesamt zukommen, voraus zu setzen; es eben gerade durch dieses Denken zu erzeugen: ob ich [es] gleich, eben weil ich es dem Zusammenhan- ge und den Gesetzen des Denkens nach mit Notwendigkeit erzeuge, nicht für mein Produkt ansehe. 

Das in der Mannigfaltigkeit und Entgegengesetztheit der Prädikate fortdauernde Denken ist selbst das Fortdau- ernde und Bestehende. Es sind eigentlich in diesem Akte zwei entgegengesetzte Bestimmungen meines Denkens, die durch den ganzen Akt fortdauern, neben einander liegen, auf einander sich beziehen, nur durch und vermit- telst eins des andern, möglich sind und nur beide vereint dieses Denken und einen Denkakt überhaupt ausma- chen; ...
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 170]



Nota I. - 'Ich muss', wenn ich von einem Urteil zum nächsten übergehe, einen dauernden Urteilenden annehmen; ein Ich. Und wenn Ich ein Urteil ans andere knüpft und dabei derselbe bleiben soll, muss er annehmen, dass die Gründe für sein Urteilen die einzelnen Urteilsakte überdauern. Das ist eine Annahme, die ich voraussetze, sobald ich ans Urteilen gehe; ob ich mir dessen nun bewusst bin oder nicht.

28. 5. 14

Nota II. - Ich muss folglich, wenn ich ein Urteil fälle, annehmen, 'dass es Wahrheit gibt'. Wenn ich nicht annäh- me, dass mein Urteil - dieses Urteil - wahr ist, würde ich nicht urteilen, sondern meinen und dafürhalten. Dass ein anderer es überprüft und gegebenenfalls übernimmt, dürfte ich nicht verlangen; wenn er nicht will, muss er nicht. Wenn ich es verlange, setze ich also voraus, dass er meine Gründe kennt und teilt. Dann sind die Gründe 'das Dauernde'. Und dann ist es einerlei, ob er es ist, der das Urteil fällt, oder ich: Es ist auf jeden Fall ein Urtei- lender - auch der 'dauert'.

Gilt das für ein Urteil, dann gilt es auch für andere Urteile. Dass es Wahrheiten gäbe, aber keine Wahrheit, ist eine faule und feige Ausflucht. Indem ich wirklich, nämlich im täglichen Verkehr der Reihe vernünftiger Wesen, verschiedene Urteile als gleich gültig annehme und die Anerkennung ihrer Gültigkeit verlange, nehme ich so- wohl die Urteilsgründe als auch die Urteilsfähigkeit der Andern als dauend an. Ich wüsste nicht, was man darü- berhinaus unter Wahrheit verstehen könnte. Und daran entscheidet sich, ob einer der Reihe vernünftiger Wesen zugehört.
JE

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