Diese unmittelbar die
geistige Selbstthätigkeit des Zöglings anregende Erziehung erzeugt Erkenntniss,
sagten wir oben; und dies giebt uns Gelegenheit, die neue Erziehung im
Gegensatze mit der bisherigen noch tiefer zu bezeichnen. Eigentlich nemlich und
unmittelbar geht die neue Erziehung nur auf Anregung
regelmässig fortschreitender Geistesthätigkeit. Die Erkenntniss ergiebt sich,
wie wir oben gesehen haben, nur nebenbei und als nicht aussenbleibende Folge.
Ob es daher nun zwar wohl diese Erkenntniss ist, in welcher allein das Bild für
das wirkliche Leben, das die künftige ernstliche Thätigkeit unseres zum Manne
gewordenen Zöglings anregen soll, erfasst werden kann; die Erkenntniss daher
allerdings ein wesentlicher Bestandtheil der zu erlangenden Bildung ist: so
kann man dennoch nicht sagen, dass die neue Erziehung diese Erkenntniss
unmittelbar beabsichtige, sondern die Erkenntniss fällt derselben nur zu.
Im Gegentheile
beabsichtigte die bisherige Erziehung geradezu Erkenntniss und ein gewisses
Maass eines Erkenntnissstoffes. Ferner ist ein grosser Unterschied zwischen der
Art der Erkenntniss, welche der neuen Erziehung nebenbei entsteht, und
derjenigen, welche die bisherige Erziehung beabsichtigte. Jener entsteht die
Erkenntniss der die Möglichkeit aller geistigen Thätigkeit bedingenden Gesetze
dieser Thätigkeit. Z. B. wenn der Zögling in freier Phantasie durch gerade
Linien einen Raum zu begrenzen versucht, so ist dies die zuerst angeregte
geistige Thätigkeit desselben. Wenn er in diesen Versuchen findet, dass er mit
weniger denn drei geraden Linien keinen Raum begrenzen könne, so ist dieses
letztere die nebenbei entstehende Erkenntniss einer zweiten ganz anderen
Thätigkeit des das zuerst angeregte freie Vermögen beschränkenden Erkenntnissvermögens.
Dieser Erziehung entsteht sonach gleich bei ihrem Beginnen eine wahrhaft über
alle Erfahrung erhabene, übersinnliche, streng nothwendige und allgemeine
Erkenntniss, die alle nachher mögliche Erfahrung schon im voraus unter sich
befasst.
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Reden an die deutsche Nation, 2. Rede, SW VII, S. 188f.
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