Dienstag, 14. Januar 2014

Wo war mein Ich, bevor es sich gesetzt hat?


René Magritte

Zur Erläuterung! Man hört wohl die Frage aufwerfen: was war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewusstseyn kam? Die natürliche Antwort darauf ist: ich war gar nicht; denn ich war nicht Ich. Das Ich ist nur insofern, inwiefern es sich seiner bewusst ist. – 

Die Möglichkeit jener Frage gründet sich auf eine Verwirrung zwischen dem Ich als Subject; und dem Ich als Object der Reflexion des absoluten Subjects, und ist an sich völlig unstatthaft. Das Ich stellt sich selbst vor, nimmt insofern sich selbst in die Form der Vorstellung auf und ist erst nun Etwas, ein Object; das Bewusstseyn bekommt in dieser Form ein Substrat, welches ist, auch ohne wirkliches Bewusstseyn, und noch dazu körperlich gedacht wird. Man denkt sich einen solchen Zustand, und fragt: Was war damals das Ich; d.h. was ist das Substrat des Bewusstseyns. 

Aber auch dann denkt man unvermerkt das absolute Subject, als jenes Substrat anschauend, mit hinzu; man denkt also unvermerkt gerade dasjenige hinzu, wovon man abstrahirt zu haben vorgab; und widerspricht sich selbst. Man kann gar nichts denken, ohne sein Ich, als sich seiner selbst bewusst, mit hinzu zu denken; man kann von seinem Selbstbewusstseyn nie abstrahiren: mithin sind alle Fragen von der obigen Art nicht zu beantworten; denn sie sind, wenn man sich selbst wohl versteht, nicht aufzuwerfen

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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 97



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