Mittwoch, 9. Mai 2018

Indiziert der Denkzwang ein 'An sich' der Vernunft?

 
Das eigentlich Mysterium, das Fichte immer wieder mal umschleicht, aber nie wirklich aufs Korn nimmt, ist das Faktum des 'Denkzwangs': Ich kann nicht anders denken als dass zwei mal zwei vier ist - ob ich nun mit Äpfeln rechne oder ein ausgefeiltes arithmetisches System habe. Es ist dieses Faktum, das seine Vernunft schwankend macht und den Gedanken, dass der Mensch seine Vernunft selber mache, an die Annahme verrät, dass die Vernuft 'da' war, bevor je ein Mensch gedacht hat. 

Ich kann mich freilich Wahnvorstellungen hingeben, und dann ist zwei mal zwei womöglich fünfunddreißig. Doch dann ist jede Art von Verkehr in einer 'Reihe vernünftiger Wesen' abgeschnitten. Der ist allerdings die Nagelprobe auf die Vernünftigkeit meines Vorstellens, und wenn ich vernünftig bleiben will, dann geht's nur so. 

Mysteriös bleibt es. Man kann es sich vielleicht so erläutern, dass das Ensemble meiner Vorstellungen zu einem System gefügt ist, das auf Prämissen ruht, die aufeinander gebaut sind; Bilder, die im Innern unbestimmt blei- ben, aber nach außen hin Anderes ausschließen. In der Wissenschaftslehre ist das transzendental dargestellt, 'so, als ob' das allezeit und immer wieder aufs Neue geschähe; genauer gesagt, jenseits der Zeit.

Etwas, das in der Zeit geschieht, sich aber nicht in der Zeit darstellen lässt. Ein solches ist auch Gegenstand der Hirnphysiologie. Das Geschehen im Gehirn wird systemisch aufgefasst, nicht kausal, wo eines auf das andere folgt. Das unterscheidet es vom diskursiven, logischen Denken; oder besser, das unterscheidet das logisch-diskursive Denken von ihm. Aber nicht nur dies. Der Hauptunterschied ist: Wenn auch die Hirnphysiologie in ihrer Betrachtung systemisch verfährt, so betrachtet sie doch immer nur die Form der Verknüpfungen, die Form der Weitergabe, und womöglich die formalen Alterationen, die das Weitergegeben durch das Weitergeben erfährt. Nicht aber das, was weitergegeben wird. 

Wie ist es möglich, dass aus einer Vorstellung - die ja kein eingegrenzter Begriff, sondern ein unbestimmtes Bild ist - nur diese andere, aber nicht irgendeine beliebige Vorstellung folgen kann? Eben dadurch, dass die mitein- ander verkehrende 'Reihe vernünftiger Wesen' nicht in Vorstellungen miteinander verkehrt - die sich, weil sie nicht bestimmt eingegrenzt sind, nicht diskursiv verknüpfen lassen -, sondern sie zum Behuf der Weitergabe (und schon, um während des Sprechens nicht zu vergessen, was man sagen wollte) eben bestimmen muss: zu Begriffen, die sie begreifen können, und die mir erlauben, meine Vorstellungen zu behalten und zu einander zu ordnen.

Behalten und ordnen, das ist, unabhängig von dem jeweils Gemeinten (Vorgestellten), das, was der allgemeine Verkehr Aller miteinander auf jeden Fall ebenfalls besorgt, unabhängig von den verfolgten Zwecken im jeweiligen Augenblick. Erst das Ordnen macht das Behalten reell, denn was man nicht wiederfindet, hat man verloren. Aber das ordnen ist zugleich die Probe darauf, ob die in Begriffen aufbewahrten Vorstellungen zu einander passen oder nicht. 

Da kann man sich irren. Nämlich wenn man bei den Begriffen vorzüglich auf die Formseite absieht. Dann kann es passieren, dass sich Vorstellungen, die einander in Herkunft und Absicht ganz fremd sind, doch ähnlich sehen. Und dass Vorstellungen, von denen eine auf der andern beruht oder die sogar einander bedingen, so aussehen, als hätten sie gar nichts miteinander zu tun. Etwa könnte man Freiheit so definieren, dass sie mit Willen gar nichts zu tun hat, und Willen so, dass man ohne Freiheit wollen könnte (z. B. Schopenhauer).  

Am Anfang Freiheit - als Schluss das Absolute/Zweck der Zwecke! Kann man (sollte man nicht) jedes für sich definieren: als "Begriff"? Es sind aber Ideen, 'unbestimmbare Vorstellungen', die nur miteinander einen Sinn haben: wenn ich das Absolute - Zweck der Zwecke - nicht aus Freiheit wählen könnte, wenn es mir als ein Zuwählendes vorgegeben wäre, dann würde es ein Objektives; eines, das ich für mich verantwortlich machen kann; eines, um dessentwillen ich meine Freiheit hintergehen kann. Aber dann wäre es nicht absolut, sondern bedingt.

*

Dem Denkzwang bin ich auch nicht näher gekommen.

irgendwann Ende 2016 


Aber warum Anschauung ohne Begriff blind ist; warum nicht Begreifen der 'zweite Schritt' des Erkennens ist, sondern der 'erste', die Anschauung, durch den 'zweiten' überhaupt erst wirklich wird; weshalb also Einbilden ohne Kritik so gut wie 'gar nicht stattgefunden hat' - das wird ein wenig deutlicher.

9. 5. 18



Inzwischen - September '18 - bin  ich dem Denkzwang nahegekommen, nämlich dem, was Fichte sich darunter vorstell; und zwar, gewissemßen als Erleuchtung - vor der Philosophie: Es ist die (ästhetische) Anschauung der ewigen Wahrhheit, die der Vernunft als Quell zu Grunde liegt (und der sie womöglich als ihrem Ziel entgegen- strömt?).


 

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