Samstag, 2. Februar 2019

Der Begriff des Menschen ist der einer Gattung.

Leonardo

Es ist jetzt erwiesen, was erwiesen werden sollte. Das / vernünftige Wesen kann sich nicht setzen als ein sol- ches, es geschehe denn auf dasselbe eine Aufforderung zum freinen Handeln, ... Geschieht aber eine solche Aufforderung zum Handeln auf dasselbe, so muss es notwendig ein vernünftiges Wesen außer sich setzen als Ursache derselben, also überhaupt ein vernünftiges Wesen außer sich setzen, ... 

Der Mensch (so alle endliche [vernünftigen] Wesen überhaupt) wird nur unter Menschen ein Mensch. Und da er nichts Anderes sein kann denn ein Mensch und gar nichts sein würde, wenn er dies nicht wäre - sollen überhaupt Menschen sein, so müssen  mehrere sein. 

Dies ist nicht eine willkürlich angenommene, auf die bisherige Erfahrung oder auf andere Wahrscheinlichkeits- gründe aufgebaute Meinung, sondern es ist aus dem Begriff des Menschen streng zu erweisende Wahrheit. So- bald man diesen Begriff vollkommen bestimmt, wird man von dem Denken eines Einzelnen aus getrieben zur Annahme eines zweiten, um den ersten erklären zu können. Der Begriff des Menschen ist sonach gar nicht Be- griff eines Einzelnen, denn ein solcher ist undenkbar, sondern der einer Gattung.

Die Aufforderung zur freien Selbsttätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Menschen müsssen zu Men- schen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen. 


Es dringt sich hierbei jedem die Frage auf: Wenn es notwendig sein sollte, einen Ursprung des ganzen Menschen- geschlechtes und also ein erstes Menschenpaar anzunehmen - und es ist dies auf einem gewissen Reflexions- punkte allerdings notwendig -: Wer erzog denn das erste Menschenpaar? Erzogen mussten sie werden, denn der geführte Beweis ist allgemein. Ein Mensch konnte sie nicht erziehen, da sie die ersten Menschen sein sollten. Also ist es notwendig, dass sie ein anderes vernünftiges Wesen erzogen [hat], das kein Mensch war - es versteht sich, bestimmt nur so weit, bis sich sich selbst unter einander erziehen konnten. Ein Geist nahm sich ihrer an, ganz / so, wie es eine alte ehrwürdige Urkunde vorstellte, welchge überhaupt die tiefsinnigste, erhabenste Weis- heit einthält, und Resultate aufstellt, zu denen alle Philosophie am Ende doch wieder zurückkommt.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 
SW Bd. III, S. 38ff. 



Nota. - Kant wollte dem Wissen eine Grenze ziehen, um Platz für den Glauben zu schaffen. Da aber der Glau- ben nicht Sache der Wisssenschaft ist, machte er an der Grenze selber Halt. Das tut Fichte hier nicht. Er verkün- det dem Leser vielmehr, was er glauben solle, und welches die Quelle ist. Der kritische Leser wird sagen: Das kann sein Ernst ja wohl nicht gewesen sein. Man könnte vermuten, er habe vorab der Kritik von theologischer Seite in den Weg treten wollen, was ja auch von der ewähnten Kant-Stelle für möglich gehalten wurde. Dass er persönlich obskurantistischen Spekulationen nicht abgeneigt war, hat er freilich vorher und nachher bezeugt. In seine wissenschaftliche, kritische und transzendentalphilosophische Arbeit hat er es aber nur an dieser Stelle ein- fließen lassen (soweit ich bisher weiß; aber ich bin misstrauisch geworden).

JE

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