Sonntag, 3. November 2013

Rückerinnerungen, Antworten, Fragen.

wobigrafie, pixelio.de
Wer Fichtes theoretische Philosophie auf ihrem
Höhepunkt kennen lernen will, wird sich daher 
vor allem an seine Schriften aus den letzten Jahren 
des vorigen Jahrhunderts halten müssen.
Heinrich Rickert

Seit einigen Jahren ist ein wachsendes Interesse der Hochschulphilosophie für Johann Gottlieb Fichte zu beobachten. Nach den schrecklichen Jahrzehnten des Anything goes der philosophi- schen Postmoderne wirkt ein Philosoph, der 'Alles aus einem Prinzip her' – und Alles auf einen Zweck hin – denken wollte, wie ein frischer Regen im Frühling.

Doch dass die Aufmerksamkeit vermehrt dem Begründer des 'Deutschen Idealismus' gilt, wird bald in eine Sackgasse führen. Zwar ist Fichte vor allem als dies historisch wirksam gewesen. Aber philosophisch fruchtbar – und entscheidend -  kann er auch heute nur als der Radikalisierer und Vollender der (Kant'schen) Kritischen Philosophie werden.

Es ist der Unterscheid zwischen dem 'frühen' und dem 'späten' Fichte. Dazwischen liegt die epochale Katastrophe des Atheismusstreits. Sie markiert den Scheitelpunkt der romantisch-revolutionären Bewegung in Deutschland, sie scheidet die ironisch subversive "Früh"romantik von der friedlich frömmelnden Romantik der Restauration. Sie ist das flammende Zeichen einer verpassten Chance; einer Chance des Denkens jedenfalls, denn realhistorisch sollte erst einmal die Große Industrie ihre Chance bekommen…

Der folgende Text Rükerinnerungen, Antworten, Fragen entstand Anfang 1799 und ist das letzte literarische Zeugnis Fichtes zum "Atheismusstreit". Ist es das abschließende?! Fichte hat den Entwurf nicht weiter bearbeitet. Warum? Hat es ihm gereicht, durch die Niederschrift zur Selbstverständigung zu kommen? Oder datiert von diesem abgebrochenen Text eine Entwicklung der Wissenschaftslehre zu dem, was einige Autoren als eine heimliche Ontologisierung des 'Absoluten' und andere als eine Wendung zur Mystik auffassen? 

Erstmals wurde der Entwurf 1845/46 in den Sämmtlichen Werken von Fichtes Sohn Immanuel Hermann herausgegeben, der selber Philosoph, aber durchaus kein Parteigägnger seines Vaters war. Er hat das Fragment in loyaler Absicht zu einem zusammenhängenden Text vervollständigt, doch die eigenen philosopischen Meinungen mögen der guten Absicht in die Quere gekommen sein. Die ursprüngliche Textgestalt wurde erstmals 1979 in Band II/5 der von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Fichte-Gesamtausgabe veröffentlicht. Meine nachstehende 'Bearbeitung' erhebt keinen höheren Anspruch als den, gegenüber der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie einen trotz seines fragmentarischen Zustands halbwegs im Zusammenhang lesbaren Text zu erstellen. Die Rechtschreibung ist modernisiert, der Lautstand gewahrt; alle Auslassungen sind […] gekennzeichnet, ebenso alle [Einfügungen].

Auf die Authentizität des Textes dürfen Sie sich verlassen. Aber wer damit wissenschaftlich arbeiten will, wird sich tunlichst an die Akademie-Ausgabe halten.

Jochen Ebmeier 


J. G. Fichte 

[c]kerinnerungen, Antworten, Fragen


[geschrieben im Februar-März 1799; aus: Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. II/5, S. 103-186] 

/103/ Eine Schrift, die den Streitpunkt genau anzugeben bestimmt ist, auf welche jeder, der in dem neulich entstandenen Streit über die Lehre von Gott mitsprechen will, sich einzulassen hat, oder außerdem abzuweisen ist.
-
Das Wort sie sollen lassen stahn, und kein’n Dank dazu haben.
Luther 

[...]
/107/ Wer meine Religionslehre bis zum Vermögen eines Urteils verstehen will, der muß das System des transzendentalen Idealismus und des damit unzertrennlich verknüpften reinen Moralismus genau kennen und, wie ich glaube, besitzen.

Ich sage: Er muß es besitzen, d. h. von der Wahrheit desselben überzeugt sein. Soviel ich absehen kann und bisher in der Erfahrung an andern bemerkt habe – aber ich bescheide mich, hierüber nichts zu entscheiden, da ich das aus eignen Erfahrungen nicht habe – langt die bloße historische Kenntnis nicht hin, deswegen, weil man sie, einmal zur Anwendung gekommen, immer wieder vergißt, auf den realistischen Gesichtspunkt herabgezogen wird und so herumschwankt und nur schwankende Resultate erhalten kann. 

/108/ Wer sie bis zum Vermögen eines Urteils verstehen will, sage ich. Man kann von allen Teilen des transzendentalen Systems aus sich üben, von jedem aus in den Gesichtspunkt desselben einzudringen suchen; dann versteht man es so halb und halb, versteht es historisch, findet sich etwa dadurch gereizt, findet es nicht ganz uneben, entscheidet sich aber denn doch nicht ganz dafür, bis man Einsicht in die vollständige Reihe der Gründe hat, d. h. bis man wirklich das System besitzt. Der Akritiker hat sich erst über die Prinzipien mit uns zu verständigen. Da[nn] mag er streiten.

Der Kritiker nur kann hier einen Kampfplatz haben: Er müßte über die Folgerungen streiten. [...]

/109/ [...]

/110/ Das, was offenbar keiner, der in dieser Sache gegen mich geschrieben hat, besessen, und was denn doch allein entscheidet, ist die Kenntnis des wahren Wesens und der Tendenz der kritischen oder Transzendentalphilosophie. (Beide Ausdrücke bedeuten hier ganz einerlei; indem über diesen Punkt Kant und die besseren Kantianer unstreitig mit mir eins sind.) [...]

/111/ Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des natürlichen und gemeinen, da man unmittelbar Objekte denkt, und den des vorzugsweise so zu nennenden künstlichen, da man, mit Absicht und Bewußtsein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben, und die Wissenschaft; auf dem zweiten die Transzendentalphilosophie, die ich eben deshalb Wissenschaftslehre genannt habe, Theorie und Wissenschaft alles Wissens, keineswegs aber selber ein reelles und objektives Wissen.

Die philosophischen Systeme vor Kant kannten großenteils ihren Standpunkt nicht recht, und schwankten hin und her zwischen beiden. Das unmittelbar vor Kant herrschende Wolffisch-Baumgartensche stellte sich mit seinem guten Bewußtsein in dem Standpunkte des gemeinen Denkens und hatte nichts geringeres zur Absicht, als die Sphäre desselben zu erweitern und durch die Kraft ihrer Syllogismen neue Objekte des natürlichen Denkens zu erschaffen. [...]

/112/ [...]

/113/ [...] Ich habe bisher im Gegenteile geglaubt, daß Schwärmerei, Wahnsinn, Raserei darin bestehe, daß man seine Erdichtungen für wirkliche Gegenstände hält, und der gesunde Verstand darin, daß man nichts für wirklich hält, das sich nicht auf eine innere oder äußere Wahrnehmung gründet. 

/114/ Diesem System ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt, daß es die Möglichkeit, ein für das Leben und die Wissenschaft gültiges Objekt durch das bloße Denken hervorzubringen, gänzlich ableugnet und nichts für reell gelten läßt, das sich nicht auf innere oder äußere Wahrnehmung gründet. In dieser Rücksicht, inwiefern die Metaphysik das System reeller, durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B. Kant, und ich mit ihm, die Möglichkeit der Metaphysik gänzlich. Er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verständiges und verständliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden haben.

Unser System, das die Erweiterungen wieder zurückweist, läßt sich ebensowenig einfallen, das gemeine und allein reelle Denken selbst zu erweitern, /115/ sondern will dasselbe lediglich darstellen und erschöpfend umfassen. Wir denken im philosophischen, das objektive Denken. Unser philosophisches Denken bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in diesem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser philosophisches Denken ist lediglich ein Instrument, durch welches wir unser Werk zusammensetzen. Ist das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz weggeworfen.

Wir setzen vor dem Auge des Zuschauers das Modell eines Körpers aus den Modellen der einzelnen Teile desselben zusammen. Ihr überfallt uns mitten in der Arbeit und ruft: Seht da das nackte Geripp, soll nun dies ein Körper sein! Gerade dadurch wird unser Unterricht verständlich, daß wir einzeln Teil an Teil, einen /116/ nach dem andern, anfügen, und deswegen haben wir die Arbeit unternommen. Wartet ein wenig, so werden wir dieses Geripp mit Adern und Muskeln und Haut bekleiden.

Wir sind fertig, und ihr ruft: Nun so laßt doch diesen Körper sich bewegen, sprechen, das Blut in seinen Adern sich bewegen, mit einem Worte: laßt ihn leben. Ihr habt abermals unrecht. Wir haben nie vorgegeben, dies zu können: Leben gibt nur die Natur, nicht die Kunst, und das wissen wir wohl, und glauben uns eben dadurch von gewissen andern Philosophen zu unserm Vorteile auszuzeichnen, daß wir es wissen. Unser Pendant soll auch keine lebendiger Körper, sondern nur sein Modell sein. Wenn wir irgend einen Teil anders bilden, als er in der wirklichen Natur ist, irgend einen fehlen lassen, irgendeinen hinzutun, dann nur haben wir unrecht: Danach nur habt ihr zu sehen, wenn ihr ein verständiges Urteil fällen wollt. 

/117/ Der lebendige Körper, den wir nachbilden, ist das gemeine reelle Bewußtsein; das allmähliche Zusammenfügen seiner Teile sind unsere Deduktionen, die nur Schritt vor Schritt vorrücken können. Ehe nicht das ganze System vollendet dasteht, ist alles, was wir vortragen, nur ein Teil: Die vorhergehenden Teile müssen freilich vorhanden sein, wenngleich nicht gerade auf derselben Stelle; was nachfolgt, habt ihr zu erwarten.

Wenn wir aber auch vollendet haben und bis zum [vollständigen reellen und gemeinen] Denken fortgerückt sind, ist dasselbe, sowie es in unsrer Philosophie vorkommt, doch selbst kein reelles Denken, sondern eine Darstellung und Beschreibung des reellen Denkens. 

/118/ Ausdrücklich und ganz bestimmt durch das Nichtphilosophieren, d. h. dadurch, daß man zur philosophischen Abstraktion sich nie erhoben oder von der Höhe derselben sich wieder in den Mechanismus des Lebens [und] gemeinen Denkens hineinversetzt, entsteht uns alle Realität; und umgekehrt, sowie man sich zur Spekulation erhebt, verschwindet diese Realität gänzlich. Nun ist das Leben Zweck, keinesfalls das Spekulieren; das letztere ist nur Mittel. Und es ist nicht einmal Mittel, das Leben zu bilden; es liegt in einer ganz anderen Welt. Was auf das Leben Einfluß haben soll, muß selbst aus dem Leben hervorgegangen sein. Es ist lediglich Mittel, das Leben zu erkennen. 

/119/ Worin man befangen ist, was man selbst ist, kann man nicht erkennen; man müßte aus demselben herausgehen, aufhören, es zu sein, sich auf einen Standpunkt außerhalb desselben stellen. Dieses ist die Spekulation; dieser Standpunkt außer dem wirklichen Leben ist sie. Nur inwiefern es diesen höhern Standpunkt und diese beiden entgegengesetzten Standpunkte gab, ist es dem Menschen möglich, sich selbst zu erkennen. Man kann leben und vielleicht der Vernunft ganz gemäß leben, ohne zu spekulieren; man kann leben, ohne das Leben zu er/120/kennen. Aber man kann das Leben nicht erkennen, ohne zu spekulieren. Also – kein Satz einer Philosophie, die sich selbst kennt, ist in dieser Gestalt, noch verlangt zu sein, ein Satz für das wirkliche Leben; sondern er ist entweder ein Hilfssatz des Systems, um weiter fortzuschreiten, oder, wenn die Spekulation über einen Punkt des Nachdenkens geschlossen [ist], ein Satz, zu dem erst die Empfindung und Wahrnehmung hinzukommen muß, um im wirklichen Leben brauchbar zu sein. Die Philosophie, selbst [wenn] vollendet, kann die Empfindung nicht geben, und diese ist das ein[z]ige wahre innere Lebensprinzip.* [*) Die Theorie der Farben ist selbst weder rot noch grün noch blau, die Theorie der gesamtem pp.[perge perge: usw.] So ist die Theorie des vernünftigen Lebens selbst kein Leben: außerdem wäre es nicht die Theorie desselben.

Das hat ihnen Kant gesagt, und es ist der Begriff und ein[z]ige Geist seiner Philosophie; ist das, worauf er stets zurückkommt. Dies hat Jacobi ganz unabhängig von ihm und glaubend, daß er mit ihm uneins wäre, daß diese P[hilosophie] auch wieder /121/ Lebensweisheit sein wollte, gesagt, in seinem Streite gegen Mendelssohn, der auch diese erschaffende Philosophie führte, das habe ich auf meine Weise, es scheint mir sehr einleuchtende Weise gesagt pp.

Gehört müssen sie’s wohl haben; aber sie können es sich nicht angewöhnen. Satz mag es sein: Regulativ der Beurteilung, an das sie sich auch wieder besinnen, wenn man nun weitergeht, ist es ihnen noch nicht geworden. Sie kommen von einer Philosophie her, die sich eine Lebensweisheit erdenkt und erräsoniert; und sie können sonach kein philosophisches Räsonnement hören, ohne es zugleich als System einer Lebensweisheit zu denken und zu beurteilen. So sind alle verfahren, die als meine Gegner aufgetreten sind. 

/122/Was soll denn nun eine Philosophie, und wozu bedarf es der spitzfindigen Zurüstung derselben, wenn sie gesteht, dass sie für das Leben nichts andres sagen, zu demselben [sich] nicht einmal als Instrument bilden kann; daß sie nur Wissenschaftslehre, keineswegs Weisheitsschule ist?* [*) Es wäre genug, daß sie ein möglicher Zweig der Geistesbildung ist, um sie zu gehen; gesetzt auch, sie hätte sonst weiter keinen Nutzen: genug, daß sie dem Menschen möglich ist, um sie wirklich zu machen, denn der Mensch soll sein Dasein ausfüllen.] 

Ich erinnere auch hier an die oft gegebene Antwort. Ihr Hauptnutzen ist negativ und kritisch. Es mangelt in dem, was nun gewöhnlich für Lebensweisheit gehalten wird, nicht daran, daß sie zu wenig, sondern daran, daß sie zu viel enthält. Man hat eben die erräsonierten Sätze der oben beschriebenen erschaffenden Metaphysik hereingetragen – und diese sollen [wieder heraus]gesondert werden. Sie hat die Bestimmung, die gemeine Erkenntnis von aller fremden Zutat zu reinigen.- Dies hat ihnen Kant zur Genüge gezeigt. 

/123/ Mittelbar, d. h. inwiefern ihre Kenntnis mit der Kenntnis des Lebens vereinigt ist, hat sie auch einen positiven Nutzen. Für das unmittelbar praktische pädagogische im weitesten Sinn des Worts: Sie zeigt, wie man die Menschen bilden müsse, um moralische, echtreligiöse, legale Gesinnungen in ihnen hervorzubringen und nach und nach allgemein zu machen. Für die theoretische Philosophie, Erkenntnis der Sinnenwelt, Naturwissenschaft ist sie regulativ. Sie zeigt, was man von der Natur fragen müsse. – Ihr Einfluß auf die Gesinnung des Menschengeschlechts überhaupt ist, daß sie ihnen Kraft, Mut und Selbstvertrauen beibringt, indem sie zeigt, daß sie und ihr ganzes Schicksal lediglich von sich selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt. 

/124/ So ist Philosophie über Religion nicht die Religionslehre und noch weniger der religiöse Sinn selbst, sondern nur die Theorie der Religionslehre. Ihr Zweck ist kritisch und pädagogisch. Sie ist bestimmt, unverständliche, unnütze, verwirrende und der Irreligiosität eine Blöße darbietende Lehren über Gott wegzuschaffen, indem sie eben zeigt, daß sie nichts sind und daß schlechterdings nichts darüber in des Menschen Hirn paßt. Sie muß zeigen, wie in des Menschen Herz der religiöse Sinn sich erzeuge, ausbilde und verstärke, und wie sonach die Menschheit nach demselben zu bilden sei – nicht vermittelst Philosophie: diese bildet nicht das Leben, sondern sie lehrt nur; sondern durch und im Leben selbst.

Die Tendenz eines philosophischen Systems über Religion läßt sich nicht eher ganz beurteilen von dem gemeinen Gesichtspunkt [aus], bis es vollendet ist: und es ist nicht eher vollendet, bis es pädagogisch wird. 

/125/ Ich habe Philosophie über Religion vorgetragen in dem oben angegebnen Sinne des Wortes; wie teils aus meinen zur Genüge über P[hilosophie] aufgestellten Begriffen, teils aus der damit angekündigten Absicht selbst hervorgeht. Die Philosophie habe die Kausalfrage zu beantworten: woher der religiöse Sinn unter den Menschen? [...]

/126/ Ich habe diese Religionsphilosphie nicht vollendet, sondern nur die Grundsteine derselben gelegt – wie ich gleichfalls sagte. Wer alle jene oben angegebnen Eigenschaften besitzt, der kann den Grundstein beurteilen: die Folgen und Anwendungen kann selbst er nicht beurteilen, wenn er nicht folgert – und richtig zu folgern sich bewußt ist. 

/127/ Die transzendentale Philosophie hat die Bestimmung, sagte ich oben, das wirkliche gemeine Wissen systematisch aufzustellen; aber sie läßt nichts für reelles Wissen gelten, das sich nicht auf eine Wahrnehmung gründet (verschmäht alles Erräsonierte); um die Realität von etwas zu erweisen, hat sie sonach eine, dem Zusammenhange des Vernunftsystems nach (nicht etwa im wirklichen Leben, dann berufte sie sich auf Fakta und hörte auf, transzendentale Philosophie zu sein) aufzuweisen. [sic] 

Sie ist daher nimmer im Streite und kann nimmer in Streit geraten mit dem gemeinen natürlichen Bewußtsein. Sie berührt dasselbe gar nicht und befindet sich in einer andern Welt. Sie ist nur im Streite mit einer erräsonierenden Philosophie, und alles dem sie widerspricht, ist gerade dadurch, daß sie ihm widerspricht, Teil einer solchen Philosophie. 

/128/ Was ich noch an Gegenschriften bemerkt, hat meine transzendentale Philosophie über Religion in Streit versetzt mit der gemeinen Denkart, der Lebens- oder populären Philosophie über dieselbe.

Meine Religionsphilosophie ist im Streite mit jener Philosophie teils über den Ursprung der Religion. Nach mir liegt er in der Empfindung, nach ihnen wird er erräsoniert. Teils über den Inhalt derselben und Umfang, was im ersten liegt. Nach ihnen gehören dazu Kenntnisse, die ich gänzlich verwerfe.

Ein großer Teil unserer Theologie ist solche Philosophie, und ein großer Teil dieser Bücher für den Volksunterricht, Katechismen, Gesangbücher und dergleichen ist [solche Philosophie?], und ich bin sonach mit ihnen im Streite, insofern sie das sind. – Über den Inhalt: denn auf die Deduktion lassen sie sich in der Regel nicht ein, und das ist, bei den übrigen Unzweckmäßigkeiten, eine Zweckmäßigkeit. 

/129/ Meine Religionsphilosophie ist nicht im Streite mit dem religiösen Sinn des Menschen im Leben und kann [es] nicht [sein], denn sie steht auf einem ganz andern Felde. Die Resultate meiner Philosophie könnten mit ihm im Streite sein, diese sind aber noch gar nicht vollständig und systematisch gezogen. Was ich in meiner Appellation darüber gesagt, war bloß, um vorläufig den durch die öffentliche Beschuldigung, daß meine Lehre atheistisch sei, verschreckten religiösen Sinn guter Menschen zu beruhigen, nicht um die Theologen zu befriedigen.

Es ist sonach absolut vernunftwidrig, dieselbe als Lebensweisheit zu beurteilen und mit Lebensweisheit zu bestreiten, wie es sehr häufig geschehen ist. 

/130/ Dahin gehört das Gerede von einem Fichtischen Gott, einem Jacobischen, einem Spinozischen Gott und dergleichen. Fichte, Jacobi, Spinoza sind etwas anderes als ihre Philosophie. Der Philosoph hat gar keinen Gott und kann keinen haben, er hat nur einen Begriff vom Begriff oder der Idee Gottes. Gott und Religion gibt es nur im Leben, aber der Philosoph ist als solcher kein ganzer lebendiger Mensch, sondern im Zustande der Abstraktion; und es ist unmöglich, daß jemand nur Philosoph sei. 

/130/ Was durch die Vernunft gesetzt ist, ist schlechthin bei allen vernünftigen Wesen ganz dasselbe. Die Religion und der Glaube an Gott ist durch sie gesetzt, sonach, p.p. [usw.] und es sind in dieser Rücksicht nicht mehrere Götter: Es ist schlechterdings nur Ein Gott. Nur das, worüber alle übereinstimmen und übereinstimmen müssen, ist das Wahre: dasjenige in ihrem Begriffe von Gott (nicht in dem Begriffe vom Begriffe), worüber sie streiten – darüber haben notwendig alle Unrecht, eben darum, weil sie darüber streiten können. Das, worüber sie streiten, ist durch eine falsche Philosophie erräsoniert oder aus einem auf eine falsche Philosophie gegründeten Katechismus auswendig gelernt: Die wahre Religion sagt darüber gar nichts, in dieser Sphäre; sondern den einer absolut leeren Stelle [sic]. 

/132/ Dahin gehört, daß man meine Philosophie mit dem Christentume gegenüber setzen, und das widerlegen will. Das ist nun von jeher so gehalten worden, daß der Philosoph das Christentum mit seiner Philosophie in Übereinstimmung bringen, [und] der Christ die Philosophie damit in Übereinstimmung bringen wollen; und beweist nichts weiter, als daß die, die so etwas unternahmen, weder Philosophie noch Christentum kannten. Unserer Philosophie fällt dies gar nicht ein. – Das Christentum ist Lebensweisheit, oder Popularphilosophie, und kann nichts anderes sein wollen, ohne seinen Rang zu verlieren und sich dem Streit der philosophischen Systeme auszusetzen; sich dem Rechte auszusetzen, daß man Demonstrationen von ihm verlangt: unsre Philosophie ist Theorie der Lebensweisheit, nicht aber /133/ sie selbst. – Die Resultate nur unsrer Philosophie und das Christentum könnten streitig werden; wo aber sind denn diese Resultate, und – könnte ich hinzusetzen – wo ist denn das wahre Christentum. Dahin gehören voreilige Erinnerungen: Gott solle nicht Schöpfer sein, nicht Erhalter, nicht Regierer der Welt, keine Vorsehung. – [Ihr] Lieben guten Unphilosophen. Für euch ist die ganze Distinktion nicht vorhanden, nach welcher er es, in einer Absicht, schlechthin nicht ist, und in einer anderen ist. Wenn ihr wirklich gut und religiös seid, so nehmt ihr es immer in dem Sinne, in welchem es wahr ist. Ich hatte es bisher gar nicht mit euch, sondern mit Philosophen zu tun, denen diese Distinktion anzumuten ist, und die es auch in dem Sinne nehmen, in welchem es nicht ist. Diesen habe ich bisher nur widersprochen, und sie wenigstens hätten mich verstehen sollen. Wartet noch eine kurze Zeit, so werde ich zur andern Seite der Tafel kommen und euch, mit denen ich nie im Streite /134/ war, recht geben. Dahin gehört es, wenn man den Einfluß dieser Philosopheme auf das Herz und die Gesinnung der Menschen beurteilen will und vorherprophezeien. Eigentliche Philosopheme einer Transzendentalphilosophie sind an sich tot und haben gar keinen Einfluß in das Leben, weder guten noch bösen; ebenso wenig als ein Gemälde gehen kann. Auch ist es ganz gegen den Zweck dieser Philosophie, sich den Menschen als Menschen mitzuteilen. Der Gelehrte als Erzieher und Führer des Volks, besonders der Volkslehrer, soll sie allerdings besitzen, als Regulativ, als pädagogische Regel, und nur in ihm werden sie insofern praktisch; nicht aber sie ihnen selbst mitteilen, welche sie gar nicht verstehen noch beurteilen können. (Man sehe meine Sittenlehre.) Aber daß er sie treu und mit Eifer anwende, wird dieser gute Wille schon vorausgesetzt, aber nicht etwa durch sie hervorgebracht: ebenso wie bei dem Philosophen von Profession Unparteilichkeit, Wahrheitsliebe [und] Fleiß schon vorausgesetzt, nicht aber durch sein Philosophieren erst erzeugt wird. 

/135/[...]

/136/ In Summa: meine Religionsphilosophie läßt sich nur aus dem transzendentalen Gesichtspunkte beurteilen, bestreiten, bestätigen. Dem Leser, welcher, trotz alles [sic], was ich eben darüber beigebracht habe, nicht einmal versteht, was der transzendentale Gesichtspunkt selber sei, werde klar, daß er zur Teilnahme an diesem Streit nicht berufen ist.

Religion zwar ist Angelegenheit aller Menschen, und jeder redet da mit Recht hinein und streitet: dies ist Bestimmung des Menschen und Anlage, um allmählich Übereinstimmung, den großen Zweck der Vernunft, hervorzubringen. Aber Religionsphilosophie ist nicht Religion, sondern Theorie derselben. Der Unterschied ist wie Gemälde und wirkliche Sache, lebendiges Wesen. Die Religion ist wirkend und kräftig, die Theorie tot an ihr selber. Die Religion trägt in sich Gefühl, Empfindung. Die Theorie spricht nur von demselben. 

/137/ Der wahre Sitz des Widerstreits meiner Philosophie und der entgegengesetzten, welche letztern sich dieses Punktes mehr oder weniger deutlich bewußt sind [sic], ist über das Verhältnis der (bloßen, auf ein Objekt gehenden) Erkenntnis zum wirklichen Leben; (zum Begehrungsvermögen, Gefühle, Handeln). Die entgegengesetzten Systeme machen die Erkenntnis zum Prinzip des Lebens: sie glauben, durch freies, willkürliches Denken gewisse Kenntnisse und Begriffe erzeugen zu können, und meinen, daß diese das Begehrungsvermögen affizieren, Gefühle hervorbringen und das Handeln der Menschen bestimmen können. Ihnen ist also die Erkenntnis das Obere, und das Leben das dadurch bestimmte Niedere und von dem ersten Abhängende.

Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, das System der Gefühle, des Begehrens zum Höchsten und läßt der Erkenntnis überall nur das Zusehen. Es ist nach ihr ein solches System der Gefühle bestimmt: es ist freilich mit ihnen ein Bewußtsein verknüpft; und dies gibt eine unmittelbare, nicht eine durch /138/ Folgerungen erschlossene, durch freies, auch zu unterlassendes Räsonnement erst erzeugte Erkenntnis. Nur diese unmittelbare Erkenntnis hat Realität, ist, als aus dem Leben kommend, etwas das Leben bewegendes: und wenn philosophisch die Realität einer Erkenntnis erwiesen werden soll, muß ein Gefühl – ich will mich hier noch dieses Worts bedienen und werde über den Gebrauch desselben sogleich noch bestimmtere Rechenschaft geben – aufgezeigt werden, an welches diese Erkenntnis sich unmittelbar anschlösse.* [*) Das Leben ist die Basis: und wenig bedeuten die Worte.] Das freie Räsonnement kann jene Erkenntnis nur durchleuchten, läutern, verknüpfen und trennen, das Mannigfaltige derselben, und dadurch den Gebrauch desselben sich erleichtern und sich fertiger darin machen: aber sie [sic] kann es nicht vermehren. Unsere Erkenntnis ist uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, und wir können dieselbe nur weiter entwickeln, den Stoff nur aus eben diesem Stoff vermehren.

Nur das Unmittelbare ist wahr: und das Vermittelte ist wahr, inwiefern es sich auf jenes gründet, außerdem Schimäre und Hirngespinst. 

/139/ Was sagt nun der neueste Verteidiger des entgegengesetzten Systems, Herr Eberhard?* [*) Was heißt das Gefühl vom Begriffe abhängig machen? Es heißt behaupten, daß man Gefühle sich erräsonnieren könne: sich und andern: durch Vernunftbeweis sich zum Lachen zwingen und dergleichen beginnen könne! Diesem also will Herr E. widersprechen.] Er sagt: Ist das sittliche Gefühl von der Bildung der Vernunft nicht abhängig? [...]/140/[...] Ich antworte ohne weiteres: So wie er die Begriffe nimmt, keineswegs. Die Vernunft, von der er hier redet, ist die theoretische, [die] des Erkenntnisvermögens. Dies sagt aus nur, daß und wie etwas sei: Von einem Handeln, einem Handelnsollen, einem Postulate liegt in ihr schlechterdings nichts, und ich möchte den Künstler sehen, der mir so etwas herausanalysierte, wenn er es nicht erst hineinlegt. 

/141/ Er fährt fort: Warum ist das sittliche Gefühl in dem ungebildeten Menschen roh und in dem gebildeten und aufgeklärten richtig, fein, weitumfassend? Ist es nicht, weil der erstere an Begriffen leer und der letztere an richtigen, hellen, wirksamen Begriffen reich ist? Was heißt das, das Gefühl ist roh? Herr E. verzeihe mir. Nach meinem Begriffe von Gefühl weiß ich dieses Beiwort nirgends unterzubringen [...] Es ist bei dem Gebildeten richtig: hier könnte ich noch erraten, was Herr E. meine. Das Urteil über einen Gegenstand der Sittlichkeit nämlich kann richtig sein: nie das Gefühl, welches ein absolut einfaches, gar keine Bezie-/142/hung ausdrückendes ist. Aber welches ist dann das Kriterium der Richtigkeit dieses Urteils? Etwa wiederum ein logisches? Kann sein, dass Herr E. es so nimmt. [...] Sein Gefühl ist ferner fein. Man kann allenfalls in populärer Sprache, wo es auf die Bestimmtheit der Begriffe nicht so sehr ankommt, sagen, der moralische Takt sei fein: d. h. der Mensch hat sich durch Übung die Fertigkeit erworben, über sittliche Gegenstände schnell und richtig zu urteilen; aber nimmermehr, das ursprüngl[iche] eigentl[iche] sittl[iche] Gefühl (das ein absolutes, keiner Vermehrung oder Verminderung fähiges ist, das allemal positiv aussagt: dies soll sein, das soll nicht sein), könne sich verfeinern. Aber jene Fertigkeit, wird sie denn erworben durch das Leben oder durch mäßiges /143/ Räsonnieren? Und ist denn das Kriterium, an welches man zu halten sich gewähnt hat, ein theoretischer Satz? Herr E. würde wohl ohne Bedenken ja antworten. Ich aber sage nicht ja, [...]. Das Gefühl soll ferner weitumfassend sein. Das sittliche Gefühl ist in allen Menschen gleich umfassend; es geht auf alle Objekte des freien Handelns. – Der theoretisch Ausgebildete – denn von einer solchen Bildung ist doch wohl hoffentlich die Rede und muß nach dem Zusammenhange die Rede sein, nicht von der sittlichen Bildung durch Übung der Tugend – ist von dem in dieser Hinsicht Ungebildeten nur durch die Ausbreitung des Wirkungskreises verschieden; nicht aber in der Anwendung selbst. Herr E. müßte erweisen, daß theoretische Kultur den guten Willen hervorbrächte oder erhöhte, wenn er etwas ausrichten wollte. Dies wird er doch hoffentlich nicht behaupten wollen. 

/144/ [...] Wenn ein schwachsinniger dumpfer Andächtler einen Ketzer verbrennen hülfe und sich auf sein Gefühl beriefe, würde man ihm nicht richtigere Begriffe geben müssen, um sein sittliches Gefühl zu berichtigen! Sein sittliches Gefühl ist richtig: dies ist immer richtig. Es fehlt bei ihm nur an dem guten Willen, sein Handeln darauf zu beziehen. Dieser muß durch Bildung des ganzen Menschen und Erziehung, nicht etwa durch einseitige theoretische Verstandesbildung hervorgebracht werden. Getraut sich ihm Herr E. diesen guten Willen aufzudemonstrieren: oder /145/ glaubt er im Ernst, daß sein sittliches Gefühl die Ketzerverbrennerei bestätige – daß es mehrere sittliche Gefühle für besondere Individuen gebe, wie er S. 64,6. allerdings insinuiert? Dann begeht er petitio principii: Ich habe dieses nie zugegeben. [...] 

/146/ Welches ist nun das Gefühl, worauf unser Glaube an die Gottheit sich gründet und wodurch derselbe als reell bewährt wird?

Zuförderst über den Doppelsinn des Wortes Gefühl, der auch Herrn E. an meiner Meinung irrig gemacht. Das Gefühl ist entweder sinnlich und das des Bittern, Roten, Harten, Kalten usw., oder intellektuell. Herr E. und mit ihm alle Philosophen seiner Schule scheint die letztere Art gänzlich zu ignorieren, nicht zu beachten, daß auch eine solche Gattung angenommen werden müsse, um das Bewußtsein begreiflich zu machen.

Ich habe es hier mit dem ersten nicht zu tun, sondern mit dem letztern. Es ist das unmittelbare Gefühl der Gewißheit und Notwendigkeit eines Denkens. – Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen übereinstimmt? Aber woher wissen sie denn, daß sie sich in diesem Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins Unendliche getrieben, und ein Wissen ist schlechthin unmöglich. – Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das Gefühl? 

/147/ Es ist klar, daß dieses Gefühl nur mein Denken begleitet und nicht eintritt ohne dieses. – Daß das Gefühl eine Wahrheit geben solle, ist unmöglich und würde keinen Sinn haben. Es, dieses Gefühl der Gewißheit und Wahrheit, begleitet nur ein gewisses Denken.

Es ist klar, daß, wenn ein solches Denken die Bedingung der Vernünftigkeit selbst ist und das Gefühl der Gewißheit unabtrennlich einfaßt, alle Menschen über dieses Gefühl übereinkommen müssen und es jedem anzumuten ist, wenn es ihm auch nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht des Unmittelbaren überhaupt nirgends stattfindet. 

Es ist dieses Gefühl ein intellektuelles Gefühl. 

Es ist dies der Grund aller Gewißheit, aller Realität, aller Objektivität.

Das Objekt ist ja nicht durch die sinnlichen Gefühle: denn auch diese sind nur Prädikate desselben, die schon ein Objekt, schon eine Erfassung dessen, was eigentlich nur subjective [sic] ist, voraussetzen. Es ist durch das Denken. – Drum ist dieses nicht ein bloßes Denken. Woher das in ihm entsprechende [sic]? Aus dem intellektuellen Gefühle. 

/148/[leer]

/149/ Es begleitet das Denken, das zu der Realisation des durch unsere moralische Natur uns gesetzten Zweck der absoluten Selbstständigkeit der Vernunft Annäherung möglich sei, und daß die pflichtmäßige Erfüllung unsrer Schuldigkeit in unsrer Lage, lediglich um der Pflicht willen, Bedingung der Annäherung sei. [...] 

Ich denke, es ist möglich, daß die Vernunft ihrem Zwecke entgegengehe und sich ihm annähere. Dies möchte etwa als ein willkürliches Denken, ein bloßes problematisches Setzen, ein Denken, das weiter auch nichts für sich hat als die bloße Denkmöglichkeit, Nicht-Undenkbarkeit, erscheinen. – Dieses Denken ist in einem gewissen Zusammenhange des Denkens notwendig: und dies ergibt erst eine logische Notwendigkeit. – Setzte ich mir den Zweck wirklich in meinem Handeln, so setzte ich ihn freilich in irgendeiner zukünftigen Zeit als wirklich: dies geht aus der Logik hervor. 

/150/ Aber beide Gemütsbestimmungen scheinen gegenseitig voneinander abzuhängen – und man hat es häufig so betrachtet -, beide miteinander zu stehen und zu fallen, und es zeigt sich kein Drittes. Ich soll und kann den Zweck der Sittlichkeit mir nicht vorsetzen, wenn ich nicht schon von seiner Ausführbarkeit überzeugt bin, hat man häufig gesagt, und so das erste vom letzten abhängig gemacht. – Ich kann ihn nicht für ausführbar halten und werde es nicht, wenn ich ihn mir nicht setze, kann man sowohl sagen. Warum soll ich ihn mir setzen?

Kurz: im bloßen logischen Verhältnisse ist beides nur unter Bedingung gewiß – und sonach keins. Es muß eine unmittelbare Gewißheit eintreten. Diese ist ein Gefühl, ich soll schlechthin diesen Zweck mir setzen: und ihn schlechthin für ausführbar halten: ihn für ausführbar halten und ihn setzen. Beides ist Ein Denken, nicht zwei: Keins ist die Folge vom andern: sondern beides ist Eins: und daß dies wahr und gewiß und unfehlbar ist, ist Notwendigkeit, die ich nur fühle, nicht erschließe aus andern Sätzen. 

/151/ Da es unmittelbare, nur fühlbare Gewißheit ist, so kann man es keinem andemonstrieren: aber bei jedem sicher voraussetzen, indem diejenigen, die es haben und die über den Zusammenhang des menschlichen Wissens nachdenken, erkennen, daß jedes andere Wissen sich nur darauf gründet: und daß jeder, der etwas weiß, unvermerkt und ihm vielleicht selbst unbekannt, von jenem Wissen ausgegangen ist. Es läßt sich jedem anmuten, daß er sich, welches von der Freiheit abhängt, mit sich selbst gehörig bekannt machen, in sich einkehren solle, wo er denn ohne allen Zweifel es in sich finden wird.

Man bemerke: es wird ihm nicht angemutet, es in sich zu erzeugen, sondern nur, es in sich zu finden. Die Notwendigkeit ist da: und in jedes Bewußtsein, der nur Bewußtsein hat (und von solchen ist doch nur die Rede), ist etwas, das schon darauf gebaut ist, eine Kenntnis, in welcher jene vorausgesetzt wird und von welcher aus er sich zu ihr erheben kann. 

/152/ Ein Mißverständnis ist mir vorgekommen in jener Appellation. Unter manchen völlig unverständigen Sachen sagt derselbe, nach mir finde Gott nur für den moralischen Menschen statt, nicht für den unmoralischen. – Richtig. Nur für den Menschen überhaupt, insofern er moralisch ist, pp. Wieder eine Folge unsrer Klassifikation. Wo ist denn die personifizierte, absolute Unmoralität? Sie ist nicht möglich. Der Mensch besteht nur, ist nur und kann nur sein, inwiefern er doch auf diesem Boden steht. Ohne Moralität ist er auch in seinem theoretischen Wissen nur Tier: nur Organisationsprodukt. 

/153/ Die absolute Gewißheit und Überzeugung von der Möglichkeit, nicht sich selbst zum pflichtmäßigen Handeln um der Pflicht willen zu bestimmen – denn das hängt ganz von uns selbst ab und ist Moralität -, sondern durch diese pflichtmäßige Bestimmung für die Erfüllung des Vernunftzwecks handeln zu können, ist unmittelbar, ist Grundlage aller Religion, ist die Religion – und sie ist auf die aufgeführte Weise im Gemüte des Menschen begründet.

Die absolute Gewißheit und Überzeugung (nicht Meinung, Dafürhalten, Wünschen) [...] von der Möglichkeit, – nicht sich selbst, d. h. seinen Willen durch den Begriff der Pflicht zu bestimmen; denn das kennen wir als möglich, dadurch daß wir es wirklich tun, sondern – durch die pflichtmäßige Bestimmung unsers Willens den Zweck der Vernunft auch außer unserm Willen zu befördern, ist das unmittelbare [?] der Religion, und ist auf die angeführte Weise im Gemüte des Menschen begründet.
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/157/ In der aufgestellten allgemeinen Formel faßt die Religion nur der Philosoph – hier nicht gerade als Transzendentalphilosoph, sondern überhaupt als abstrakter Denker, der auch nur als solcher den Pflichtbegriff als abstrakten Begriff so faßt. Dem wirklichen Menschen im Leben (und wie sich versteht, auch dem, der selbst Philosophie treibt, inwiefern er wirklich handelt) kommt das Pflichtgebot nie überhaupt, sondern immer nur eine bestimmte Willensbestimmung in concreto als Pflicht vor. Inwiefern er nun wirklich seinen Willen so bestimmt, wie sein Gewissen es in diesem Falle fordert, so handelt er moralisch.

Ebensowenig erscheint ihm die Religion jemals überhaupt, sondern inwiefern er nun in diesen Fällen fest überzeugt ist (und diese Überzeugung findet sich eben durch die moralische Willensbestimmung), daß er durch diesen Willen den Endzweck der Vernunft – das, was nun einmal sein und geschehen soll – auch außer seinem Willen befördere, so glaubt er religiös. 

/158/ Wer in allen Lagen seines Lebens unverrückt und ohne Ausnahme so handelte und dächte – wenn er sich auch nie weiter, als jedesmal zu dem einfachen Gedanken erhöbe, dadurch befördere ich, was werden und eintreten soll – ohne zu abstrahieren, das Mannigfaltige zu kombinieren und [ohne einen] Begriff zu haben, als den aufgestellten, der wäre ein vollkommen Tugendhafter und Religiöser; denn er besäße das Wesen derselben. 

/159/ Schon die gewöhnlichen Geschäfte des Lebens nötigen den Menschen, das Gemeinschaftliche in seiner Erfahrung zusammen zu fassen und allgemeine Regeln aus allgemeinen Begriffen sich zu bilden – und sobald er das in irgendeiner Region seiner Erkenntnis tut, tut er es notwendig in allen; und sonach, wenn Moralität und Religion ihm wirklich, wie sie soll, am Herzen liegt, [auch] in Sachen der Sittlichkeit und der Religion.

Aber es ist nicht notwendig, daß er sich zur höchsten Abstraktion, zu einem Begriffe, der alle übrigen dieser Art in sich fasse, erhebe; und in der Regel geschieht dies nie durch eine auf gut Glück unternommene, sondern lediglich durch eine nach Regeln geleitete (systematisch philosophische) Konstruktion; er bringt das Mannigfaltige etwa auf mehrere Formeln und Grundbegriffe zurück. 

/160/ Die Basis des religiösen Glaubens war die Überzeugung einer Ordnung und Gesetze* [*) (ich bediene mich hier eines Worts, das nicht recht paßt, weil ich kein andres habe: Über den Gebrauch dieser und anderer Worte tiefer unten!)], nach welchem aus der pflichtmäßigen Gesinnung die Beförderung des Vernunftzwecks hervorgeht, durch sie geschieht, was nach dem Vernunftplane geschehen und wirklich gemacht werden soll. 

/161/ Zuförderst: Es ist hier die Verkettung folgender Mannigfaltigen des Denkens. Etwas, das schlechthin, bloß und lediglich von mir abhängt: die pflichtmäßige Bestimmung meines Willens: dann etwas, das meinem religiösen Glauben zufolge aus dieser Willensbestimmung erfolgen soll. Es ist nicht mehr bloße Moralität, wie man unsrer Theorie auch vorgerückt hat, daß sie die Religion ganz aufhebe, nur ihren Namen stehen lasse, lediglich Sittlichkeit übrig lasse und mithin wenigstens heuchle, bemäntele und hinter dem Berge halte; sondern es ist der religiöse Glaube, der das zweite an das erste anknüpft: die Moralität ist durch das erste vollendet (ohnerachtet sie freilich dadurch nicht zum Wirken kommt, wie sich bald zeigen wird).

Ich kann überhaupt nicht wollen, ohne etwas zu wollen; zufolge der Gesetze meiner Endlichkeit, welches ich an andern Orten auseinandergesetzt, und dieses /162/ Bestimmte aus ihm abgeleitet habe. In der Forderung, pflichtmäßig zu wollen, liegt sonach, so gewiß sie begriffen wird und im wirklichen Bewußtsein vorkommt, die Forderung, etwas Bestimmtes zu wollen.

Daß diese Bestimmung durch die Stimme meines Gewissens (und nicht durch Räsonnement über die Folgen; man sehe meine Sittenlehre [§15]) untrüglich sei, wird geglaubt – aus Gehorsam, nicht begriffen. Es tritt schon hier Religion ein, oder eigentlicher, hier ist das Verbindungsglied zwischen reiner Moral und Religion. Aus dieser bestimmten Willensbestimmung erfolgt, so gewiß ich nur wirklich will, eine Handlung; aus dieser mir selbst schlechthin unübersehbare Folgen in der Welt der vernünftigen Wesen (denn auf diese allein sehe ich, und die Sinnenwelt ist mir überall nur Mittel). Diese Folgen stehen schlechthin nicht in meiner Gewalt: ich kann sie nicht berechnen; aber ich glaube, daß sie gut sind und dem Vernunftzwecke gemäß. Das ist Religion. Ich glaube, wenn ich mir es auch nicht deutlich in dieser Formel denke, an ein Prinzip, zufolge dessen aus der pflichtmäßigen Willensbestimmung die Beförderung des Vernunftzwecks sicher erfolgt: und dieses Prinzip ist schlechthin unbegreiflich der Art und Weise seines Wirkens nach; aber es wird überhaupt, seinem Vorhandensein nach*, absolut gesetzt. [*) (auch hier fehlt die Sprache.)]

/163/ Zuvörderst eine Bemerkung, die wir nicht länger verschieben können, über die Sprache – nicht länger verschieben können, ohne undeutlich zu werden und alte Einwürfe von neuem zu hören.

Ein Sein bedeutet immer unmittelbar ein Objekt des Denkens, ein Gedachtes. Nun kommt ihm entweder auch eine Existenz, ein Bestehen und Dauern außer dem Denken zu, in der sinnlichen Wahrnehmung: dann ist ein reelles Sein bezeichnet und man kann von dem Gegenstande aussagen: Er ist. Oder es kommt ihm außer dem Denken kein anderes Sein zu: Dann ist die Bedeutung des Seins eine bloß logische. Man kann nicht sagen: das Objekt ist, sondern nur: es ist dies oder jenes. Das Wort ‚ist’ ist dann nur logische Kopula. (Man sehe das Phil[osophisches] Journ[al] [17]97 [„Zweite Einleitung...“]) Das Sein wird dann lediglich dadurch erzeugt, daß das Mannigfaltige der Prädikate in einer Einheit des logischen Subjekts durch das Denken fixiert wird. Es sind auch hier wieder mehrere Fälle: von denen ich tiefer unten reden werde. Nur muß ich das erinnern, damit man nicht voreilig folgere. 

/164/ Ebenso werden andere mit dem Ausdruck des Seins verwandte Wörter in diesen zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Prinzip […] ist im System des reellen Seins ein erstes, daraus ich ein zweites, drittes usf. auch ohne wirkliche Wahrnehmung vorherberechnen, die Erfahrung antizipieren kann, kategorisch und gewiß; also in der Tat etwas als reell erkenne. In dieser Bedeutung ist das intelligible Prinzip, die Freiheit, nie Prinzip, [d. h. nie] einer reellen Erkenntnis Erklärungs- und Antizipationsprinzip; d. h. es läßt sich nicht voraussehen, was durch sie werde wirklich werden. Nur durch die Wahrnehmung wissen wir, was wirklich wird; und eben weil wir es nur dadurch wissen und den Erfolg als nur dadurch erkennbar, als schlechterdings kein Glied in einer begreiflichen Kette der Ursachen und Wirkungen anerkennen, sagen wir, die Freiheit sei ein Prinzip: d. h. es hat eigentlich keins* [*) seiner Bestimmtheit, welche doch allein erklärt werden sollte. An das freie Wesen selbst, von welchem hier weiter nicht die Rede ist, knüpfen wir nur die Kette des Fortfließens der Identität des Bewußtseins.], wir sind aber genötigt, es hinzu zu denken. Sie entsteht in diesem Zusammenhange nur durch das Denken aus der Freiheit als Prinzip, und sie ist sonach nicht konkretes, sondern nur logisch[es]  Prinzip. So verhält es sich mit dem Worte Gesetz für die Welt der Vernunft und Freiheit. In der Sinnenwelt bedeutet es eben die Bestimmung der Kraft, aus welcher, als dem Prinzipe, man ableitet die Folgen, auf die oben beschriebne Weise. Von den endlichen, schon als frei in der empirischen Bedeutung des Worts, als lediglich bestimmbar, aber nicht bestimmt gedachten Wesen gebraucht, bedeutet es lediglich ein Sollen, d. h. eine Be-/165/stimmtheit der Freiheit, dadurch eben keine (uns allein denkbare mechanische) Bestimmtheit ist. Von dem Unendlichen oder von der Vernunft kat’ exochén bedacht, welcher die empirische Freiheit, als selbst Resultat der Endlichkeit, nicht zuzuschreiben ist, bedeutet es lediglich die Notwendigkeit, ein – nicht materialiter, denn insofern ist es uns schlechthin unbekannt, sondern – formaliter durch seinen Zweck* [*) dem Endzwecke der Vernunft] Bestimmtes stets von ihr zu erwarten: ohnerachtet man gar nicht eine daliegende Bestimmtheit, aus welcher es mechanisch erfolgte, annehmen kann, da man sich ja in der Vernunft nicht in der materiellen Welt befindet. Das Wort Gesetz hat hier nur eine logische Bedeutung, nicht die reelle der mechanischen, unveränderlichen, unlebendigen und beharrlichen Bestimmtheit, aus welcher man eine materielle Erfüllung ableiten könnte.

So verhält es sich mit dem Gebrauche des Wortes Welt. In der reellen Bedeutung ist es ein geschloßnes Ganzes von daseienden Objekten, die in Wechselbestimmung ihres Seins stehen; wo jedes ist, wie es ist, weil alle andern sind, was sie sind, und umgekehrt: und wo man bei vollkommner Kenntnis des Weltgesetzes aus der Natur eines jeden die aller übrigen unweigerlich würde erraten können, und auf sie schließen. Von vernünftigen Wesen gebraucht, bedeutet es gleichfalls einen Einfluß aller auf jeden und [eines jeden] auf alle; dessen Art und Weise aber nicht begreiflich ist und eben deswegen auch nicht erraten werden kann; ebensowenig als oben bei dem Gesetz; das aber schlechthin gesetzt wird und nur durch diesen Begriff bezeichnet werden kann: also – eben durch den Versuch des Begreifens entsteht, also nur logisch, nicht reell ist. 

/166/ Man hat, und ich selbst habe mich oft des Ausdruck bedient: Ordnung einer übersinnlichen Welt. Man versteht dies unrichtig – und man kann freilich nicht auf alle möglichen Mißverständnisse rechnen und ihnen vorbauen -, wenn man glaubt, die übersinnliche Welt sei, ehe sie geordnet worden, und die Ordnung sei erst ein Akzidens derselben. Nein: sie selbst wird Welt nur dadurch, daß sie geordnet wird.

Wenn von dem lediglich Intelligiblen geredet wird, ist der Gebrauch dieser und aller verwandten Begriffe, d. h. aller, die von dem Sehen herkommen und dasselbe weiter bestimmen, nur logisch, nicht aber reell.

Dies wird rückerinnert, um dem mir schon oft gemachten Vorwurf endlich ein Ende zu machen, daß ich mich derselben Wörter bediene, deren Gebrauch ich bei andern mißbillige. Ich muß mich derselben wohl bedienen, weil ich anders nicht sprechen könnte. Ich bediene mich derselben aber ganz anders als die Gegner: und dies ist daraus klar: Wer sich ihrer bedient, um zu folgern, die Existenz zu bestimmen und überhaupt eine reelle Existenz zu behaupten – aus dem bloßen Satze herauszugehen und weiterzufolgern -, bedient sich ihrer reell. Wer im bloßen Satze stehenbleibt, bedient sich ihrer nur logisch. 

/167/ Das gewöhnlichste und in den menschlichen Denkgesetzen seinen guten Grund habende Aufsteigen durch Abstraktion zu der einzigen Formel, in deren Besitz man nur durch Vollendung der Abstraktion kommt, ist dieses.

Die Willensbestimmung ist stets das Gegenwärtige, und sie ist unsre Sache. Es wird für die Möglichkeit ihrer selbst etwas vorausgesetzt, es wird in ihr etwas postuliert: Es wird mit ihr zugleich notwendig gedacht etwas schon geschehnes Vergangnes, und etwas erfolgen werdendes Zukünftiges.

Es wird in ihr vorausgesetzt: Nicht, daß ich überhaupt Pflicht habe und nach ihr meinen Willen bestimmen soll, denn dies ist das Resultat der Vernunft an sich, der reinen Vernunft, sondern daß auch nun gerade dieses Bestimmte meine Pflicht ist, ist Resultat meiner Lage in der gesamten Vernunftwelt. Wäre ich überhaupt nicht da oder wäre ich – welches der Strenge nach freilich nichts gesagt ist – ein anderer, oder wäre eine andere Gemein[d]e vernünftiger Wesen, so träte eine solche Pflicht gar nicht ein; ebenso wie eine gewisse Bestimmung der Natur nicht ein-/168/träte, wenn nicht dieses Individuum auch so da wäre. Ich soll schlechthin nach Maßgabe meines Gewissens in dieser Lage handeln. Ich kann es nicht, ohne anzunehmen, daß gerade diese Lage auf den Vernunftzweck berechnet [und] Resultat ist jenes Prinzips. Die dem freien Handeln <jedes Individuums> vorauszusetzende Vernunftwelt ist geordnet, hervorgebracht durch jenes Prinzip: populär, sie ist erschaffen, erhalten, regiert durch dasselbe.

Es wird in derselben etwas Zukünftiges postuliert. – Kausalität unsrer Willensbestimmung für Beförderung des Vernunftzwecks; Erhaltung und gleichmäßig fortgesetzte Entwicklung aller vernünftigen Individuen, stete Fortschreitung aller zum Endzwecke der Vernunft. – Erhaltung, ewige Fortdauer, Regierung der Schicksale endlicher Wesen zu ihrer Beseeligung, d. h. zu ihrer Befreiung durch reine Moralität. 

/169/ Man sieht, daß hier nur Akte, nur Begebenheiten, nur etwas Fortfließendes, kein Sein und Bestehen gedacht wird, ein Schaffen, Erhalten, Regieren, keineswegs ein Schöpfer, Erhalter, Regierer. Kurz, es ist so: es läßt sich darauf mit der vollsten Sicherheit rechnen; auf diesem Punkte steht die Überzeugung, und aus ihm herauszugehen ist, um der Sicherheit und Gewißheit willen, nicht der mindeste Grund.

Das Glaubensbekenntnis heißt nun: Ich und alle vernünftigen Wesen und unsre Verhältnisse zu einander, in wiefern wir uns unterscheiden, und so weit nur erhebt sich der gemeine Verstand, sind durch ein freies, intelligentes Prinzip erschaffen, werden durch dasselbe erhalten, [und] wenn wir tun, was uns zukommt, um zu unsrem Endzwecke zu gelangen, geschieht durch jenes Prinzip alles übrige, was von uns nicht abhängt. Ohne allen Zweifel. Ohne unser weiteres Zutun. 

/170/ Das Prinzip, auf welches jene mannigfaltigen Prädikate bezogen werden, soll denn doch nur Eins sein. Ich kann – dies liegt in meinem Denken – von dem einen Prädikate zu dem andern nicht fortgehn, sie nicht zueinander zählen und sammeln, ohne etwas Daurendes, welchem diese Prädikate insgesamt zukommen, voraus zu setzen; es eben gerade durch dieses Denken zu erzeugen: ob ich [es] gleich, eben weil ich es dem Zusammenhange und den Gesetzen des Denkens nach mit Notwendigkeit erzeuge, nicht für mein Produkt ansehe. Das in der Mannigfaltigkeit und Entgegengesetztheit der Prädikate fortdauernde Denken ist selbst das Fortdauernde und Bestehende. Es sind eigentlich in diesem Akte zwei entgegengesetzte Bestimmungen meines Denkens, die durch den ganzen Akt fortdauern, neben einander liegen, auf einander sich beziehen, nur durch und vermittelst eins des andern möglich sind und nur beide vereint dieses Denken und einen Denkakt überhaupt ausmachen; ein gleichförmig fortdauerndes Denken, das der Einheit des Prinzips, [und] ein fließendes und veränder-/171/liches Denken, das Fortgehen von Prädikat zu Prädikat jenes einen Prinzips. Die Prädikate sind mir unmittelbar im moralischen Entschlusse entstanden und haben sich an ihn, je nachdem er war, angeknüpft, [doch] die Einheit des Prinzips entsteht mir erst dadurch, daß ich, mit Abstraktion von moralischen Bedürfnissen, auf sie in ihrer Absonderung, theoretisch und dogmatisch, reflektiere.

Man übersehe nicht dieses unmittelbar, dieses vermittelst, nicht das vermittelnde, das abstrakte Denken. Es kommt darauf nur nicht alles an. 

/172/ Das einzig passende, im System zunächst liegende Beispiel liefert das Denken unsrer Seele (Geistes oder wie man will). Mein Fühlen, Begehren, Wollen, Denken, Schließen usw. erkenne ich unmittelbar dadurch, daß ich es tue. Es ist das nicht, wie die Wahrnehmung jenes übersinnlichen Erfolgs an mein anderes Bewußtsein, das meiner moralischen Entschließung, angeknüpftes, sondern das unmittelbare kat’ exochén, an welches alles andere, und selbst dieses, erst angeknüpft wird. So lange ich in diesem unmittelbaren Bewußtsein stehen bleibe, ganz praktisch, d. h. ganz Leben und Tat bin, weiß ich ein Fühlen nur vom Fühlen, ein Begehren nur vom Begehren, und dann nicht vom Fühlen, ein Erkennen nur vom Erkennen, und dann weder vom Fühlen noch Begehren. Es entsteht gar kein Bewußtsein meiner als [des] Prinzips dieser verschiednen Bestimmungen. Wenn ich über die Wirklichkeit des Fühlens, Begehrens, Erkennens mich erhebe, durch Abstraktion absondere bloß die Form, den Akt als solchen, ohne das, worauf er geht, auffasse, nun erst das Verschiedne übersehe als verschieden, entsteht mir zu die-/173/sem (abstrakten) fließenden und entgegengesetzten Denken notwendig ein stetes, dauerndes, das des einen Prinzips zu jenen mannigfaltigen Bestimmungen überhaupt. 

/174/ Dieses Eine Prinzip soll, wenn ich nur überhaupt zu jener Abstraktion reif war, d. h. sie aus mir deutlich selbst unternehme, nicht etwa durch Tradition von außen habe, selbst für mich bestehend und selbstständig, nicht als Eigenschaft, auch nur Prädikat, in einem andern fixiert sein: es fällt nicht aus als ein Geistigsein überhaupt (etwa wie eine gesetzte Materie), sondern selbst als ein Geist, nicht als eine Weltseele, eine Vorstellende, sondern als ein für sich bestehendes reines lauteres Wesen – nicht als ein Schaffen, Erhalten, Regieren überhaupt, sondern als Schöpfer, Erhalter, Regent.

Und das ganz mit Recht und den Gesetzen unseres Denkens, nachdem man einmal abstrahierte, gemäß.

Man vergesse nicht: beide Begriffe sind nur durch Denken, allein durch ein an sich nicht notwendiges, nicht konkretes, sondern abstraktes Denken entstanden: sie beziehen sich deswegen auch nicht auf die Wahrnehmung und sind nur logisches Subjekt, keineswegs reelles, oder Substanz. 

/175/ Nur die Prädikate kommen in der Wahrnehmung vor und im notwendigen Denken, reellen, nicht aber die Subjekte: d. h. nicht, wie bei der sinnlichen Wahrnehmung, die Vereinigung der Prädikate auf einmal in einer verworrenen Wahrnehmung, die Vereinigung der Prädikate auf einmal in einer verworrenen Vorstellung. Bei der sinnlichen Wahrnehmung können sie vereinigt sein: nicht bei der der Seele und des Übersinnlichen. 

/176/ Was kann nun in diesen Begriffen liegen? Schlechterdings nichts anderes als die Prädikate der unmittelbaren Wahrnehmung. Deine Seele ist nichts als dein Denken, Begehren, Fühlen selbst. Gott ist nichts: als das notwendig anzunehmende Schaffen, Erhalten, Regieren selbst.

Aus dem Begriffe der reellen Substanz läßt sich schließen: aus dem des logischen Subjekts nimmer. – Durch das erstere läßt sich die Erkenntnis erweitern, durch das letztere nicht. Ist etwas reelle Substanz, so ist es Materie, irgendwo, [und mit irgendeinem andern] in Anziehung und Abstoßung stehend, usw.; – hier nicht.

Auch der Begriff des Geistes reicht nicht hin zur Bestimmung. – Denn der Geist ist nichts. Selbst die unter Seele entlehnten Bestimmungen passen nicht. Unsrer Seele werden sie zugeschrieben nicht durch Folgerung, sondern durch unmittelbares Bewußtsein. Über Gott sagt das unmittelbare Bewußtsein, nicht eines Seins, sondern einer moralischen Notwendigkeit, nur das oben angegebene aus. – Schlüsse zu machen ist da schlechterdings kein Grund. 

/177/ Das bis jetzt gesagte ist Transzendentalphilosophie, nicht Lebensphilosophie. Aus ihr sollen erst die Regulative hervorgehen, um eine Lebensweisheit zu bilden. 

/178/ Auf dem angezeigten Wege, und nur auf ihm, kommen alle Menschen zum religiösen Glauben, wenn sie es auch nicht wissen; und man bemerkt es nicht ohne die Untersuchungen einer gründlichen Transzendentalphilosophie.

Andere Ableitungen, die die Philosophen machen, sind zwar richtig in Absicht des Angenommenen, welches sie schon auf jenem Wege erlangt haben, nicht aber in Absicht des Grundes der Annahme. – Mit ihnen ist der Streit nicht über die Sache, sondern über die Ableitung, und wenn man von Anwendungen abstrahiert, die sie davon auch für die Bildung im Leben machen wollen, rein philosophisch.

Nur, was aus dem Leben hervorgeht, wirkt in das Leben, in Denkart, Gesinnung und Handelsweise zurück. Aus dem Leben hervor geht nur der unmittelbare Glaube, nicht aber jenes logische Subjekt und die Weise, wie man sich es etwa, stets irrig, weiter bestimmt.

Dieser ist also vorzüglich auszubilden und für die Hauptsache anzusehn. Das Logische findet sich wohl von selbst und ist richtig uns angemessen, unschädlich, nur inwiefern es sich von selbst bildet.

Er ist nicht zum bilden durch Räsonnement, sondern durch Übung im Leben, Erziehung zur Moralität – und dann, durch Leitung und Entwicklung auf das, was sich sodann in unserm Innern ohne allen Zweifel einstellen wird. 

/179/ Die pädagogischen Regeln zur religiösen Volkserziehung, die daraus hervorgehen, sind diese.

Die religiöse Bildung kann nicht angehoben werden vom Unterricht in der Religion, welcher ohne Moralität ganz unverständlich ist, und, da doch etwas verstanden wird, notwendig in Aberglauben ausartet, sondern von der Bildung des Herzens zu reinen Tugend und Sittlichkeit (auch nicht äußerer Ehrbarkeit).

Durch tugendhafte Gesinnung erzeugt sich die Religion von selbst, und man hat nun nur die Aufmerksamkeit auf diese notwendige Annahme, die schon ohnedies geglaubt wird und keines Beweises bedarf, auch keines fähig ist, hinzuleiten und das Geglaubte zu entwickeln. – Man hat es schlechthin nicht zu betrachten als etwas, das in den Menschen hinein gebracht werden soll – denn was in ihn hereingebracht wird, ist sicher falsch -, sondern das schon in ihm liegt und nur entwickelt werden, woran er nur erinnert werden, das in ihm nur verklärt und belebt werden soll. 

/180/ Es soll überhaupt kein Unterricht in der Religion, sondern nur eine Entwicklung derselben stattfinden.

Am allerwenigsten kann dieser Unterricht mit einer vermeinten Lehre vom Dasein Gottes angehoben werden. Seine Beziehungen auf uns sind es, die sich uns unmittelbar geben, und von diesen muß man anfangen. Das Dasein findet sich dann von selbst: und nur wiefern es sich von selbst auf jenem Wege entwickelt, wird es wirklich geglaubt.

Eben sowenig ist das Sein Gottes zu bestimmen (zu charakterisieren, die Art seines Daseins anzugeben), sondern nur von seinen Taten zu reden und der Glaube an diese zu vergegenwärtigen, zu beleben, zu stärken. Der Begriff Gottes ist nicht durch Existential-Sätze, sondern durch Prädikate seines Handelns zu bestimmen. 

/181/ Dies ist nun genau meine Lehre, in ihrer Ausdehnung und Folgen. Staatsmänner, die Kirche (nicht die gelehrten Theologen, [...]) haben es nur um die Folgen zu tun. Sie haben sich sonach nur an Nr. 35 [Phil. Journal] zu halten und zu untersuchen, ob sie denn meinen, mit gutem Gewissen meinen können, daß ein solcher Volksunterricht von schädlichen Folgen sein werde. [...] 

/182/ In welchem Sinne ich die genetische Erklärung des religiösen Glaubens aus der Existenz der Sinnenwelt (als Sinnenwelt, nicht als sinnliche Sphäre unsers moralischen Handelns) verwerfe, muß aus dem obigen klar sein.

Kurz. – Die durch das ganze Vernunftsystem hindurchgehende und auf die ursprüngliche Duplizität des Subjekt-Objekts sich gründende Duplizität ist hier auf ihrer höchsten Stufe. Das Leben ist die Totalität des objektiven Vernunftwesens: die Spekulation die Totalität des subjektiven. Eins ist nicht möglich ohne das andere: Das Leben, als Hingeben in den Mechanismus, nicht ohne die Freiheit, die sich hingibt, käme sie auch nicht zum <wirklichen?> Bewußtsein. Die Spekulation nicht ohne Leben, von dem sie abstrahiert. Leben ist ganz eigentlich nicht philosophieren, und Philosophie ganz eigentlich nicht Leben. Es ist eine volle Antithesis, und Vereinigung (dergleichen Reinhold zu suchen scheint) ist nicht möglich, eben so wenig als das Auffassen des eigentlichen X, welches dem Subjekt-Objekt des Ich zu Grunde liegt; außer dem bloßen Bewußtsein des wirklichen Philosophierens, daß es diese beiden Standpunkte geben kann, [und] folglich gebe.

[Variante, Fragment: Eins ist nicht möglich ohne das andere: das Leben, als tätiges Hingeben an den Mechanismus, nicht ohne die Tätigkeit und Freiheit (sonst Spekulation), die sich hingibt; kommt sie auch gleich nicht bei jedem Individuo zum deutlichen Bewußtsein; die Spekulation nicht ohne das Leben, von welchem die abstrahiert. Beide, Leben und Spekulation, sind nur durch einander bestimmbar. Leben ist ganz eigentlich Nicht=philosophieren; philosophieren ist ganz eigentlich Nicht= leben; und ich kenne keine treffendere Bestimmung beider Begriffe als diese. - Es ist hier eine vollkommene Antithesis, und ein Vereinigungspunkt ist eben so unmöglich als das Auffassen des X, das dem Subjekt=Objekt, Ich, zu Grunde liegt; außer dem Bewußtsein des wirklichen Philosophen, daß es für ihn beide Standpunkte gebe.] 

/183/ Wegen des Vorwurfs der Unbestimmtheit, die eigentlich nicht Ganzheit ist -. Man wirft mir so oft vor: novem prematur in annos, hat mir Kants Beispiel aufgestellt. Man sollte mirs danken, daß ich anders verfahre. Dadurch wird die Philosophie gleich Produkt des Zeitalters, nicht eines einzelnen Kopfs; ich bin höchstens nur das Organ, durch welches das Publikum in sich selbst zurückgeht. – So ists schön. – Man wird dies denn mit der Zeit wohl erkennen.

Wer in einem Haufen Sand liegt, nun der reiße jedes Kieslein heraus: es ist Sand. Aus einem organisierten Leibe kannst du sie nicht herausreißen: es paßte dann freilich nicht, weil es herausgerissen ist. Diese Beschaffenheit meiner Schrift ist es, die den Kollekteuren, Sammlern, Schmierern und Kompilatoren sie höchst mißfällig machen muß.

[...] 
/184/ 
[...] 

Da werden sie sagen: dies lehrt ja der gesunde Menschenverstand schon. – Sie haben ganz recht. Das soll er auch. Es ist ja gar nicht die Frage, durch unsre Philosophie etwas neues hervorzubringen: den menschlichen Geist zu erweitern – wir wollen ihn ja nur befreien. 

[...] 
/185/
[...] 
/186/
[...] 

Die Bedeutung meiner Wörter ist stets aus dem Gegensatz zu erklären, sonach aus dem Zusammenhang.

[Einfügungen Fichtes]
[redaktionelle Ergänzungen] 

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