Donnerstag, 31. Mai 2018

Bestimmen heißt...


... ein unbestimmtes Quale zu einer Absicht ins Verhältnis setzen. 






Nota. - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Mittwoch, 30. Mai 2018

Die Hauptschwierigkeit der Wissenschaftslehre.

gregfoto

Unser Vorstellen geschieht im Indikativ. Wir vergewissern uns seiner mit Hilfe von Begriffen, die ebenfalls im Indikativ stehen. Die Wissenschaftslehre berichtet vom Vorstellen im Konjunktiv, aber mit Hilfe der Begriffe, die - im Indikativ stehen.

Dieses ist im Konjunktiv zu lesen: als ob. 

*

Oder so: Die Vorstellungen sind bestimmbar, weil sie unbestimmt sind. Könnten sie durch Vorstellungen mit- geteilt werden, wären diese bestimmbar, nämlich unbestimmt. Und könnten darum nicht mitgeteilt werden. Und noch weniger ließe sich in Vorstellungen über sie reden.

Der Hiatus zwischen analogem und digitalem Modus lässt sich nicht überbrücken. Man muss ihn überspringen - immer hin und her.



Dienstag, 29. Mai 2018

Recht hat mit Moral nichts zu tun.

  ...denn Moral ist nicht blind

Der deduzierte Begriff [des Rechts, JE.] hat mit dem Sittengesetze nichts zu tun, ist ohne dasselbe deduziert, und schon darin liegt, da nicht mehr als Eine Deduktion desselben möglich ist, der faktische Beweis, dass er nicht aus dem Sittengesetz zu deduzieren sei. Auch sind alle Versuche einer solchen Deduktion gänzlich misslungen.

Der Begriff der Pflicht, der aus jenem Gesetze hervorgeht, ist dem des Rechtes in den meisten Merkmalen geradezu entgegengesetzt. Das Sittengesetz gebietet kategorisch die Pflicht: das Rechtsgesetz erlaubt nur, aber gebietet nie, dass man sein Recht ausübe. Ja, das Sittengesetz verbietet sehr oft die Ausübung eines Rechts, das dann doch nach dem Geständnis aller Welt nicht aughört, ein Recht zu sein. Das Recht dazu hatte er wohl, urteilt man dann, aber er hätte sich desselben nicht bedienen sollen.
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Grundlage der Naturrechts..., SW III,
S. 54



Nota I. - Das Recht wird nötig, um das Zusammenleben vernünftiger und eo ipso freier Wesen möglich zu machen; indem es dir gebietet, die Ausübung deiner Freiheit in Ansehung der Freiheit Anderer selber einzu- schränken. - Das Sittengesetz gilt für das vernünftige Wesen unbedingt und unabhängig vom Dasein Anderer.

23. 10. 14

Nota II. - Die Unterscheidung wurde erst historisch nötig. 'An sich' sind Recht und Moral nicht geschieden, weil... Recht und Moral nicht an sich sind, sondern nur in der Vorstellung von Menschen. 


Dort ist die Unterscheidung hineingekommen, als sich die Welt nicht nur in der Vorstellung, sondern im wirk- lichen Verkehr in einen öffentlichen und einen privaten Bereich zu scheiden begann. In traditionellen (agrari- schen) Gesellschaft sind Recht und Brauchtum kaum zu unterscheiden. Ins feudale Gewohnheitsrecht ist das Römische Recht erst seit dem 14. Jahrhundert nach und nach hereingetragen worden - einerseits von den auf- strebenden Monarchen, andererseits von den bürgerlichen Kaufleuten. Dass das Recht immer wieder in Ge- gensatz zum gesunden Volksempfinden tritt, ist seither eine Trivialität. 

Aber darum noch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil: Immer steht das Recht in Verdacht, ohne Gerechtigkeits- sinn, d. h. ohne Moral zu sein. Ein Verdacht, der immerzu den Rechts staat untergräbt. Denn Dass auf der ande- ren Seite die Scheidung ein selbstbestimmtes Privat leben überhaupt erst möglich gemacht hat; dass seither 'ein jeder nach seiner Façon selig werden' darf, ist die Rückseite dieser Scheidung. Sie ermöglich nicht allein den Rechtsstaat, sondern eo ipso erst den freiheitlichen Rechtsstaat. Und der ist die Voraussetzung dafür, dass einer sein Leben nach der Stimme seines Gewissens führen kann - jedenfalls solange er die Rechte der Andern nicht beein- trächtigt.
JE

Montag, 28. Mai 2018

Nur was aus dem Leben kommt, hat Realität.

Jacob Jordaens, Drei Musiker

Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, das System der Gefühle, des Begehrens zum Höchsten und läßt der Erkenntnis überall nur das Zusehen. Es ist nach ihr ein solches System der Gefühle bestimmt: es ist freilich mit ihnen ein Bewußtsein verknüpft; und dies gibt eine unmittelbare, nicht eine durch / Folgerungen er- schlossene, durch freies, auch zu unterlassendes Räsonnement erst erzeugte Erkenntnis. Nur diese unmittelbare Erkenntnis hat Realität, ist, als aus dem Leben kommend, etwas das Leben bewegendes: und wenn philosophisch die Realität einer Erkenntnis erwiesen werden soll, muß ein Gefühl – ich will mich hier noch dieses Worts bedie- nen und werde über den Gebrauch desselben sogleich noch bestimmtere Rechenschaft geben – aufgezeigt wer- den, an welches diese Erkenntnis sich unmittelbar anschlösse.

Das freie Räsonnement kann jene Erkenntnis nur durchleuchten, läutern, verknüpfen und trennen, das Mannig- faltige derselben, und dadurch den Gebrauch desselben sich erleichtern und sich fertiger darin machen: aber sie [sic] kann es nicht vermehren. Unsere Erkenntnis* ist uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, und wir können dieselbe nur weiter entwickeln, den Stoff nur aus eben diesem Stoff vermehren.

Nur das Unmittelbare ist wahr: und das Vermittelte ist wahr, inwiefern es sich auf jenes gründet, außerdem Schimäre und Hirngespinst.

*) Das Leben ist die Basis: und wenig bedeuten die Worte.  
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 138f.]



*Nota. - Mit 'unserer Erkenntnis' ist hier offenbar das gemeint, was anderswo die intelligible Welt heißt: Erkenntnis aus der Reflexion. Deren Stoff ist das sinnlich Anschaubare, er ist ihr vorgegeben, sie kann ihm nichts hinzufügen und kann ihn nicht vermindern..

Fichtes Idealismus führt in seiner Anwendung aufs wirkliche (sachliche) Wissen zu einem strikten Sensualismus und Materialismus. Ein irgendwie reelles Schöpfertum des Geistes wird nirgends behauptet, es widerspräche den Voraussetzungen. Die Intelligenz bringt keine Realitäten hervor, sondern lediglich deren Anschauung. Die erste dieser vorgefundenen Realitäten ist der handelnde (vorstellende) Mensch selbst. Von diesem Punkt an ist uns unsere Erkenntnis 'mit einem Mal, für alle Ewigkeit' gegeben (sofern wir sie aus Freiheit vollziehen).
JE


Sonntag, 27. Mai 2018

Übereinstimmung ist der Zweck der Vernunft.


Religion zwar ist Angelegenheit aller Menschen, und jeder redet da mit Recht hinein und streitet: dies ist Bestimmung des Menschen und Anlage, um allmählich Übereinstimmung, den großen Zweck derVernunft, hervorzubringen. 
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 136]


 
Nota I. - Mit andern Worten - Vernunft ist immer da an ihrem Platz, wo Übereinstimmung angebracht ist. Alles andere liegt nicht in ihrem Zweck.

22. 12. 13 

Nota II. - In Sachen der Religion ist Übereinstimmung völlig überflüssig. Nicht überflüssig mag während der Aus- übung des Kults die Vereinigung der Gemeinde sein, aber das ist ihre Privat angelegenheit und ohne öffentlichen Belang.

Anders sieht es aus, wenn man die Religion unabhängig von ihrem dogmatischen Gehalt als Garanten einer öf- fentlichen Moral auffasst, so wie das Alte Testament und der Koran. Dann ist sie Gesetz und nicht privat, sondern hochpolitisch. Aber dann ist sie Recht und nicht Moral, jedenfalls nicht in Sinne aktuoser Moralität.

Fichtes Unglück war, dass er seinen Gott nur als moralische Weltordnung auffassen konnte, aber weder als Schöpfer noch als persönliches Erlebnis. Die ihn der Atheismus ziehen, waren der Wahrheit näher als er, der sich gegen den Vorwurf wehrte. Aber zugleich kompromittierte er dabei sowohl seinen radikalen Begriff von Sittlich- keit, als auch die transzendentale Auffassung des Absoluten als reines Noumenon.

Vernunft setzt die Übereinstimmung als virtuell erreicht voraus. Wäre sie real erreicht, müssten wir von Wahrheit sprechen. Bis dahin müssen wir uns mit wissenschaftlicher Richtigkeit bescheiden.

JE.



 

Samstag, 26. Mai 2018

Meine Welt gehört selber in die Transzendentalphilosophie.



Unlängst schrieb ich, die Unterscheidung von meiner Welt und unserer Welt gehöre zur Transzendentalphilo- sophie als ihre Grenze.

Das war ebenso zaghaft wie voreilig. Meine Welt gehört selber und ganz und gar in die Transzendentalphiloso- phie.

*

Das von der Einbildungskraft Hervorgebrachte, von der Vorstellung Angeschaute, im Begriff Gemeinte ist Bild.

Als Bild ist es nicht von unserer Welt. An ihm werde ich nicht wir-Vernunftwesen, sondern Ich.* Das ist meine Welt. Vernunft und unsere Welt beginnen da, wo das Gemeinte vergemeinschaftet, nämlich mitgeteilt werden kann. Das kann erst im Begriff geschehen. Vom Begriff im weitesten Sinn,** von System und systematischer Ver- ortung ist noch nicht die Rede, aber von Symbolisierung immerhin.

Das Symbol ist selber 'auch ein Bild', aber das Bild von einem Bild; ein vorgegebenes Schema, das der Meinende nach einvernehmlichem Verfahren zu füllen hat – mit dem nun mutmaßlich miteinander-geteilten Bild. Wenn ich sage rot, darf ich annehmen, dass mein Zuhörer dieselbe Vorstellung in sich hervorbringt, die ich hervor- gebracht habe, als ich rot dachte. Annehmen darf ich es, weil die Erfahrung lehrt, dass wir uns auch sonst ver- ständigen können; warum also nicht dieses Mal? Aber ob oder ob nicht, kann ich nicht wissen, und den andern zum richtig-Vorstellen zwingen kann ich schon gar nicht; denn ich kann es ja nicht überprüfen.

Einbilden, anschauen und vorstellen liegen in meiner Welt. Unsere Welt beginnt erst bei den Begriffen. Dass sie in der Sprache der Begriffe zu mir reden, macht die 'Aufforderung' der 'vernünftigen Wesen' aus, die mich allein erst zur Vernünftigkeit veranlasst. Denn wozu könnte ich sie ohne jene gebrauchen?


28. 5. 15

*) Ach, 'Ich' ja eben nicht, sondern erst empirisches Selbst. Ein Ich ist das empirische Selbst erst als Glied der 'Reihe vernünftiger Wesen'.
**) Oder sollte es besser heißen im engeren Sinn? Gemeint sind jedenfalls die Begriffe, wie sie im System der Ver- nunft gebraucht werden: durch einander wechsel-bestimmt.


  

Freitag, 25. Mai 2018

Begriff ist Tätigkeit - als Ruhe aufgefasst.



Man nennt die innere Thätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefasst, durchgängig den Begriff...

Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefasst; und so verhält es sich auch mit dem Begriffe des Ich. Die in sich zurück- gehende Thätigkeit als feststehend und beharrlich aufgefasst, wodurch sonach beides, Ich, als Thätiges, und Ich, als Object meiner Thätigkeit, zusammenfallen, ist der Begriff des Ich. 


Im gemeinen Bewusstseyn kommen nur Begriffe vor, keinesweges Anschauungen als solche; unerachtet der Begriff nur durch die Anschauung, jedoch ohne unser Bewusstseyn, zu Stande gebracht wird. Zum Bewusst- seyn der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit, wie es soeben in Absicht des Ich geschehen ist; und jede Anschauung mit Bewusstseyn bezieht sich auf einen Begriff, der der Freiheit die Richtung andeutet. Daher kommt es, dass überhaupt, so wie in unserem besonderen Falle, das Object der Anschauung /vor der Anschau- ung vorher daseyn soll. Dieses Objekt ist eben der Begriff. Nach unserer gegenwärtigen Erörterung sieht man, dass dieser nichts anderes sey, als die Anschauung selbst, nur nicht als solche, als Thätigkeit, sondern als Ruhe aufgefasst. 
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Versuch einere neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 533f. 



Nota I. -  Die Anschauung nicht als Tätigkeit, sondern 'in ihrer Ruhe aufgefasst', sollte man eher Vorstellung nennen; denn zum eigentlichen Begriff werden sie erst, wenn sie mit allen denk baren anderen Vorstellungen in einen gemeinsamen Verweisungzusammenhang gefügt werden - was E. Cassirer ein Symbolnetz nennt.

im März 2014 

Nota II. - Ein Thema der gegenständlichen (reellen) Philosophie ist, wie und wozu die Begriffe zu verwenden sind. Das ist nicht Sache der Transzendentalphilosophie. Die fragt, wie und woher Begriffe entstehen.

23. 10. 16









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Donnerstag, 24. Mai 2018

Einbildungskraft ist das Vermögen, das Bestimmbare aufzufassen.

Markus Hoffmann, pixelio.de

... hier* vereinigt die Einbildungskraft absolut das unendlich Teilbare der Handlungsmöglichkeiten; sie ist das Vermögen, das Bestimmbare zu fassen, welches das Denken nicht kann, da es bloß diskursiv ist;** aber es gibt ein besonderes Vermögen, das Entgegengesetzte zu fassen, die Einbildungskraft. 

Die Vermögen des Ich müssen selbst deduzieret werden, so muss hier bewiesen werden, dass Einbildungskraft ist; dies ist hier deduziert, weil kein Bewusstsein und kein Ich [ist], wenn nicht ein Übergehen vom Bestimmba- ren aus ist, wenn nicht ein Bestimmbares für uns ist; dass es eine Einbildungskraft gebe, ist dadurch notwendig.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 202

*) [in der Vorstellung vom Raum.]
**) =weil es nur mit Bestimmtem operiert.


Nota. - "Das Bestimmbare" ist zunächst das Sinnliche. Richtiger, das Sinnliche erweist sich als bestimmbar. Schmerz und Lust sind nicht mehr bestimmbar, das hat die Stammesgeschichte längst besorgt. In der Umweltnische un- serer hominiden Vorfahren war noch das meiste, das sinnlich 'vorkam', durch die gattungsmäßige Einrichtung in ihrer Umwelt 'bestimmt'. Doch als unsere Vorfahren den Urwald verließen, sich auf die Hinterbeine aufrich- teten und in eine offene Welt ausbrachen, drangen massenhaft physische Reize auf sie ein, die nicht durch ihren Platz in einem Umweltgeflecht vor-bestimmt waren: Es 'zeigte sich' das Unbestimmte

Die Gruppe unter unsern Vorfahren, die sich bereit fand, unter diesen Voraussetzungen fort zu fahren, musste ipso facto die Fähigkeit entwickeln, das werthaft Zweifelhafte zu bestimmen. Einbildungskraft nennt es Fichte, Kant folgend.



Mittwoch, 23. Mai 2018

Nihilistisch sein Leben führen.


Jacobi hatte völlig Recht, lebenspraktisch ist die Wissenschaftslehre nihilistisch. Fichte hätte sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen dürfen. Nihilisten waren auch seine Romantikerfreunde. Wie er haben sie positiv werden wollen und haben der kritischen Philosophie abgeschworen.

Bloße Nihilisten waren die Existenzialisten von St. Germain-des-Prés. Ihr Bekenntnis war das Absurde, aber es war eine Theaterpose. Sie kam aus der Mode wie Beckett, Ionesco und Juliette Gréco. 

Positiv war Nietzsches heroische Variante des Nihilismus: Wille zur Macht. Er musste der kritischen Philoso-phie nicht abschwören, er hatte sie nie geteilt und musste sich vor ihr nicht verantworten. Seine Lösung war zufällig und dogmatisch.

Es ist aber nicht wahr, dass sich nihilistisch das Leben nicht führen lässt. Man müsste es problematisch führen, essayistisch; ästhetisch.


Dienstag, 22. Mai 2018

Dogmatische Vernunft oder problematische Vernünftigkeit?


Es soll ein reiner Wille zu Grunde liegen, nicht ein empirisches Wollen, oder Vernunft überhaupt, oder Abso- lutheit des Vernunftreichs, welches bis jetzt noch unverständlich ist; dieses / ist das Bestimmbare zu einem Bestimmten, letzteres bin ich als Individuum, ich erkenne mich als Individuum, diese Erkenntnis ist oben ein Fortgehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten, ich bin - ein durch sich selbst herausgegriffener Teil aus dem Vernunftwesen; jetzt wird stillegestanden beim Hervorgehen der Individualität aus der Vernunft, welche so hervorgeht, dass ich mich finde als etwas nicht könnend oder dürfend,* was doch eigentlich für mich sein muss. 

Der bestimmte Akt ist hierbei ist Aufforderung zur freien Tätigkeit, diese kommt her und wird so beurteilt von einem anderen vernünftigen Wesen meinesgleichen. Das Selbstbewusstsein hebt also an von einem Herausgrei- fen aus einer Masse vernünftiger Wesen überhaupt. 
*) [= 'beschränkt']
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 176f. 


Nota. - Es ist zweierlei, ob ich die Vernunft - 'real' - als ein sich selber bestimmendes Subjekt zur Voraussetzung mache, oder - 'ideal' - die Vernünftigkeit als ein Bestimmbares an  wirklich daseienden Individuen. Letzteres wäre eine problematische Bestimmung, die sich im Weiteren zu bewähren hätte; ersteres wäre ein dogmatischer Glaubenssatz. Ist die Undeutlichkeit an dieser Stelle bloße Fahrlässigkeit (womöglich des Protokollanten Krause), oder gehört sie in das Kapitel "seine schwankende Vernunft"?

Nachtrag. Als menschliche Wesen, die bestimmt sind, sich als Ich zu setzen, sind sie vorausgesetzt als an-sich wollend. Die Vernünftigkeit kommt hinzu, sofern und indem sich alle gegenseitig (im selben Raum) als wollend anerkennen: Es ist die Selbstbegrenzung der Freiheit. Sie muss erst noch geschehen, damit wirkliche Vernünftig- keit=handelnde Vernunft zustande kommt. Vernunft ist Terminus ad quem.
JE


Montag, 21. Mai 2018

Fichte über die Würde des Menschen.


Über die Würde des Menschen, beim Schlusse seiner philosophischen Vorlesungen gesprochen von J. G. Fichte
Nicht als Untersuchung, sondern als Ausguß der hingerissensten Empfindung nach der Untersuchung, widmet seinen Gönnern und Freunden zum Andenken der seligen Stunden, die er mit ihnen im gemeinschaftlichen Streben nach Wahrheit verlebte, diese Blätter der Verfasser.
Von Mitte Februar bis Ende April 1794 hielt Fichte in Zürich vor einem halben Dutzend Hörern im Hause Johann Kaspar Lavaters Vorlesungen über die kritische Philosophie. Nachdem er im Winter 1793/94 entscheidende Klarheit über den Grund- gedanken seiner Philosophie gewonnen hatte, trug Fichte hier zum ersten Mal die Grundsätze seiner Wissenschaftslehre vor. Diese Vorlesungen entsprechen wesentlich seinen 1794 verfaßten Schriften "Über den Begriff der Wissenschaftslehre" und "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre".

Die Abschlußvorlesung "Über die Würde des Menschen" hielt Fichte am 25. oder 26. April 1794. Sie wurde in den folgenden Tagen gedruckt. Anschließend reiste Fichte nach Jena, um seine dortige Professur anzutreten.



Wir haben den menschlichen Geist vollständig ausgemessen; – wir haben ein Fundament gelegt, auf welches sich ein wissenschaftliches System, als getroffne Darstellung des ursprünglichen Systems im Menschen erbauen lasse. Wir tun zum Beschlusse einen kurzen Überblick auf das Ganze.

Die Philosophie lehrt uns alles im Ich aufsuchen. Erst durch das Ich kommt Ordnung und Harmonie in die tote formlose Masse. Allein vom Menschen aus verbreitet sich Regelmäßigkeit rund um ihn herum bis an die Grenze seiner Beobachtung – und wie er diese weiter vorrückt, wird Ordnung und Harmonie weiter vorge- rückt. Seine Beobachtung weist dem bis ins Unendliche Verschiedenen – jedem seinen Platz an, daß keines das andere verdränge; sie bringt Einheit in die unendliche Verschiedenheit. Durch sie halten sich die Weltkörper zusammen, und werden nur Ein organisierter Körper; durch sie drehen die Sonnen sich in ihren angewiesenen Bahnen. Durch das Ich steht die ungeheure Stufenfolge da von der Flechte bis zum Seraph; in ihm ist das System der ganzen Geisteswelt, und der Mensch erwartet mit Recht, daß das Gesetz, das er sich und ihr gibt, für sie gelten müsse; erwartet mit Recht die einstige allgemeine Anerkennung desselben. Im Ich liegt das sichere Unterpfand, das von ihm aus ins Unendliche Ordnung und Harmonie sich verbreiten werde, wo jetzt noch keine ist; daß mit der fortrückenden Kultur des Menschen zugleich die Kultur des Weltalls fortrücken werde. Alles, was jetzt noch unförmlich und ordnungslos ist, wird durch den Menschen in die schönste Ordnung sich auflösen, und was jetzt schon harmonisch ist, wird – nach bis jetzt unentwickelten Gesetzen – immer harmoni- scher werden. Der Mensch wird Ordnung in das Gewühl und einen Plan in die allgemeine Zerstörung hinein- bringen; durch ihn wird die Verwesung bilden und der Tod zu einem neuen herrlichen Leben rufen.

Das ist der Mensch, wenn wir ihn bloß als beobachtende Intelligenz ansehen; was ist er erst, wenn wir ihn als praktisch tätiges Vermögen denken!

Er legt nicht nur die notwendige Ordnung in die Dinge; er gibt ihnen auch diejenige, die er sich willkürlich wählte; da, wo er hintritt, erwacht die Natur; bei seinem Anblick bereitet sie sich zu, von ihm die neue schönere Schöpfung zu erhalten. Schon sein Körper ist das Vergeistigtste, was aus der ihn umgebenden Materie gebildet werden konnte; in seinem Dunstkreise wird die Luft sanfter, das Klima milder, und die Natur erheitert sich durch die Erwartung, von ihm in einen Wohnplatz und in eine Pflegerin lebender Wesen umgewandelt zu werden. Der Mensch gebietet der rohen Materie, sich nach seinem Ideal zu organisieren und ihm den Stoff zu liefern, dessen er bedarf. Ihm schießt das, was vorher kalt und tot war, in das nährende Korn, in die erquicken- de Frucht, in die belebende Traube herauf, und sie wird ihm in etwas anderes heraufschießen, sobald er ihr anderes gebieten wird. – Um ihn herum veredeln sich die Tiere, legen unter seinem gescheuten Auge ihre Wildheit ab und empfangen eine gesundere Nahrung aus der Hand ihres Gebieters, die sie ihm durch willigen Gehorsam vergüten.

Was mehr ist, um den Menschen herum veredeln sich die Seelen; je mehr einer Mensch ist, desto tiefer und ausgebreiteter wirkt er auf Menschen; und was den wahren Stempel der Menschlichkeit trägt, wird von der Menschheit nie verkannt; jedem reinen Ausflusse der Humanität schließt sich auf jeder menschliche Geist und jedes menschliche Herz. Um den höhern Menschen herum schließen die Menschen einen Kreis, in welchem derjenige sich dem Mittelpunkte am meisten nähert, der die größere Humanität hat. Ihre Geister streben und ringen, sich zu vereinigen und nur Einen Geist in mehreren Körpern zu bilden. Alle sind Ein Verstand und Ein Wille und stehen da als Mitarbeiter an dem großen einzig möglichen Plane der Menschheit. Der höhere Mensch reißt gewaltig sein Zeitalter auf eine höhere Stufe der Menschheit herauf; sie sieht zurück und erstaunt über die Kluft, die sie übersprang; der höhere Mensch reißt mit Riesenarmen, was er ergreifen kann, aus dem Jahrbuche des Menschengeschlechts heraus.

Brecht die Hütte von Leimen, in der er wohnt! Er ist seinem Dasein nach schlechthin unabhängig von allem, was außer ihm ist; er ist schlechthin durch sich selbst; und er hat schon in der Hütte von Leimen das Gefühl dieser Existenz, in den Momenten seiner Erhebung, wenn Zeit und Raum und alles, was nicht Er selbst ist, ihm schwinden; wenn sein Geist sich nicht gewaltsam von seinem Körper losreißt – und dann wieder freiwillig zur Verfolgung der Zwecke, die er durch ihn noch erst ausführen möchte, in denselben zurückkehrt.

Trennt die zwei letzten nachbarlichen Stäubchen, die ihn jetzt umgeben; er wird noch sein; und er wird sein, weil er es wollen wird. Er ist ewig, durch sich selbst und aus eigener Kraft.
 

Hindert, vereitelt seine Pläne! – Aufhalten könnt ihr sie: Aber was sind tausend und abermals tausend Jahre in dem Jahrbuche der Menschheit? – Was der leichte Morgentraum ist beim Erwachen. Er dauert fort, und er wirkt fort, und was euch verschwinden scheint, ist bloß eine Erweiterung seiner Sphäre: was euch Tod scheint, ist seine Reife für ein höheres Leben. Die Farben seiner Pläne und die äußeren Gestalten derselben können ihm verschwinden; sein Plan bleibt derselbe; und in jedem Momente seiner Existenz reißt er etwas Neues außer sich in seinen Kreis mit fort, und er wird fortfahren, an sich zu reißen, bis er alles in denselben verschlinge: bis alle Materie das Gepräge seiner Einwirkung trage und alle Geister mit seinem Geiste Einen Geist ausmachen.

Das ist der Mensch; das ist jeder, der sich sagen kann: Ich bin Mensch. Sollte er nicht eine heilige Ehrfurcht vor sich selbst tragen und schaudern und erbeben vor seiner eigenen Majestät! – Das ist jeder, der mir sagen kann: Ich bin. – Wo du auch wohnest, du, der du nur Menschenantlitz trägst; – ob du auch noch so nahe grenzend mit dem Tiere unter dem Stecken des Treibers Zuckerrohr pflanzest oder ob du an des Feuerlandes Küsten dich an der nicht durch dich entzündeten Flamme wärmst, bis sie verlischt, und bitter weinst, daß sie sich nicht selbst erhalten will – oder ob du mir der verworfenste, elendeste Bösewicht scheinest – du bist darum doch, was ich bin: denn du kannst mir sagen: Ich bin. Du bist darum doch mein Gesell und mein Bruder: Oh, ich stand einst gewiß da: – und du wirst einst gewiß – und dauere es Millionen und Millionen mal Millionen Jahre – was ist die Zeit? –, du wirst einst gewiß auf der Stufe stehen, auf der ich jetzt stehe: Und du wirst einst gewiß auf einer Stufe stehen, auf der ich auf dich und du auf mich wirken kannst. Auch du wirst einst in meinen Kreis mit hingerissen werden und mich in den deinigen mit hinreißen; auch dich werde ich einst als meinen Mitarbeiter an meinem großen Plane anerkennen. – Das ist mir, der ich Ich bin, jeder, der Ich ist. Sollte ich nicht beben vor der Majestät im Menschenbilde; und vor der Gottheit, die vielleicht im heimlichen Dunkel – aber die doch gewiß in dem Tempel, der dessen Gepräge trägt, wohnt.
 

Erd und Himmel und Zeit und Raum und alle Schranken der Sinnlichkeit schwinden mir bei diesem Gedanken; und das Individuum sollte mir nicht schwinden? – Ich führe Sie nicht zu demselben zurück.

Alle Individuen sind in der Einen großen Einheit des reinen Geistes eingeschlossen;* dies sei das letzte Wort, wodurch ich mich Ihrem Andenken empfehle; und das Andenken, zu dem ich mich Ihnen empfehle.


*) Selbst ohne mein System zu kennen, ist es unmöglich, diesen Gedanken für spinozistisch zu halten, wenn man nur wenigstens den Gang dieser Betrachtung im ganzen übersehen will. Die Einheit des reinen Geistes ist mit unerreichbares Ideal; letzter Zweck, der aber nie wirklich wird.

in Projekt Gutenberg


Nota. - Ein größerer Kontrast zum vorigen Eintrag ist kaum vorzustellen. 'Das Erste' ist hier der Mensch, zwar schon nicht mehr als bestimmtes Individuum, sondern als 'geistiges' Gattungswesen, aber auch ohne Eines oder Einen, der hinter ihm steht und schiebt und lenkt; und sei es die Vernunft selbst: Er ist schlechthin unabhängig von allem, was außer ihm ist; er ist schlechthin durch sich selbst. Vernunft wird gar nicht beim Namen genannt, aber beschrie- ben als das Werk der Menschen, die - und inwiefern sie - nach Einheit im Geist streben. Dieses Streben ist es, was er in den kommenden Ausarbeitungen der Wissenschaftslehre in specie Vernunft nennen wird.

Ihren Anfang nimmt sie in den wirklichen Menschen, nicht hinter ihrem Rücken, und ihr Ziel liegt vor ihr, als unerreichbares Ideal; letzter Zweck, der aber nie wirklich wird.

So viel zum Systematischen. Im Besondern fällt auf: Sein Ideal ist schöne Ordnung und Harmonie. Das sind, von transzendentalen Reflexionen unberührt, ästhetische Qualitäten, und wenn es einen Text gibt, in dem Fichte sich unbezweifelbar als Romantiker zeigt, so ist es dieser. Dass die Romantik sich jedoch zum Aufmarschfeld des Zwiespalts, des Schiefen und Schwindligen, kurz: des ästhetisch Modernen entwicklen sollte, ist gerade in diesem letzten Zweck schon angelegt. 
JE 



 

Sonntag, 20. Mai 2018

Zu "Jacobi an Fichte" (II)

F. Hodler

Zur Erinnerung an bestimmte Stellen,* auf welche Rücksicht genommen werden muss. 

1) Mit dem Sparren zu viel oder zu wenig. So wären wir beide Sünder. Ist es denn nun Keinem möglich, das gehörige Fachwerk im Dache zu haben? Ist das Bewusstsein zum Schwanken, zum Widerstreite zwischen Wissen unbd Glauben unwiderruflich verurteilt?

2) In der Vorrede. Der Streitpunkt ist über den Dualismus des Absoluten. Da wollen sie nun ihre Selbstständig- keit, aus reinen Enthusiasmus für die Sünde und für das Übel, als Manichäer behaupten. Nun wird ihnen ja die Selbstständigkeit Gottes nicht abgeläugnet. Nur wollen sie dieselbe erst durch Aussonderung von sich, aus der zweiten Hand, haben; wenn er nicht außer ihnen ist, sie also zugleich als wahre Selbste außer ihm, so ist er nicht. - Er ist ihnen also das zweite Selbstständige, durch den Gegensatz entstanden, um ihretwillen da, mittelbar zu erfassen: Sie selbst sind aber das Unmittelbare, ihrer Existenz und Realität gar kein Streit ist. - Sich fühlen sie, Gott nicht; in sich leben sie, nicht in ihm.

Dieser Sinn ist nun wirklich so alt, als die Welt; ist aber darum doch nur ein unheiliger und ungöttlicher Sinn.

Moralische Weltordnung - oder wenn man sich an das Wort, als ordo ondonans, absolute, eoque ipso creans, nicht gewöh- nen kann, - moralisches Prinzip, moralisch schaffende Macht: - allerdings ist (existiert) Gott an sich selbst nur als solche, und es ist uns durchaus kein anderes Mittel gegeben, ihn im Begriffe, so dass dieser nicht leer sei, zu erfassen oder wirklich in ihm, mit ihm vereinigt, zu leben, außer in diesem Elemente. Darum ein Ordnendes, und ein zu Ordnendes, Sphären dieser Ordnung bis herab auf die Sinnenwelt. Allein in / jener aber ist er zu erfassen. Er existiert nicht als Natur, oder aber als ein System von Ichen; denn diese insgesamt existieren nicht eigentlich, nicht in jener Ordnung und zufolge derselben, sondern nur in der Erscheinung derselben und zufolge ihrer ewigen Erscheinbarkeit. Dabei wird es nun bleiben, was auch Jene, die ihre sich angelogenen selbstständi- ge Existenz ehrenhalber auch mit Gott teilen und ihn damit beschenken wollen, für Gesichter dazhu machen!

3) Unwürdige Demut und Kriechen. - Was sind doch in jenen Streitigkeitnen und Verhandluingen für Dinge gesagt worden; wie hat Jeder, der nur eine Feder schneiden konnte, und seinen Katechismus auswendig wusste, geglaubt, hierbei könne er auch mitsprechen, nichts sei ja leichter! Welcher Unverstand! - Jene Demut, Falsch- heit gegen sich selbst. Es ist dies gar keine Gesinnung eines kräftigen Menschen. Keiner kann auch jemals überzeugt sein, dass es im Geiste helfen wird, sondern er hofft immer nur in's Leere hin, und speist sich mit dieser leeren Hoffnung ab. Er hat sich also selbst weggeworfen und aufgegeben. - Endlich noch das Postulat: dass Alle eben solche Tröpfe sein sollen, wie sie.

4) Durch Hochmut selig werden, er durch Demut. - Ich hoffe, wir werden es beide werden ohne eins von beiden. Wie sollte überhaupt denn der Mensch vernünftiger Weise zu einem von beiden kommen? - Sich zum Gegenstande seines Nachdenkens macht, wohl gar dem andern gegenüber sich bespiegelnd, - was an sich schon ein Zeichen von Kränklichkeit und Schwäche ist, - wie ich denke, der ernsthafte Mann nie, als wenn er sich als Werkzeug ansieht für ein gewisses Unternehmen, Wagstück. Verrechnet er sich, indem er seine Kräfte überschätzt, so ist dies noch etwas Schlimmeres als Hochmut; es ist Vermessenheit. Schlägt er sie nicht ganz an, und unterlässt, zu dessen Ausführung er berufen, so ist das gar nicht lobenswürdige Demut, sondern sehr tadelnswürdige Feigheit und Faulheit; denn der Mensch soll schlechthin, was er kann. Freilich wird in solchen Selbstprüfungen das ver- gangene Leben, und wie wir uns darin haben kennen lernen, seine Hauptprämisse sein; / und da wir eben zu Allem uns tüchtig zu machen streben sollen, falls wir uns nicht so finden, so wird daraus die Anstrengung ent- stehen, uns selbst besser dafür auszubilden, aber nicht damit nun ein müßig lobpreisendes Selbstbehagen, oder, wenn es nicht gelingt, eine jämmerliche Zerknirschtheit über unsere Sündhaftigkeit unser künftiges Leben ver- zehre, sondern damit wir immer kühner zum vorliegenden Werke schreiten, oder, wenn uns das Große versagt ist, im Kleinen treu erfunden werden, immer aber unsere Individualität in der Sache verlieren. So, sage ich, beim Handeln. An eine unablässige Selbstprüfung unseres Wesens in's Allgemeine hinein, und an Vorberei- tungen zu einer Generalbeichte zu gehen, müßiger Weise, als ob die Welt nicht voll wäre anderer Aufgaben und Taten, ist sehr unweise. Lasse man seine schwache Seite nur durch das Leben kräftig berühren und aufdecken: in der verborgenen Winkeln desselbe aber, die etwa doch nicht berührt werden, mit seinen Gedanken herum- wühlen, ist teils eine Sünde, weil es Müßiggang ist; teils trägt man dann aus übergroßer Demut allerlei Unreinig- keiten, die man allerdings in sich finden mag, wenn man sie sucht, mit ausdrücklichem Bewusstsein in sich hin- ein, und besudelt sich so wirklich durch dieses sich schlechter machende Andichten. Lasset uns selig sein in der einfachen Treue gegen das Göttliche in uns, demselben folgen, wie es uns zieht, und weder durch eigene Werk- heiligkeit, noch durch Selstzerknirschung und allerlei Ankünsteln, das nicht aus Ihm ist.
 
*) in Jacobi an Fichte
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Zu "Jacobi an Fichte", SW XI, S. 392ff.


Nota. - Im Jahr 1806 plante Fichte die Herausgabe einer neuen philosophischen Zeitschrift. Dabei ist der obige Text wohl entstanden. Nachdem zunächst noch auf das Jacobi'sche Schreiben von 1799 eingegangen wird, kommen philosophische Fragen zur Sprache, aber in völlig unkritischer, ungeniert dogmatisch-spekulativer Weise. Doch auch davon kommt F. sogleich wieder ab. Er stürzt sich in eine fromme Erbauungspredigt, die, wenn überhaupt, ein theoretisches Interesse nur unter Theologen erheischen kann. Es ist eine begeisterte Ge- fühlsreligion à la Schleiermacher und zugleich ein moralischer Aktivismus à la Fichte. Nur von Philosophie handelt sie nicht. Sie werden nun verstehen, weshalb ich Fichtes Philosophie nach 1800 ganz unberücksichtigt lasse.
JE

Samstag, 19. Mai 2018

Zu "Jacobi an Fichte".


Bei der projektierten philosophischen Zeitschrift wäre am Besten mit der Beantwortung des Jacobischen Schreibens von 1799 anzufangen.

Mit Jacobi kann durchaus nur der jetzt in Untersuchung befindliche Punkt über den eigentlichen Beginn des Ich mich in's Reine bringen, und ich müsste diesen mit höchster Deutlichkeit erst gefasst haben. 

Erläutert wird dies durch die Freiheit. Die absolute Freiheit ist das absolute Erscheinen. Die Freiheit der Freiheit ist in allen Dingen nur ein Hingeben an das sie ergreifende Reale der absoluten Erscheinung. - Was ist nun das sich Hingebende? Es ist gar nichts Wahres, sondern es liegt lediglich in der Anschauung, und ist nichts an sich. Kannst du dies deutlich machen, so ist hier und dort Alles gewonnen. Auch ist der Gedanke in dieser Weise neu.

Jacobi's Missverständnis besteht darin: 1) dass er ein wirkliches, substantielles Ich voraussetzt, in das er die Ab- solutheit nicht gelegt wissen will, und meint, ich lege sie darein. 2) Dass er meint, durch die Philosophie solle ein neues Leben erlebt werden, oder dass sie meinen , das Reale a priori herleiten zu können u. dgl., und da er dies nicht in ihr findet, sie des Nihi/lismus bezüchtigt. Darüber habe ich mich in dem sonnenklaren Bericht deutlich genug ausgesprochen. 

Wie fasse ich nun das Erste, um die Erscheinung nicht in die Zeit zu bringen, und den Begriff der Freiheit recht scharf zu fassen. - So wäre es gefasst: die Anschauungsform selber setzt das Ich mit seiner ganzen Freiheit hin. In ihr schwimmt es mit allen seinen Prädikaten, mit seinem Sichhingeben, seine Besinnung u.s.w.

Dies noch deutlicher: Das Ich ist niemals Grund der Anschauung, wie es scheint, sondern es erscheint nur so in der sich brechenden Einen Anschauung. In dieser Einen ist keine Zeit und kein Wandel; nur in der mit dem Ich wechselwirkenden ist derselbe nach ableitbaren Anschauungsgesetzen. - Gut.

Ich würde eben gut tun, Jacobi's Sätze einzeln durchzugehen, z. B. was er von der Freiheit sagt: Wer sie leugne, komme auf eine unbestimmte Aktuosität und Agilität an sich. Das hängt zusammen mit der Frage, die ich eben tun wollte, dass, wenn die Anschauung sich bricht, individualisiert, sie doch in die Zeitform selbst zu fallen scheint. - Da muss ich meinen Standpunkt wahrhaft über die Zeit nehmen; - wie gewinne ich den? Zeit, Ich, und die ganze mit ihm [sic] eintretende Synthesis liegt im Verstande, in dem Durch, das nun absolut unendlich ist; und in den Verstand, d. h. seine absolute Form, tritt das Reale, das göttliche Leben ein. In dieser höchsten Ursysnthesis ist die Einheit zugleich die Totalität und Unendlichkeit. Fasse ich jene Einheit, fasse ich zugleich das Prinzip der Faktizität, so ist jene Frage gelöst. - Das Durch scheint eben unwiederbringlich auf die Unendlichkeit zu führen: die Einheit aber muss über dem Durch liegen.

1) Anschauung daher (als Form) und innerer Gehalt des Lebens wären durchaus verschmolzen, und so wäre auch hier Einheit. - 2) Der Verstand ist wiederum dieselbe Einheit mit eine Unendlichkeit, nur in einer ganz anderen Form. Es ist ein Leben, das die Anschauung, als absolutes Prinzip, aus sich selbst herausgebiert. - Ich muss aber die Form desselben unabhängig von / der Unendlichkeit darstellen. Gut: da ist es Prinzip des Lebens, wenn ich dies zu seiner Zeit angemerkt habe, zum Unterschiede vom wirklichen Leben, das nicht Prinzip des Lebens, sondern unmittelbar selber Leben ist. Aus dieser faktisch unauflöslichen Synthesis von Gehalt und Form besteht nun die Erscheinung, die Wirklichkeit.
[Fortsetzung folgt]
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Zu "Jacobi an Fichte", SW XI, S. 390ff. 
 

Nota. - Das sind Schreibtischnotizen, entsprechend zurückhaltend muss man sie interpretieren. Eins springt ins Auge: Die Sprache ist eine andere geworden. Aber das Denken auch. Es werden nicht Bedingungen der Möglich- keit aufgesucht, nicht aus Vorstellungen neue Vorstellungen hervorgebracht, sondern es wird frei spekuliert. 'Die absolute Freiheit ist das absolute Erscheinen.' 

Transzendentalphilosophisch ist daran immerhin noch, dass hinter die Erscheinung nichts hinzugedacht werden soll. Was aber ist eine absolute Erscheinung im Unterschied zu einer bedingten Erscheinung? Dabei kann ich mir nur eins denken: eine Erscheinung vor Raum und Zeit; und so sagt er's ja: 'das Erste'. - Vorstellen kann ich mir darunter aber nichts mehr. Denken kann ich mir ein reales Absolutes, eine 'Erscheinung vor der Erscheinung'. 

Dogmatische Spekulation, nichts Kritisches, nichts Transzendentales: Er lässt sich in Jacobis Denkweise verwik- keln, ohne es zu merken; jedenfalls ohne es anzuzeigen. Also führt er die "Eine" Anschauung ein, von der es aber heißt, dass sie sich 'bricht': wohl so, dass eine 'erscheinende' Anschauung in der Zeit dabei abfällt, nämlich indem sie 'mit dem Ich wechselwirkt'. Absolute Anschauung kann dann nur eine sein, die ohne Anschauenden aus- kommt; die selber Subjekt ist.

Kurz gesagt, an die Stelle des kritischen Blicks des Transzendentalphilosophen tritt das mystische Raunen der Druiden. La Belle Dame sans Merci hath thee in thrall.
JE


Freitag, 18. Mai 2018

Definitionen und semantische Ebenen.


Die Hauptschwierigkeit für den Studenten der Transzendentalphilosophie besteht darin, dass sie stets gleich- zeitig auf mehreren semantischen Ebenen* voranschreitet. Unser vertrautes diskursives Verfahren verläuft horizontal zu ebner Erde, und wird einmal eine höhere Ebene** in Anspruch genommen, wird es sogleich angezeigt, denn sonst wäre es ein übler logischer Fehler.

Den ständigen Registerwechsel der Transzendentalphilosophie, namentlich der Fichte'schen Wissenschafts- lehre, im Sinn zu behalten, ist schwer, und Konzentration steigert die Verwirrung oft noch. Das Problem liegt in der Sache und ihm ist nicht abzuhelfen.

Schon ganz und gar nicht abzuhelfen ist ihm durch akribisch pedantische Definition der Begriffe. Die kann die Irritation nur verstärken. Denn auf der zweiten semantischen Ebene bedeutet ein Vorstellungsgehalt schlechter- dings etwas anderes als auf der schlichten Objektebene. Der Gebrauch stets desselben Wortzeichens kann diesen Umstand nur verschleiern. Fichte ist in seiner Terminologie wohlweislich sehr variabel, denn es kommt auf jeder Bedeutungsebene doch immer darauf an, die Vorstellung fortzuentwickeln, und das ist eine unablässige Anstrengung, die durch Definitionsdünkel und Begriffshuberei nur zusätzlich erschwert würde.


*) Mindestens real und ideal laufen stets parallel, aber das ist erst der Anfang. 
**) Auf der einen ist die Rede von dem, was getan wird; auf der nächsten vom dem, der es tut.




Donnerstag, 17. Mai 2018

Man kann leben, ohne zu spekulieren.

Bild aus hauntedgallery

Worin man befangen ist, was man selbst ist, kann man nicht erkennen; man müßte aus demselben herausgehen, aufhören, es zu sein, sich auf einen Standpunkt außerhalb desselben stellen. Dieses ist die Spekulation; dieser Standpunkt außer dem wirklichen Leben ist sie. Nur inwiefern es diesen höhern Standpunkt und diese beiden entgegengesetzten Standpunkte gab, ist es dem Menschen möglich, sich selbst zu erkennen. Man kann leben und vielleicht der Vernunft ganz gemäß leben, ohne zu spekulieren; man kann leben, ohne das Leben zu er/kennen. Aber man kann das Leben nicht erkennen, ohne zu spekulieren.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 119f.]



Nota. - Philosophie ist Erkenntnis und nicht Lebenshilfe. Sie geschieht zunächst einmal um ihrer selbst willen. Richtig ist aber, dass, wer nach dem Sinn des Lebens fragt, ihrer nicht entbehren kann; aber nicht weil sie posi- tiv wäre und selber Antworten geben könnte, sondern weil sie negativ und kritisch ist und alle selbstverständli- che Gewissheit untergräbt. - Man kann seinem Leben aber auch einen Sinn anerfinden, ohne gefragt zu haben. Einer hat Glück, ein anderer Intuition. Und ob es der rechte Sinn des Lebens war, kann nur er selbst beurteilen; muss er aber nicht.
JE


Mittwoch, 16. Mai 2018

Die intelligible Welt ist nur logisch, nicht reell.

Max Ernst

Ein Sein bedeutet immer unmittelbar ein Objekt des Denkens, ein Gedachtes. Nun kommt ihm entweder auch eine Existenz, ein Bestehen und Dauern außer dem Denken zu, in der sinnlichen Wahrnehmung: dann ist ein reelles Sein bezeichnet und man kann von dem Gegenstande aussagen: Er ist. 

Oder es kommt ihm außer dem Denken kein anderes Sein zu: Dann ist die Bedeutung des Seins eine bloß lo- gische. Man kann nicht sagen: das Objekt ist, sondern nur: es ist dies oder jenes. Das Wort ‚ist’ ist dann nur lo- gische Kopula. [...] Das Sein wird dann lediglich dadurch erzeugt, daß das Mannigfaltige der Prädikate in einer Einheit des logischen Subjekts durch das Denken fixiert wird. .../...

So verhält es sich mit dem Gebrauche des Wortes Welt. In der reellen Bedeutung ist es ein geschloßnes Ganzes von daseienden Objekten, die in Wechselbestimmung ihres Seins stehen; wo jedes ist, wie es ist, weil alle andern sind, was sie sind, und umgekehrt: und wo man bei vollkommner Kenntnis des Weltgesetzes aus der Natur eines jeden die aller übrigen unweigerlich würde erraten können, und auf sie schließen. 

Von vernünftigen Wesen gebraucht, bedeutet es gleichfalls einen Einfluß aller auf jeden und [eines jeden] auf alle; dessen Art und Weise aber nicht begreiflich ist und eben deswegen auch nicht erraten werden kann; [...] das aber schlechthin gesetzt wird und nur durch diesen Begriff bezeichnet werden kann: also – eben durch den Versuch des Begreifens entsteht, also nur logisch, nicht reell ist.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 163; 165]
 



Nota. In den Rückerinnerungen ist er zu einer dogmatischen Wendung noch nicht bereit. Zwar nimmt er auch hier wieder die Idee auf, der 'Endzweck der Vernunft' müsse als zu einem zukünftigen Zeitpunkt realisiert gedacht werden. Aber noch zieht er daraus keinen theoretischen Schluss, er sucht vielmehr beim "intellktuellen Gefühl" Halt. Erst nach Jacobis Brief macht er in der Bestimmung des Menschen die 'intelligible Welt' zur reellen Grundlage - einem 'Dauernden' -  des Glaubens.
29. 5. 14 

Nota II. - Der 'realisierte Endzweck der Vernunft' ist selbst als Vorstellung ein Widersinn. Vernunft ist nur in actu - als ein unendliches Bestimmen. Der realisierte Endweck wäre eine endgültige Bestimmtheit, und ergo das Ende der Vernunft. Es lässt sich dabei nichts denken; wer Vernunft denkt, muss Unbestimmtheit denken. Der Endzweck der Vernunft ist sie selbst - actu.
JE




 

Montag, 14. Mai 2018

Die wahre Geschichte der Vernunft.


Die Wissenschaftslehre erzählt die wahre Geschichte der Vernunft. Nicht die wirkliche Geschichte: Von der be- richtet die historische Anthropologie. Doch um zu verstehen, was an der wirklichen Geschichte vernünftig war, muss man sie sich so vorstellen, als ob sie in der Wisssenschaftslehre dargestellt wäre; muss man sich die Wisssen- schaftslehre so vorstellen, als ob in ihr die historische Anthropologie dargestellt wäre.

(Dieses ist nb. ein Satz über die Wissenschaftslehre; nicht aus der Wissenschaftslehre.)