Fichtes Atheismusstreit und die Kantische Philosophie
Eine Säkularbetrachtung von Dr. Heinrich Rickert, ord. Professor der Philosophie an der Universität Freiburg i. Br.
…hier der Punkt, der Denken und Wollen in Eins vereinigt, und Harmonie in mein Wesen bringt.
Fichte 1798.
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Vorbemerkung.
Die folgende Abhandlung ist ursprünglich für die „Kantstudien" auf Wunsch des Herrn Herausgebers geschrieben.
Der Umstand,dass ich versucht habe, die vor hundert Jahren heftig umstrittenen Gedanken mit Problemen unserer
Zeit in Verbindung zu setzen,möge die vorliegende gesonderte Veröffentlichung rechtfertigen.
Für meinen Zweck war es notwendig, Elemente des Fichteschen Denkens hervorzuheben, die in den üblichen Darstellungen
nicht im Vordergrund stehen oder ganz fehlen, und diese Vermischung historischer und systematischer Gesichtspunkte
kann Bedenken erregen. Hat doch der Streit darüber, was „Kantisch" sei, vielfach die Frage, was richtig ist, ungebührlich
zurückgedrängt und bisweilen mehrzur Verwirrung als zur Klärung beigetragen. Da aber nun einmal, die systematischen
Erörterungen der Gegenwart vielfach mit derInterpretation der Kantischen Philosophie in Verbindung gebracht werden, so
sollte heute auch Fichtes Meinung gehört werden. WennKant ein "Lebender" ist, dann ist es Fichte gewiss, und vielleicht
bietet das Jubiläum des Atheismusstreites keine ganz ungeeignete Gelegenheit, um hieran besonders mit Rücksicht auf
die Probleme der Religionsphilosophie wieder einmal zu erinnern.
Heinrich Rickert,
Freiburg i. Br., August 1899.
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Inhalt.
I.
Die Gewissheit des Glaubens.
1. Forbergs Glaube
2. Fichtes Glaube
3. Die Überwindung des Intellektualismus
II.
Der Gegenstand des Glaubens.
1. Fichtes Gott als Weltordnung
2. Religion und Metaphysik
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Im
Sommer des Jahres 1799 schied Fichte von der Universität Jena nach
fünfjähriger, ungewöhnlich erfolgreicher Wirksamkeit und siedelte nach
Berlin über, um dort zunächst als Privatmann zu leben. Eine Anklage
wegen Atheismus war es, die ihn aus dem Lande Goethes dorthin gehen
ließ, wo bis vor kurzem Wüllner sein Unwesen getrieben hatte. Der
„Atheismusstreit”, der, wie bekannt, in Deutschland zu seiner Zeit
grosses Aufsehen erregte, ist interessant genug, um jetzt, da hundert
Jahre seitdem vergangen sind, wieder in Erinnerung gebracht zu werden.
Fichtes Aufsatz Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung, der ihm die erwähnte Anklage zuzog, verdankt bekanntlich einer äusseren Anregung seine Entstehung. Von Forberg war ihm für sein Philosophisches Journal eine Abhandlung über die Entwicklung des Begriffes der Religion
geschickt worden, der er nach dem Stande seiner damaligen Ansichten
nicht zustimmen konnte. Unterdrücken mochte er die Kundgebung der
fremden Meinung nicht, aber er wollte sie auch nicht ohne Gegenbemerkung
in seine Zeitschrift aufnehmen, und so schrieb er seine eigenen
Gedanken über dasselbe Problem nieder, um sie dann mit denen von Forberg
zusammen zu veröffentlichen.
Doch
nicht von dem äußeren Verlauf der Ereignisse will ich hier erzählen.
Was wir davon wissen, hat Fichtes Sohn bereits im Jahre 1862 nahezu
vollständig und übersichtlich zusammengestellt, und wer an der Hand
eines Meisters historischer Reproduktion sich den Gang der Dinge wieder
zu vergegenwärtigen wünscht, findet in Kuno Fischers Buch über Fichte eine unübertreffliche Darstellung
Wohl
aber hat der Atheisrausstreit, wie ich glaube, für uns noch ein anderes
als ein historisches Interesse, und zwar besonders deswegen, weil er im
engsten sachlichen Zusammenhange mit der Kantischen Philosophie steht
und somit wie alles, was sich mit den Grundfragen des Kantischen Denkens
berührt, in die Gegenwart hineinragt. An einige der vor hundert Jahren
erörterten Streitpunkte möchte ich daher hier erinnern, die mit viel
behandelten Problemen unserer Zeit nahezu identisch sind, und zwar will
ich ausgehen von dem Gegensatz, in dem die Ansichten Forbergs und
Fichtes zu einander stehen, weil ich meine, dass in ihnen die beiden
verschiedenen Auffassungen des Verhältnisses von Religion und
Erkenntnis, von Glauben und Wissen vertreten werden, zu denen allein man
auf dem Boden der Kantischen Philosophie konsequenterweise kommen kann.
Fichte hat sich immer für den Interpreten Kants gehalten, und auch Forberg knüpfte, wie er später in der Apologie seines angeblichen Atheismus
erklärte, an Kant an. Es war seines Erachtens „ein höchst glücklicher
Gedanke des Philosophen von Königsberg, für den Begriff des religiösen
Glaubens an die Gottheit die Benennung eines praktischen Glaubens in
Vorschlag zu bringen.”1) Zugleich
aber meinte er bemerkt zu haben, dass man Kant häufig missverstand, und
suchte daher durch eine ,,Analyse” des Kantischen Begriffs zu einer
unzweideutigen Begründung der Religion zu kommen.2)
Ich
beginne damit, zu zeigen, was Fichte und Forberg unter dem „praktischen
Glauben” Kants, und was sie unter „Weltregierung” oder „Weltordnung”
sich denken, und zwar will ich diese beiden Begriffe so von einander
scheiden, dass wir den zweiten als den zu betrachten haben, der den
Gegenstand des Glaubens oder den Inhalt der Religion, den ersten dagegen
als den, der das Prinzip der Gewissheit angiebt, auf welches die
Religion sich stützt. Die Auseinanderhaltung dieser beiden Begriffe wird
für das Verständnis des Problems förderlich sein.
I.
Die Gewissheit des Glaubens
1. Forbergs Glauben
Man
kann in den Darstellungen des Atheismusstreites lesen, dass bei Forberg
Religion und Moral vollständig zusammenfallen. Sehen wir nur auf den
Inhalt oder den Gegenstand seines Glaubens, so ist das nicht richtig.
„Wenn es in der Welt so zugeht”, sagt er nämlich, “dass auf das endliche
Gelingen des Guten gerechnet ist, so giebt es eine moralische
Weltregierung”,3) und hiermit geht er über den von ihm aus Kant entnommenen Moralbegriff hinaus.
Moralisch
ist nach Kant nichts anderes als der “gute Wille”, und dieser ist als
solcher immanent, d. h. ob er auch Erfolg in der Welt haben kann, vermag
die Moralphilosophie für sich allein nicht zu sagen. Ja, sie bleibt
notwendig beim Willen stehen, denn vom Begriff der autonomen Moral ist
der Begriff eines Erfolges fernzuhalten, und sie kann daher die
Möglichkeit nicht abweisen, dass das Gute niemals realisiert wird.
Forbergs Glaube dagegen, dass auf das endliche Gelingen des Guten
“gerechnet” und dem guten Willen Erfolg verbürgt ist, schliesst den
Glauben an etwas ausserhalb des guten Willens ein, er setzt eine
aussermenschliche, transcendente Macht des Guten voraus und enthält
somit nicht nur Moral, sondern Religion.
Wie
aber stellen sich uns seine Ansichten dar, wenn wir auch sein Prinzip
der Gewissheit in Betracht ziehen? Diese Frage ist offenbar für die
kritische Behandlung der Religion die erste. Forberg will ja die
Religion rechtfertigen. Warum ist es unsere Pflicht, an eine moralische
Weltregierung zu glauben? Worauf stützt sich die Überzeugung, die ein
“praktischer Glaube” hat? Was heisst überhaupt “praktischer Glaube”? Von
der Beantwortung dieser Fragen ist das endgültige Urteil über Forbergs
Religionsphilosophie abhängig.
Alle
unsere Überzeugungen schöpfen wir nach Forberg aus drei Quellen, aus
der Erfahrung, der Spekulation und dem Gewissen. Die Erfahrung kann uns
niemals an eine moralische Weltregierung glauben machen. Es ließe sich
aus ihr viel eher folgern, dass für gewöhnlich ein böser Genius die
Oberhand behält. „Würde eine Verteidigung des Satans wegen Zulassung des
Guten wohl weniger gründlich ausfallen, als die Verteidigungen der
Gottheit wegen Zulassung des Bösen bisher ausgefallen sind?”4)
Nein,
die Welt ist, so wie die Erfahrung sie uns darstellt, lasterhaft, und
der Schluss von dem Dasein einer lasterhaften Welt auf das Dasein eines
heiligen Gottes ist nicht zulässig. Ebenso wenig Gewissheit aber für
unsern Glauben giebt uns die Spekulation. Theoretische
Vernunftgrundsätze, die auf das Dasein eines moralischen Weltregenten
schließen lassen, gelten nicht. Die moralische Weltregierung liegt
jenseits aller Erfahrung, und ein Sein außer der empirischen
Wirklichkeit vermag das theoretische Denken nicht zu erfassen.
Beweise
für das Dasein Gottes sind somit überhaupt unmöglich. Danach also
bleibt das Gewissen als Quelle unserer religiösen Überzeugung allein
übrig. Forberg drückt dies so aus, dass er die Religion „die Frucht
eines moralisch guten Herzens” nennt und erklärt, sie entstehe „einzig
und allein aus dem Wunsch des guten Herzens, dass das Gute in der Welt
die Oberhand über das Böse erhalten möge”.5)
Inwiefern aber kann ein Wunsch Prinzip der Gewissheit sein? Ist er
nicht rein individuell? Nein, denn es „ist kein Mensch so böse, dass er
im Ernste wünschen könnte, das Böse möchte das Gute am Ende ganz von dem
Erdboden verdrängen”. In jedem Herzen also ist Religion.
Aber
auch hiermit ist doch immer nur die empirisch allgemeine Thatsache,
nicht die Notwendigkeit der Religion gezeigt. Wie wird der Glaube zur
Pflicht? Jeder der nach Wahrheit strebt, sagt Forberg, wünscht, dass nur
noch wahre Urteile in der Welt gefällt werden, und wäre dies Ziel
erreicht, so gäbe es ein „goldenes Zeitalter für die Köpfe”. Diesem
Gedanken geht parallel die Idee einer allgemeinen Übereinstimmung im
Guten, die dem Wunsche entspringt, dass es nur gute Menschen geben möge,
und die Erreichung dieses Zieles würde „ein goldenes Zeitalter für die
Herzen” bedeuten.
Nun
sind zwar beide Ideale niemals zu verwirklichen, aber trotzdem haben
wir uns so zu verhalten, als ob wir sie erreichen könnten, und ebenso
wie die Arbeit an der Realisierung der Wahrheit nur einen Sinn hat, wenn
wir glauben, dem Richtigen uns zu nähern, ist es, so wahr wir
moralische Wesen sind, unsere Pflicht zu glauben, dass auch das Gute
sich immer mehr verwirklichen lasse. Auf den ersten Blick scheint diese
Trennung von Kopf und Herz die bekannte Ansicht zu enthalten, dass nicht
nur der Intellekt unsere Weltanschauung forme, sondern dass auch der
Wille dabei maßgebend sei, und dass zugleich das Recht des Willens zur
Leitung unserer Überzeugungen begründet werden könne.
Ist
dies aber wirklich Forbergs Meinung? Will er sagen, wir dürften und
sollten Sätze für wahr halten, die sich theoretisch weder begründen
noch widerlegen lassen, weil der praktische Glaube sie fordert? Sehen
wir etwas genauer zu, so finden wir Forberg von dieser Ansicht weit
entfernt, ja sie scheint ihm gerade das Missverständnis zu sein, dem die
Lehre Kants bisher ausgesetzt war, und das er beseitigen will. Es ist
nicht Pflicht, zu glauben, dass eine moralische Weltregierung “….
existiert, sondern es ist bloß und allein dies Pflicht, zu handeln, als ob man es glaubte. In den Augenblicken des Nachdenkens oder Disputierens kann man es halten wie man will”.6)
In
voller Deutlichkeit zeigen die „verfänglichen Fragen” am Schlusse von
Forbergs Abhandlung uns seine Meinung. Ob Gott sei, erklärt er dort für
völlig ungewiss, und sagt, man könne keinem Menschen zumuten, an Gott zu
glauben, denn bei dieser Fragestellung sei Glaube im Sinne einer
besondern Art des Fürwahrhaltens genommen. Religion aber ist lediglich
Maxime des Willens, und alles für wahr Gehaltene an ihr ist Aberglaube.
Nur beim Handeln wäre Irreligion Gewissenlosigkeit.
Durch
diese Scheidung des Glaubens im Sinne des Fürwahrhaltens von der
Religion wird der Satz verständlich: ein Atheist kann Religion haben. Er
soll bedeuten: auch wer nicht an Gott glaubt, aber immer so handelt als
ob er glaubte, der ist religiös. Forberg weiß selbst, dass diese
Begriffsbestimmung der Religion einen neuen Begriff mit einem alten
Worte verbindet, und wir werden jetzt sagen können, dass sein Standpunkt
doch ein rein moralischer ist. Der Glaube an eine moralische
Weltregierung ist gewiss religiös, aber nur wenn Glaube eine Art des
Fürwahrhaltens bedeutet. Da jedoch Forbergs Wunsch des Herzens gerade
nicht die Grundlage eines Fürwahrhaltens bilden soll, so ist sein
Glaube, den er für den „in sein gehöriges Licht gestellten” Kantischen
Glauben hält, gar kein Glaube, sondern ein Imperativ, und daher sein
„Glaube” an eine moralische Weltregierung nicht Religion.
2. Fichtes Glauben
Wie
verhält sich nun Fichte zu Forbergs Lehre? In vielen Rücksichten,
erklärt er, stimme sie mit seiner eigenen Überzeugung überein, in
anderer Hinsicht dagegen sagt er, dass sie seiner Meinung nicht sowohl
entgegen sei, als nur dieselbe nicht erreiche. Wir haben das so zu
verstehen, dass Fichte mit Forberg im wesentlichen übereinstimmt in
Bezug auf den Inhalt oder den Gegenstand des Glaubens, dass ihm dagegen
das Forbergsche Prinzip der Gewissheit durchaus nicht genügt. Darauf
allein kann sich das so vielfach missverstandene „Nichterreichen”
beziehen.
Wir
verfolgen nun das Verhältnis der beiden Ansichten im einzelnen. Fichte
setzt wie Forberg die Gottheit der moralischen Weltordnung gleich und
geht damit über das rein Moralische hinaus zum Religiösen. In seinen
späteren Streitschriften hat er den Unterschied von Moral und Religion
ausführlich dargelegt. Unter moralischen Gesichtspunkten kommt es auf
„das blosse Wollen als innere Bestimmung meiner Gesinnung” an, und
,,wenn du bloß und lediglich Wille wärest, … so möchtest du etwa
sittlich [leben], und damit wäre
alles zu Ende . . . Nun bist du zugleich Erkenntnis . . . und wenn du
nun . . . dein Wollen betrachtest, so wird es dir als vernunftwidrig
erscheinen, wenn es dir als zwecklos und folgenlos erscheint, und
zugleich wird das Gebot dieses Wollens dir als ver nunftwidrig
erscheinen.”7)
Wir
müssen daher, so wahr wir sittlich wollen, annehmen, „dass jede
wahrhaft gute Handlung gelingt, jede böse sicher misslingt.” Es giebt
demnach nicht nur guten Willen, sondern einen Weltplan, ohne den „kein
Haar fällt von seinem Haupte, und in seiner Wirkungssphäre kein Sperling
vom Dache.“8) Das ist gewiss mehr
als Moral, das ist Religion. Auch in Bezug auf das Prinzip der
Gewissheit, das der Glaube besitzt, geht Fichte mit Forberg in einer
Hinsicht durchaus zusammen: Beweise für den Glauben giebt es nicht, ja,
jeder Versuch eines Beweises muss uns sogar von Gott wegführen.
Wir
können die Sinnenwelt vom Standpunkte der Naturwissenschatt oder vom
transcendentalen Gesichtspunkt aus betrachten, in beiden Fällen findet
der Gottesbegriff keinen Platz. Naturwissenschaftlich angesehen ist die
Welt so, wie sie ist, eben weil sie so ist, d. h. Sein und Welt fallen
zusammen, sie sind in sich selbst begründet und in sich selbst
vollendet, und es gibt da nur immanente Gesetze. Die Erklärung der Welt
aus Zwecken einer Intelligenz ist vom Standpunkte der Naturwissenschaft
„totaler Unsinn.”
Ebensowenig
aber erreichen wir durch die transcendentale Betrachtung der
Sinnenwelt. Die Natur besteht dann zwar nicht mehr als absolutes Sein,
sondern ist eine Auffassung des Intellekts. Aber, auch so angesehen, ist
die Welt etwas in sich geschlossenes, und so lange wir auf rein
theoretischem Boden bleiben, giebt es keinen Weg von der Sinnenwelt zu
Gott. Die Philosophen, welche meinten, einen solchen Weg zu kennen,
haben nicht das Sein rein gedacht, sondern eine moralische Weltordnung
unvermerkt schon vorausgesetzt, d. h. sie haben, wie wir sagen können,
den Begrift der Natur, der, damit Naturwissenschaft möglich ist, als
völlig indifferent gegen Gut oder Böse gedacht werden muss, verfälscht.
Der
einzige Ausgangspunkt, um zur Religion zu kommen, ist also auch für
Fichte das Gewissen, der autonome, sich selbst das Gesetz gebende
Kantische gute Wille. Ich soll, das ist absolut gewiss, und mit dem
Sollen ist mir als einem vernünftigen Wesen auch die Möglichkeit des
Könnens und damit eine moralische Weltordnung gegeben. Wie die
Wirklichkeit die Möglichkeit einschliesst, so mein Pflichtbewusstsein
das Göttliche. Der Grund für den religiösen Glauben ruht demnach auf dem
Willen. „Ich kann nur darum nicht weiter gehen, weil ich weiter gehen
nicht wollen kann.”
Auch
Fichtes Gewissheitsprinzip scheint also noch mit dem Forbergs verwandt.
Sobald wir nun aber einen Schritt weiter sehen, scheiden sich die Wege
der beiden Denker prinzipiell, und wir kommen zur Entwicklung der Fichte
ganz eigentümlichen Gedanken. Sein Glaube ist nämlich durchaus nicht
nur für den handelnden Menschen notwendig. Er ist aber auch nicht etwa
„eine Überlegung und Erwägung von Gründen für und wider, ein freier
Entschluss etwas anzunehmen, dessen Gegenteil man wohl auch für möglich
hält,” „eine Ergänzung oder Ersetzung der unzureichenden
Überzeugungsgründe durch die Hoffnung”, denn “für wahr zu halten, was
das Herz wünscht,” sagt Fichte, „ist Wahn und Traum, so fromm auch etwa
geträumt werden möge”.
Der
auf dem Willen beruhende Glaube ist vielmehr ein absolut notwendiges,
im Wesen der Vernunft begründetes Fürwahrhalten, für das Fichte nicht
nur volle Gewissheit in Anspruch nimmt, sondern das er für das
Gewisseste erklärt, das es überhaupt giebt. Beweisen will er zwar die
Annahme einer moralischen Weltordnung nicht, aber nur deswegen lehnt er
alle Beweise dafür ab, weil er in seinem Glauben eine viel grössere
Gewissheit besitzt, als irgend ein Beweis sie ihm geben könnte.
Und
wie kam Fichte zu dieser Überzeugung? Er hat die Gedankenreihen, die
hierfür ausschlaggebend sind, in seiner Abhandlung über den Grund
unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung nur angedeutet, an
anderer Stelle aber das hier Gesagte ausführlich begründet, und weil es
sich dabei um den Punkt handelt, auf den alles ankommt, so müssen wir
die ausführliche Begründung mit heranziehen. Sie findet sich in seinem
„System der Sittenlehre” vom Jahre 1798.
„Handle
schlechthin gemäss deiner Überzeugung von deiner Pflicht”, in diesem
Satz hat er das „formale Gesetz der Sitten” gefunden. „Wenn denn nun
aber meine Überzeugung irrig ist, könnte jemand sagen, so habe ich meine
Pflicht nicht getan.” Dieser
Einwurf führt ihn zu der Untersuchung darüber, worauf denn überhaupt
unsere Überzeugung beruht. Ich gebe seinen Gedankengang gekürzt, aber
durchweg mit seinen eigenen Worten. Soll pflichtmässiges Verhalten
möglich sein, so muss es ein absolutes Kriterium der Richtigkeit unserer
Überzeugung über die Pflicht geben. Nun ist zufolge des Sittengesetzes
ein solches Verhalten schlechthin möglich, mithin giebt es ein solches
Kriterium. Wir folgern demnach aus dem Vorhandensein des Sittengesetzes
etwas im Erkenntnisvermögen.
Wir
behaupten eine Beziehung des Sittengesetzes auf die theoretische
Vernunft; ein Primat des ersteren vor der letzteren. Was aber giebt uns
dazu das Recht? Das Sittengesetz ist kein Erkenntnisvermögen, es kann
seinem Wesen nach die Überzeugung nicht durch sich selbst aufstellen,
diese muss durch das Erkenntnisvermögen gefunden und bestimmt sein.
Aber: dann erst autorisiert das Sitteugesetz die Überzeugung. Mit
anderen Worten: die theoretischen Vermögen gehen ihren Gang fort, bis
sie auf dasjenige stossen, was gebilligt werden kann, nur enthalten sie
nicht in sich selbst das Kriterium seiner Richtigkeit, sondern dieses
liegt im Praktischen, welches das erste und höchste im Menschen und sein
wahres Wesen ist.
Das
gesuchte absolute Kriterium der Richtigkeit unserer Überzeugung ist
sonach ein Gefühl der Wahrheit und Gewissheit. Ob ich zweifle oder
gewiss bin. habe ich nicht durch Argumentation, sondern durch
unmittelbares Gefühl. Nur inwiefern ich ein moralisches Wesen bin, ist
Gewissheit für mich möglich, denn das Kriterium aller theoretischen
Wahrheit, ist nicht selbst wieder ein theoretisches, es ist ein
praktisches, bei welchem zu beruhen Pflicht ist. Und zwar ist jenes Kriterium
ein allgemeines, das nicht nur für die unmittelbare Erkenntnis unserer
Pflicht, sondern überhaupt für jede mögliche Erkenntnis gilt. Die
einzige feste und letzte Grundlage aller meiner Erkenntnis ist meine
Pflicht. Zwar: das Gewissen giebt nicht das Materiale her, dieses wird
allein durch die Urteilskraft geliefert, und das Gewissen ist keine
Urteilskraft. Aber die Evidenz giebt es her, und diese Art der Evidenz
findet lediglich beim Bewusstsein der Pflicht statt. 10)
Was
Fichte hier sagen will, ist vollkommen klar. Auf unserm
Pflichtbewusstsein beruht nicht nur unser sittliches Leben, sondern in
letzter Hinsicht auch die Wissenschaft. Das Erkenntnisvermögen gibt mir
für sie lediglich den Stoff, die Überzeugung von ihrer Wahrheit aber
liegt in einem Gefühl, das ich anerkennen soll, und wo diese Billigung —
Fichte nennt sie im Gegensatz zu den „ästhetischen Gefühlen” der Lust
mit einem sehr charakteristischen Ausdruck eine „kalte Billigung”11)
— nicht vorliegt, da gibt es auch keine theoretische Überzeugung. Alle
Überzeugung ist praktisch. „Ich soll mich überzeugen.” Ohne den Willen
zur Überzeugung ist nichts für mich wahr und gewiss.
Jedes
Urteil, das auf Wahrheit Anspruch erhebt, setzt also den Willen zur
Wahrheit als letzten Grund der Gewissheit voraus. Ein sittliches Wollen
im weitesten Sinne, ein Wollen, das ein Sollen anerkennt, ist die Basis
nicht nur für den sittlichen sondern auch für den theoretischen,
denkenden Menschen.
Mit
Hilfe dieser Lehre vom Primat des Sittengesetzes vor der theoretischen
Vernunft, aus der etwas im Erkenntnisvermögen selbst gefolgert wird,
verstehen wir jetzt, warum Fichte fiir den religiösen Glauben die
denkbar höchste Gewissheit in Anspruch nehmen und sein Recht dem Wissen
gegenüber ganz ausser Frage stellen konnte. Er trennte nicht wie Forberg
Kopf und Herz, das Fürwahrhalten und die Religion, denn dadurch war
eine Einheit in unserm geistigen Leben niemals zu erreichen, sondern er
zeigte, dass überall erst das Herz gebunden sein muss, ehe der Geist
gebunden sein kann, und fand hier den „Punkt, der Denken und Wollen in
Eins vereinigt und Harmonie in mein Wesen bringt”. „Das Element aller
Gewissheit ist Glaube”.
Beruht
der Glaube also auch auf dem Willen, so ist er darum nicht “nur”
Glaube, d. h. ein Fürwahrhalteu, dem irgend eine andere Überzeugung
durch ihre Gewissheit neben- oder gar übergeordnet werden könnte,
sondern ohne den Glauben würde „selbst diejenige Gewissheit, welche
alles mein Denken begleitet, und ohne deren tiefes Gefühl ich nicht
einmal auf das Spekulieren ausgehen könnte, schlechterdings unerklärbar”
sein. „Es gibt keinen festen Standpunkt als den angezeigten, nicht
durch die Logik, sondern durch die moralische Stimmung begründeten”. So
ist „jene Weltordnung das absolut erste aller objektiven Erkenntnis”, d.
h. die religiöse Überzeugung trägt alle Überzeugungen, die
wissenschaftlichen mit inbegriffen, sie ist mehr als Wissen, gewisser
als alles Wissen.
Das
Verhältnis, in dem die Ansichten Fichtes und Forbergs zueinander
stehen, liegt jetzt klar vor uns. Beide wollen auf dem Boden der
Kantischen Philosophie zur Religion Stellung nehmen, und zwar so, dass
sie die Bedeutung des religiösen Lebens würdigen. Beide sind darin
einig, dass theoretische Beweise für den Glauben weder auf Grund der
Erfahrung noch durch Metaphysik geführt werden können, denn Religion ist
nicht Wissen, und der Glaube ruht nicht auf unserm Verstand, sondern
auf unserm Willen. Beide endlich bestimmen den Inhalt oder den
Gegenstand des religiösen Glaubens gleich. Es ist die moralische
Weltregierung, d. h. die Welt ist auf den Sieg des Guten über das Böse
angelegt.
Trotz
alledem ist das Verhältnis der Erkenntnis zur Religion bei dem einen
ein völlig anderes als bei dem anderen, weil sie mit dem Worte „Glauben”
durchaus nicht denselben Sinn verbinden. Bei Forberg sieht die Sache
zunächst so aus, als wolle er durch seine Trennung von Kopf und Herz
neben dem theoretischen Wissen dem Willen das Recht einräumen, dort die
Überzeugungen zu bestimmen, wo der wissenschaftliche Beweis versagt.
Thatsächlich aber hat diese Trennung eine ganz andere Bedeutung. Es
werden durch sie zwei Welten nebeneinandergestellt, die garnichts
miteinander zu tun haben können. Die Welt des Herzens ist lediglich für
den handelnden Menschen da. Wer Überzeugungen sucht, muss sich allein au
seinen Kopf halten.
Für
die Philosophie, die doch nicht im Handeln, sondern im Denken und
Fürwahrhalten besteht, wird also die Koordination von Wille und Verstand
wieder aufgehoben, und das Herz dem Kopfe untergeordnet. Der praktische
Glaube ist gar kein Gewissheitsprinzip und hat somit für unsere
philosophische Weltanschauung auch nicht die geringste Bedeutung. Das
ist Forbergs unzweideutig ausgesprochene Ansicht, und als ob er dem
Leser gar keinen Zweifel darüber lassen wollte, stellt er die letzte
„verfängliche Frage” auf, ob nicht der Begriff eines praktischen
Glaubens ,,mehr ein spielender als ein ernsthafter philosophischer
Begriff” sei. Die Antwort darauf aber überlässt er „billig dem geneigten
Leser selbst, und damit zugleich das Urteil, ob der Verfasser des
gegenwärtigen Aufsatzes am Ende auch wohl mit ihm nur habe spielen
wollen”.12)
Eine
Versöhnung von Wissen und Glauben wird man in dieser
,,Religionsphilosophie” nicht erblicken können. Fichte lag nichts ferner
als in Fragen der Religion ,,spielende Begriffe” aufzustellen oder gar
mit seinen Lesern zu spielen. Zunächst scheint er ebenfalls die
Bedürfnisse des Willens neben den Entscheidungen des Verstandes zur
Geltung bringen zu wollen, bleibt jedoch dann ebensowenig wie Forberg
bei dieser Koordination stehen, die ja in der That niemals zu einer
Überbrückung des Gegensatzes von Religion und Erkenntnis führen kann.
Dann
aber bewegt sich sein Denken genau in der entgegengesetzten Richtung
wie das von Forberg. Er zeigt, dass auch die theoretische Gewissheit des
Intellekts auf einem Glauben und damit auf einem Willen zum Glauben
beruht. Es giebt also ebenso wie nach Forberg für unsere Überzeugungen
nicht zwei Fundamente, das Wissen und den Willen, aber es giebt sie hier
deshalb nicht, weil der Wille die Grundlage auch für unser Wissen ist.
Dadurch kommt dann Einheit in unsere Weltanschauung, denn dadurch kann
der aus unserer moralischen Bestimmung gewonnene Glaube für die Bildung
unserer Überzeugungen dem „bloßen Wissen”, wie man jetzt sagen könnte,
übergeordnet werden. Das Recht des Glaubens vor allem Wissen ist außer
Frage gestellt, und die Versöhnung von Erkenntnis und Religion so im
Prinzip erreicht.
3. Die Überwindung des Intellektualismus.
Auch
die Philosophie der Gegenwart sucht diese Versöhnung und ist ebenfalls
vielfach geneigt, sie auf dem Boden der Kantischen Philosophie zu
finden. Aber in den meisten Fällen denkt sie nicht daran, sich dabei
Fichte anzuschließen. Ebensowenig jedoch zieht sie die Konsequenzen
Forbergs, sondern meint, dem Willen ein Recht auf die Bildung unserer
Überzeugungen einräumen zu dürfen, auch wenn der Verstand als solcher
vom Willen unabhängig ist. Sie unterscheidet also wie Forberg Kopf und
Herz, aber sie bleibt bei dieser Koordination stehen, und kommt so zu
der von Forberg zurückgewiesenen Ansicht, dass nach Kant der Wunsch des
Herzens dort als genügender Grund für eine Überzeugung gelten könne, wo
das Wissen nach theoretischen Gründen nicht zu entscheiden vermag, und
weil bei den letzten Fragen der Weltanschauung die theoretischen Gründe
in den meisten Fällen zu einer definitiven Stellungnahme nicht
ausreichen sollen, so glaubt sie zur Bildung ihrer Ansichten besonders
über die Probleme der Religionsphilosophie den Willen oder den
praktischen Glauben anrufen zu dürfen. 13)
Die
Berechtigung dazu sucht diese Denkrichtung zunächst durch den Nachweis
zu stützen, dass in dem historischen Verlauf der Philosophie tatsächlich
die verschiedenen Weltanschauungen nicht allein durch den Intellekt,
sondern auch durch den Willen ihrer Schöpfer bestimmt gewesen, und dass
auch heute durchaus nicht nur theoretische Überlegungen sondern vor
allem Ideale unsere Grundüberzeugungen formen. Diese faktische
Beeinflussung des Urteils durch Wünsche des Herzens aber werde, so meint
sie ferner, nicht nur tortdauern, sondern sei auch ganz in der Ordnung.
„Der Wille bestimmt das Leben, das ist sein Urrecht; also (!) wird er
auch ein Recht haben, auf die Gedanken einen Einfluss zu üben. Nicht
zwar auf die Feststellung der Thatsachen im einzelnen: hier soll sich
der Verstand allein nach den Thatsachen selbst richten; wohl aber auf
die Auffassung und Deutung der Wirklichkeit im ganzen”. (Paulsen.)
Oder: wir sollen dort nicht verzichten, uns Meinungen zu bilden, wo wir
nichts mehr wissen können. Das wäre eine falsche Scheu vor dem Irrtum,
die unberechtigterweise mit dem Streben nach Wahrheit identifiziert
wird.
Wir
entgehen dadurch zwar der Gefahr, getäuscht zu werden, aber wir
verlieren auch sicher die Möglichkeit, etwas zu glauben, das vielleicht
wahr sein könnte, und das zu glauben wir ein Interesse haben. „Eine
Denkregel, die mich vollständig verhinderte, gewisse Arten von Wahrheit,
wenn diese Arten von Wahrheit wirklich beständen (!), anzuerkennen,
wäre eine vernunftwidrige Regel”. (James.)
Ob solche Ansichten der Kantischen Philosophie auch nur verwandt sind, kann ich hier nicht entscheiden.14) Was die tatsächliche Beeinflussung des Intellekts durch den Willen betrifft, so hätte Kant vielleicht die Vermengung dieser quaestio facti mit der quaestio juris
im Interesse einer kritischen Behandlung des Religionsproblems nicht
gewünscht. Und sollte er wirklich unter dem Primat der praktischen
Vernunft eine berechtigte Beeinflussung unserer Überzeugungen durch
Wünsche des ,,Herzens” verstanden haben? Er war doch sonst garnicht
geneigt, in der Philosophie irgend etwas gelten zu lassen, das seine
Dignität nicht durch strenge Ableitung seiner Notwendigkeit aus dem
Wesen der Vernunft erwiesen hatte, und so hätte er möglicherweise bei
der „Ersetzung der unzureichenden Überzeugungsgründe durch die Hoffnung”
mit Fichte von „Wahn und Traum” geredet.
Entspricht
der Primat des Willens, wie er heute vertreten wird, nicht mehr den
Ansichten Schopenhauers als denen Kants, und müssen wir nicht in allen
ethischen und religiösen Fragen das Verhältnis dieser beiden Denker zu
einander als das des entschiedensten Gegensatzes bezeichnen? Ja, dürfen
wir auch nur Schopenhauer diese moderne Ansicht zumuten, und liegt sie
nicht mehr auf dem Wege zu Nietzsches Ideal des Philosophen als des
„Befehlenden und Gesetzgebers”, wonach es dann auch in der Philosophie
mehr auf die Stärke des Willens als auf die Stärke des Intellekts
ankommen würde?
Vor
allem sehe ich nicht recht ein, wie man glauben kann, in irgend einer
“praktischen” Frage mit Kant übereinzustimmen, wenn man sich nicht
seinen Moralbegriff, den Angelpunkt seines ganzen Systems, in voller
Strenge zu eigen gemacht hat, und von dem „kategorischen Imperativ”
wollen doch gerade die Vertreter der hier in Frage kommenden Ansichten
meist nicht viel wissen. Aber es kommt hier nicht darauf an, was Kant
gedacht hat, sondern allein darauf, wie seine Gedanken aufzufassen oder
weiterzubilden sind, falls sie die Grundlage für eine Versöhnung von
Wissen und Glauben bilden sollen, und da scheint es mir, so lange wir in
der Philosophie an einem Streben nach Allgemeingültigkeit festhalten,
zweifellos, dass, auch wenn die angedeuteten Lehren „Kantisch” sein
sollten, sie sich gegenüber der strengen Konsequenz Forbergs und Fichtes
als ganz verfehlt herausstellen müssen.
Bei
jeder Koordination von Wissen und Glauben wird der Intellekt für sich
als vom Willen vollkommen frei und nur als tatsächlich von ihm
beeinflusst gedacht, denn in der Einzelforschung soll er ja ganz allein
herrschen. Dann aber bleibt der Wille ein dem Intellekt innerlich
fremdes Element, und für den wissenschaftlichen Menschen bedeutet sein
Einfluss notwendig eine Trübung, die, wenn sie dauert oder gar dauern
soll, nur den Erfolg haben kann, dass in der Philosophie im Gegensatz zu
allen andern Wissenschaften nicht nur thatsächlich individuelle
Neigungen und Wünsche mit einander kämpfen, sondern dass auch nicht der
geringste Fortschritt auf dem Wege zu einer allgemein gültigen
Weltanschauung jemals zu erhoffen ist.
Wer
diese Überzeugung hegt, muss es aufgeben, Philosophie als etwas zu
treiben, das mit Wissenschaft auch nur die geringste Verwandtschaft hat.
Und mit ihm hat es die Wissenschaft dann nicht weiter zu thun. Wer aber
in der Philosophie nach Allgemeingültigkeit strebt, kann in der
tatsächlichen Beeinflussung des Kopfes durch das Herz nur die dringende
Aufforderung erblicken, diese Trübung seines Intellekts durch seinen
Willen zu verhindern und insbesondere in der Religionsphilusophie allen
Wünschen den Weg zum Denken sorgfältig abzuschneiden, weil hier, wo das
Denken versagt, und die Wünsche am heftigsten fordern, die Gefahr des
Irrtums am grössten ist.
Es
ist also gar nicht einzusehen, wie man auf dem Boden einer Koordination
von Kopf und Herz dem wissenschaftlichen Menschen es verwehren will,
als höchstes, wenn auch vielleicht nie erreichbares Ideal die
Entscheidung aller, auch der letzten philosophischen Fragen durch einen
vom Willen völlig unbeeinflussten Intellekt aufzustellen, ein Ideal, das
uns dann bei allen durch den Intellekt nicht zu entscheidenden Fragen
die Urteilsenthaltung zur unabweisbaren Pflicht macht. Wo das Denken
aufhört, hat der Philosoph als Philosoph nichts mehr zu sagen, und wenn
dies den Problemen der Religionsphilosophie gegenüber der Fall sein
sollte, so behielte Forberg Recht mit seiner Behauptung, dass die Frage,
ob Gott sei, abgewiesen werden müsse, als ein Produkt spekulativer
Neugierde. Der Kantische Begriff des praktischen Glaubens wäre dann in
der Tat mehr ein spielender als ein ernsthafter philosophischer Begriff.
Selbstverständlich liegt den modernen Vertretern dieses Glaubens die
Absicht, mit ihren Lesern zu spielen, ganz fern, aber dem Plus an Ernst,
das sie Forberg gegenüber besitzen, steht ein erhebliches Minus an
Konsequenz gegenüber.
Nur
wenn sich zeigen lässt, dass der Intellekt nicht neben dem Willen
steht, sondern überall selbst auf Willen und Glauben beruht, weil er
sonst nie zur Wahrheit als einem Werte führen könnte, der, um für uns zu
gelten, von uns gewollt und gebilligt sein muss, verschwindet auch für
den wissenschaftlichen Menschen das Ideal eines in jeder Hinsicht vom
Willen freien Verstandes.15) Dann
ist die Geltung und Anerkennung eines absoluten Sollens die Grundlage
auch des rein theoretischen Wissens, und durch eine Einsicht in das
Wesen des Denkens selbst ist ein Weg zur Versöhnung von Wissen und
Glauben angebahnt. Die Religion kann dann als Glaube an ein in der Welt
objektiv wirkendes Prinzip des Guten als notwendig abgeleitet werden,
weil das absolut notwendige Sollen und Wollen, das die Möglichkeit
seiner Realisierung mit eben der Notwendigkeit fordert, die es selbst
besitzt, als Basis jeder Gewissheit auch für den theoretischen Menschen
gilt.
Das
aber ist der Standpunkt Fichtes, und deswegen kann es nur bei seiner
Auffassung oder Weiterbildung Kants, nur bei seinem Primat des Willens
vor dem Denken Kantische, d. h. kritisch begründete und positiv
gerichtete Religionsphilosophie geben. Man spricht heute viel von einer
„Überwindung des Intellektualismus” durch die Kantische Philosophie, und
in der That hat dieses Wort einen guten Sinn. Aber man muss auch ganz
genau angeben, was man damit meint, wenn die Überwindung des
Intelleltualismus nicht zu einer Überwindung des Intellekts in der
Wissenschaft werden soll.
Man
kann unter Intellektualismus erstens die Ansicht verstehen, dass der
Mensch im Grunde nur ein denkendes Wesen sei und sein solle, und dass
daher seine Gefühls- und Willenswelt auf allen Gebieten seiner
Betätigung in den Hintergrund zu treten habe. Als höchstes Ideal für den
Menschen ergiebt sich daraus die Aufgabe, sich in eine rein
wissenschaftliche Betrachtung der Welt zu versenken und überhaupt nichts
gelten zu lassen, das vor dem Intellekt nicht Stand hält. Solche
Tendenzen waren in der griechischen Philosophie vorherrschend, wir
finden sie bei den grossen Rationalisten der neueren Zeit und in der
Aufklärungsphilosophie. Sie werden zweifellos der vollen Menschennatur
nicht gerecht, und sie zu ,,überwinden” ist gewiss auch eine Aufgabe, zu
deren begrifflicher Lösung Kant bisher bei weitem das Meiste getan hat.
Aber
darum, welche Rolle der Intellekt und welche Rolle Wille und Gefühl im
Gesamtleben des Menschen zu spielen haben, handelt es sich hier gar
nicht. Was in Frage kommt, ist nur die Bildung einer wissenschaftlich
begründeten Weltanschauung durch die Philosophie, und dass für sie der
Intellekt allein massgebend sein soll, kann sehr gut neben der Meinung
bestehen, dass es im Leben noch auf andere Dinge als auf die
Wissenschaft ankommt. Bei aller Anerkennung für das
nichtwissenschaftliche Leben wird man die Alleinherrschaft des
Intellekts in der Philosophie ernstlich niemals in Frage stellen dürfen,
denn es ist gar nicht einzusehen, wo man die Grenze setzen will, wenn
hier dem Verstande irgend ein Recht entzogen ist, und deshalb kann bei
dieser Überwindung des Intellektualismus ein Zwiespalt zwischen Glauben
und Erkennen unvermindert fortdauern.
Zweitens
kann man noch in einem ganz anderen Sinne von Überwindung des
Intellektualisnms sprechen, und damit kommen wir erst zu dem Problem,
das Fichte beschäftigt hat. Aber dabei handelt es sich vollends nicht um
die Überwindung des Intellektes in der Wissenschaft, sondern um die
Überwindung einer falschen wissenschaftlichen Autfassung des Intellekts.
Die bisherige Philosophie, so kann man sagen, hat Wollen und Denken in
ein Verhältnis zu einander gebracht, so als ob das logische Denken mit
dem Willen garnichts zu thun hätte. Ja ihm seinem innersten Wesen nach
entgegengesetzt sei. Das war wieder eine spezifisch griechische
Auffassung, und durch sie entstand ein Zwiespalt in unserer
Weltanschauung, besonders seitdem die Willens- und Gefühlswelt in ihrer
Bedeutung sich entwickelt hatte und mit den griechischen Begriffen nicht mehr in einer einheitlichen wissenschaftlichen Weltanschauung
untergebracht werden konnte.
Auf
der einen Seite war der Mensch ein absolut indifferenter Beschauer der
Dinge. Auf der andern Seite war er Wille, setzte Werte und nahm zu ihnen
Stellung, und dadurch erschien die „[unleserlich]”
dem überall wertenden Leben notwendig feindlich. Die Überbrückung
dieses Gegensatzes kann man nun ebenfalls eine Überwindung des
Intellektualismus nennen, aber nur, wenn man unter Intellekt jenes
indfferente Schauen versteht, und die Überwindung kann darin allein
bestehen, dass auf rein logischem Wege die tief gehende Verwandtschaft
des nach Wahrheit strebenden Denkens mit dem auf das Gute gerichteten
Willen aufgezeigt wird, eine Verwandtschaft, die, wie Fichte es
eingesehen hatte, darauf beruht, dass ein Wollen und Werten das innerste
Wesen auch des nach wissenschaftlicher Überzeugung strebenden Denkens
bildet.
Eine
Philosophie, welche hiervon ausgeht, könnte man vielleicht auch als
„Voluntarismus” bezeichnen, weil sie den Willen als letzte Basis auch
jeder theoretischen Erkenntnis erwiesen hat, aber sie bleibt von dem,
was heute gewöhnlich Voluntarismus genannt wird, durch eine Welt
getrennt. Sie räumt, so sehr sie die Bedeutung des Willens für das
sittliche, religiöse, künstlerische, staatliche Leben anerkennt, ihm in
dem Prozess der Bildung unserer Weltanschauung neben dem Intellekt nicht
das geringste Recht ein, sondern hält an der Alleinherrschaft des
Intellekts auf philosophischem Gebiete streng fest, aber aus dem aller
auf Allgemeingültigkeit Anspruch erhebenden Thätigkeit und mithin auch
dem Streben nach wissenschaftlicher Wahrheit übergeordneten Sollen und
Wollen folgert sie, um mit Fichte zu reden, „etwas im
Erkenntnisvermögen”. Sie bildet mit anderen Worten den Begriff des
Intellekts um, d. h. sie erkennt den wertenden Willen im Intellekt
selbst an, und sie vermag dadurch, aber auch nur dadurch, für den
Glauben an eine transcendente Weltordnung die denkbar höchste Gewissheit
in Anspruch zu nehmen.
Was
schliesslich ihr Verhältnis zu Kant betrifft, so findet sie diese
Ansicht bei ihm vielleicht nirgends so ausdrücklich formuliert wie bei
Fichte, aber sie wird sich die Überzeugung nicht nehmen lassen, dass
diese in dem grössten Jünger Kants zum Durchbruch gekommene Wahrheit
doch zu den tiefsten Wirkungen der Kantischen Philosophie selbst zu
rechnen ist, und dass jedenfalls nur durch eine Auffassung und
Weiterbildung Kants in diesem Sinne auf Kantischem Boden Einheit in
unsere wissenschaftliche Weltanschauung gebracht werden kann. Sollte es
nicht gestattet sein, Kant so fortzubilden, so würde man den
konsequenten Kantianer nur in — Forberg erblicken dürfen, und von einer
Überwindung des Intellektualismus in der zweiten Bedeutung des Wortes
durch Kant, d. h. von einer wissenschaftlichen Versöhnung des Glaubens
mit dem Wissen durch die Kantische Philosophie dürfte dann nicht
gesprochen werden.
II.
Der Gegenstand des Glaubens
1. Fichtes Gott als Weltordnung.
Soviel
über das Prinzip der Gewissheit, das Fichte aufgestellt hat. Was ist
nun von dem Inhalt oder dem Gegenstande seines Glaubens, d. h. von
seiner Gleichsetzung der übersinnlichen „Ordnung” mit der Gottheit zu
halten? Bisher haben wir diesen Gegenstand der Religion nur insofern
berücksichtigt, als nötig war, um zu zeigen, dass wir durch ihn über das
Sittliche, d. h. den immanenten guten Willen hinaus ins Transcendente
geführt werden. Jetzt müssen wir die Ordnung, um den Atheismusstreit
ganz zu verstehen, noch etwas genauer kennen lernen.
Da
Fichte für seinen Glauben die denkbar höchste Gewissheit in Anspruch
nahm, so wäre die Beschuldigung des Atheismus total unverständlich, wenn
es nicht in seinem Gottesbegriff etwas gäbe, wodurch er Anstoß erregte,
und so ist es in der Tat. Erst mit dem Begriff der Ordnung als der
Gottheit kommen wir eigentlich zum „Atheismus”. Zunächst deute ich kurz
den Fichteschen Gedankrngang an. Gott als lebendige und wirkende
moralische Weltordnung ist absolut gewiss, aber ebenso sicher ist es,
dass wir einen andern Gott nicht zu fassen vermögen. Die Ordnung ist
zwar nichts Fertiges, Geordnetes — denn dann fiele die Gottheit mit der
Welt zusammen, und es gäbe keinen Gott — sondern Gott ist das die Welt
Ordnende und insofern von ihr Verschiedene.
Aber es besteht andererseits auch kein Grund, über die Ordnung hinaus einen Ordner anzunehmen. Der ordo ordinans16)
selbst ist Gott, nicht etwa eine Persönlichkeit, welche ordnet. Gott
als besonderes Wesen denken, heisst ihn in Sinnlichkeit und Beschränkung
herabziehen, denn alle besonderen Wesen sind endliche Dinge. In seinen
Streitschriften hat Fichte diese Gedanken weiter ausgeführt. Es ist
bekannt, wie er den Spiess dort umkehrt und seine Ankläger Götzendiener
und Atheisten nennt, weil sie an Gott als ein besonderes Wesen glauben.
Das Wichtige liegt in seinem Bestreben, an der Unmittelbarkeit des
Glaubens festzuhalten und alle Ausgestaltung des Gottesbegriffes durch
„Erräsonniren” zu vermeiden.
Unmittelbar
ist allein die Beziehung der Gottheit auf unser sittliches Bewusstsein.
Der Begriff eines besonderen Wesens ist immer erst hieraus erschlossen.
Gott als besonderes Sein denken heisst, das Produkt eines Syllogismus
zu einer Realität machen und aus ihm dann das, was das Ursprüngliche und
Unmittelbare ist, ableiten wollen. Fichtes Gedanken spitzen sich
schliesslich notwendig dahin zu: Gott als das Übersinnliche hat
überhaupt kein „Sein” in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes.
Eine
Religionsphilosophie, die Gott für absolut gewiss erklärte, und doch
von einem Sein Gottes nichts wissen wollte, war nicht allen sofort
verständlich. Mit Recht konnte Fichte sagen: “Wer meine Religionslehre
verstehen will, der muss das System des transcendentalen Idealismus und
den damit unzertrennlich verknüpften reinen Moralismus genau kennen und,
wie ich glaube, besitzen.” Seine Gegner aber waren von dieser Kenntnis
weit und von dem Besitze noch weiter entfernt. Wir dürfen uns also
eigentlich nicht darüber wundern, dass sie ihn, der Gott das Sein
absprach, einen Atheisten nannten.
Versuchen
wir den Gedanken Fichtes aus dem Zusammenhange seines Systems zu
verstehen. Was es ihm so schwer machte, für seine Religionsphilosophie
einen Ausdruck zu finden, der den Anschein von Paradoxie vermied, — und
darum allein handelt es sich im Grunde — war der Umstand, dass er sich
in einem Punkte zu aller Philosophie vor ihm, die an einem
Übersinnlichen festhielt, in bewusstem Gegensatz befand: er verwarf die
Voraussetzung, dass es zwei verschiedene Arten des Seins gebe.
In
Kants theoretischer Philosophie hatte sich die alte Zweiweltentheorie,
welche die Realität in ein Sein höheren und geringeren Grades, in eine
„an sich” existierende Welt und eine Welt der „Erscheinungen” spaltet,
bis auf einen so kleinen Rest verflüchtigt, dass man darüber streiten
konnte, ob Kant überhaupt noch an ihr festhalte. Aber dieser Rest
erhielt in der praktischen Philosophie wieder eine grosse Bedeutung.
Fichte gab dagegen die Seinsspaltung in jeder Hinsicht auf, so dass in
den Zeiten des Atheismusstreites sein Denken, das vorher und nachher
Wandlungen durchgemacht hat, antimetaphysisch, ja wenn man will,
positivistisch ist, so weit es das bei jemand, der Kants transcendentale
Analytik verstanden hatte, nur sein konnte.
Er lässt „nichts für reell gelten, das sich nicht auf eine innere oder äussere Wahrnehmung gründet”.17)
Der alte metaphysische Gegensatz wird durch den erkenntnistheoretischen
Gegensatz des Begrifflichen auf der einen Seite, der unbegreiflichen
Welt der Empfindungen auf der andern Seite ersetzt und aufgehoben. “Die
Philosophie, selbst vollendet, kann die Empfindung nicht geben, noch
ersetzen; diese ist das einzige wahre, innere Lebensprinzip.”18)
Also:
die unmittelbare Welt der Empfindungen, die früher Erscheinung hieß,
ist für Fichte zur wahren Realität geworden und hat auch den Charakter
der Irrationalität, den bei Kant das Ding an sich besaß; das dagegen,
worin man früher die wahre Realität sah, ist jetzt zum bloßen Begriff
oder Gedankending und damit zugleich zum Rationalen gemacht. Fichte
lehrt die Irrationalität der Wirklichkeit.19)
Wir
begreifen, wie schwierig es war, in dieser theoretischen Philosophie
einen Gott unterzubringen, den das moralische Bewusstsein verbürgt
hatte. Zur Welt der Begriffe darf die Gottheit nicht gerechnet werden,
sie ist unmittelbar und irrational, wie die Sinnen- und Empfindungswelt.
Aber weil sie übersinnlich ist, so kann von ihr auch nicht gesagt
werden, dass sie existiert, denn existieren ist dasselbe wie sinnlich
existieren. Etwas drittes jedoch, das weder sinnlich existiert noch
Begriff ist, scheint ausgeschlossen, und so sehen wir, ist in der Welt
Fichtes für einen seienden Gott, für ein reelles Übersinnliches in der
Tat kein Platz.
Während
bei Kant die moralische Weltordnung in dem theoretisch leer gelassenen
„Ding an sich” eine Unterkunft finden und so zu einer Welt des Seienden
über der Sinnenwelt sich gestalten konnte, hatte hier die theoretische
Vernunft die Zweiweltentheorie so vollkommen zerstört, dass die
praktische Vernunft auch nicht den geringsten Raum mehr vorfand, um
dorthinein eine übersinnliche durch den Glauben verbürgte Realität zu
retten. Weil die alten Kategorien für das Denken des Übersinnlichen also
im erkenntnistheoretischen Interesse zertrümmert waren, so musste das
Übersinnliche sozusagen in einer neuen Kategorie gedacht werden, wenn
die praktische Philosophie in Harmonie mit der theoretischen bleiben
sollte.
Auf
diese Einheit jedoch kam gerade für Fichte alles an. Er hat es selbst
empfunden, dass er bei der Formulierung seiner neuen Gedanken in einen
Konflikt mit dem Sprachgebrauch kam, aber es ist auch wirklich nur die
sprachliche Wendung, die uns stört, wenn wir hören, der ordo ordinans
ist kein Sein, obgleich der Glaube an ihn das Gewisseste ist, was es
gibt. Sobald wir daran festhalten, dass Sein für Fichte ausschliesslich
sinnliches Sein ist, erscheint im erkenntnistheoretischen Interesse
seine paradoxe Formulierung notwendig. Den engen Zusammenhang zwischen
Erkenntnistheorie und Religionsphilosophie müssen wir stets im Auge
behalten, um diese Gedanken nicht nur zu verstehen, sondern auch in
ihrer Bedeutung zu würdigen.
Für
den religiösen Menschen bleibt vielleicht der Satz, Gott hat kein Sein,
immer paradox. Aber wollte Fichte denn Religion geben? Im Gegenteil, er
wird nicht müde, immer von neuem hervorzuheben, dass es sich nicht um
die Religion selbst, sondern nur um die Religionsphilosophie handelt,
und unter Philosophie versteht er nichts anderes als “Deduzieren”.
Dieses Deduzieren aber heisst „nicht irgend etwas neues in die Gemüter
der Menschen bringen.” „Für den Unphilosophen — und im Leben sind wir
notwendig alle Unphilosophen — ist etwas da und bleibt da.” “Der
Philosoph aber hat die Verbindlichkeit, dieses Etwas aus dem gesamten
Systeme unseres Denkens abzuleiten, den Ort desselben in jenem
notwendigen Systeme aufzuzeigen.” “An der Religion wird durch meine
Philosophie nichts geändert, und so gewiss durch sie etwas geändert
würde, wäre meine Philosophie falsch”. „Ich habe es mit der Ableitung
(Deduktion) jener Religion aus dem Wesen der Vernunft zu tun, und zwar
lediglich in wissenschaftlicher Absicht.” Da nun Religion nicht
Wissenschaft ist, so muss alles, was an der Religion Wissenschaft zu
sein vorgiebt, “gänzlich vernichtet werden als ein alle endliche
Fassungskraft übersteigendes Hirngespinst”, und es bleibt für die
Religionsphilosophie lediglich ”jener Ort des religiösen Glaubens, jenes
Etwas im Systeme des notwendigen Denkens, an welches der religiöse
Glaube sich anschliesst.”
Diese Sätze 20)
machen die Absicht und den Sinn der Untersuchung vollkommen klar. Wir
können das auch so ausdrücken: Fichte will nicht die Religion
beschreiben und noch weniger sie schaffen, sondern lediglich
feststellen, was an ihr auch einer wissenschaftlichen Kritik Stand hält.
Das widerspricht der Ablehnung jedes Beweises für die Religion nicht.
Beweis ist im Sinne des „Erräsonnirens” zu nehmen, und die Religion
selbst kann nicht bewiesen werden. Die Religionsphilosophie aber kann
sich doch immer nur an den Intellekt wenden, denn für ihn allein sind
ja, wie Fichte selbst hervorgehoben hat,21)
ihre Probleme vorhanden. Was aber für den Intellekt als notwendig
abgeleitet werden soll, können nur die intellektualistischen Elemente
des religiösen Lebens sein.
Diese
unumgängliche Be schränkung der Aufgabe müssen wir verstehen. Wenn nur
das festzustellen ist, dessen Anerkennung auch die Philosophie sich
nicht zu entziehen vermag, und wenn zu einer übersinnlichen Realität
vorzudringen, der Philosophie iilx’ihaupt versagt ist, dann kann auch
der philosophische Gottesbegriff” sich nur als der einer übersinnlichen
Ordnung und nicht als der einer übersinnlichen Realität ergeben. So
unbefriedigend das im religiösen Interesse sein mag, so wichtig ist es
im Interesse der Wissenschaft, dass überhaupt irgend etwas
Übersinnliches sich als notwendig ableiten lässt.
Vielleicht
kann man das Eigentümliche der Fichteschen Gedanken und die Bedeutung,
die sie trotz ihrer Paradoxie haben, auch so angeben: Kant begriff das
Wesen der Wissenschaft, ohne dabei die Voraussetzung zu machen, dass
nach einer Welt von Dingen an sich unsere Urteile sich zu richten
hätten. Der Gegenstand der Erkenntnis hört also auf, eine absolute
Realität zu sein. Er wird vielmehr zu einer „Regel” der
Vorstellungsverknüpfung, und diese Regel genügt vollkommen, um dem
Erkennen die Objektivität zu geben, die früher von Dingen an sich
abhängig gemacht wurde. Ganz analog verfährt Fichtes
Religionsphilosophie. Der Gegenstand des Glaubens ist für ihn ebenso
wenig ein absolutes Sein, wie der Gegenstand der Erkenntnis es für Kant
ist. Wie bei Kant die Realität durch eine Regel, so wird sie bei Fichte
durch die Ordnung ersetzt, ein Begriff, der mit dem der Regel auch das
gemeinsam hat, dass er aus der Kategorie des Seins in die des Sollens
führt.
Ebenso
wie die Regel dem Erkennen, so soll die Ordnung dem Glauben den
,,Gegenstand” und die „Objektivität” verleihen. Selbstverständlich ist
dieser Vergleich nicht in jeder Hinsicht durchzuführen, aber noch eines
haben die beiden Theorien gemeinsam. Für den Mann der empirischen
Wissenschaft wird die Erkenntnistheorie Kants vielleicht immer etwas
Paradoxes behalten, weil es ihm auf den Inhalt des Erkennens ankommt,
und er daher die Objektivität nicht von einer Regel, sondern von dem
seienden Stoff herleiten will. Ebenso ist dem religiösen Menschen die
inhaltliche Ausgestaltung des Gegenstandes seines Glaubens die
Hauptsache, und mit einer Ordnung als Gegenstand weiß er nichts
anzufangen.
Aber
wie sich schließlich doch die transcendentale Erkenntnistheorie nicht
nur mit der empirischen Wissenschaft verträgt, sondern, richtig
verstanden, sie begründet, so wird sich auch die transcendentale
Religionstheorie zum religiösen Leben verhalten. Man muß nur so wenig,
wie man von der Erkenntnistheorie verlangt, dass sie den Inhalt der
Wissenschaft geben soll, von der Religionsphilosophie den Inhalt des
religiösen Lebens fordern. Gewiss hat Fichte das letzte Wort über
Religion im Atheismusstreite noch nicht gesprochen. Seine eigenen
Gedanken erhielten ja wenige Jahre später eine Gestalt, die viele als
gleichbedeutend mit einem prinzipiellen Verlassen des hier angegebenen
Standpunktes betrachten, und in der sie jedenfalls über die
Beschränkung, die er sich hier auferlegt hat, weit hinausgehen. Das hebt
jedoch den Wert seines früheren Standpunktes nicht auf. Nicht das
letzte, wohl aber das erste Wort über Religion, das die Philosophie zu
sagen hat, ist hier gesagt, und dieses Wort sollen wir stehen lassen:
Der Glaube an eine übersinnliche Weltordnung ist das Gewisseste, was es
gibt; das religiöse Leben hat im System der Philosophie seinen absolut
sicheren „Ort”.Was weiter über die Ordnung zu sagen sein wird und gesagt
worden ist, kann nicht eine Verwerfung, sondern lediglich eine
Ergänzung dieser Gedanken sein.
2. Religion und Metaphysik.
Worin
aber ist die Ergänzung zu suchen? Eine erschöpfende Antwort auf diese
Frage liegt mir hier natürlich fern, aber wieder legt der Zusammenhang
mit Ansichten der Gegenwart wenigstens eine Andeutung nahe. Viele werden
heute noch den Abschluss der Religionsphilosophie in einer Metaphysik
erblicken, und wenn sie hierunter eine Wissenschaft im strengen Sinne
des Wortes verstehen und sie zu geben imstande sind, so haben sie Recht.
Aber
eine solche Metaphysik kommt hier für uns nicht in Frage. Wir bleiben
bei dem Verhältnis Fichtes zu Kant, und dass Kant Metaphysik, d. h.
Erkenntnis des Übersinnlichen im strengen Sinne als Wissenschaft hat
gelten lassen, wird wohl niemand behaupten. Trotzdem ist heute die
Meinung verbreitet, dass gerade auf dem Boden des Kantischen Denkens die
Religionsphilosophie viel mehr geben könne, als Fichte im
Atheismusstreit gegeben hat, und wir wollen daher die bereits früher
behandelte Autfassung Kants jetzt auch in Bezug auf den Gegenstand des
religiösen Glaubens mit dem Standpunkt Fichtes vergleichen.
Kant,
so hören wir, hat nicht nur sein Leben lang an einer Metaphysik
festgehalten, sondern ist darin auch heute noch vorbildlich. Der „bloße”
Glaube soll uns zu einer übersinnlichen Realität führen, und diese auch
im einzelnen soweit bestimmen können, dass dadurch eine Versöhnung von
Wissen und Religion erreicht wird. Man beansprucht für den Willen also
nicht nur das Recht, den Glauben an ein über alle Sinnen- und
Verstandeswelt hinausweisendes Göttliches zu begründen, sondern auch
eine positive Metaphysik des Übersinnlichen auf ihn zu bauen.
Auch
hier fragen wir weniger nach Kants Meinung, als danach, welche Elemente
seines Denkens wir hervorheben müssen, um, seine Philosophie in
fruchtbarer Weise weiterzubilden. Vergleichen wir nun Fichtes Gedanken
mit der modernen Kantinterpretation, die Kopf und Herz koordinieren und
den Intellekt durch den Willen überwinden will, so finden wir die Rollen
eigentümlich vertauscht. Die Denker, die für ihren Glauben
eingestandener Maßen nur ein sehr ungewisses Gewissheitsprinzip
besitzen, meinen doch damit ein Bild der übersinnlichen Realität
entwerfen zu können, Fichte dagegen, der sich ein Prinzip absoluter
höchster Gewissheit für das Übersinnliche erarbeitet hat, macht mit
äusserster Vorsicht bei der unmittelbar gewissen übersinnlichen
Weltordnung Halt. Er hat gezeigt, dass eine zwingende Notwendigkeit uns
über uns hinaus zum Übersinnlichen weist. Über dies Übersinnliche
dagegen zu grübeln und es auszustaffieren mit Prädikaten, die doch immer
nur der Sinnenwelt, entnommen sind, erscheint ihm ganz wertlos.
Wer
hier mehr geleistet hat, das bedarf keiner langen Erörterung. Eine
Metaphysik, die auf Wünschen des Herzens beruht, mag interessant sein,
wenn sie der Ausdruck einer großen Persönlichkeit ist. Wird sie aber
direkt als Aufgabe der Philosophie bezeichnet, so kann das nur zu
unerträglichen Halbheiten führen und Zweifel gegen den Wert
philosophischer Bemühungen überhaupt hervorrufen. Das Hypothetische und
Ungewisse, das ihr notwendig anhaftet, macht diese Metaphysik wertlos
für den religiösen Menschen, denn dem ist es nie um „bloßen” Glauben,
sondern um Glauben als absolute Gewissheit zu tun.22) Wie
aber ein wissenschaftlicher Mensch sich mit ihr zufrieden geben kann,
ist erst recht nicht zu begreifen, da er vollends nicht auf blossen
Glauben, sondern allein auf Wissen ausgehen darf.
Gerade
für eine Philosophie, die gegen den Naturalismus ankämpfen will, kommt
es viel mehr auf die absolute Gewissheit irgend eines Übersinnlichen
überhaupt, als auf die hypothetische Ausgestaltung seines Inhaltes an.
Ist der Naturalismus nur einmal im Prinzip so durchbrochen, dass über
seine Unhaltbarkeit auch nicht der geringste theoretische Zweifel mehr
besteht, so ist damit die Hauptsache getan, und in der Überwindung des
Naturalismus, die auf der Fichteschen, d. h. wissenschaftlichen
Überwindung des Intellektualismus beruht, werden wir daher eine
Leistung erblicken müssen, die für die Religionsphilosophie viel
bedeutender ist, als alle Metaphysik des Übersinnlichen, die auf dem in
der Wissenschaft total unbrauchbaren Grunde von Wünschen des Herzens
beruht.
Aber,
wie bereits gesagt, das religiöse Gefühl wird sich vermutlich gegen
einen Gott, der nicht ,,sein” soll, immer sträuben, es wird mit dem
Inbegriff der höchsten Werte, die es kennt, auch den Begriff der
Realität verbinden wollen, und das ist zweifellos sein gutes Recht. Wir
werden daher sagen müssen, dass Fichtes Denken in der Tat doch der
Ergänzung bedarf. Die Religionsphilosophie hat sich bei ihm zu einer
Erkenntnislehre der Religion gestaltet, und so sicher die Religion nicht
nur aus intellektuellen Elementen besteht, sondern ihren Schwerpunkt im
Gefühls- und Willensleben hat, ebenso sicher ist durch diese
Religionsphilosophie der Begriff der Religion nicht erschöpfend
dargestellt. Das hat Fichte besonders in der Appellation nicht genügend berücksichtigt, wenn er den Glauben an Gott als eine Realität Götzendienst nennt.23)
Auch
wenn die Religionsphilosophie nur den ..Ort” anzugeben vermag für das
religiöse Leben, und eine weitere Ausgestaltung des Gottesbegriffes ihr
versagt ist, so hat doch das nichtwissenschaftliche religiöse Leben
selbst unzweifelhaft das Recht, sich an diesem philosophischen “Orte”
ungehindert und frei zu entfalten, und die Philosophie kann ihm keine
Vorschriften darüber machen, wie es dies tun soll. Sie vermag mit ihren
Begriffen, die eben Begriffe bleiben, für sich allein nichts zu bieten,
womit der lebendige Mensch leben kann, und muss daher anerkennen, dass,
wenn aus der Religionsphilosophie Religion werden soll, ein
Überschreiten ihrer Grenzen geradezu notwendig ist.
So wird ihr schliesslich die Rolle eines Wächters
nach zwei Seiten hin zufallen. Sie wird nicht nur jede Religion, die
als Wissenschaft auftritt, zurückweisen, sondern auch das alogische
religiöse Leben vor dem Übereifer jener Intellektualisten schützen, die
überall nur Schwärmerei erblicken, wo ein wissenschaftlicher Beweis oder
unmittelbare logische Evidenz den Überzeugungen fehlt, und sie wird so
verstehen lehren, dass Religion zwar nicht Wissenschaft, aber auch nicht
Schwärmerei ist, sondern eine ganz eigene Art des Lebens, die ihre
eigenen Rechte hat.
Aber
müssen wir dann nicht noch weiter gehen? Wenn die Philosphie zugiebt,
dass sie nicht alles begreifen kann und z. B. nicht zu erklären vermag,
wie mit dem guten Willen die geforderte Möglichkeit einer Realisierung
des objektiv Guten denn nun eigentlich in Wirklichkeit zusammenhängt,
muss sie dann nicht auf einen Abschluss unserer Überzeugungen durch das
religiöse Leben als auf eine notwendige Aufgabe hinweisen, damit so die
von der Wissenschaft niemals auszufüllende Kluft überbrückt wird? Bringt
man nun aber solche religiösen Überzeugungen auf einen
erkenntnisartigen Ausdrack, was sich schwer vermeiden lässt, so nehmen
sie doch notwendig die Form einer Metaphysik an, und wird einer solchen
religiösen Metaphysik, so lange sie daran festhält, dass sie nicht
Philosophie sondern Religion ist, nicht schliesslich auch die
Philosophie sich unterordnen und somit dem Willen und dem Gefühl auch in
dem Sinne sein Recht einräumen, in dem sein Einfluss auf unsere
Überzeugungen als Thatsache nachgewiesen werden kann? Die Philosophie
bliebe dann auf die Aufzeigung der Lücken in unserem Wissen beschränkt.
Sie ginge für sich nirgends zu Annahmen über, zu deren Anerkennung sie
den Intellekt nicht zwingen kann, und behauptete daher niemals eine
übersinnliche Realität, aber wenn das religiöse Leben der Vorstellung
solcher Realität in Form einer Metaphysik zu bedürfen erklärt, kann sie
dagegen etwas sagen?
Das
sind schwierige Fragen, die sich nicht mit einem Wort erledigen lassen,
aber darauf wird man doch vielleicht hinweisen dürfen, dass wohl die
Zeiten im wesentlichen vorüber sind, in denen das religiöse Fühlen
geneigt war, nach Formen zu suchen, die sich notwendig als Metaphysik
darstellen, und dass wir es auch wünschen müssen, es würde recht wenig
solche religiöse Metaphysik getrieben. Metaphysische Überzeugungen
nehmen, sobald der Mensch sie in Urteilen ausspricht, immer die Form
auch einer wissenschaftlichen Metaphysik an, und dadurch gerät dann die
Religion so leicht in jene gefährliche Verwandtschaft mit den
Theorien, die ein wissenschaftliches Verständnis der Welt anstreben.
Eine
Trennung der Religion von jeder Metaphysik liegt also entschieden im
religiösen Interesse, weil die Religion in jeder Form, die auch nur
äusserlich das Gepräge einer Wissenschaft trägt, immer den schärfsten
Widerspruch der theoretischen Menschen erregen wird, die in der
wissenschaftlichen Erkenntnis des Übersinnlichen nicht nur eine
unlösbare Aufgabe, sondern sogar in dem Bedürfnis nach ihrer Lösung das
Produkt einer falschen Fragestellung erblicken. Damit aber kämen wir
im wesentlichen doch wieder dem Standpunkt Fichtes im Atheismusstreit
recht nahe.
Eine
andere Überlegung muss uns ebenfalls von der religiösen Metaphysik
entfernen. Die Hauptsache bei aller Religion ist doch schließlich, dass
wir zu der übersinnlichen Weltordnung, zu der die Philosophie mit
zwingender Notwendigkeit uns führt, auch in ein persönliches Verhältnis
zu kommen vermögen. Eine Religion aber, die ihren Inhalt sich durch
Aufbau einer Metaphysik verschafft, gibt diese Möglichkeit nie, denn
alle Metaphysik besteht in allgemeinen Begriffen, und zum Allgemeinen
können wir ein persönliches Verhältnis nicht gewinnen. Der allgemeine
Rahmen der Metaphysik wird daher immer erst gefüllt sein müssen durch
die Überlieferungen einer historischen Religion, und wenn wir diese
haben, ist dann eine Religionsmetaphysik nicht vielleicht ganz überflüssig?
Unser
Denken, das nach logischer Gewissheit strebt, befriedigt sie nicht,
unser religiöses Fühlen aber bringt sie wegen ihrer formalen
Verwandtschaft mit der wissenschaftlichen Philosophie leicht in
Verwirrung, als sei der religiöse Glaube so hypothetisch, wie seine
Metaphysik es vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist. Es scheint
also, als würde das religiöse Fühlen, das in seinem Reich sich frei weiß
und diese Freiheit auf wissenschaftliche Beweise stützen kann, sich am
besten halten an eine besondere historische Gestaltung, an das Leben
eines großen Menschen, eines „religiösen Genies”, das einmal in seiner
Persönlichkeit eine vorbildliche Ausprägung gefunden hat für sein
konkretes Verhältnis zu Gott.
Geben
wir den Versuch auf, die Gottheit unter irgend einen wissenschaftlichen
oder religiösen Allgemeinbegriff zu bringen, so fassen wir um so
sicherer im Geschichtlichen, d. h. im Individuellen und Besonderen ihr
,,lebendiges Kleid” und haben an ihm die Realität, deren wir als
religiöse Menschen bedürfen. Auch Gedanken dieser Art liegen schließlich
Fichte nicht so absolut ferne, wie man nach dem etwas geringschätzigen
Tone, in dem er oft vom „Historischen” spricht, vielleicht glauben
sollte, und damit will ich nicht nur auf die Tatsache hinweisen, dass er
selbst sein Leben lang fest auf dem Boden des positiven historischen
Christentums gestanden hat, sondern ich meine damit gewisse nicht genug
beobachtete Elemente in seiner Philosophie.
Unter
diesen habe ich jedoch wiederum nicht so sehr die großartige
Ausgestaltung des Entwicklungsgedankens im Auge, die Fichte zu den
ersten Vertretern einer geschichtlichen Weltanschauung macht, als
vielmehr einige Ansätze zur Bestimmung des Historischen in seiner
allgemeinsten, einfachsten und oft übersehenen Bedeutung. Für das
Problem der Religionsphilosophie freilich hat er diese Ansätze nicht
ausgeführt. Da brachte sein Bedürfnis nach Verlebendigung seines
Gottesbegritfes ihn sogar dazu, die im Atheismusstreit so sorgfältig
gezogenen Grenzen zwischen Religion und Spekulation wieder zu
verwischen. Aber auf die Bedeutung, die das Bestimmte und Besondere, und
das ist das Historische in seiner umfassendsten Gestalt, für das
sittliche Leben besitzt, weist er auch im Atheismusstreite hin.
„Dem
Menschen im wirklichen Leben kann das Pflichtgebot nie überhaupt,
sondern immer nur in konkreter Willensbestimmung erscheinen”, heisst es
in den Rückerinnerungen, 24) und in der Schrift über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung
wird die Bedeutung der „Schranken”, d. h. der irrationalen
unmittelbaren Empfindungswelt oder der empirischen Wirklichkeit dahin
angegeben, dass sie die “bestimmte Stelle in der moralischen Ordnung der
Dinge” seien. Setzen wir das Historische im weitesten Sinne diesen
,,Schranken”, d. h. der irrationalen Welt des Bestimmten und Besonderen
gleich, so wird das Geschichtliche “die fortwährende Deutung des
Pflichtgebotes, der lebendige Ausdruck dessen, was du sollst, da du ja
sollst”.
Hier
scheint mir der entscheidende Punkt für die Würdigung des
Geschichtlichen getroffen, und von hier führt dann ein direkter Weg zu
jener Anerkennung des Historischen als des Einmaligen, Irrationalen in
seiner Bedeutung gegenüber dem Allgemeinen und Begrifflichen, die in
späteren Schriften Fichtes immer klarer hervortritt, besonders wenn er
in den „Reden an die deutsche Nation” ein Volk in seinen nationalen,
also historischen Eigentümlichkeiten begreift als stehend “unter einem
gewissen besonderen Gesetze der Entwicklung des Göttlichen”, wenn er an
der Nation das „Mehr der Bildlichkeit” zu schätzen weiss, „das mit dem
Mehr der unbildlichen Ursprünglichkeit in der Erscheinung unmittelbar
verschmilzt”, oder endlich erklärt: ,,die geistige Natur vermochte das
Wesen der Menschheit nur in höchst mannigfaltigen Abstufungen an
Einzelnen, und an der Einzelheit im Grofsen und Ganzen, an Völkern,
darzustellen.” 25)
Wir
können danach den bekannten Satz Fichtes auch so betonen: „Die Welt ist
das versinnlichte Material unserer Pflicht”, und jedenfalls sehen wir,
dass mit den Grundprinzipien der Fichteschen Philosophie auch der
Gedanke einer historischen Religion als der in ihrer Besonderheit
notwendigen Ausgestaltung des unfassbaren göttlichen Lebens durchaus
nicht unvereinbar ist. Dies möge genügen, um zu zeigen, inwiefern Fichte
gerade durch seine im Atheismusstreit entwickelten Gedanken für uns
heute noch mehr als ein bloss historisches Interesse hat. Vieles, was
die Wissenschaftslehre von 1794 ungeniessbar und vieldeutig macht, hat
er in diesen Zeiten überwunden. Das gewaltsame Konstruieren tritt in den
Hintergrund, zu keiner andern Zeit steht er dem von aller
„Verliebtheit” in die Metaphysik befreiten ,,Kriticismus” Kants so nahe.
Und
anderseits sind die Schriften aus diesen Jahren noch frei von den neuen
Elementen, die später hervortreten und zu einem restlosen Aufgehen in
den Kriticismus nicht gebracht worden sind. Die spätere Zeit ist reich
in der Anwendung seiner Ideen auf die Probleme der Geschichte, des
Staates, der Gesellschaft, der Nationalität; die erkenntnistheoretischen
und die damit unmittelbar zusammenhängenden religionsphilosophischen
Sätze, d. h. die tiefsten Grundlagen seines Denkens werden nirgends
klarer entwickelt. Wer Fichtes theoretische Philosophie auf ihrem
Höhepunkt kennen lernen will, wird sich daher vor allem an seine
Schriften aus den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts halten müssen,
und kennen sollte eine Zeit, die sich so viel mit Kant beschäftigt,
diesen grössten aller „Kantianer” doch jedenfalls.
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1) Forbergs Apologie, S. 95.
2) A. a. 0., S. 118.
3) Philos. Journal 1798, Bd. VIII, Heft 1, S. 26
4) A. a. 0., S. 27.
5) Vergl. Forbergs Apologie,
S. 176. „Es war die Tendenz der ganzen Abhandlung …. den Kantischen bei
weitem nicht immer gehörig gefassten Begriff in sein gehöriges Licht zu
stellen”.
6) Philos. Journal, a. a. 0., S. 38. In der Apologie
S. 176 f. beruft sich Forberg für diese Ansicht ausdrücklich auf einen
Satz von Kant, in dem auch von einem „uns so zu verhalten, als ob”
gesprochen wird.
7) Vergl. „Aus einemPrivatschreiben.” S.W., Bd. V., S. 392 f.
8) Über den Grund unseres Glaubens u. s. w. , S.W., Bd V., S. 185
9) S. W., Bd. IV, S. Iff.[?] In den Rückerinnerungen (S.W,. Bd V., S. 354.) verweist Fichte selbst auf diese Schrift.
10) Vergl. a. a. 0., S. 165—173.
11)
Für die Geschichte der Urteilslehre sind diese Stellen sehr
interessant. Eine Urteilstheorie, die im engsten Zusammenhang mit den
hier behandelten Problemen steht, habe ich in meiner Schrift über den Gegenstand der Erkenntnis (1892) zu geben versucht
12) Was Forberg später in seiner Apologie, S. 175 f. vorgebracht hat, um diese bedenkliche Wendung zu
rechtfertigen, ist mehr spitzfindig als überzeugend. Im übrigen erklärt er dort ausdrücklich, er habe sagen
wollen, „der Begriff eines praktischen Glaubens, nach der gewöhnlichen, noch immer viel zu theoretischen
Darstellung, sei ein höchst unphilosophischer Begriff und eine Hintertür, um jedenUnsinn, den die
theoretische Philosophie mit Mühe losgeworden, durch die praktische wieder hereinzu lassen." Und diese
Ansicht ist bei jeder Koordination von Willen und Verstand in der Tat die einzig mögliche.
13)
Es liegt nicht in meiner Absicht, auf diese Theorien näher einzuziehen
und sie in jeder Hinsicht zu würdigen. Als ihre Vertreter nenne ich
Paulsen in Deutschhind und James in Amerika. Paulsen erklärt
ausdrücklich, in dieser Frage mit Kant übereinzustimmen. James liegt
solche Beziehung wohl ferner, aber er wird von Paulsen in eine Reihe
nicht nur mit Kant, sondern auch mit Fichte (!) gestellt. Um meine
Auseinandersetzung an faktisch vorliegende Aussprüche anzuknüpfen, habe
ich mich im folgenden ausdrücklich
auf einige Sätze von Paulsen und James bezogen, und ich möchte nur noch
bemerken, dass ich lediglich deswegen so entschieden gegen Paulsen
Stellung nehme, weil ich die Bedeutung seiner Ansichten wegen des großen
pädagogischen Geschickes, mit denen er sie vertritt, und wegen des
erheblichen Einflusses, den sie ausüben, wohl zu schätzen weil’s.
14)
Seitdem man angefangen hat, als entscheidend für die Auffassung von
Kants Ansichten über einige der wichtigsten Fragen Notizen und
Kolleghefte anzusehen, die Kant nicht hat drucken lassen,und die seinen
gedruckten Werken gradezu widersprechen, wird man wohl überhaupt darauf
verzichten müssen, in diesen Fragen einen Satz mit Sicherheit als den
Ausdruck von Kants Meinung zu bezeichnen.
15) In der Logik stehen unter den Lebenden Sigwart und Windelband dieser Lehre vom Primat des Willens vor der theoretischen Vernunft am nächsten.
16)
Diese Bezeichnung für den Gott Fichtes findet sich zuerst in der Anfang
1799 erschienenen, sehr verständigen Schrift des Theologieprofessors J. E. Chr. Schmidt:
„Nachricht an das ununterrichtete Publikum den Fichteschen Atheismus
betreffend”. Es heisst dort, Fichte würde die moralische Weltordnung
,,in der Sprache unserer Vorfahren . . . wohl ordo ordinans (wenn ich nach der Analogie von natura naturans ein
Wort bilden darf genannt haben”. Fichte selbst gebraucht das Wort erst
später. Zuerst in dem „Hamburg 1799” datierten, aber erst 1835
veröffentlichten Aufsatz: Zu „Jacobi an Fichte” (Nachgelassene Werke, Bd. III, S. 390). Gedruckt findet sich der Ausdruck zum ersten Mal in dem ,Privatschreiben aus dem Januar 1800, und zwar nicht wie bei Schmidt als Analogon zu natura naturans, sondern als Gegensatz zu ordo ordinatus (S. W., Bd. V, S. 3b2) – Auf den Begriff des „Tuns ohne Täter”, der mit dem des ordo ordinans
zusammenhängt, gehe ich im Folgenden absichtlich nicht ein, ebenso wie
ich auch den Begriff des „reinen Ich”‘ unberücksichtigt gelassen habe.
Beide Begriffe spielen im Atheismusstreit keine erhebliche Rolle mehr,
und es kam mir gerade darauf an, zu zeigen, dass auch ohne diese viel
umstrittenen und missverstandenen Elemente des Fichteschen Denkens seine
erkenntnistheoretischen Grundlagen, wie sie sich seit 1797 immer klarer
entwickeln, darzustellen sind.
17) Also: die unmittelbare Welt der Empfindungen, die früher Erscheinung hieß.
18) Rückerinnerungen u. s. w. ... im Anfang des Jahres 1799. S. W., Bd. V., S. 340. [redigierte Fassung von Immanuel Herrmann]
19)
A. a. 0., S. 34. – Wer Fichtes Philosophie nur aus den üblichen kurzen
Darstellungen kennt, wird diese Gedanken mit seiner Vorstellung von ihr
nicht vereinbar finden. Fichte selbst behauptet, immer so gedacht zu
haben. Doch darauf kommt es hier nicht an. Jedenfalls denkt er in den
Zeiten des Atheismusstreites so, und wenn in der Wissenschaftslehre
von 1794 sich andere Meinungen finden, so stellen sie nur eine
vorübergehende Phase dar, die er bald überwunden hat, und die daher hier
nicht mehr von Bedeutung ist.
20) Vergl. S. W., Bd. V., S. 385—387.
21) Vergl. oben 8).
22)
Dass alles Hypothetische auch nicht „die Spur einer Ähnlichkeit mit
dem, was der religiöse Mensch Glauben heisst”, besitzt, hat Theobald Ziegler in seiner Rektoratsrede über Glauben und Wissen vortrefflich dargelegt.
23) Das Wichtige in diesen Gedanken ist übrigens der Antieudämonismus, auf den ich hier nicht eingehen kann.
24) S. W., Bd. V., S. 362.
25) S. W., Bd. VII, S. 381, 382 u. 467.