Sonntag, 27. Juli 2014

Ein Zirkel.


Chardin, Kreisel

Wir setzen noch einige Worte hinzu, um, wo möglich allen verständlich zu werden. Wir sagten: das Bewusstseyn endlicher Naturen lässt sich nicht erklären, wenn man nicht eine unabhängig von denselben vorhandene Kraft annimmt. – Für Wen lässt es sich nicht erklären? und für Wen soll es erklärbar werden? Wer überhaupt ist es denn, der es erklärt? Die endlichen Naturen selbst. So wie wir sagen »erklären,« sind wir schon auf dem Felde der Endlichkeit; denn alles Erklären, d. i. kein Umfassen auf einmal, sondern ein Fortsteigen von einem zum anderen, ist etwas endliches, und das Begrenzen oder Bestimmen ist eben die Brücke, auf welcher übergegangen wird, und die das Ich in sich selbst hat. – 

Die entgegengesetzte Kraft ist unabhängig vom Ich ihrem Seyn und ihrer Bestimmung nach, welche doch das praktische Vermögen des Ich oder seinen Trieb nach Realität zu modificiren strebt; aber sie ist abhängig von seiner idealen Thätigkeit, von dem theoretischen Vermögen desselben; sie ist für das Ich nur, inwiefern sie durch dasselbe gesetzt wird, und / ausserdem ist sie nicht für das Ich. Nur inwiefern etwas bezogen wird auf das praktische Vermögen des Ich, hat es unabhängige Realität; inwiefern es auf das theoretische bezogen wird, ist es aufgefasst in das Ich, enthalten in seiner Sphäre, unterworfen seinen Vorstellungsgesetzen.

Aber ferner: wie kann es doch bezogen werden auf das praktische Vermögen, ausser durch das theoretische, und wie kann es doch ein Gegenstand des theoretischen Vermögens werden, ausser vermittelst des praktischen? Also hier bestätigt sich wieder, oder vielmehr hier zeigt sich in seiner vollen Klarheit der Satz: keine Idealität, keine Realität, und umgekehrt. Man kann demnach auch sagen: der letzte Grund alles Bewusstseyns ist eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst vermittelst eines von verschiedenen Seiten zu betrachtenden Nicht-Ich. Dies ist der Cirkel, aus dem der endliche Geist nicht herausgehen kann, noch, ohne die Vernunft zu verläugnen, und seine Vernichtung zu verlangen, es wollen kann.

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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre,
SW Bd. I,
S. 281f.




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