Samstag, 31. Oktober 2015

Logisch und genetisch, zum x-ten.



Die begriffs-logische Auffassung ist: Omnis determinatio est negatio.

Die vorstellungs-genetische Auffassung sagt, ein Unbestimmtes entsteht überhaupt erst durch Bestimmung – als das übrigbleibende Bestimmbare.








Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Freitag, 30. Oktober 2015

Der Gegenstand des Gefühls.



Das Gefühl ist Affektion unserer selbst, es wird im Gefühle uns etwas angetan, es muss also etwas in uns sein, dem es angetan wird, und dies ist unser Handeln, aber es ist für uns nichts ohne Beschränktheit und Be-schränktheit nicht ohne Handeln, daraus besteht nun das Fühlbare. Durch das Handeln ist es für uns; dadurch, dass es beschränkt ist, ist es Gegenstand des Gefühls. Alles unser Bewusstsein geht aus von einer Wechselwir-kung des Handelns und der Beschränktheit, beides ist beisammen, und dies ist das Objekt des Gefühls.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 155  


Nota. – Die Wissenschaftslehre ist keine empirische Psychologie, sondern ein transzendentales Schema, das die Entstehung des Bewusstseins verständlich macht. Darum ist vom Gefühl in ihr stets nur die Rede, soweit es für die Entstehung des Bewusstseins eine Rolle spielt . – Das Tier handelt nicht im hier gemeinten Sinn. Fühlt es nicht? Soweit es für das Entstehen des Bewusstseins von Belang ist: nein, nämlich nicht als Beschränktheit. (Be-griffe sind nicht dazu da, etwas nicht Vorhandenes neu zu konstruieren, sondern etwas in der Wirklichkeit Ge-schehendes – die Entstehung des Bewusstseins – zu beschreiben; also sind sie tautologisch.)
JE



Donnerstag, 29. Oktober 2015

Von der Anschauung zum Begriff.


peoplecheck

Confer den § 1 der gedruckten Wissenschaftslehre,* wo dasselbe auf eine andere Weise gesagt ist, es wird nämlich dort vom Begriffe zur Anschauung übergegangen, hier ists aber umgekehrt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 33 

*) Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Hamburg 1979, S. 11-21





Mittwoch, 28. Oktober 2015

Kommt das Theoretische vor dem Praktischen oder umgekehrt?


roland9000

Der theoretische Teil der Grundlage der WL ist äußerst dunkel, ich weiß es sehrwohl, die WL hat überhaupt einen innern Kern der Dunkelheit und sogar der Unverständlichkeit für manche Köpfe [...] in sich selbst. Aber ich hoffe, dass durch den praktischen Teil der Grundlage [der bekanntlich erst im Herbst 1795 erschien] die Sache klärer werden soll.

Fichte an K. L. Reinhold im April 1795 in:
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. XXI


[In der neuen Wissenschaftslehre Fichtes] findet aber die bisher gewöhnliche Abteilung der Philosophie in the-oretische und praktische nicht statt. Sondern er trägt Philosophie überhaupt vor - theoretische und praktische vereinigt, fängt nach einem weit natürlicheren Gang vom Praktischen an, oder zieht da, wo es zur Deutlichkeit etwas beiträgt, das Praktische ins Theoretische herüber, um aus jenem dieses zu erklären. – Eine Freiheit, die der Verfasser sich damals, als er die Wissenschaftslehre in den Druck gab, noch nicht herauszunehmen traute.

[aus der Hallenser Nachschrift in:]
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1994, S. XXVII








Dienstag, 27. Oktober 2015

Erst durch Tätigkeit entsteht mir mit dem Bestimmten ein Unbestimmtes - als das Bestimmbare.


librileo

So lässt sich alles Handeln denken als ein Einschränken in eine gewisse Sphäre. Alles Bewusstsein der Selbst-tätigkeit ist ein Bewusstsein unseres Einschränkens unserer Tätigkeit. Nun kann ich mich nicht anschauen als beschränkend, ohne ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit mit zu setzen und dem Be-stimmten entgegenzusetzen. Auf diesen Punkt kommt Vieles an.

Das Bestimmte, auf das Denken des Ich Beschränkte wird als Tätigkeit gesetzt und kommt als solches zum Bewusstsein, mithin kommt auch das Unbestimmte nur durch Tätigkeit zum Bewusstsein, welches wir, weil es in Beziehung auf das Bestimmtsein und mit ihm zugleich gesetzt wird, das Bestimm-/bare nennen wollen. Nach dem Obigen ist Tätigkeit nicht ohne Ruhe anschaubar, aber Tätigkeit ist nicht anschaubar, außer als be-stimmte, aber der Begriff einer bestimmten Tätigkeit ist nicht möglich ohne das Anschauen eines Bestimm-baren.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 35f. 




Montag, 26. Oktober 2015

Das Wesen der Vernunft besteht in einem Akt; die Wissenschaftslehre zergliedert ihn.



E. Muybridge
Die Wissenschaftslehre sucht sonach den Grund von allem Denken, das für uns da ist, in dem innern Verfahren des endlichen Vernunftwesens überhaupt. Sie wird sich kurz so ausdrücken: Das Wesen der Vernunft besteht darin, dass ich mich selbst setze, aber das kann ich nicht, ohne mir eine / Welt, und zwar eine bestimmte Welt entgegenzusetzen, die im Raume ist und deren Erscheinungen in der Zeit aufeinanderfolgen; dies alles geschieht in einem ungeteilten Moment; da Eins geschieht, geschieht zugleich alles Übrige.

Aber die Philosophie und besonders die Wissenschaftslehre will diesen einen Akt genau kennen lernen, nun aber lernt man nichts genau kennen, wenn man es nicht zerlegt und zergliedert. So macht es also auch die Wissenschaftslehre mit dieser einen Handlung des Ich, und wir bekommen eine Reihe miteinander verbundener Handlungen des Ich – darum, weil wir die eine Handlung nicht auf einmal fassen können, weil der Philosoph ein Wesen ist, das in der Zeit denken muss. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 8f.


Nota. – Hier steht es unmissverständlich: Das Wesen der Vernunft besteht in einem Akt. Vorher war nichts, es kommt hernach nichts hinzu; keine Bedingung, keine Einschränkung, keine Erweiterung. Sollte er wirklich von allem Anfang an der Vernunft ein – immanentes oder ihr vorausgesetztes – Programm zu-gedacht haben, so müsste er es heimlich getan haben; gesagt hat er jedenfalls ausdrücklich das Gegenteil..
JE


Sonntag, 25. Oktober 2015

Die Zeit entsteht durch das Unterscheiden von Ursache und Wirkung.




Zum Beispiel die Begebenheiten in der Welt hängen zusammen wie Ursache und Wirkung, zugegeben! In dem Begriffe der Kausalität liegt schlechthin keine Zeit, denn das Bewirkte ist absolut mit der Ursache zugleich; auch mechanisch gedacht. 

Denn entsteht denn eine Verknüpfung erst hinterher nach der Ursache? Nein, wenn der Finger eindrückt, entsteht die Grube. Alles, was ist, ist Bewirktes der Ursache und gleichzeitig mit ihr. Was ist diese Ursache? wieder Bewirktes, und so fort in Ewigkeit. So entsteht keine Zeit, alles ist ein Schlag. 

Woher kommt denn also die Zeit, die wir denn doch wohl haben? Daher, wir können das Bewirkte und Bewirkende nicht auf einmal denken, man geht von einem zum andern fort, hier gibt das Denken die Zeit. Auch dies nicht einmal, sondern das ursprüngliche Anschauen des Denkens, eine Analyse der gemachten Begriffe liefert die Zeitverhältnisse.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 186











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Samstag, 24. Oktober 2015

Das Mögliche.


Canciani, Lanciasassi

Was in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, ist das Handeln. Jedes Mögliche muss etwas dem Ich Angehöriges (Tätigkeit) und etwas ihm Widerstrebendes sein. Dieses  Etwas ist als ein wirkliches Handeln nicht gesetzt; was also davon dem Ich angehört, ist nicht zu erklären aus einer wirklichen Selbstaffektion. Das Ich wird hier nur gesetzt als das Vermögen des Handelns in diesem Mannigfaltigen. Nun kommt aber dieses Vermögen hier nicht vor als ein bloßes Vermögen, als ein Mögliches im Denken, sondern als ein Anschaubares, welchem in sofern der Charakter des Seins zukommt. 

Der Charakter des Seins ist Bestimmtheit, folglich müsste hier liegen ursprüngliche Bestimmtheit zum Handeln überhaupt. – Das Ich, sobald es gesetzt ist, ist nicht frei zu handeln überhaupt, sondern nur, ob es dieses oder jenes handeln will. Wir bekommen hier ein notwendiges Handeln. Das Wesen des Ich ist Tätigkeit, folglich wäre hier ein Sein der Tätigkeit. Das den Begriff von seinem Willen entwerfende Ich ist gebunden, aber die Gebundenheit deutet auf ein Sein, und zwar auf ein eigentliches Sein. Das Bindende und insofern Setzende ist dem Ich angehörig, aber das Ich ist hier praktisch (Tätigkeit), sonach ist hier ein Sein der Tätigkeit. 

Beide sich widersprechende Begriffe sind hier vereinigt (nämlich Sein und Tätigkeit), und diese Vereinigung wird hier betrachtet als ein Gefundenes. Ich finde etwas, aus welchem ich mein Handeln zusammensetze; in diesem liege ich selbst, also hier wird Tätigkeit gefunden. Diese Tätigkeit ist eine zurückgehaltene Tätigkeit, und davon bekommt sie den Charakter des Seins. So etwas ist aber ein Trieb, ein sich selbst produzierendes Streben, das im Innern dessen, dem es zugehört,  gegründet ist [...], es ist Tätigkeit, die kein Handeln ist, etwas Anhal- tendes, die ideale Tätigkeit Bestimmendes, eine innere, fortdauernde Tendenz, den Widerstand zu entfernen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 66


Nota. - Möglichkeit ist keine logische, sondern ein praktische Kategorie. Sie gehört nicht zum Gegenstand, sondern zum Subjekt: als ein wählbarer Zweckbegriff. Wo eine Möglichkeit auftritt, ist ein Ich noch im Deli- berieren befangen. Sie ist Handlung in der Schwebe.
JE


 

Freitag, 23. Oktober 2015

Das Objekt des reinen Wollens.




Aus dem reinen Wollen wird das empirische, und aus dem Objekte des reinen Wollens* werden alle anderen Objekte abgeleitet.

Allenthalben mussten wir, um das Bewusstsein zu erklären, etwas Erstes, Ursprüngliches annehmen, oben beim Gefühl, hier beim Wollen. Alles Denken, alles Vorstellen liegt zwischen dem ursprünglichen Wollen und der Beschränktheit durchs Gefühl in der Mitte. Der idealen Tätigkeit können wir zusehen, weil wir nur ideale Tätigkeit anschauen und auffassen können.

Es ist hier  nicht darum zu tun, eine Moral aufzustellen, sondern das Bewusstsein überhaupt soll erklärt werden; und dies ist nur möglich unter Voraussetzung des oben geschilder-/ten reinen Willens. Es soll gezeigt werden, wie sich hieraus das Bewusstsein der Objekte erklären werde.

Dies reine Wollen soll hier noch nichts anderes bedeuten, als einen Erklärungsgrund des Bewusstseins, als eine Hypothese, noch nicht als ein Objekt des Bewusstseins. Tiefer unten wird gezeigt werden, wie es in das Bewusstsein hineinkomme; es ist hier um die Folgen zu tun, die es haben wird, wenn es als Erklärungsgrund des Bewusstseins vorausgesetzt wird.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 143f.


Nota. - Das reine Wollen ist, weil es rein ist, nicht bestimmt, und ebensowenig bestimmt ist sein Objekt. Aus dem Objekt des reinen Wollens folgen alle möglichen Objekte; aber nicht dieses oder jenes.
JE





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Donnerstag, 22. Oktober 2015

Der Gegenstand des Gefühls ist quantifizierbare Materie im Raum.



Die Intensität kommt dem Gefühle zu, Extensität dem Raume. Durch jedes Gefühl werde ich geführt auf Mate-rie, die ein Quantum ist und einen Raum erfüllt. (Gefühl drückt eine Beziehung auf uns aus, Beziehung auf unsere Begriffe: denn nur in wiefern Gefühl gesetzt ist, ist ein Anschauen möglich.) 

Nur inwiefern Materie ein Quantum ist, ist sie anschaubar; sie ist nicht mathematischer Punkt, denn sie kann geteilt werden: die Kontinuität des Raumes und die unendliche Teilbarkeit der Materie müssen darum ange-nommen werden,weil sie Bedingungen der Freiheit sind.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 116

Nota. - Wann und wo immer F. von Gefühl spricht, ist  nichts Poetisches gemeint, sondern ganz prosaisch das, was der Neurophysiologe einen Sinnesreiz nennt.
JE






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Mittwoch, 21. Oktober 2015

Das Denken selbst ist Bestimmbarkeit des Wollens.



Ein Bestimmbares durch meinen Willen gibts nur, in so fern wirklich im Bewusstsein ein bestimmter Wille da ist, denn das Bestimmbare ist nur durch das Bestimmte möglich, und letzteres ist bloß Resultat eines Überge-hens aus der bloßen Bestimmbarkeit, und Bestimmbares ist eben das, wodurch übergegangen wird. Diese beiden müssen schlechthin beisammen sein; hier ist leicht Irrtum möglich, nämlich im Fortgange eines schon angeknüpften Bewusstseins lässt sich ein Bestimmbares denken, ohne daraus zu wählen, aber beim Anfange des Bewusstseins ist eine solche Abstraktion nicht möglich. –

Bestimmbares und Bestimmtes müssen also notwendig eins sein. Folglich müsste von jeder Erkenntnis vom Objekte (dem Bestimmbaren für ein mögliches Wollen) ein empirisches Wollen in demselben Momente vereinigt sein. Uns im wirklichen Bewusstsein scheint Wahl und Dekret des Willens so, dass die Wahl dem Wollen vorhergeht. – Hier geht das Bestimmbare dem Bestimmten voraus, aber indem ich wähle, weiß ich doch, dass ich wähle; dies heißt nichts anderes, als dass ich meine Deliberation auf ein Wollen beziehe. Aber woher weiß ich denn, was Wollen heißt? Nur, in wiefern ich schon gewollt habe. Diese Form des Wollens beziehe ich demnach auf die Wahl. Das mögliche Wollen kann ich nur durch das wirkliche Wollen kennen. Hier stehen wir aber am Anfange des Bewusstseins, wo die Form des Wollens nicht übertragen werden kann. Hier müsste also Wollen und Deliberieren zusammenfallen.

Ein empirisches Wollen erscheint als Übergehen von der Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit, charakterisiert wird es durch die völlige Kontraktion meines ganzen Wesens auf einen einzigen Punkt, [während] dies beim Denken nicht ist, [wo] man zwischen Entgegengesetzten schwebt. (Alles empirisches Bewusstsein ist etwas bestimmtes, aber es gibt zweierlei Bestimmtheit, unvollendete und vollendete, erstere erscheint dem Denken, letztere dem Wollen; in dem Denken ist noch ein Blick aufs / Entgegengesetzte, aber wenn ich will, will ich dies und nichts anderes, das andere durchs Denken Angeschaute liegt nicht im Wollen.)

Nun erscheint alle Bestimmtheit als Übergehen pp - es gibt also auch zweierlei Bestimmbarkeit: eine fürs Denken und eine fürs Wollen, das Denken selbst ist Bestimmbarkeit des Wollens. Wollen ist quasi die zweite Potenz unseres empirischen Vermögens, Denken ist die erste. Uns ist insbesondere um die Unterscheidung des empirischen Wollens vom reinen zu tun. Alles, worauf die Tätigkeit je reflektieren kann, das höchste Bestimm-bare, ist das reine Wollen. Dieses Ganze wird vor allem bestimmt durch das Denken eines mich beschränken-den Begriffs (Individualität). Es sind drei Grade: 1) reiner Wille, Absolutheit der gesamten Vernunft, des Ver-nunftreichs, dies ist dass höchste Bestimmbare, wird weiter bestimmt dadurch, dass es aufgefasst  wird durch 
2) Individualität. Dies ist Bestimmbares 3) für ein einzelnes Moment des Bewusstseins, für eine bestimmten Willen. Das empirische Wollen ist blox Reflexion auf das reine Wollen überhaupt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 175f.


Nota. – Er sagt es mehrfach: Hier ist noch die Rede vom Anheben des Bewusstseins; nicht schon vom täglichen Geschäft des diskursiven Denkens: eines "schon angeknüpften Bewusstseins".


(Übrigens: Während man anderorten den Eindruck hat, Vernunft sei eine übersinnliche, überindividuelle Kraft hinter dem Wollen, klingt es hier so, als sei (das reine) Wollen der Urquell der Vernunft. Solange beide als Nou-mena, bloße Gedankendinge zu Erklärungszwecken, gefasst bleiben, ist das ja in Ordnung. Wie aber, wenn Das Reine Wollen als ein überpersönliches Seiendes=Wirkendes gefasst würde? – Schopenhauer hat sein Philoso-phiestudium bei Fichte begonnen.
JE







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Dienstag, 20. Oktober 2015

"Der große Zweck der Vernunft".


Tinguely

Der gestrige Eintrag bezog sich offenbar auf Fichtes häufige Rede vom "Vernunftzweck", dem "großen Zweck der Vernunft" usw. – dieser sei nämlich "Übereinstimmung", oder, wie es in späteren Fassungen der Wissen-schaftslehre heißt, gar "Einheit". Das ist aber eine rein dogmatische Behauptung, sie kann durch nichts von nichts 'hergeleitet' werden. 

Das war F. klar, und so hat er sie zum mindesten plausibel zu machen versucht; zuerst im Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung. Und das geht so: Kern der Vernunft ist das Sittengesetz: pflichtgemäßes Handeln. Ich kann aber nicht handeln, ohne den Zweck meines Handelns für ausführbar, und folglich für zu einem spä-teren Zeitpunkt ausgeführt zu halten; das gebiete die Logik. Man könne daher – 'durch Abstraktion' – einen Zustand denken, in dem alle möglichen pflichtgemäßen Handlungen getan sind. Dieser Zustand sei der Ver-nunftzweck und sei nichts anderes als unsere Vorstellung von einer göttlichen Weltregierung.

Das ist eine akrobatische Leistung. Werden die pflichtmäßigen Zwecke als ausgeführt gedacht, dann werden sie als bestimmt gedacht. Werden sie jetzt als  irgendwann  ausgeführt gedacht, dann werden sie jetzt als bestimmt gedacht; dann wird "der große Vernunftzweck" als vor bestimmt gedacht. Ein Philosoph, der sich rühmt, dass das erste und letzte Wort seines Systems Freiheit sei, lehrt einen Determinismus à la Spinoza. Von der Freiheit bliebe nur die Einsicht in das Unumgängliche zurück. Zwar  wie der Christ soll er das Rechte selber wählen; aber da er, anders als der Christ, vernünftig wählen soll, kann er nur so und nicht anders wählen.

Aus der Logik folgt, dass sich aus zwei Prämissen nur ein Schluss ergibt. Nicht aus der Logik folgt, dass ich nur das tun kann, was ich für ausführbar halte, noch dass ich es dann für eines fernen Tage ausgeführt halten muss. Handeln aus Freiheit hat mit Logik gar nichts zu tun, und es überrascht, dass man F. daran erinnern muss. Ich kann's nämlich auch drauf ankommen lassen. Mehr noch. Ich kann auch etwas tun, von dessen Vergeblichkeit ich positiv überzeugt bin – weil ich nämlich, wenn ich schon den Gang der Welt nicht ändern kann, doch wenigstens selbst nichts unterlassen haben will, was richtig ist. Und zwar warum? Weil es, wie Kant sagen würde, ohne Interesse gefällt.


aus Ästhetische Philosophie:

...Wenige Tage nach Abschluss der Vorlesung [nova methodo] reichten Fichte und Niethammer ihre jeweiligen "Verantwortungsschriften" gegen den Atheismus-Vorwurf beim weimarischen Ministerium ein. Dass die Angelegenheit bis zur Entfernung Fichtes von seinem Lehrstuhl führen würde, war noch nicht abzusehen. Die aber hat dann alle andern Pläne umgestoßen.

Ob Fichte bei der Ausarbeitung seiner Ästhetik zu dem Schluss gelangt wäre, die Ethik der Ästhetik als einen Spezialfall unterzuordnen, wie Herbart es später tat, steht in den Sternen. Es hätte seine Logik, und Herbart dürfte seine eigenen Ergebnisse aus der Auseinandersetzung mit Fichtes Sittenlehre gewonnen haben.

Der entscheidende Punkt ist: Auch die Ethik gebietet, wie die Ästhetik, immer "einzeln und unmittelbar", und diesen Punkt hat nicht nur Herbart, sondern vor ihm schon Novalis aus Fichtes Vortrag herausgehört. Allge-meine Gesetze sind der Moralität sowohl für Herbart als für Novalis direkt entgegengesetzt. Was anders als diese kann Fichte aber gemeint haben, wenn er oben sagt: "unserer Pflichten sollen wir uns bewusst werden"? Denn dass ich mir im gegebenen Moment dessen, was ich unmittelbar soll, 'bewusst' werde und mir 'einen Be-griff davon' mache, liegt ja auf der Hand, aber das ist beim Ästhetischen auch nicht anders.

Und ob sich Fichte zu dem Entschluss hätte durchringen mögen, das Wahre-Absolute-Unbedingte als eine ästhetische Idee aufzufassen, ist noch weniger gewiss. Logisch gibt es eigentlich keinen andern Weg, aber das Herz kennt manchmal Gründe, von denen der Verstand nichts ahnt.

*) Giorgia Cecchinato, Fichte und das Problem einer Ästhetik, Würzburg 2009








Montag, 19. Oktober 2015

Zweck-überhaupt.


Wollen-überhaupt ist das Noumenon, das nötig wurde, um das Tätigwerden des Ich zu verstehen (=einen Sinn dar-in 'wahr'-zu-nehmen). Wollen in specie bedarf indessen eines – je besonderen – Zweckbegriffs. Ausgangspunkt ist immer: dass die Menschen tatsächlich tätig werden, nämlich hier, wo von ihren Vorstellungen die Rede ist, im Denken. Begriffe von den Dingen werden möglich durch Absichten mit den Dingen.

Dem steht gegenüber der Begriff des Zwecks-überhaupt. Zunächst eine summative Abstraktion: der Inbegriff aller möglichen Zwecke. Als solcher ist auch er: Noumenon. Real kann ich mir darunter nichts vorstellen. Er ist rein ideal. Brauche ich ihn, um mir unter den je konkreten Zwecken etwas vorzustellen? Nein. Sie sind real, er nicht.

Wollen-überhaupt gibt dem tatsächlichen Wollen der historischen Individuen einen Sinn: 'Ich' bin a priori um-zu. (Menschsein ist schlechthin intentional, würde der Adept einer andern Schule sagen.) Um das wirkliche Wollen historischer Individuen zu verstehen, ist das jedoch nicht nötig: Dass und was sie wollen, ist zu allererst bedingt und bestimmt durch ihre – durch das Gefühl vermittelte – physische Organisation; "Naturbedürfnis", essen, trin-ken und dies und das. Das bedarf keiner Erklärung und keines Verständnisses.

Einer Erklärung und eines Verständnisses bedürfte das historische Faktum, dass sich die Menschen, wohin man in ihrer Geschichte auch blickt, damit nie beschieden haben; bedürfte einer realwissenschaftlichen Erklä-rung. Transzendentalphilosophisch ist es durch den Begriff des Reinen Wollens mit-gesetzt. Es begründet ein unendliches Streben, das Fichte an anderer Stelle Trieb nennt. Bedingt ist es rückwärts: durch die Tatsache der Tätigkeit, sie soll es erklären; es ist Noumen, es kann und muss seinerseits nicht gerechtfertigt werden. 

Namentlich nicht durch einen Zweck-überhaupt. Der ist, anders als das Reine Wollen, kein Begriff, sondern eine bloße Idee, und als solche kann sie nichts begründen, sondern allenfalls praktisch rechtfertigen. Das liegt dann aber schon jenseits der Transzendentalphilosophie.





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Samstag, 17. Oktober 2015

Der Begriff einer Vernunft außer uns...




Das Intelligible ist das einzige Ursprüngliche, die Sinnenwelt ist eine gewisse Ansicht des erstern, mit letzterer haben wir es hier nicht zu tun, wie sich ersteres in letzteres verwandelt vide infra. Aber in wieweit ist das Intelli- gible bestimmt? –

Es soll ein reiner Wille zu Grunde liegen, nicht ein empirisches Wollen, oder Vernunft überhaupt, oder Abso- lutheit des Vernunftreichs, welches bis jetzt noch unverständlich ist; diese / ist Das Bestimmbare zu einem Bestimmten, letzteres bin ich als Individuum, diese Erkenntnis ist oben [sic] ein Fortgehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten, ich bin  ein durch sich selbst herausgegriffener Teil aus dem Vernunftwesen; jetzt wird stille gestanden bei dem Hervorgehen der Individualität aus der Vernunft, welche so hervorgeht, dass ich mich finde als etwas nicht könnend oder dürfend, was doch eigentlich ursprünglich für mich sein muss. Der bestimmte Akt hierbei ist Aufforderung zur freien Tätigkeit, diese kommt her und wird so beurteilt von einem andern vernünftigen Wesen meinesgleichen. Das Selbstbewusstsein hebt also an vom meinem Herausgreifen aus der Masse vernünftiger Wesen überhaupt. –

Dieser Begriff der Selbstheit als Person ist nicht möglich ohne den Begriff einer Vernunft außer uns; dieser Begriff wird also auch konstruiert durch Herausgreifen aus einer höheren weiteren Sphäre. Die erste Vorstellung, die ich haben kann, ist die Aufforderung meiner als Individuum zu einem freien Wollen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 175f.


Nota. – Das hatte ich also bei meinem gestrigen Eintrag übersehen. Er hat den 'Begriff einer Vernunft außer uns' nicht abgeleitet und auch nicht problematisch reklamiert; er hat ihn "konstruiert", aber nicht aus demon- strierten Prämissen, auch nicht aus – anderweitig begründeten – Konsequenzen de- oder reduziert; sondern durch den Begriff eines kollektiven Vernunftwesens unterschoben. Hat er die semantischen Ebenen durchein- andergebracht?

Das Intelligible, nämlich das reine Wollen, war das letzte Ergebnis des analytischen Ersten Gangs der Wissen- schaftslehre gewesen. Ein reines Denkgebilde, das angenommen werden muss, wenn man die Realität der wirk- lich handelnden Menschen verstehen will. Es ist ein Noumenon. Dass ich es jedem Einzelnen zurechnen muss, wenn ich ihn als Vernunftwesen erkennen soll, bedeutet zwar faktisch, dass ich es Allen zurechnen muss; aber dadurch synthetisiert es sich nicht selber zu einem kollektiven Subjekt, das ich im weiteren als real tätig anneh- men darf; es tut 'selber' gar nichts, denn es war Noumenon und bleibt Noumenon.

– Je weiter sich sein Vortrag nova methodo in den Atheismusstreit hineinschiebt, umso mehr neigt sich die Waag- schale seiner ursprünglich schwankenden Vernunft der dogmatischen der beiden möglichen Varianten zu.
JE






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Freitag, 16. Oktober 2015

Ist Vernunft die prästabilierte Harmonie der Vernunftwesen?


Botticelli, aus Maria mit den Engeln

Das Handeln des freien Wesens außer mir, auf welches so geschlossen ist, verhält sich zu dem mir angemuteten Handeln, wie der angefangene Weg zu der Fortsetzung desselben. Es ist mit gegeben eine Reihe der Glieder, durch welche der Zweck bedingt ist; eine Reihe, die ich vollenden soll. Zuförderst ist sonach alles Handeln freier Wesen ein Hindurchgehen durch unendlich viele Mittelglieder, die bloß durch die Einbildungskraft ge-fasst werden, wie bei der Bewegung durch unendlich viele Punkte. Es fordert mich jemand auf heißt: Ich soll an die gegebene Reihe des Handelns etwas anschließen; er fängt an und geht bis auf einen gewissen Punkt, von da soll ich anfangen. 

Nun liegt hier ein unendliches Mannigfaltiges der Handlungsmöglichkeiten, welche bloß durch Einbildungs-kraft zusammengefasst werden. Denn das Handeln mehrerer Vernunftwesen ist eine einzige durch Freiheit bedingte Kette. Die ganze Vernunft hat nur ein einziges Handeln. Ein Individuum fängt an, ein anderes greift ein und so fort, und so wird der ganze Vernunftzweck durch unendlich Viele bearbeitet und ist das Resultat von der Einwirkung Aller. Es ist dies keine Kette physischer Notwendigkeit, weil von Vernunftwesen die Rede ist. Die Kette geht immer in Sprüngen, das Folgende ist immer durchs Vorher-/gehende bedingt, aber nicht bestimmt und wirklich gemacht. (vid. Sittenlehre) Die Freiheit besteht darin, dass aus allen möglichen nur ein Teil an die Kette angeschlossen werde.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 232f.


Nota.  "Die ganze Vernunft hat nur ein einziges Handeln." Ist das eine Vorhersage ex ante? Oder ist es eine Interpretation ex post? Wo befinden wir uns: Ganz am Anfang der "Kette", und er verspricht uns erst: So wird es sein? Oder schon mittendrin in der Kette: Wir haben schon ein ganzes Stück Weges geschafft und können schon annehmen: Hier geht es weiter zum Vernunftzweck...? – Das eine ist die dogmatische Verkündigung einer (schon jetzt) prästabilierten Harmonie, für die er eine Berechtigung nicht nur nicht nachgewiesen, son-dern nicht einmal problematisch reklamiert hat. Das andre ist eine Art Pascal'sches pari: Ich will so handeln, als ob es Vernunft wäre, dann werde ich wenigstens vernunftmäßig gehandelt haben.


Oder mit den Worten des Manns ohne Eigenschaften: "Ich schwöre Ihnen", erwiderte Ulrich ernst, "dass weder ich noch irgendjemand weiß, was der, die, das Wahre ist; aber ich kann Ihnen versichern, dass es im Begriff steht, verwirklicht zu werden!" "Sie sind ein Zyniker!" erklärte Direktor Fischl und eilte davon.
JE