R. Magritte, La Reproduction interdite
Es ist euch eine bestimmte Zahl gegeben. Ihr vermuthet, dass sie das
Product aus gewissen Factoren sey. So habt ihr nur, nach der euch
wohlbekannten Regel, das Product dieser Factoren zu suchen. Ob es mit
der gegebenen Zahl übereinstimme, wird sich hinterher, wenn ihr das
Product erst habt, schon finden. Die gegebene Zahl ist die gesammte
Erfahrung; die Factoren sind, – jenes im Bewusstseyn Nachgewiesene und
die Gesetze des Denkens; das Multipliciren ist das Philosophiren. ...
Das a priori und das a posteriori ist für einen
vollständigen Idealismus gar nicht zweierlei, sondern ganz einerlei; es
wird nur von zwei Seiten betrachtet, und ist lediglich durch die Art
unterschieden, wie man dazu kommt. Die Philosophie anticipirt die
gesammte Erfahrung, denkt sie sich nur als nothwendig, und insofern ist sie, in Vergleich mit der wirklichen Erfahrung, a priori. A posteriori ist die Zahl, inwiefern sie als gegebene betrachtet wird; a priori
dieselbe Zahl, inwiefern sie als Product aus den Factoren gezogen wird.
Wer hierüber anders meint, der weiss selbst nicht, was er redet.
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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 447
lichtkunst.73, pixelio.de
Der Faden der Betrachtung wird an dem hier durchgängig als Regulativ herrschenden Grundsatze: nichts kommt dem Ich zu, als das, was es in sich setzt,
fortgeführt. Wir legen das oben abgeleitete Factum zum Grunde, und
sehen, wie das Ich dasselbe in sich setzen möge. Dieses Setzen ist
gleichfalls ein Factum, und muss durch das Ich gleichfalls in sich
gesetzt werden; und so beständig fort, bis wir bei dem höchsten
theoretischen Factum ankommen; bei demjenigen, durch welches das Ich
(mit Bewusstseyn) sich setzt, als bestimmt durch das Nicht-Ich. So endet
die theoretische Wissenschaftslehre mit ihrem Grundsatze, geht in sich
selbst zurück, und wird demnach durch sich selbst vollkommen
beschlossen.
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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 333.
lichtkunst.73, pixelio.de
Anlässlich des zweihundertsten Todestages von Fichte wurde an der Berliner Humboldt-Universität von einer "Aktualität der Wissenschaftslehre" geredet. In den Eingangsbeiträgen ging es darum, wie weit sich gegen- wärtige Diskussionen zwischen amerikanischen 'Analytikern' und 'Pragmatisten' der Fichteschen Lehre von der Konstituierung des Ich annäherten. Ganz einig waren sich die beiden Referenten nicht, aber es wurde auch nicht recht klar, wo genau die verbleibenden Differenzen zu Fichte liegen.
Auf dem Weg, den sie eingeschlagen hatten, konnten sie sich freilich weder einigen noch Klarheit schaffen. Denn in der Wissenschaftslehre "konstituiert" sich das Ich überhaupt nicht. Nämlich nicht so, dass es nach dem Konstitutionsakt "ist" und bleibt (dann würde es Substanz). Das transzendentale Ich ist nicht, sondern wird lediglich gedacht als Subjekt-Objekt der grundlegenden 'Tathandlung'. Real ist allein die Tätigkeit, nur sie gibt Anschaung und Empfindung, ein Ich wird nicht sichtbar noch fühlbar, es wird nicht erfahren, sondern "erscheint" lediglich der von Fichte so genannten 'intellektuellen Anschuung' im Vollzug der Handlung selbst - und dies nicht 'von allein', sondern als Akt freier Willkür - und wird ausdrücklich nur "dem Philosophen" zugemutet.* Das transzendentale Ich ist kein Realgrund, sondern lediglich Erklärungsgrund für ein tatsäch- liches Handeln.
Doch auch "als Idee" wird sich das Ich nie und nimmer konstituieren. Denn als Idee ist es lediglich das Vernunftwesen, das nie etwas anderes ist als vernünftig, und insofern ein Ideal, das nie erreicht werden wird und an das man sich lediglich "unendlich" annähern kann (ob oder inwiefern man das aber soll, ist wiederum ein Problem).
Und ob sich die Formulierung, wonach ein Ich sich "konstituiert", für die Beschreibung der empirischen, historischen Person eignet, hätten Psychologen und Neurowissenschaftler ohne Beteiligung der Philsophie unter sich auszumachen.
*) Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, 5. Abschnitt, S. 463
Dies Blog wird gelegentlich auch von Lesern besucht, denen die transzendentale Denkweise ganz neu ist. Darum dieser Hinweis:
Hier ist nicht die Rede davon, wie in der wirklichen Welt 'Stoff' entsteht. Es geht vielmehr darum, wie die Vorstellung von einem Stoff ins Bewusstsein gelangen kann.
Es ist auch keine (neuro-)psychologische Beschreibung dessen, was im Bewusstsein tatsächlich vor sich geht; sondern es ist eine Erklärung dafür, wie es zu einem Bewusstsein überhaupt erst kommen kann - was logischerweise im Bewusstsein gar nicht auftaucht, weil es ihm vorausging.
Auch dann noch sei die Vorstellung von einem Ich, das erst ein Nicht-Ich 'setzt', um ihm dann eine Tätigkeit zumessen zu können, die seiner eigenen so vollkommen entgegengesetzt ist, dass sie einander 'aufheben', und lediglich als 'Spur' ein toter Stoff übrigbleibt... - sei diese Konstruktion noch immer zu gewaltsam, um dem gesunden Menschenverstand (von dem Fichte anders als andre Philosophen eine gute Meinung hatte) irgend einleuchten zu können? - Dann sei erinnert, dass die wirkliche, empirische Geschichte des menschlichen Geistes dazu eine verblüffende Analogie bietet: Die früheste Bewusstseinsverfassung von Homo sapiens ist der Animismus, der eben darin besteht, allem, was nicht Ich ist, dieselbe Wirkungsmächtigkeit zuzuschreiben wie mir selbst, und die Vorstellung von einem toten Stoff kann erst eintreten, nachdem beide Seiten - ich und das Andere - ihres Tätigkeitscharakters entkleidet und zu statisch Seienden objektiviert wurden.
Nein, die Transzendentalphilosophie ist keine besonders gewitzte Interpretation der von der historischen Anthropologie rekonstruierten Mentalitätsgeschichte unserer Gattung. Doch wenn sie überhaupt etwas taugen soll, dann muss sie fähig sein, in die unter historischen Kontingenzen verschüttete Geistesgeschichte ihr 'pragmatisches' Licht zu werfen. Sie 'begründen' einander nicht. Aber wenn sie einander desavouieren würden, wäre das schlecht - nicht, wie Hegel meinte, für die Tatsachen, sondern für die Philosophie.
Nota.
Das obige Foto ist nicht von mir, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Besitzer dieses Fotos sind und seiner Verwendung an dieser Stelle nicht zustimmen, bitte ich Sie um Ihre Mitteilung.
J. Ebmeier
Martina Taylor, pixelio.de
Das Ich muss jenen Widerstreit entgegengesetzter Richtungen,
oder, welches hier das gleiche ist, entgegengesetzter Kräfte setzen;
also weder die eine allein, noch die zweite allein, sondern beide; und
zwar beide im Widerstreite, in entgegengesetzter, aber völlig
sich das Gleichgewicht haltender Thätigkeit.
Entgegengesetzte Thätigkeit
aber, die sich das Gleichgewicht hält, vernichtet sich, und es bleibt
nichts. Doch soll etwas bleiben und gesetzt werden: es bleibt demnach
ein ruhender Stoff, etwas Krafthabendes, welches dieselbe wegen
des Widerstandes nicht in Thätigkeit äussern kann, ein Substrat der
Kraft, wie man sich jeden Augenblick durch ein mit sich selbst
angestelltes Experiment überzeugen kann. Und zwar, worauf es hier
eigentlich ankommt, bleibt dieses Substrat nicht als ein vorhergesetztes, sondern als blosses Product der Vereinigung entgegengesetzter Thätigkeiten. Dies ist der Grund alles Stoffs, und alles möglichen bleibenden Substrats im Ich (und ausser dem Ich ist nichts), wie sich immer deutlicher ergeben wird.
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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 336
M. Großmann / pixelio.de
Es ist bis jetzt, d.h. auf diesem Puncte der Reflexion, im Ich noch gar
nichts gesetzt; es ist nichts in demselben, als was ihm ursprünglich
zukommt, reine Thätigkeit. Das Ich setzt etwas sich entgegen,
heisst also hier nichts weiter, und kann hier nichts weiter heissen,
als: es setzt etwas nicht als reine Thätigkeit. So wurde demnach
jener Zustand des Ich im Widerstreite gesetzt, als das Gegentheil der
reinen, als gemischte, sich selbst widerstrebende, und sich selbst
vernichtende Thätigkeit.
...wenn der
Widerstreit je im Ich gesetzt werden, und aus demselben etwas weiteres
folgen solle, durch das blosse Setzen der Widerstreit, als solcher, das Schweben der Einbildungskraft zwischen den Entgegengesetzten, / aufhören, dennoch aber die Spur desselben, als ein etwas, als ein möglicher Stoff, übrig bleiben müsse.
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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 335
CFalk, pixelio.de
Es erhellet daraus, theils, dass es, wie schon mehrmals erinnert worden,
der Wissenschaftslehre nicht zum Vorwurfe gereiche, wenn etwas, das sie
als Factum aufstellet, sich in der (inneren) Erfahrung nicht vorfindet.
Sie giebt dies gar nicht vor; sie erweist bloss, dass nothwendig
gedacht werden müsse, dass etwas einem gewissen Gedanken entsprechendes
im menschlichen Geiste vorhanden sey. Soll dasselbe nicht im Bewusstseyn
vorkommen, so giebt sie zugleich den Grund an, warum es daselbst nicht
vorkommen könne, nemlich weil es unter die Gründe der Möglichkeit alles
Bewusstseyns gehört.
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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 333.
Kurt Michel, pixelio.de
Kant geht aus von der Voraussetzung, dass ein Mannigfaltiges für
die mögliche Aufnahme zur Einheit des Bewusstseyns gegeben sey, und et
konnte, von dem Puncte aus, auf welchen er sich gestellt /
hatte, von keiner anderen ausgehen. Er begründete dadurch das
besondere für die theoretische Wissenschaftslehre; er wollte nichts
weiter begründen, und ging daher mit Recht von dem besonderen zum
allgemeinen fort.
Auf diesem Wege nun lässt sich zwar ein collectives
Allgemeines, ein Ganzes der bisherigen Erfahrung, als Einheit unter den
gleichen Gesetzen, erklären: nie aber ein unendliches
Allgemeines, ein Fortgang der Erfahrung in die Unendlichkeit. Von dem
Endlichen aus giebt es keinen Weg in die Unendlichkeit; wohl aber giebt
es umgekehrt einen von der unbestimmten und unbestimmbaren
Unendlichkeit, durch das Vermögen des Bestimmens zur Endlichkeit (und
darum ist alles Endliche Product des bestimmenden). Die
Wissenschaftslehre, die das ganze System des menschlichen Geistes
umfassen soll, muss diesen Weg nehmen, und vom allgemeinen zum
besonderen herabsteigen.
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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 332f.
Markus Kräft, pixelio.de
Geist überhaupt ist das, was man sonst auch produktive Einbildungskraft nennt.
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Von den Pflichten der Gelehrten, GA II/3, S. 316
althaus kommunaltechnik
Die Wissenschaftslehre ist, metaphilosophisch gesprochen, eine aktualistische Fundamentalontologie. Wo sie von Sein spricht, ist immer nur ein (unbedingtes) Gelten gemeint. Es gilt etwas nur in einem, durch einen und für einen Akt. Geltung ist das, was einen Akt a posteriori rechtfertigen oder a priori begründen kann. Mit andern Worten, in der Wissenschaftslehre ist überhaupt nur von tätigen Subjekten die Rede - sofern sie Sub- jekte, nämlich tätig sind. Die lediglich leidenden Objekte sind Gegenstand der empirischen ("historischen") Realwissenschaften.
In ihrer Durchführung ist die Wissenschaftslehre Kritik; Kritik der Vernunft überhaupt: die Rückführung aller Geltungen auf Setzungen. Die setzende Vernunft (nur eine solche 'gibt es') ist das einzige 'Vermögen' der Menschen als solcher, nämlich sofern sie Ich sagen können-wollen-dürfen. Es ist das, was ihnen als Menschen gemeinsam ist, und nicht das, was sie als lebende Personen voreinander auszeichnet. Letzteres ist all solches, worüber die Vernunft nicht zu verfügen hat. So alle ästhetischen Urteile.
Nach dieser Kritik sind alle als vorgegeben begegnende Geltungen in historische Setzungen aufgelöst und bleibt übrig das Subjekt nackt und bloß: Was immer als gültig überkommen war, ist nach dem Wie und Woher, ist nach den historischen Umständen seiner Setzung zu überprüfen und zu bejahen oder zu verwerfen. Da immer Neues hinzudrängt, ist es mit dem Überprüfen niemals getan, es hat zu geschehen "in Permanenz". (Doch Manches ist schon nur allzu bekannt.)
Und so herum wird die Wissenschaftslehre dann doch zu einer Anthropologie - und zu einem Hinweis für die rechte Lebensführung. Die aber bleibt ein ewig aktual zu lösendes Problem: die Vereinbarung von unserer mit meiner Welt.*
*) Ich kann mich inzwischen genauer ausdrücken: die ewig akutal zu lösende Frage, bis wohin Vernunft zu reichen hat und wo sie nicht mehr hingehört.
JE
von Paele, fotocommunity
Alles vernunftlose sich zu unterwerfen, frei und nach seinem eigenen
Gesetze es zu beherrschen, ist letzter Endzweck des Menschen; welcher
letzte Endzweck völlig unerreichbar ist und ewig unerreichbar bleiben
muss, wenn der Mensch nicht aufhören / soll, Mensch zu seyn, und wenn er nicht Gott werden soll. Es liegt im
Begriffe des Menschen, dass sein letztes Ziel unerreichbar, sein Weg zu
demselben unendlich seyn muss. Mithin ist es nicht die Bestimmung des
Menschen, dieses Ziel zu erreichen. Aber er kann und soll diesem Ziele
immer näher kommen: und daher ist die Annäherung ins unendliche zu diesem Ziele seine wahre Bestimmung als Mensch, d. i. als vernünftiges, aber endliches, als sinnliches, aber freies Wesen.
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Einige Vorlesuungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, S. 399f.
Nota.
Hier wird es nun problematisch.
Bedenken wir zuerst, dass es sich um eine der frühesten öffentlichen Äußerungen Fichte handelt und vor einem allgemeinen Publikum, auch philosophischen Laien. Bedenken wir aber auch, dass die Einschränkung, dass der 'Endzweck völlig unerreichbar' sei, nichts daran ändert, dass er dies eben Endzweck nennt: alles Vernunftlose sich (als dem Agens der Vernunft) zu unterwerfen...
Andernorts heißt es dann, Übereinstimmung sei "der große Endzweck der Vernunft". Wo hat er das her? Ansonsten hält er sich weislich zurück, wenn es um die sachliche Bestimmung dessen geht, was Vernunft 'ist'; selbst das Sittengesetz ist ihm nicht 'gegeben', sondern etwas, das "erst durch uns selbst gemacht wird",* nicht als 'bestimmt', sondern als noch in Bestimmung begriffen.
Später werden wir hören, das in der Tathandlung sich 'intellekual-anschaulich' setzende Ich sei die unmittelbare Identität von Subjekt und Objekt. Das Ich "als Idee" hingegen "ist das Vernunftwesen, inwiefern
es die allgemeine Vernunft teils in sich selbst vollkommen dargestellt hat,
wirklich durchaus vernünftig und nichts als vernünftig ist; also auch aufgehört
hat Individuum zu sein, welches
letztere es nur durch sinnliche Beschränkung war".** Das Ich als Idee ist das aus der intellektuellen Anschauung her zum Postulat gewendete Agens der Vernunft, und sofern das Ich "als Individuum" vernünftig ist, ist es sein Ideal. Soll er sich ihm also als Individuum, soll er ihm 'den ganzen endlichen, sinnlichen Menschen' unterwerfen und sie... "zur Übereinstimmung bringen"?
Die Frage ist nicht, ob er das kann, und sei es nur 'in unendlicher Annäherung'. Vielmehr gibt es keinen Grund, weshalb er das wollen sollte.
Vernünftig ist nicht ein Einzelner. Vernunft ist das Medium, in dem sich zwei verständigen können, anders "gibt es" sie nicht. Vernunft ist nur da, wo (mindestens) zwei sich verständigen können-müssen-wollen. Vernünftig ist dasjenige an den Individuen, was zur Verständigung taugt. Vernunft findet statt in unserer Welt. In meiner Welt ist sie Gegenstands-los. Das pragmatische Kriterium ist: Was sich symbolisieren lässt, kann zu einer Sache der Vernunft werden; was nicht, das nicht.
Die Wissenschaftslehre ist eine Anthropologie einschließlich Lebenslehre nur hintenrum; indem sie qua Kritik alle Erleuchtungen und Offenbarungen zunichte macht; positiv sird sie erst als das, was übrigbleibt.
*) System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd.
IV, S. 192
**) Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW I, S. 517f.
Kykladenkultur
Ich darf Ihnen wohl jetzt ohne Beweis sagen, was mehreren unter Ihnen
ohne Zweifel schon längst bewiesen ist, und was andere dunkel, aber
darum nicht weniger stark fühlen, dass die ganze Philosophie, dass alles
menschliche Denken und Lehren, dass Ihr ganzes Studiren, dass alles,
was ich insbesondere Ihnen je werde vortragen können, auf nichts anderes
abzwecken kann, als auf die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, und
ganz besonders der letzten höchsten: Welches ist die Bestimmung des Menschen überhaupt, und durch welche Mittel kann er sie am sichersten
erreichen?
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Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, S. 294
Fisch am Haken
Er darf kein vernünftiges Wesen wider seinen Willen tugendhaft oder
weise oder glücklich machen. Abgerechnet, dass diese Bemühung vergeblich
seyn würde, und dass keiner tugendhaft oder weise oder glücklich werden kann, ausser durch seine eigene Arbeit und Mühe – abgerechnet also,
dass das der Mensch nicht kann, soll er – wenn er es auch könnte oder zu
können glaubte – es nicht einmal wollen; denn es ist unrecht, und er
versetzt sich dadurch in Widerspruch mit sich selbst.
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Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, S. 309
Was das eigentlich geistige im Menschen, das reine Ich, – schlechthin an
sich – isolirt – und ausser aller Beziehung auf etwas ausser demselben –
seyn würde? – diese Frage ist unbeantwortlich – und genau genommen
enthält sie einen Widerspruch mit sich selbst. Es ist zwar nicht wahr,
dass /
das reine Ich ein Product des Nicht-Ich – so nenne ich alles, was als
ausser dem Ich befindlich gedacht, was von dem Ich unterschieden und ihm
entgegengesetzt wird – dass das reine Ich, sage ich, ein Product des
Nicht-Ich sey: – ein solcher Satz würde einen transcendentalen
Materialismus ausdrücken, der völlig vernunftwidrig ist – aber es ist
sicher wahr, und wird an seinem Orte streng erweisen werden, dass das
Ich sich seiner selbst nie bewusst wird, noch bewusst werden kann, als
in seinen empirischen Bestimmungen, und dass diese empirischen
Bestimmungen nothwendig ein Etwas ausser dem Ich voraussetzen. Schon der
Körper des Menschen den er seinen Körper nennt, ist etwas ausser
dem Ich. Ausser dieser Verbindung wäre er auch nicht einmal ein Mensch,
sondern etwas für uns schlechthin ungedenkbares; wenn man ein solches,
das nicht einmal ein Gedankending ist, noch ein Etwas nennen kann....
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Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, S. 294f.
Hein Glück / pixelio.de
...aber es ist sicher wahr, und wird an seinem Orte streng erweisen
werden, dass das Ich sich seiner selbst nie bewusst wird, noch bewusst
werden kann, als in seinen empirischen Bestimmungen, und dass diese
empirischen Bestimmungen nothwendig ein Etwas ausser dem Ich
voraussetzen. Schon der Körper des Menschen den er seinen Körper
nennt, ist etwas ausser dem Ich. Ausser dieser Verbindung wäre er auch
nicht einmal ein Mensch, sondern etwas für uns schlechthin
ungedenkbares; wenn man ein solches, das nicht einmal ein Gedankending
ist, noch ein Etwas nennen kann. .../...
Das, was er ist, ist er zunächst nicht darum, weil er ist; sondern darum, weil etwas ausser ihm ist.
– Das empirische Selbstbewusstseyn, d. i. das Bewusstseyn irgend einer
Bestimmung in uns, ist nicht möglich, ausser unter der Voraussetzung
eines Nicht-Ich, wie wir schon oben gesagt haben und an seinem Orte
beweisen werden.
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Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, 295f.
Matteo Pugliese
Einer Freiheit ausser mir kann ich mir überhaupt gar nicht unmittelbar
bewusst seyn; nicht einmal einer Freiheit in mir oder meiner eigenen Freiheit kann ich mir bewusst werden; denn die Freiheit an sich ist der
letzte Erklärungsgrund alles Bewusstseyns und kann daher gar nicht in
das Gebiet des Bewusstseyns gehören.
Aber – ich kann mir bewusst werden,
dass ich mir bei einer gewissen Bestimmung meines empirischen Ich durch
meinen Willen einer anderen Ursache nicht bewusst bin, als dieses
Willens selbst; und dieses Nichtbewusstseyn der Ursache könnte man wohl
auch ein Bewusstseyn der Freiheit nennen, wenn man sich nur vorher
gehörig erklärt hat; und wir wollen es hier so nennen. In diesem Sinne kann man sich selbst einer eigenen Handlung durch Freiheit bewusst werden.
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Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW I, S. 305
Chardin
Ob es ein solches System, und – was die Bedingung desselben ist – einen solchen Grundsatz gebe, darüber können wir vor der Untersuchung vorher
nichts entscheiden. Der Grundsatz lässt sich nicht nur als blosser Satz,
er lässt sich auch als Grundsatz alles Wissens nicht erweisen. Es kommt
auf den Versuch an.
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Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 54.
Jede mögliche / Wissenschaft hat einen Grundsatz,
der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern vor ihr vorher gewiss
seyn muss. Wo soll nun dieser Grundsatz erwiesen werden? Ohne Zweifel in
derjenigen Wissenschaft, welche alle möglichen Wissenschaften zu
begründen hat. – Die Wissenschaftslehre hätte in dieser Rücksicht
zweierlei zu thun. Zuvörderst die Möglichkeit der Grundsätze überhaupt
zu begründen; zu zeigen, wie, inwiefern, unter welchen Bedingungen, und
vielleicht in welchen Graden etwas gewiss seyn könne, und überhaupt, was
das heisse – gewiss seyn; dann hätte sie insbesondere die Grundsätze
aller möglichen Wissenschaften zu erweisen, die in ihnen selbst nicht
erwiesen werden können. ...
Die Wissenschaftslehre ist selbst eine Wissenschaft. Auch sie muss daher zuvörderst einen Grundsatz
haben, der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern zum Behuf ihrer
Möglichkeit als Wissenschaft vorausgesetzt wird. Aber dieser Grundsatz
kann auch in keiner anderen höheren Wissenschaft erwiesen werden; denn
dann wäre diese höhere Wissenschaft selbst die Wissenschaftslehre, und
diejenige, deren Grundsatz erst erwiesen werden müsste, wäre es nicht.
Dieser Grundsatz – der Wissenschaftslehre, und vermittelst ihrer aller
Wissenschaften und alles Wissens – ist daher schlechterdings keines
Beweises fähig, d.h. er ist auf keinen höheren / Satz zurück zu führen, aus dessen Verhältnisse zu ihm seine Gewissheit
erhelle.
Dennoch soll er die Grundlage aller Gewissheit abgeben; er
muss daher doch gewiss und zwar in sich selbst, und um sein selbst
willen, und durch sich selbst gewiss seyn. Alle anderen Sätze werden
gewiss seyn, weil sich zeigen lässt, dass sie ihm in irgend einer
Rücksicht gleich sind; dieser Satz muss gewiss seyn, bloss darum, weil
er sich selbst gleich ist. Alle andere Sätze werden nur eine mittelbare
und von ihm abgeleitete Gewissheit haben; er muss unmittelbar gewiss
seyn. Auf ihn gründet sich alles Wissen, und ohne ihn wäre überhaupt
kein Wissen möglich; er aber gründet sich auf kein anderes Wissen,
sondern er ist der Satz des Wissens schlechthin.
Dieser Satz ist
schlechthin gewiss, d.h. er ist gewiss, weil er gewiss ist*.
Er ist der Grund aller Gewissheit, d.h. alles was gewiss ist, ist
gewiss, weil er gewiss ist; und es ist nichts gewiss, wenn er nicht
gewiss ist. Er ist der Grund alles Wissens, d.h. man weiss, was er
aussagt, weil man überhaupt weiss; man weiss es unmittelbar, so wie man
irgend etwas weiss. Er begleitet alles Wissen, ist in allem Wissen
enthalten, und alles Wissen setzt ihn voraus.
*) Man kann ohne Widerspruch nach keinem Grunde seiner Gewissheit fragen. handschr. Marginalie
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Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 46 ff.
aus lexikon.freenet.de
Die Substanz ist aller Wechsel, im allgemeinen gedacht: das Accidens ist ein bestimmtes, das mit einem anderen wechselnden wechselt. Es ist ursprünglich nur Eine Substanz; das Ich. In dieser Einen
Substanz sind alle mögliche Accidenzen, also alle mögliche Realitäten
gesetzt.
S. 142
Der Begriff der Realität ist gleich dem Begriff der Tätigkeit.
S. 138
Soll eine Substanz bestimmt – welches sattsam erörtert worden – oder soll etwas bestimmtes als Substanz gedacht werden; so muss der Wechsel freilich von irgend einem Gliede ausgehen, welches insofern fixirt ist, inwiefern der Wechsel bestimmt werden soll. Aber es ist nicht absolut
fixirt; denn ich kann ebensowohl von seinem entgegengesetzten Gliede
ausgehen; und dann ist eben dasjenige Glied, was vorher wesentlich,
festgesetzt, fixirt war, zufällig; wie sich aus den obigen Beispielen
erläutern lässt.
Die Accidenzen, synthetisch vereinigt, geben die
Substanz; und es ist in derselben gar nichts weiter enthalten, als die
Accidenzen: die Substanz, analysirt, giebt die Accidenzen, und es bleibt
nach einer vollständigen Analyse der Substanz gar nichts übrig, als
Accidenzen. An ein dauerndes Substrat, an einen etwanigen Träger der
Accidenzen, ist nicht zu denken; das eine Accidens ist jedesmal sein
eigner und des entgegengesetzten Accidens Träger, ohne dass es dazu noch
eines besonderen Trägers bedürfte. –
Das setzende Ich, durch das
wunderbarste seiner Vermögen, das wir zu seiner Zeit näher bestimmen
werden, hält das schwindende Accidens so lange fest, bis es dasjenige,
wodurch dasselbe verdrängt wird, damit verglichen hat. – Dieses fast
immer verkannte Vermögen ist es, was aus steten Gegensätzen eine Einheit
zusammenknüpft, – was zwischen Momente, die sich gegenseitig aufheben
müssten, eintritt und dadurch / beide erhält; – es ist dasjenige, was allein Leben und Bewusstseyn,
und insbesondere Bewusstseyn als eine fortlaufende Zeitreihe möglich
macht; und das alles thut es lediglich dadurch, dass es an sich und in
sich Accidenzen fortleitet, die keinen gemeinschaftlichen Träger haben, noch haben könnten, weil sie sich gegenseitig vernichten würden.
S. 204f.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I
Die Wissenschaftslehre ist keine reelle, 'konstitutive' Theorie von Ursprung, Entwicklung und (ergo) Wesen des Bewusstseins. Sie ist ein transzendentales, 'regulatives' Schema, das das tatsächlich unter den Menschen vorkommende Bewusstsein (eigtl. Wissen) lediglich verständlich macht. -
Verstehen ist aber nicht
theoretische Beschauung. Verstehen geschieht hinsichtlich einer Absicht.
Die Wissenschaftslehre ist daher nicht eine Geschichte des Geistes, sondern seine pragmatische Geschichte;* eine, aus der man etwas lernen kann. Was lernen? Doch wohl, 'wie man ihn richtig betätigen soll'.
Richtig in Hinblick worauf? Wiederum in Hinblick auf eine Absicht; worauf abgesehen wird, heißt ein Zweck. Das Wissen - Geist, Vernunft, Bewusstsein... - dient nicht diesem oder jenem Zweck, sondern dem obersten, letzten, dem Zweck der Zwecke.
Gibt es denn so etwas?
"Die Zweckmäßigkeit der Natur ist ...
ein Begriff a priori, der lediglich in der reflektierenden Urteilskraft seinen
Ursprung hat, deren Prinzip er ist. Denn den Naturprodukten kann man so etwas,
als Beziehung der Natur an ihnen auf / Zwecke, nicht beilegen; sondern diesen
Begriff nur brauchen, um über die Verbindung der Erscheinungen in ihr nach
empirischen Gesetzen, zu reflektieren."**
Einen Naturzweck hat der pp.
Geist also nicht. Hat er aber einen immanenten, in seinem Wesen, bevor
es in Erscheinung trat, angelegten Zweck, an dem er gar nicht
vorbeikann?
Fichte
mindestens nimmt einen solchen an: Vom "Vernunftzweck" ist allenthalben
die Rede. Wirklich erscheinen Vernunft und Vernünftigkeit überall als
das - naturgemäß in sich weiter nicht bestimmbare - Absolutum der Wissenschaftslehre.
Absolutum,
aber nicht Obiectivum: daran hält Fichte bis ans Ende fest.° Richtigerweise, denn was wäre der harte Kern der Vernünftigkeit? Das Sittengesetz, was denn sonst. "Daß
das Sittengesetz gar nicht so etwas ist, welches ohne alles Zutun in uns sei,
sondern daß es erst durch uns selbst gemacht
wird", heißt es aber in der Sittenlehre.*** Kein Reale, sondern ein Problem. Man kann es zu einem Postulat wenden. Dann heißt es Idee und ist immer nur, wenn ich ihr gemäß handle. Sie kann überhaupt nur als ein Suchen angeschaut werden.****
Wird der ganze Kreis der Wissenschaftslehre durchlaufen, findet sich: Die pragmatische Geschichte ist nicht weniger als das vollständige Programm einer Anthropologie.
*) Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 222
**) Versuch eines erklärenden Auszugs [aus der 'Kritik der Urteilskraft'] GA II/1, S. 333f.;
***)System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd.
IV, S. 192
****) m. a. W.: auf keinen Fall als ein Überfließen!
°) Nein, das hat er nicht getan, ich habe es später mit der gebotenen Gründlichkeit dargestellt. Im Gegenteil hat sein Schwanken in dieser Sache den Boden bereitet für seine dogmatische Wendung nach dem Atheismusstreit. Nachtrag Mai 2014
nach Frans Hals, Portrait von Pieter Christiaensz. Bor
Wir sind nicht Gesetzgeber des menschlichen Geistes, sondern seine
Historiographen; freilich nicht Zeitungsschreiber, sondern pragmatische Geschichtsschreiber.
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Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 77
Die Wissenschaftslehre soll seyn eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 222
Nota. - Als 'pragmatisch' verstand man eine Geschichtserzählung, die nicht einfach berichtet, 'was gewesen ist', sondern die ausdrücklich einen Zweck verfolgt; namentlich einen Erkenntniszweck. Die Wissenschaftslehre erzählt nicht nach, durch welche Irrungen und Wirrungen das tatsächliche Wissen schließlich bis auf seinen heutigen Stand gefunden hat: All diese Zufälligkeiten lässt sie fort. Sie führt vielmehr das heute gegebenen System des Wissens zurück auf seine notwendigen ("immanenten") Prämissen, von denen die wirklichen Akteure gar nichts geahnt haben mögen. Nicht: So ist es gewesen; sondern: So muss man es sich vorstellen, um...
JE
Ulrich Velten / pixelio.de
Also – und das war der oben aufgestellte synthetische Satz – die Totalität besteht bloss in der vollständigen / Relation, und es giebt überhaupt nichts an sich festes, was dieselbe
bestimme. Die Totalität besteht in der Vollständigkeit eines Verhältnisses, nicht aber einer Realität. Die Glieder des Verhältnisses, einzeln betrachtet, sind die Accidenzen, ihre Totalität ist Substanz, wie schon oben gesagt worden.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 203f.
romelia / pixelio.de
Bestimmtes oder bestimmbares ist Totalität, nachdem man es nun nimmt. –
Zwar scheint in diesem Resultate nichts neues, sondern gerade das, was
wir
/ vor der Synthesis vorher auch wussten, gesagt zu seyn; aber vorher
hatten wir doch Hoffnung, irgend einen Bestimmungsgrund zu finden. Durch
das gegenwärtige Resultat aber wird diese Hoffnung völlig
abgeschnitten; seine Bedeutung ist negativ, und es sagt uns: es ist
überhaupt gar kein Bestimmungsgrund möglich, als durch Relation.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 197
Gitti Moser / pixelio.de
Diese Bemerkung zeigt uns von einer neuen Seite das Geschäft der
Wissenschaftslehre. Sie wird immer fortfahren, Mittelglieder zwischen
die Entgegengesetzten einzuschieben; dadurch aber wird der Widerspruch
nicht vollkommen gelöst, sondern nur weiter hinausgesetzt. Wird zwischen
die vereinigten Glieder, von denen sich bei näherer Untersuchung findet,
dass sie dennoch nicht vollkommen vereinigt sind, ein neues Mittelglied
eingeschoben, so fällt freilich der zuletzt aufgezeigte Widerspruch
weg; aber um ihn zu lösen, musste man neue Endpuncte annehmen, welche
abermals entgegengesetzt sind, und von neuem vereinigt werden müssen.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 143
Schlussstein, Walkenried.
7) So wenig Antithesis ohne Synthesis, oder Synthesis ohne Antithesis
möglich ist; ebenso wenig sind beide möglich ohne Thesis: ohne ein
Setzen schlechthin, durch welches ein A (das Ich) keinem anderen gleich
und keinem anderen entgegengesetzt, sondern bloss schlechthin gesetzt
wird.
Auf unser System bezogen giebt diese dem Ganzen Haltbarkeit und
Vollendung; es muss ein System und Ein System seyn; das Entgegengesetzte
muss verbunden werden, so lange noch etwas Entgegengesetztes ist; bis
die absolute Einheit hervorgebracht sey; welche freilich, wie sich zu
seiner Zeit zeigen wird, nur durch eine geendete Annäherung, zum
unendlichen hervorgebracht werden könnte, welche an sich unmöglich ist.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 115
Alwin Gasser, pixelio.de
3) Die Handlung, da man im Verglichenen das Merkmal aufsucht, worin sie entgegengesetzt sind, heisst das antithetische Verfahren; gewöhnlich das analytische,
welcher Ausdruck aber weniger bequem ist, theils weil er die Meinung
übrig lässt, dass man etwa aus einem Begriffe etwas entwickeln könne,
was man nicht erst durch eine Synthesis hineingelegt, theils weil durch
die erste Benennung deutlicher bezeichnet / wird, dass dieses Verfahren das Gegentheil vom synthetischen sey. Das synthetische Verfahren nemlich besteht darin, dass man im Entgegengesetzten dasjenige Merkmal aufsuche, worin sie gleich
sind. Der blossen logischen Form nach, welche von allem Inhalte der
Erkenntniss, sowie von der Art, wie man dazu komme, völlig abstrahirt,
heissen auf die erstere Art hervorgebrachte Urtheile, antithetische oder
verneinende, auf die letztere Art hervorgebrachte synthetische oder
bejahende Urtheile
4) Sind die logischen Regeln, unter denen alle Antithesis und
Synthesis steht, von dem dritten Grundsatze der Wissenschaftslehre
abgeleitet, so ist überhaupt die Befugniss aller Antithesis und
Synthesis von ihm abgeleitet. Aber wir haben in der Darstellung jenes
Grundsatzes gesehen, dass die ursprüngliche Handlung, die er ausdrückt,
die des Verbindens Entgegengesetzter in einem Dritten, nicht möglich war
ohne die Handlung des Entgegensetzens; und dass diese gleichfalls nicht
möglich war, ohne die Handlung des Verbindens: dass also beide in der
That unzertrennlich verbunden und nur in der Reflexion zu unterscheiden
sind. Hieraus folgt; dass die logischen Handlungen, die auf jene
ursprünglichen sich gründen, und eigentlich nur besondere, nähere
Bestimmungen derselben sind, gleichfalls nicht, eine ohne die andere,
möglich seyn werden.
Keine Antithesis ist möglich ohne eine Synthesis;
denn die Antithesis besteht ja darin, dass in Gleichen das
entgegengesetzte Merkmal aufgesucht wird; aber die Gleichen wären nicht
gleich, wenn sie nicht erst durch eine synthetische Handlung
gleichgesetzt wären. In der blossen Antithesis wird davon abstrahirt,
dass sie erst durch eine solche Handlung gleichgesetzt werden: sie
werden schlechthin als gleich, ununtersucht woher, angenommen; bloss auf
das entgegengesetzte in ihnen wird die Reflexion gerichtet, und dieses
dadurch zum deutlichen und klaren Bewusstseyn erhoben. –
So ist auch
umgekehrt keine Synthesis möglich ohne eine Antithesis. Entgegengesetzte
sollen vereiniget werden: sie wären aber nicht entgegengesetzt, wenn
sie es nicht durch eine Handlung des /
Ich wären, von welcher in der Synthesis abstrahirt wird, um bloss den
Beziehungsgrund durch Reflexion zum Bewusstseyn zu erheben. – Es giebt
demnach überhaupt dem Gehalte nach gar keine bloss analytischen
Urtheile; und man kömmt bloss durch sie nicht nur nicht weit, wie Kant
sagt, sondern man kömmt gar nicht von der Stelle.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 112ff.
Soll die nothwendige Handlungsart der Intelligenz
an sich in die Form des Bewusstseyns aufgenommen werden, so müsste sie
schon als solche bekannt seyn, sie müsste mithin in diese Form schon
aufgenommen seyn; und wir wären in einem Cirkel eingeschlossen.
Diese Handlungsart überhaupt, soll nach dem obigen
durch eine reflectirende Abstraction von allem, was nicht sie ist,
abgesondert werden. Diese Abstraction geschieht durch Freiheit, und die
philosophirende Urtheilskraft wird in ihr gar nicht durch blinden Zwang
geleitet. Die ganze Schwierigkeit ist also in der Frage enthalten: nach
welchen Regeln verfährt die Freiheit in jener Absonderung? wie weiss der Philosoph, was er / als nothwendige Handlungsweise der Intelligenz aufnehmen und was er als ein zufälliges liegen lassen solle?
Das kann er nun schlechterdings nicht wissen,
wofern nicht etwa dasjenige, was er erst zum Bewusstseyn erheben soll,
schon dazu erhoben ist; welches sich widerspricht. Also giebt es für
dieses Geschäft gar keine Regel, und kann keine geben. Der menschliche
Geist macht mancherlei Versuche; er kommt durch blindes Herumtappen zur
Dämmerung, und geht erst aus dieser zum hellen Tage über. Er wird
Anfangs durch dunkle Gefühle*
(deren Ursprung und Wirklichkeit die Wissenschaftslehre darzulegen hat)
geleitet; und wir hätten noch heute keinen deutlichen Begriff, und
wären noch immer der Erdkloss, der sich dem Boden entwand, wenn wir
nicht angefangen hätten, dunkel zu fühlen, was wir erst später deutlich
erkannten.
*) Es erhellet daraus, dass der Philosoph der dunklen Gefühle des
Richtigen oder des Genie in keinem geringeren Grade bedürfe, als etwa
der Dichter oder der Künstler; nur in einer anderen Art. Der letztere
bedarf des Schönheits-, jener des Wahrheits-Sinnes; dergleichen es allerdings giebt. [Anmerkung zur 1. Ausgabe.]
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Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 72f.
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Das reine Ich lässt sich nur negativ vorstellen; als das Gegenteil des
Nicht-Ich, dessen Charakter Mannigfaltig- keit ist – mithin als völlige
absolute Einerleiheit; es ist immer Ein und ebendasselbe und nie ein
anderes. ...
Das, was er ist, ist er zunächst nicht darum, weil er ist; sondern darum, weil etwas ausser ihm ist.
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Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, S. 296