Montag, 3. März 2014

Was allein Philosophie heißen darf.

Gustav Klimt, Philosophie

Auch bei der flüchtigsten Selbstbeobachtung wird jeder einen merkwürdigen Unterschied zwischen den verschiedenen unmittelbaren Bestimmungen seines Bewusstseyns, die wir auch Vorstellungen nennen können, wahrnehmen. Einige nemlich erscheinen uns als völlig abhängig von unserer Freiheit, aber es ist uns unmöglich zu glauben, dass ihnen etwas ausser uns, ohne unser Zuthun, entspreche. Unsere Phantasie, unser / Wille erscheint uns als frei. 

Andere beziehen wir auf eine Wahrheit, die, unabhängig, von uns, festgesetzt seyn soll, als auf ihr Muster; und unter der Bedingung, dass sie mit dieser Wahrheit übereinstimmen sollen, finden wir uns in Bestimmung, dieser Vorstellung gebunden. In der Erkenntniss halten wir uns, was ihren Inhalt betrifft, nicht für frei. Wir können kurz sagen: einige unserer Vorstellungen sind von dem Gefühle der Freiheit, andere von dem Gefühle der Nothwendigkeit begleitet.  

Es kann vernünftigerweise nicht die Frage entstehen: warum sind die von der Freiheit abhängigen Vorstellungen gerade so bestimmt, und nicht anders? – denn indem gesetzt wird, sie seyen von der Freiheit abhängig, wird alle Anwendung des Begriffs vom Grunde abgewiesen; sie sind so, weil ich sie so bestimmt habe, und hätte ich sie anders bestimmt, so würden sie anders seyn.  

Aber es ist allerdings eine des Nachdenkens würdige Frage: welches ist der Grund des Systems der vom Gefühle der Nothwendigkeit begleiteten Vorstellungen, und dieses Gefühls der Nothwendigkeit selbst? Diese Frage zu beantworten ist die Aufgabe der Philosophie; und es ist, meines Bedünkens, nichts Philosophie, als die Wissenschaft, welche diese Aufgabe löset.

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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 422   


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