Montag, 30. November 2015
Das NichtIch ist nur eine andere Ansicht des Ich.
Das NichtIch ist also nichts anderes, als bloß eine andere Ansicht des Ich. Das Ich als Tätigkeit betrachtet gibt das Ich, das Ich als Ruhe betrachtet das NichIch. Die Ansicht des Ich / als Tätiges kann nicht stattfinden ohne die Ansicht des Ich als [eines] Ruhenden, d. h. NichtIch. Daher kommts, dass der Dogmatismus, der das Ich nicht in Tätigkeit denkt, gar kein Ich hat. Sein Ich ist Akzidens des NichtIch. Der Idealismus hat kein NichtIch, das NichtIch ist ihm nur eine andere Ansicht des Ich. Im Dogmatismus ist das Ich eine besondere Art vom Dinge, im Idealismus das Nichtich eine besondre Weise – das Ich anzuschauen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 42f.
Sonntag, 29. November 2015
Das Beabsichtigte und das Gefundene.
Wir haben oben gesehen, auf der Notwendigkeit des Entgegensetzens beruht der ganze Mechanismus des menschlichen Geistes; die Entgegengesetzten aber sind eins und dasselbe, nur angesehen von verschiedenen Seiten. Das Ich, welches in dem Beabsichtigten liegt, und das NichtIch, welches in dem Gegebenen liegt, sind eins und dasselbe. Es sind nur zwei unzertrennliche Ansichten darum, weil das Ich Subjekt-Objekt sein muss. Aus letztem Satz geht alles hervor.
Aus der ursprünglichen Anschauung entstehen zwei Reihen, sie subjektive oder das Beabsichtigte und das Objektive oder das Gefundene; beide können nicht getrennt werden, weil sonst keine von beiden ist. Beide Ansichten desselben, subjektive und objektive, sind beisammen, heißt: Sie sind nicht nur in der Reflexion unzertrennlich, sondern sie sind auch als Objekte der Reflexion eins und dasselbe. Die Tätigkeit, welche in sich zurückgeht, welche ich selbst bestimmt, ist keine andere als die Bestimmbare, es ist dieselbe, und unzertrenn-lich.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 42
Samstag, 28. November 2015
Donnerstag, 26. November 2015
Erklären heißt anknüpfen.
Ich erkläre etwas (A), wenn ich es an etwas andres (B) anknüpfe und so fort; ich fasse nicht alles auf einmal auf, weil ich endlich bin. Es ist dasselbe, was man diskursives Denken nennt. Die Endlichkeit vernünftiger Wesen besteht darin, dass sie erklären müssen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 75
Nota. – Dieser Satz steht im Ms. unmittelbar vor dem gestrigen Eintrag, er führt auf den Gedanken, dass die Vorstellung vom reinen Ich nicht praktisch, aber theoretisch notwendig ist, weil anders die Dinge und die Welt nicht zu erklären sind. Sobald das praktische Ich dagegen handelt, findet es Welt und Dinge vor und muss sie sich nicht erst erklären. – Das theoretische Ich steht zum praktischen Ich in demselben Verhältnis wie die ideale zur realen Tätigkeit: Sie sind jedesmal Gegenstand der Reflexion und sind nur für die Reflexion.
JE
Mittwoch, 25. November 2015
Fürs wirkliche Handeln hat das Nichtich unabhängige Realität.
Das NichIch ist seinem Sein und der Bestimmtheit seines Seins nach unabhängig vom praktischen Ich; aber vom theoretischen Ich ists abhängig, es ist eine Welt nur da, inwiefern wir sie setzen. Im Handeln steht man auf einem praktischen Standpunkte. Für das Handelns hat das NichtIch unabhängige Realität; man kann die Gegenstände verändern, zusammensetzen, aber nicht hervorbringen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 75
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Montag, 23. November 2015
Der Begriff vom Ich und das vernünftige Individuum.
Der Idealismus geht aus vom Sichsetzen des Ich, oder von der endlichen Vernunft überhaupt. Aber wenn von einem Überhaupt die Rede ist, so ist dies ein unbestimmter Begriff, er geht also von einem unbestimmten Be-griff aus. Nun sieht der Idealist dem Bestimmen der Vernunft in ihren Begrenzungen zu und lässt durch das Bestimmen ein vernünftiges Individuum, ein wirkliches Vernunftwesen werden, welches etwas ganz anderes ist als der unbestimmte Begriff vom Ich.
Dieses Ich sieht die Welt und die Dinge auch an, / diese seine Ansicht wird auch von dem Gesichtspunkte des Idealismus erblickt, der Idealist sieht, wie dem Individuum die Dinge werden müssen, die Sache ist also für das Individuum anders als für den Philosophen. Für das Individuum nun sind die Dinge, Menschen usw. unabhän-gig von ihm vorhanden. Der Idealist aber sagt: Dinge außer mir und unabhängig von mir vorhanden, gibt es nicht.
Beide sagen also das Gegenteil und widersprechen sich doch nicht, denn der Idealist zeigt von seinem Ge-sichtspunkte aus die Notwendigkeit der Ansicht der Individuen. Wenn der Idealist sagt: außer mir, so heißt dies: außer der Vernunft; bei dem Individuum heißt es: außer der Person.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, 2. Einleitung S. 24f.
Nota. - '...gibt es nicht' sagt der Dogmatiker Berkeley. Der transzendentale Idealismus darf nur sagen: Von einem Außer-Mir kann ich nichts wissen und noch weniger sagen; im Bereich vernünftiger Erörterung hat es keinen Platz.
JE
Samstag, 21. November 2015
Wer nicht von allem Objekte abstrahieren kann...
...wer nicht von allem Objekte abstrahieren kann, der ist zum gründlichen Philosophen unfähig.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, 2. Einleitung S. 18
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Freitag, 20. November 2015
Ist nichts gegeben, so kann nichts gewählt werden.
...ist erwiesen, dass die Anschauung eines freien Handelns bedingt sei durch die Anschauung eines frei entwor-fenen Begriffs von Handeln. Für die Entwerfung eines Begriffs ist nach dem obigen eine Sphäre gegeben, das Bestimmbare. Dieses kennen wir als ein unendlich Teilbares von möglichen Handlungen; in dem Zusammen-setzen dieses Mannigfaltigen soll die praktische, inwiefern es diesen Begriff durch ideale Freiheit bestimmt, oder die materiale Freiheit (Freiheit der Wahl) des Ich bestehen.
In wiefern das Ich in dieser Funktion des Begriffs ideal ist, ist es doch gebunden. Die Entwerfung des Begriffs x lässt sich nur so begreifen. Es ist der idealen Tätigkeit ein Mannigfaltiges gegeben, aus diesem setzt sie einen Begriff zusammen, sie lässt liegen, was sie will, und fasst auf, was sie will. Darin besteht ihre Freiheit, aber das Gegebene muss sie als gegeben anschauen, und darin liegt ihre Gebundenheit.
Kurz, es ist hier ein Übergehen von Bestimmtheit zum Sichbestimmen oder zur Bestimmbarkeit. Die ideale Tätigkeit st teil gebunden (bestimmt), teils frei. Die Freiheit ist das Bedingte und die Gebundenheit das Bedin-gende. Ist nichts gegeben, so kann nichts gewählt werden; so allein kann des Begriffs vom Zweck gedacht werden.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 64
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Donnerstag, 19. November 2015
Bewusst sein ist kein Zustand, sondern Handeln.
Ich bin mir eines Objektes B bewusst, dessen aber kann ich mir nicht bewusst sein, ohne mir meiner selbst bewusst zu sein, denn B ist nicht ich und ich bin nicht B. Ich bin mir aber nur dadurch meiner selbst bewusst, dass ich mir des Bewusstseins bewusst bin. Ich muss mir also bewusst sein des Aktes [meines Vorstellens] des B, des Bewusstseins des Bewusstseins.
Wie werde ich mir dessen bewusst? Dies geht ins Unendliche fort, und auf diese Weise lässt sich das Bewusst-sein nicht erklären. Der Hauptgrund dieser Unmöglichkeit ist, dass das Bewusstsein als ein Zustand des Ge-müts, immer als Objekt genommen wurde, wozu es denn immer eines anderen Subjektes bedurfte. Wären des die bisherigen Philosophen inne geworden, so würden sie vielleicht auf den rechten Platz gekommen sein.
Dieser Einwand ist nur so zu heben, dass man ein Objekt des Bewusstsein finde, welches zugleich Subjekt wäre; dadurch ein unmittelbares Bewusstsein aufgezeigt würde, ein Objekt, dem man nicht ein neues Subjekt entgegenzusetzen hat.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 30
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Mittwoch, 18. November 2015
Begriffe, Vorstellungen, Dialektik.
Natürlich drückt sich auch der 'Wissenschaftslehrer' in Begriffen aus – in die er seine Vorstellungen fassen musste, um sie sich klar machen und behalten zu können. Aber Gegenstand seines Denkens sind nicht sie, son-dern die Vorstellungen, aus denen sie abgezogen wurden. Und Vorstellungen schlagen nicht ineinander um noch tun sie selber überhaupt etwas. Sondern der, der vorstellt, muss seiner Vorstellung, um sie als diese zu bestimmen, eine andere entgegensetzen. Denn nichts anderes ist das Denken, als eine fortschreitende Bestimmung der Einbildungskraft.
Nur der daneben stehende Beobachter kann das als eine Selbstbewegung des Begriffs auffassen – weil er nicht sich von dem unterscheidet, was er beobachtet. Die dogmatische Hegel'sche Version der Dialektik beruht dar-auf, dass sie sich über ihren Ausgangspunkt nicht klar, d. h. mit andern Worten: dass sie undialektisch ist.
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Dienstag, 17. November 2015
Ich bestimme mich selbst heißt: ich erhebe eine Möglichkeit zur Wirklichkeit
Ich, das Anschauende, idealiter Tätige, finde nun diesen Akt der absoluten Freiheit; aber ich kann nichts finden noch beschreiben, ohne ihm etwas entgegenzusetzen. Ich bestimme mich selbst heißt ich erhebe eine Möglich-keit zur Wirklichkeit, ein Vermögen zur Tat.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 47
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Montag, 16. November 2015
Der letzte Mythos.
Die Wissenschaftslehre stellt dar, was im Denken passiert sein muss, damit es zum Bewusstsein seiner selbst gelangen konnte. Erzählt sie es nach, als ob es wirklich so passiert wäre? Sie erzählt es, als ob es so passiert wäre – nicht wirklich, sondern als Mythos, eine Denkfigur, aus der wir uns eine Vorstellung machen sollen. Mehr ist nicht drin.
Ein letzter Mythos sei diese "Geschichte, die von dem spielenden oder abenteuernden oder bildnernden Ursub-jekt handelt", hat Hans Blumenberg es ausgedrückt.*
*) H. Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt a. M., 1999, S. 295f.
Sonntag, 15. November 2015
Der Sinn für das Ästhetische.
Carpeaux, Napolitanischer Fischerjunge
Sehen Sie in diesem Beispiele eine kurze Geschichte der Entwickelung unseres ganzen ästhetischen Vermögens. Während der ruhigen Betrachtung, die nicht mehr auf die Erkenntnis dessen, was längst erkannt ist, absieht, sondern die gleichsam nochmal zum Überflusse an den Gegenstand geht, – ent-wickelt, unter der Ruhe der Wissbegierde und des befriedigten Erkenntnistriebes, in der unbeschäftigten Seele sich der ästhetische Sinn. ...
Sehen Sie in diesem Beispiele eine kurze Geschichte der Entwickelung unseres ganzen ästhetischen Vermögens. Während der ruhigen Betrachtung, die nicht mehr auf die Erkenntnis dessen, was längst erkannt ist, absieht, sondern die gleichsam nochmal zum Überflusse an den Gegenstand geht, – ent-wickelt, unter der Ruhe der Wissbegierde und des befriedigten Erkenntnistriebes, in der unbeschäftigten Seele sich der ästhetische Sinn. ...
Nur der Sinn für das Ästhetische ist es, der in unserem Innern uns den ersten festen Standpunkt gibt; das Genie kehrt darin ein, und deckt durch die Kunst, die dasselbe begleitet, auch uns anderen die verborgenen Tiefen desselben auf.
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Über Geist und Buchstab in der Philosophie. In einer Reihe von Briefen. in: SW VII, S. 290, 291
Über Geist und Buchstab in der Philosophie. In einer Reihe von Briefen. in: SW VII, S. 290, 291
Der Sinn für das Ästhetische.
Sehen Sie in diesem Beispiele eine kurze Geschichte der Entwickelung unseres ganzen ästhetischen Vermögens. Während der ruhigen Betrachtung, die nicht mehr auf die Erkenntnis dessen, was längst erkannt ist, absieht, sondern die gleichsam nochmal zum Überflusse an den Gegenstand geht, – ent-wickelt, unter der Ruhe der Wissbegierde und des befriedigten Erkenntnistriebes, in der unbeschäftigten Seele sich der ästhetische Sinn. ...
Nur der Sinn für das Ästhetische ist es, der in unserem Innern uns den ersten festen Standpunkt gibt; das Genie kehrt darin ein, und deckt durch die Kunst, die dasselbe begleitet, auch uns anderen die verborgenen Tiefen desselben auf.
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Über Geist und Buchstab in der Philosophie. In einer Reihe von Briefen. in: SW VII, S. 290, 291
Über Geist und Buchstab in der Philosophie. In einer Reihe von Briefen. in: SW VII, S. 290, 291
Samstag, 14. November 2015
Die Kunst macht den transzendentalen Gesichtspunkt zu dem gemeinen.
Joshua Reynolds, Selbstbildnis
Die schöne Kunst bildet nicht, wie der Gelehrte, nur den Verstand, oder wie der moralische Volkslehrer, nur das Herz; sondern sie bildet den ganzen vereinigten Menschen. Das, woran sie sich wendet, ist nicht der Verstand, noch ist es das Herz, sondern es ist das ganze Gemüt in Vereinigung seiner Vermögen; es ist ein drittes, aus beiden zusammengesetztes. Man kann das, was sie tut, vielleicht nicht besser ausdrücken, als wenn man sagt: sie macht den transzendentalen Gesichtspunkt zu dem gemeinen. -
Die schöne Kunst bildet nicht, wie der Gelehrte, nur den Verstand, oder wie der moralische Volkslehrer, nur das Herz; sondern sie bildet den ganzen vereinigten Menschen. Das, woran sie sich wendet, ist nicht der Verstand, noch ist es das Herz, sondern es ist das ganze Gemüt in Vereinigung seiner Vermögen; es ist ein drittes, aus beiden zusammengesetztes. Man kann das, was sie tut, vielleicht nicht besser ausdrücken, als wenn man sagt: sie macht den transzendentalen Gesichtspunkt zu dem gemeinen. -
Der Philosoph erhebt sich und andere auf diesen Gesichtspunkt mit Arbeit, und nach einer Regel. Der schöne Geist steht darauf, ohne es bestimmt zu denken; er kennt keinen anderen, und er erhebt diejenigen, die sich seinem Einfluß überlassen, ebenso unvermerkt zu ihm, daß sie des Übergangs nicht bewußt werden.
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System der Sittenlehre [1798] SW IV, S. 353
Freitag, 13. November 2015
Radikale Künstlerphilosophie.
Sein philosophisches System hatte [Fichte] bereits im Jahre 1794 in der Grundlage der gesamten Wissenshaftslehre zu entwickeln begonnen, die das Thema behandelt: wie kommt Wissen zustande? Seine Deduktion nimmt ihren Ausgang von einer kritischen Untersuchung der kantschen Erkenntnistheorie. Diese hatte die Ursache unserer Empfindungen im Ding an sich erblickt, das, wie wir bereits darzulegen versuchten, ein ziemlich prekärer und widerspruchsvoller Begriff war; demgegenüber erklärt Fichte: das absolut Erste, Primäre und Ursprüngliche ist nicht das Ding an sich, sondern das Ich; dieses ist die Grundvoraussetzung und Grundbedingung jeder Art von Erfahrung, weil es alle Erfahrung überhaupt erst möglich macht. Da alles Denken, alle Empirie, die Gesamtheit aller Objekte im Ich gesetzt ist und nur in ihm, kann das Ich durch nichts anderes gesetzt sein als durch sich selbst. Das Sein des Ich ist seine eigene Tat und somit keine Tatsache, sondern eine Tathandlung.
Wie aber kommt das Ich dazu, diese ursprüngliche Tathandlung zu begehen? Dies wird von Fichte dadurch erklärt, dass das Ich von Natur den Drang zur Produktion in sich trägt, dass das theoretische Ich sich auf das praktische Ich gründet, dessen Wesen Trieb, Wille, Streben ist. Die Existenz des Ich ist keine Behauptung, sondern eine Forderung, kein Axiom, sondern ein Postulat, kein Schluss, sondern ein Entschluss; daher heißt der oberste Satz der fichtischen Philosophie: setze dein Ich! Ohne Ich gibt es keine objektive Welt, keine Natur, kein Nicht-Ich. Daher lautet der zweite Hauptsatz: das Ich setzt das Nicht-Ich, das Ich setzt sich und sein Gegenteil. Das theoretische Ich setzt einen Gegenstand, damit das praktische einen Widerstand habe.
... Diese ganze Deduktion handelt jedoch von Tatsachen des Unterbewusstseins. Nun gibt es aber eine menschliche Geistestätigkeit, in der der dunkle Vorgang jedermann klart vor Augen liegt. Diese Tätigkeit ist die Kunst. Das Vermögen, wodurch die Kunst ihre Tätigkeit vollbringt, ist gleichfalls die Einbildungskraft, und das Resultat, zu dem sie gelangt, ist dasselbe wie das der fichtischen "Produktion": Wenn nämlich die Kunst ihre Tätigkeit vollendet hat, so stehen auch ihre Produkte als scheinbare selbständige Objekte da, als Realitäten, die vom Ich des Künstlers losgelöst erscheinen.
Dennoch besteht ein bedeutsamer Unterschied. Was dort der Mensch bewusstlos vollbringt: die Schöpfung einer in sich zusammenhängenden Welt, das tut hier der Künstler mit völligem Bewusstsein. Hier wird die Theorie zur Wirklichkeit, und was jeder Mensch tut, ohne es zu wissen, in der Dunkelkammer des Unterbewusstseins, das vollzieht der Künstler als seiner selbst mächtiges Wesen im Tageslicht seines Selbstbewusstseins. Darum hat Fichte gesagt: "Die Kunst macht den transzendentalen Gesichtspunkt zum gemeinen." Seine Philosophie ist, wenn man sie recht versteht, eine radikale Künstlerphilosophie. Und die Romantiker verstanden sie und machten Ficht zu ihrem Propheten.
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Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, 3. Buch, S. 256f.
Projekt Gutenberg-DE
Nota. - Darf man von Egon Friedell, gepriesen und abgetan als "genialer Dilettant", erwarten, dass er zu denen gehörte, die die Wissenschaftslehre 'recht verstanden' haben? – Gerade auf diesem Gebiet war Friedell eben kein Dilettant, seinen philosophischen Doktorgrad hat er mit einer Dissertation über Novalis als Philosoph erworben; und sein obiger kurzer Abriss der Grundlage ist für einen, der Nova methodo noch nicht kennen konnte, gar nicht schlecht.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
Donnerstag, 12. November 2015
Wie kommt das Ich dazu, aus sich heraus zu gehen?
kartenkaufhaus
Unsere Frage könnte auch so heißen: Wie kommt das Ich dazu, aus sich heraus zu gehen? Diese Frage macht eigentlich den Charakter der Wissenschaftslehre aus. Die Lehre von der produktiven Einbildungskraft wird hier eine neue Klarheit und Festigkeit erlangen. Die gesamte Sinnenwelt wird durch sie hervorgebracht, nach ihren bestimmten Gesetzen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 78
Nota. - Wobei nie zu vergessen ist: Die Gesetze der Einbildungskraft waren nicht gegeben, bevor sie tätig wurde, sondern werden gesetzt, indem sie einbildet.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
Mittwoch, 11. November 2015
Ein wirkliches Bewusstsein ist nur möglich durch Beschränktheit.
Ein einzelner Teil aufgefasst und auf den Willen bezogen, bedeutet Befriedigung, aber da es nur ein einzelner Teil ist, auch Beschränktheit. Also Kausalität und Beschränktheit werden unzertrennlich sein, Dadurch, dass es Kausalität ist, ist etwas für uns, denn wir können uns nur im Wirken anschauen; dadurch, dass es begrenzt ist, wird es ein Fühlbares, Anschaubares, Denkbares, ein Quantum.
Mein wahres Sein ist Bestimmtheit meines Wollens; dadurch ist nun auch mein ganzer Zustand bestimmt; denn Zeit, Fortgehen in der Zeit ist nur zufolge unseres Denkens. Ich* werde nicht in der Zeit, ich bin auf einmal fertig für immer. Dieses ganze Sein wird aufgefasst in der Zeit, und dadurch wird es erst für das Denken ein Werden in der Zeit.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S.155
*Nota. - Hier ist vom Ich im transzendentalen Verständnis die Rede; nicht von einer empirischen Person. Jenes wird dieser zu Erklärungszwecken zu Grunde gelegt.
JE
Montag, 9. November 2015
Die Wissenschaftslehre behandelt etwas, von dem wir keine Erfahrung haben können.
Zuförderst, der Idealismus stellt auf eine Reihe von ursprünglichen Handlungen. Dass es eine solche Reihe gibt, wird nicht behauptet, dies wäre gegen das System, denn darin hießt es: Das Erste kann nicht sein ohne ein Zweites usw. Die Handlungen kommen also nicht einzeln vor, da ja die eine nicht ohne die andere sein soll, mit einem Schlage bin ich und / ist die Welt für mich. Aber im System müssen wir [das], was eigentlich nur eins ist, als eine Reihe von Handlungen betrachten, weil wir nur auf diese Art denken können, weil wir nur Teile, und zwar bestimmte, auffassen können.
Wenn das Vernunftwesen nach gewissen Gesetzen in der Erfahrung verfährt, so muss es auch so in dem Gebiete der Philosophie verfahren: Ein Gedanke muss an den andren angeknüpft werden. Dann muss man den, der so fragt, bitten zu bedenken, was er denn eigentlich frage. Was heißt den wirklich, was heißt Realität? Nach dem Idealismus das, was notwendig im Bewusstsein vorkommt.
Kommen denn diese Handlungen vor, wo und wie? Auf dem Gebiete der Erfahrung nicht, kämen sie da vor, so wären sie selbst Erfahrung und gehörten nicht in die Philosophie, welche den Grund der Erfahrung angeben soll. Also eine solche Wirklichkeit wie die der Erfahrung haben diese Handlungen nicht, auch kann man nicht sagen, diese Handlungen geschähen in der Zeit, weil die Erscheinungen nur Realität in der Zeit haben.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 22f.
Nota. - Die Wissenschaftslehre handelt von dem, was im Denken geschehen sein muss, bevor es zu Bewusst-sein gelangt ist; was es getan haben muss, um zu Bewusstsein zu kommen (und hätte es das unterlassen, wäre ein Bewusstsein nie entstanden). Von etwas, von dem das Bewusstsein nichts weiß, weil es davon noch keine Er-fahrung machen konnte. Die Wissenschaftslehre spekuliert: Sie experimentiert mit Vorstellungen davon, was (nicht) gewesen wäre, wenn (nicht)...
JE
Sonntag, 8. November 2015
Erfahrung von Dingen außer uns.
In der Erfahrung, welche durch dieses System* deduziert werden soll, findet man die Objekte und ihre Beschaf-fenheiten; in dem System aber die Handlungen des Vernunftwesens und die Weisen derselben, inwiefern Ob-jekte durch sie hervorgebracht werden, denn der Idealismus zeigt, dass alle andre Art, zu Objekten zu kommen, keinen Sinn habe. Der Philosoph fragt, wie entstehen Vorstellungen von den Dingen, die außer uns sein sollen? ...
Die Philosophie enthielte sonach ein System solcher Handlungen, wodurch Objekte für uns zustande kommen. Aber gibt es denn wirklich solche Handlungen, wie [sie] im Idealismus vorgetragen werden? Hat das darin Vor-getragene Realität, oder ist es nur von der Philosophie erdichtet?
*) die Wissenschaftslehre
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 22
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