Samstag, 6. April 2019

Ein höherer und ein niederer Wille.

Encomendatio
 
Es gehört sonach zur Wahrnehmung der hier geforderten Einwirkung folgendes: Die Person muss der Ein- wirkung stille halten, sich ihr hingeben, sie muss die in ihrem Organ hervorgebrachte Modifikation nicht auf- heben. Sie könnte das durch ihren bloßen Willen und muss, wenn es nicht geschehen soll, die Freiheit ihres Willens beschränken. Ferner, sie muss die in ihr hervorgebrachte Modifikation ihres Organes innerlich mit Freiheit nachbilden.

Es ist gesagt, eine mögliche Äußerung ihrer Freiheit ist aufgehoben. Dies heißt keinesweges: Es ist überhaupt die Tätigkeit nach irgend einer / Richtung und zu einem gewissen Zwecke ihr unmöglich gemacht, sondern nur, es ist in ihr etwas, das sie selbst hervorzubringen vermag, in ihr hervorgebracht, aber so, dass sie es nicht ihrer eigenen Wirksamkeit, sondern der Wirksamkeit eines Wesens außer ihr zuschreiben muss. Überhaupt, nichts kommt in der Wahrnehmung eines vernünftigen Wesens vor, was es nicht selbst hervorbringen zu kön- nen glaubt oder dessen Hervorbringung es sich nicht zuschreiben kann; für alles andere hat es keinen Sinn und es liegt schlechterdings außerhalb seiner Sphäre.


Dieses in ihrem Organ Hervorgebrachte bildet sie mit Freiheit durch das höhere Organ nach, doch so, dass sie auf das niedere nicht einfließe, indem sonst allerdings zwar dieselbe Bestimmung des artikulierten Leibes da sein würde, nur nicht als eine wahrgenommene, sondern als eine hervorgebrachte, nicht als durch eine fremde, sondern als durch die eigene Wirksamkeit des Subjekts entstanden. Es kann nicht gesehen werden, wenn nicht zuvörderst der Einwirkung stille gehalten und dann in der Form des Objekts innerlich nachgebildet, ihr Umriss tätig entworfen wird; es wird nicht gehört, wenn nicht innerlich die Töne nachgeahmt werden durch dasselbe Organ, durch welches im Sprechen die Töne hervorgebracht werden. Ginge aber diese innere Kausalität fort bis auf das äußere Organ, so würde gesprochen und nicht gehört.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre,
SW Bd. III, S. 64f.



Nota. - Ist er aus der Verrenkung herausgekommen? Kann ich nicht erkennen. Mit der rein spekulativen Unterscheidung zwischen einem "höheren" und einem "niederen" Organ mutet er der Transzendentalphilo- sophie etwas mehr zu, als in ihre Zuständigkeit fällt; die Rede ist ja vom physischen Leib, nicht von einem aus seiner Wirkung rückwärts erschlossenen 'Vermögen'. 

Irgendwie soll begreiflich werden, dass ein Leib als physischer Träger eines idealen Willens nicht tut, was jener ihm gebietet, sondern was irgend ein Anderer will - und zwar, ohne doch den eigenen Willen aufzugeben. Da muss irgendwo eine Verdoppelung eintreten, das ist offenkundig.

Der heutige Leser unterscheidet zwischen Sinneszellen, Neuronen, peripherem Nervensystem, Muskelapparat und Knochengerüst - und noch vielem anderen, das aber nicht hierhergehört. Dazwischen passiert es, dass der eine Wille einem andern Willen untergeordnet wird. Wie, ist nicht Sache der Philosophen. 

Es will mir scheinen, als ginge Fichte hier über seine Befugnisse hinaus. Auch Hegel hat sich später im Herr-und-Knecht-Kapitel der Phänomenologie an dem Thema verhoben und hat nichts erklärt, sondern alles mystifiziert. Aber der hat nie die Transzendentalphilosophie für sich reklamiert und hat kritisch nur im rhetorischen Sinn gebraucht.

Wolln wir sehen, ob Fichte uns zu materialen Schlussfolgerungen führen will, oder vorsichtig zurückscheut!
JE

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