M. A. R. Guimarães
g. Aber auch durch diese Voraussetzung soll der menschliche Leib nicht begriffen werden können. Seine Ar- tikulation müsste sonach sich überhaupt nicht begreifen lassen in einem bestimmten Begriffe. Sie müsste nicht hindeuten auf einen bestimmten Umkreis der willkürlichen Bewegungen wie bei dem Tiere, sondern auf alle denk- baren ins Unendliche. Es würde gar keine Bestimmtheit der Artikulation da sein, sondern lediglich eine Bestimm- barkeit ins Unendliche; keine Bildung derselben, sondern nur Bildsamkeit. -
Kurz, alle Tiere sind vollendet und fertig, der Mensch ist nur angedeutet und entworfen. Der vernünftige Beob- achter kann die Teile gar nicht vereinigen, außer in dem Begriffe seines Gleichen, in dem ihm durch sein Selbstbe- wusstsein gegebenen Begriffe der Freiheit. Er muss den Begriff von sich unterlegen, um etwas / denken zu können, weil gar kein Begriff gegeben ist; nach jenem Begriffe aber kann er nur alles erklären.
Jedes Tier ist, was es ist, nur der Mensch ist ursprünglich gar nichts. Was er sein soll, muss er werden; und da er doch ein Wesen für sich sein soll, durch sich selbst werden. Die Natur hat alle ihre Werke vollendet, nur vom Menschen zog sie ihre Hand ab und übergab ihn dadurch an sich selbst.
Bildsamkeit als solche ist der Charakter der Menschheit. Durch die Unmöglichkeit, einer Menschengestalt ir- gend einen anderen Begriff unterzulegen als den seiner selbst, wird jeder Mensch innerlich genötigt, jeden anderen für seines Gleichen zu halten.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 79f.
Nota. - Holla! Das musste er also noch unterbringen - und dabei so tun, als habe er es aus den Prämissen der Wissenschaftslehre deduziert. Das ist auch gar nicht so falsch, in dem Sinne nämlich, dass andere Prämissen zu dieser Frage nicht gegeben sind. Ob diese Frage jedoch in dieser Form an diese Stelle gehört, ist - eine Frage für sich.
Also was 'die Natur' mit den Tieren vorgehabt und angestellt hat, ist auf jeden Fall kein Thema der Transzen- dentalphilosophie. Herder, der ein früher Gegner der Transzendentalphilosophie war, hat den klugen Gedan- ken in die Welt gesestzt, dass der Mensch im Vergleich zum Tier ein Mängelwesen sei; dass er unvollendet auf die Welt käme und durch Erziehung und Kultur zum Menschen erst gemacht werden müsse. Das ging gegen Rous- seau und beruhte auf historisch-empirischen Erwägungen.
Jener war aber auch klug gewesen und hatte das Bewusstsein seiner Zeit auf eine ganz neue Ebene gehoben. Es ist wohl wahr, dass sich der Widerspruch dieser beiden nur heben lässt, wenn man die Frage der 'Natur' des Menschen nicht nach seiner Herkunft, sondern nach seiner Bestimmung beantworten will - und die ist allerdings nicht empirisch, sondern nur kritisch-transzendentalphilosophisch zu stellen und zu beantworten.
Aber da hat die Erörterung bei der Realität der Reihe vernünftiger Wesen alias beim "Gesellschaftsvertrag" sel- ber zu beginnen. Die Vertragsfiktion muss ihrerseits auf das Postulat der sich-selbst-setzenden Vernunftsubjekte zurückgeführt werden. Da würde das Postulat als ein solches zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Es ist die Frage - nein, der Streit, ob die Wissenschaftslehre gelten soll.
Freiheit wird nicht aufgefunden, sondern behauptet. Nur wenn diese Behauptung gilt, ist Bildsamkeit der Cha- rakter der Menschheit; und umgekehrt.
JE
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