Freitag, 13. Juni 2014

Als ob ich die Welt selber gemacht hätte.



Franz Gertsch, Bromelia,Guadeloupe 2012 

Ich mache mich deutlicher. Auf dem transzendentalen / Gesichtspunkt wird die Welt gemacht, auf dem gemeinen ist sie gegeben: auf dem ästhetischen ist sie gegeben, aber nur nach der Ansicht, wie sie gemacht ist. Die Welt, die wirkliche Welt, die Natur, denn nur von ihr rede ich, - hat zwei Seiten: sie ist [1.] Produkt unserer Beschränkung; sie ist [2.] Produkt unseres freien, es versteht sich, idealen Handelns (nicht etwa unserer reellen Wirksamkeit). In der ersten Ansicht ist sie selbst allenthalben beschränkt, in der letzten selbst allenthalben frei. Die erste Ansicht ist gemein, die zweite ästhetisch. ... 


Wer der ersten Ansicht nachgeht, der sieht nur verzerrte, gepreßte, ängstliche Formen; er sieht die Häßlichkeit; wer der letzten nachgeht, der sieht kräftige Fülle der Natur, er sieht Leben und Aufstreben; er sieht die Schönheit. So bei dem Höchsten. Das Sittengesetz gebietet absolut, und drückt alle Naturneigung nieder. Wer es so sieht, verhält sich zu ihm als Sklav. Aber es [das Sittengesetz] ist zugleich das Ich selbst; es kommt aus der inneren Tiefe unseres eigenen Wesens, und wenn wir ihm gehorchen, gehorchen wir nur uns selbst. Wer es so ansieht, sieht es ästhetisch an. Der schöne Geist sieht alles von der schönen Seite; er sieht alles frei und lebendig. ...

 Wo ist die Welt des schönen Geistes? Innerlich in der Menschheit, und sonst nirgends. Also: die schöne Kunst führt den Menschen in sich selbst hinein, und macht ihn da einheimisch. Sie reißt ihn los von der gegebenen Natur, und stellt ihn selbständig und für sich allein hin. ... Ästhetischer Sinn ist nicht Tugend: denn das Sittengesetz fordert Selbständigkeit nach Begriffen, der erstere aber kommt ohne alle Begriffe von selbst. Aber er ist Vorbereitung zur Tugend, er bereitet ihr den Boden, und wenn die Moralität / eintritt, so findet sie die halbe Arbeit, die Befreiung aus den Banden der Sinnlichkeit, schon vollendet. Ästhetische Bildung hat sonach eine höchst wirksame Beziehung auf die Beförderung des Vernunftzwecks...

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Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, SW Bd. IV, S. 353ff.


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