Mittwoch, 18. Juni 2014

"Das Ensemble seiner gesellschaftlichen Verhältnisse..."



Es ist kein Mensch, der das Böse liebe, weil es böse ist; er liebt in ihm nur die Vortheile und Genüsse, die es ihm verheisset, und die es ihm in der gegenwärtigen Lage der Menschheit mehrentheils wirklich gewährt. So lange diese Lage fortdauert, so lange ein Preis auf das Laster gesetzt ist, ist eine gründliche Verbesserung der Menschen im Ganzen kaum zu hoffen. 

Aber in einer bürgerlichen Verfassung, wie sie seyn soll, wie sie durch die Vernunft gefordert wird, wie der Denker leicht sie beschreibt, ohnerachtet er bis jetzt sie nirgends findet, und wie sie sich unter dem ersten Volke, das sich wahrhaftig befreit, nothwendig bilden wird – in einer solchen Verfassung zeigt das Böse keine Vortheile, sondern vielmehr die sichersten Nachtheile, und durch die blosse Selbstliebe wird die Ausschweifung der Selbstliebe in ungerechte Handlungen unterdrückt.

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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 276 


Nota.

"Die Umstände sind schuld" sagt er nicht direkt, den Einzelnen von seiner Verantwortung lossprechen lag nicht in seinem Sinn. Dass aber die sachlichen Bedingungen der Schlüssel zur Verbesserung der bürgerlichen Zustände sind und nicht die Erziehung der Einzelnen, war ihm, anders als Schiller, selbstverständlich. 

Dass die politische Verfassung einer Gesellschaft keine Sache der Moralität ist, war ihm ebenso klar; nur hat er es nicht immer so klar ausgesprochen.
JE



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE   

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