Donnerstag, 30. April 2015

Ich soll wollen.



Zuvörderst kommt die intellektuelle Anschauung nicht unmittelbar vor, sondern sie wird in jedem Denkakte nur gedacht, sie ist das Höchste im endlichen Wesen. Auch der Philosoph kann sie nur durch Abstraktion und Reflexion zu Stande bringen.

Negativ gesehen ist sie keine sinnnliche [Anschauung]. Die Form der sinnlichen Anschaunng ist Übergehen von Bestimmbarkeit zu Bestimmtheit. Die muss in jenem [reinen] Wollen, insofern es intellektuell angeschaut wird, ganz und gar wegfallen, und es bleibt nur übrig ein bloßes Anschauen unserer Bestimmtheit, die da ist, aber nicht wird. ... Es wäre sonach ein bloßes Anschauen meiner selbst als eines Bestimmten. 

Wie wird nun diese Bestimmtheit erscheinen? Erscheinung passt nur auf sinnliche Wahrnehmung, wie kommt sie also in der sinnlichen Wahrnehmung vor? Als ein Wollen, aber das Wollen ist nach dem Obigen ein Sollen, ein Fordern. Sonach müsste diese Bestimmtheit erscheinen als bestimmtes absolutes Sollen, als kategorische Forderung. 

Diese bloße Form des Wollens, diese absolute Forderung ist noch nicht das Sittengesetz. Dieses wird es erst, indem es auf einen sinnliche Willkür  bezogen wird, und davon ist hier noch nicht die Rede.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 142


Nota. - Da war ich also beim Kommentar zu meinem gestrigen Eintrag voreilig; ich hatte mal wieder nicht richtig aufgepasst. Meinen Einwänden war Fichte längst zuvorgekommen. (Man darf beim Lesen keine zu langen Pausen machen, sonst verliert man den Faden.) 

Wir sind hier noch (oder wieder) bei der intellektuellen Anschauung: Ich schaue mich an als einen Bestimmten; einen als wollend bestimmten. Ich soll mich als einen Wollenden anschauen.

So weit, so gut. Aber weder das Nichtdürfen noch (folglich) die Begierde wird mir hierdurch begreiflicher. Ganz so voreilig war ich doch nicht.
JE



Mittwoch, 29. April 2015

Unreines Wollen, Nichtdürfen; Begierde, Sollen, Bewusstsein.


Courbet

...Dies wäre ein Streben, eine Tendenz zum Wollen, welche kein Wollen werden kann vermöge der Beschränkt- heit, eine Begierde, und das Gefühl dieser Beschränktheit wäre, da der reine Wille kategorisch ist, das Gefühl des Nichtdürfens.

Kant hat sich oft, und auch in der Einleitung zum Naturrecht, insbesondere so erklärt: als ob die gegen das reine Wollen strebende Begierde unerklärlich sei. Sie ist aber allerdings erklärbar, sie ist Bedingung des Selbst- bewusstseins, denn sie ist Bedingung des Gefühls des reinen Wollens, ein Gesetz wird; und / ohne Vorausset- zung des reinen Wollens ist kein Bewusstsein möglich. 

Die Begierde gilt für alle endliche Vernunft; wer der Begierde entledigt sein will, der will des Bewusstseins entledigt sein.

Heilig ist für uns kein endliches Vernunftwesen, das Bewusstsein hat. Das Bewusstsein Gottes ist unerklärbar.

Aus der Vereinigung des reinen Wollens mit der Begierde entsteht ein Gefühl des Sollens, eines inneren, kate- gorischen Treibens zum Handeln. ...
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 144f.


Nota. - Das ist nun rätselhaft. Wo kommt das Nichtdürfen auf einmal her? Das Nichtkönnen liegt an der Beschränktheit durch die Gegenständlichkeit des Gegenstands und erscheint im Gefühl. Das steht ganz am Anfang. Doch das Nichtdürfen ist offenbar eine moralische Bestimmung und käme aus der Sittenlehre; wie aber hier?! 


Das Nichtdürfen wäre wohl nur aus einem Sollen zu erklären, nämlich aus dem Sollen genau des Anderen. Hier aber muss das Nichtdürfen das Sollen erklären. Schleicht sich vor der Zeit die Moral - und welche Moral? - ein; oder schleicht sich in die transzendentale Betrachtung etwa gar ein psychologischer Gesichtspunkt? 

Wie dem auch sei - es ist immer heikel, wenn die kritische Philosophie positiv werden will.
JE


Dienstag, 28. April 2015

Ohne Begierde kein Bewusstsein.


Gyula Benczúr

Die Begierde gilt für alle endliche Vernunft; wer der Begierde entledigt sein will, der will des Bewusstseins entledigt sein.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 145







Mittwoch, 22. April 2015

Die Brücke zwischen Ich und Welt ist der Begriff der Kraft.



[Der Begriff von Kraft] ist kein bloß sinnlicher und kein bloß intelligibler Begriff, sondern beides zum Teil. Der Stoff, die Willensbestimmung ist intelligibel, die Form aber, in welche meine Sinnesbestimmung fällt, die Zeit, ist sinnlich. Er ist die Brücke zwischen der intelligiblen und sinnlichen Welt, das, wodurch das Ich heraus- und zu einer Sinnenwelt übergeht.

Durch ihn stellt sich das Ich vor sich selbst als Objekt hin und knüpft sein Bewusstsein an eine objekive Welt. So werde ich mir zu einem Objekte, zu einem Gegenstand der Wahrnehmung, und an die Objektive knüpft sich mir eine Sinnenwelt an; von da geht alle Ansicht der Welt aus. 

Darin lag der Fehler aller bisherigen Philosophen, dass man diese Erkenntnis als übersinnlich ansah; da doch unser Bewusstsein von der Wirklichkeit anhebt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 131






Dienstag, 21. April 2015

Kraft wird nicht angeschaut, sondern gedacht.


Herakles, nach Praxiteles

Die sinnliche Kraft in Beziehung auf unser Denken ist zuförderst ein Begriff, der aber nicht entsteht durch Anschauung eines Objekt, sondern durch das Denken des Mannigfaltigen in einer gewissen Verbindung. Kraft ist daher ein synthetischer Begriff, sie wird nicht angeschaut, sondern gedacht. Wenn ich das Mannigfaltige des Gefühls, das zufolge des Wollens entstehen soll, zusammenfasse, so bekomme ich den Begriff von Kraft.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 131


Nota. - Die Vorstellung der Wirkung alias Kausalität kommt zustande, indem zwischen die Anschauung von Vorher und Nachher unversehens eine Kraft hinzugedacht wird. Gedacht, nicht angeschaut. Kausalität kommt nicht als Erfahrungstatsache vor, sondern als metaphysische Spekulation.
JE



Montag, 20. April 2015

Das Bestimmbare und die Freiheit des Handelns bedeuten dasselbe: von vorn und von hinten.



Aus der Freiheit der Intelligenz folgt, dass die Materie und mit ihr der Raum teilbar sein muss ins Unendliche, weil sonst die absolute Freiheit gehemmt wäre, indem sie wenigstens so weit beschränkt wäre, einen bestimm- ten Teil der Materie in einen [sic] bestimmten Raum zu denken. 

Ebenso muss der Raum Stetigkeit haben ins Unendliche; ich mag teilen, so weit ich will, so finde ich immer noch zu teilen. Wenn dies nicht wäre, so hörte der RaBestimmbare und die Freiheit des Handelns bedingen einander.um irgendwo auf, und dies wäre die Grenze meiner Freiheit. 

Ich kann die Freiheit des Handelns nicht denken, ohne die Objekte schon zu haben. Ich bekomme den Raum mit den Objekten. Um die Handlung der Freiheit zu setzen, ein Objekt in einen beliebigen Raum zu setzen, muss das Objekt schon einen Raum  haben, es erfüllt schon einen Raum, aber keinen Platz (bestimmten Ort) im Raume. Es schwebt der Einbildungskraft nur vor. Ich habe beides schon, es ist das Bestimmbare.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 114


Nota. - Die Freiheit des Handelns und das Bestimmbare sind keine Sachen, sondern Ansichten eines Verhältnisses. Es ist ein aktives Verhältnis: Nur wenn ein Bestimmendes sich verhält, verhält sich auch das Bestimmbare.

Ich kann das Bestimmbare von  seiner Bestimmbarkeit unterscheiden. Aber dadurch wird das Bestimmbare nicht zu einer Sache, sondern zu einem Noumenon.
JE



Sonntag, 19. April 2015

Das Intelligible hineinsetzen in das Sinnliche.


Winslow Homer, Boy fishing

Was heißt sich denken, sich etwas denken? Die Art, wodurch die Noumene zu Stande kommen, ist das sich denken? Das Intelligible in das Sinnliche hineinsetzen als Vereinigungsgrund heißt: sich etwas denken. Das bloß Gedachte ist nicht in der Erfahrung, sondern wird erst durch das Erfahrene hineingetragen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 137


Nota. - Das Sinnliche ist das schlechterdings Mannigfaltige. Jedes Einzelne ist eine Welt für sich, ein Monade, die so, wie sie vor dir liegt, nichts mit irgendeiner andern Monade gemeinsam hat. Es 'ist' nicht einmal dieses-und-kein-anderes: Es begegnet dir nur als ein flüchtiger Moment in einem unendlichen Erlebnisstrom: ein Phänomen. Um es als dieses zu fixieren, musst du es aus dem Strom herausgreifen - und ipso facto zu den anderen Diesen gesellen, die du vorher schon herausgegriffen hattest. Und siehe, schon hast du ein Intelligibles in ein bislang nur Sinnliches hineingesteckt.

Und das war erst der Anfang.
JE




Samstag, 18. April 2015

Die Immanenz des Bewusstseins.




Das Bewusstsein geht nur auf das, was in ihm vorkommt, aber dies sind Vorstellungen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 3 








Freitag, 17. April 2015

Die Reflexion reflektieren


Toulouse-Lautrec

Das Vernunftwesen ist so eingerichtet, dass, indem es denkt, es in der Regel sein Denken nicht betrachtet, sondern nur das Gedachte, [und] sich selbst, als das Subjekt, im Objekte verliert. Doch liegt der Philosophie alles daran, das Subjekt als solches zu kennen, um seine Einflüsse auf die Bestimmungen des Objekts zu beurteilen. Dies kann nur dadurch geschehen, dass die bloße Reflexion zum Objekte einer neuen Reflexion genommen wird.
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System der Sittenlehre..., SW Bd. IV, S. 31




Donnerstag, 16. April 2015

Der erste Moment des Bewusstseins ist das Bestimmen des reinen Wollens.



...dass, sage ich, der erste Moment alles Bewusstseins in einer absoluten Synthesis der Entwerfung des Zweck- begriffes und eines Wollens dieses Zweckes bestünde. Nämlich der Zweckbegriff wird nicht etwa vorher ent- worfen, sondern unmittelbar in und mit dem Willen zugleich nur gedacht, als entworfen mit Freiheit, um das Wollen als frei finden zu können.
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Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 104







Mittwoch, 15. April 2015

Aus der Reflexion entsteht mir ein Bewusstsein.



Ich bin beschränkt, zuförderst praktisch. Diese Beschränktheit ist wieder beschränkt durch die im Zustande des Gefühls vorgegangene Veränderung; auf diese kann ich reflektieren oder nicht. Diese Reflexion ist die bisher [so] genannte Anschauung X; reflektiere ich aber einmal, so kann ich mich nicht allein beschränkt setzen, sondern ich muss auch noch ein / Beschränkendes hinzusetzen, dies ist die Anschauung Y. Reflektiere ich nicht, so bin ich für mich nicht da, und sonach ist auch außer mir für mich nichts da. 

Indem ich nun den geschilderten freien Akt vollziehe, werde ich mir meiner unmittelbar bewusst. Mit jeder Reflexion auf meinen Zustand und dem daraus folgenden Schlusse auf etwas außer mir ist eine Reflexion auf mich unmittelbar verknüpft, nicht in zwei besonderen Akten.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 98f. 


Nota. -  Die erste Realität ist das Gefühl. Es ist in jedem Falle ein Gefühl des Beschränktseins. Daraus schließt die Wissenschaftslehre auf das Vorhandensein von etwas Beschränkendem - einem Objekt außer mir - und auf das Vorhandensein von etwas, das sich nicht beschränken lassen will: Trieb, Streben, Wollen. Nur so kann Bewusstsein zustande gekommen sein; Selbstbewusstsein und Gegenstandsbewusstsein mit einem Mal.
JE





Dienstag, 14. April 2015

Die zwei Teile der Wissenschaftslehre.



Unsere Aufgabe ist längst die: die Bedingungen des Bewusstseins nach den schon bekannten Regeln zusammen zu setzen und das Bewusstsein vor unseren Augen gleichsame zu konstruieren, nur nicht wie der Geometer tut, der sich um die Frage, woher die Fähigkeit, Linien zu ziehen und Raum, herkomme, nicht bekümmert, dieser setzt schon Wissenschaftslehre voraus. 

Denn die Wissenschaftslehre muss das, womit sie / verfährt, sich selbst erkämpfen, und in dieser Rücksicht hat das System bestimmt zwei Teile. Bis dahin, wo gezeigt wurde, reiner Wille ist das wahre Objekt des Bewusst- seins, wurde ausgemittelt, womit verfahren werden sollte. Von da ging der andere Teil an. Wir konstruieren nun wirklich - wir haben nun Feld und Boden gewonnen und nun ein Verfahren zu schildern und anzuwenden. Wir setzen so zusammen: 

Anfangs hatte wir bloße Erkenntnis als Anfangspunkt des Bewusstseins, dann setzten wir hinzu, dass diese nicht ohne ein Wollen möglich sei, i. e. nicht ohne etwas, das [von] dem Vernunftwesen als Wollen gesetzt wird, das nur Erscheinung sei. So ist demanach an das Erstgeschilderte etwas angeknüpft; wir müssen auch eine immer fortfließende Reihe des Bewusstseins beschreiben. 

Was ist denn nun eigentlich das Objekt, das außer uns angenommen werden soll? Hier ist zuerst die Rede von einen Herausgehen aus uns selbst; hier muss streng deduziert werden; den schon angefallenen Punkt müssen wir da näher bestimmen, was in der beschriebenen Erkenntnis für ein Objekt außer uns enthalten ist?
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 178f.


Nota. - 'Zuerst' verfährt die Wissenschaftslehre analytisch, sie sucht: Von dem Bewusstsein, das sie (historisch) vorfindet, geht sie zurück auf dessen als notwendig eingesehenen Voraussetzungen. So gelangt sie zur Annah- me eines reinen Wollens als dem An-sich des Bewusstseins. Von da an verfährt sie synthetisch: Sie konstruiert, sie re konstruiert - nämlich 'wie aus dem Wollen wirkliche Objekte außer uns entstehen'. Aus dem Kreis des Be- wusstsein tritt sie nirgends heraus.
JE


Montag, 13. April 2015

In der Erfahrung findet Denkzwang statt.



In der Erfahrung findet Denkzwang statt, die Dinge so aufzufassen.  
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 94 


Nota. - Erfahrung ist eine Sache der Sinnlichkeit. Ein Teil der Einbildungskraft bleibt - an einem Punkt A - ge- wissermaßen am Gegenstand hängen, der sie "beschränkt" durch ein Gefühl, und wird dadurch zu realer Tätig- keit. Ein weiterer Anteil der verbliebenen freien Einbildungskraft wendet sich aus eignem Entschluss auf das Gefühl der eben in A geschehenen Beschränkung - und beschränkt sich selbst: Dies ist die ideale Tätigkeit der Reflexion. So ist der Weg der Erfahrung. In A findet Denkzwang statt und hat die Freiheit der Einbildungs- kraft ein Ende. Der verbliebene freie Anteil der Einbildungskraft geht fort ins Unendliche.
JE







Sonntag, 12. April 2015

Unendliche Reflexion.



Der Gang der Wissenschaftslehre ist: Das Ich setzt A, aber wenn A gesetzt sein soll, so muss es darauf reflektieren, darauf wieder reflektieren, und so fort.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 96






Samstag, 11. April 2015

Wechsel des Gefühls ist Bedingung des Bewusstseins.


Eberlein

Ist kein Ich für das Ich, so ist kein NichtIch und kein Bewusstsein. Aber die Anschauung und der Begriff des Ich sind nicht möglich ohne eine Veränderung seines Gefühls: Wechsel des Gefühls ist sonach Bedingung des Selbstbewusstseins, und qualis talis schlechthin zu postulieren.
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 Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 96


Nota. - Das ist keine logische, sondern eine genetische Herleitung. Logisch muss der Begriff des Ich gar nicht hergeleitet, sondern definiert werden. In die Definition packe ich, was ich will; was der Begriff dann taugt, wird sich durch seine Verwendung erweisen. 

Die Wissenschaftslehre hat es mit einem Begriff zu tun, der im wirklichen Leben längst mit einigem Erfolg gebraucht wird. Wer ihn bislang wie definiert hat, spielt dabei keine Rolle. Wenn sich Alle durch diesen Begriff verständigen können, müssen sie von einer gemeinsamen Grundlage ausgehen: einer Voraussetzung, die sie alle tatsächlich erbracht haben. Diese Voraussetzung ist aufzusuchen. Ist sie gefunden,  ist sie als solche zu postulieren.
JE



Freitag, 10. April 2015

Ich kann das Mannigfaltige nur nacheinander auffassen - daraus entsteht die Zeit.


Carl Roesch Kartoffellese, 1931

Ich bin überhaupt beschränkt, diese Beschränktheit macht mein Wesen aus (meinen einen und unteilbaren Zustand in alle Ewigkeit, wenn Ewigkeit heißt Negation der Zeit), und über diese darf nicht weiter gefragt werden, dies ist meine erste Beschränktheit. 

Nun wird aber von einer Veränderung der Beschränktheit geredet. Ich bin beschränkt im Auffassen meines Zustandes, das ich nur diskrete Quanta auffassen kann, über diese Beschränktheit kann ebenfalls nicht weiter gefragt werden. Z. B. ich kann nur durch die fünf Sinne auffassen, und mit jedem Sinn nur das, was ihm zukommt. Dies ist die Beschränktheit im Auffassen meines Zustandes. (Mein ganzes Bewusstsein ist nur ein Nach- und Nach-Entstehen und An-/bauen, es ist nur ein Analyse dessen, was schon da ist, so gewiss ich da bin.)

(Ist einmal das Auffassen nicht möglich, so entsteht ein Staunen, welches der Grund des Erhabenen ist.)

Der Grund, dass ich nur diskrete Größen auffassen kann, liegt ganz in mir. Es lässt sich nicht darüber hinausgehen. Es lässt sich nur sagen: So ist es, so finden wir uns, a priori kann der Philosoph nichts darüber ausmachen. Er kann bloß sagen, wenns nicht so wäre, könnte ich kein Bewusstsein setzen.
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 Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 135f.



Donnerstag, 9. April 2015

Deduktion der Zeit aus dem Gedächtnis und dem Wollen.



Die Aufgabe, die bei der Auflösung der Zeit entsteht, ist die: das Mannigfaltige des Gefühls zu vereinen. Diese Vereinigung entsteht so, dass das Mannigfaltige abgeleitet werde von den Willensbestimmungen und auf sie bezogen werde. S. 135

Von den diskreten Auseinanderliegenden hängt der Begriff der Zeit ab. ...

Soll das Mannigfaltige dem Denken erscheinen als eine Reihe, so muss ganz dasselbe mit allem mannigfaltigen Denken vereinigt sein durch alles Denken. In allem Denken muss das Eine vorkommen, ohne dasselbe muss kein Denken möglich sein. Dies ist nun die ... beschriebene intellektuelle Anschauung des Wollens. Diese wird durch das ganze diskursive Denken hindurch wiederholt, diese ists, die in allen Momenten hindurchgedacht wird. Hierauf gründet sich die Lehre vom Gedächtnisse. Ich sehe mich selbst in die Zeit hinein, ich bin nicht in der Zeit, inwiefern ich mich intellectualiter anschaue als mich selbst bestimmend.

Eigentlich ist die intellektuelle Anschauung nur Eine und in keiner Zeit, nur durchs diskursive Denken wird sie geteilt und fällt in die Zeit. Ich schaue mich an als wollend, da ist keine Zeit, kein vor oder nach; nur das Bedingte fällt in die Zeit; mein Wollen aber ist durch nichts bedingt. S. 136
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 135, 136.







Mittwoch, 8. April 2015

Die Zeit ist das Mittelglied zwischen dem Intelligiblen und dem Sinnlichen.




Alles Denken ist in der Zeit; bei allem Denken dauert die Anschauung des Willens fort. Dieser Ausdruck ist nicht adäquat, aber er würde so [sic]: Indem ich die Anschauung auf das Mannigfaltige des Wollens beziehe, wird sie dauernd. Nur in dieser Rücksicht kann die Zeit Form der Anschauung heißen: Sie ist Form der intellektuellen Anschauung, die aber dadurch, dass sie in die Zeit aufgenommen wird, versinnlicht wird. Die Zeit ist also das Mittelglied zwischen dem Intelli-/giblen und Sinnlichen.

Wir bekommen sonach dreierlei Anschauungen:

a) sinnliche im Raum,
b) intelligible unseres Wollens,
c) solche, in welchem beides vereinigt ist, die Anschauung unseres Wollens in der Zeit.

Wir sehen jetzt klarer, was durch die Behauptung der intellektuellen Anschauung eigentlich behauptet wird. Es wir nicht behauptet, es könne ein Mensch bloß in der intellektuellen Anschauung sein. Der Mensch und jedes andere endlich Vernunftwesen ist sinnlich und in der Zeit. Die intellektuelle Anschauung ist das in allem Denken Bestimmbare, und muss gedacht werden als Grundlage alles Denkens. Sie lässt sich nur durch den Philosophen absondern, nicht aber im gemeinen Bewusstsein.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 136f.




Dienstag, 7. April 2015

Unser Denken gilt nicht an sich.



Der Geist unserer Philosophie ist: Kein vorgebliches Ding an sich kann Objekt des Bewusstseins sein. Nur ich selbst bin mir Objekt. Wie lässt sich unter dieser Voraussetzung das Bewusstsein erklären?

Wir können nur nach unseren Denkgesetzen erklären, und nach diesen muss die Antwort auf unsere Frage aus- fallen. Unsere Erklärung ist sonach auch nicht an sich gültig...

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 166


Nota. - Für eine an-sich-seiende, nämlich sich selbst bestimmende Vernunft ist offenbar kein Platz. Wer denkt, denkt im Raum und in der Zeit. Wie könnte etwas von außerhalb von Raum und Zeit dort hinein dringen? 
JE









Montag, 6. April 2015

Auch das Gefühl hängt von der Freiheit ab.


Es ist auch gesprochen worden von einem Gefühle. Seine Beschränktheit wird mit Freiheit gesetzt. Es wird auf sie reflektiert. Diese Beschränktheit ist das Gefühl; sonach hängt das Gefühl selbst mit ab von der Freiheit; es ist kein Gefühl, wenn nicht mit Freiheit darauf reflektiert wird. Ich muss dem Gefühle mich hingeben, sonst fühle ich nichts. 

Aus dem Gefühle folgt freilich alles von selbst, aber dass nur ein Gefühl entsteht, dazu gehört, dass das Ich sich gleichsam dem Gefühle entgegenbewegen müsse, wenn ein Gefühl und ein Resultat desselben für das Ich vorhanden sein soll.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 99


Nota. -
Um das zu verstehen, werde ich noch ein wenig nachdenken müssen. (Ich habe mir unlängst in der Tür einen Finger eingeklemmt.) JE






Sonntag, 5. April 2015

Gedanken sind zeitlos.



Das Wollen setzt einen Zweckbegriff voraus, dieser wieder ein Wollen, dieses wieder einen Zweckbegriff und so ins Unendliche. So also gibt es keinen Anfang, eins reiht sich uns aufs andere, wie schon oben mit dem Erkenntnisbegriffe und dem Zweckbegriffe. Dieser Zirkel ist noch tiefer als obiger. -

Es ist schon gezeigt worden, dass nicht von einer Reihe der Gedanken und ihrer Sukzession an sich geredet werden kann, sondern von der Erscheinung einer Sukzession für uns; so dass wir uns nur denken als denkend in der Zeit, nicht aber wirklich in der Zeit sind.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 191


Nota. - Im Reich der Logischen ist alles gleichzeitig, d. h. zeitlos. Die Vorstellung, dass dieses aus jenem folgt und also eines nach dem andern kommt, setzt ja einen voraus, der Schlüsse zieht, nämlich weil er will; der ist in der Zeit, die Schlüsse selber nicht; er könnte anderswo anfangen oder auch gar nicht: Für die Gültigkeit der Schlüsse ist das ohne Belang.
JE



Samstag, 4. April 2015

Die Zeit entsteht aus dem Wollen.



Das Bewusstsein ist überhaupt in keiner Zeit. Nur sie hat Anfang und Ende. Die ganze Zeit ist bloß Ansicht, die dadurch entsteht, dass wir an das erste angenommene Wollen ein anderes als Erklärendes* anknüpfen, und auch vorwärts etwas anknüpfen, was daraus folgen soll.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 187


*) [rückwärts, als Erklärungsgrund, JE]






Freitag, 3. April 2015

Von Marx zu Fichte.



Das Kernstück dieses Blogs ist auf der einen Seite das Herausarbeiten des wesentlich revolutionären Charakters von Fichtes Philosophie, der sie so aktuell macht, als wäre sie eben erst zur Welt gekommen, und auf der andern Seite die Untersuchung, wie ein so radikaler Kopf so weit vom Wege abkommen und eine Lehre vertreten konnte, die von vielen als unzugänglich, von manchen gar als mystisch bezeichnet wird.  

Ich denke, so wie er selbst an Kant die Inkonsequenzen rügte, ist an ihm zu bemängeln, dass er nicht etwa zu weit, sondern am alles entscheidenden Punkt nicht weit genug gegangen ist. Er hat nichts in die Wissenschaftsleh- re aufnehmen wollen, das er nicht vor den Augen seiner Hörer aus erwiesenen Voraussetzungen zwingend her- geleitet hätte. Mit einer Ausnahme: der Vernunft, die ist vor allem Anbeginn schon immer dabei gewesen. Und das war die Stelle, wo er den Dogmatikern in die Falle ging.

*

Ich bin mir bewusst, dass ich mit meiner Darstellung noch recht einsam dastehe, und gebe zu, dass man sich mit Fichte auch auf andere Weisen beschäftigen kann. Aber ich muss es so machen.

Denn an Fichte bin ich auf einem ungewöhnlichen Weg gelangt, nämlich durch Marx

In meinen jungen Jahren war es üblich, Marx durch Hegel zu erklären: Er habe jenen "vom Kopf auf die Füße gestellt". Nach Marxens eigener (unrichtigen)* Auffassung hätte Hegel aus zwei Teilen bestanden, dem Fichte'schen Subjekt und der spinozischen Substanz. Beim bloßen Vom-Kopf-auf-die-Füße würde sich daran nichts ändern, allenfalls würden die Seiten verkehrt. Die 'Substanz' gehörte aber ganz ausgeschieden, wenn Marx, wie er doch wollte, ein revolutionärer Denker war. Sie ist der Nistplatz aller Mystifikationen und aller Reaktion. Und, was wissenschaftlich erheblicher ist, sie verhindert jedes Verständnis der Kritik der Politischen Ökonomie!

Die Kritik der Politischen Ökonomie verfährt wie alle Kritische Philosophie. Sie überprüft die überkommenen Begriffe auf ihre Herkunft und Tragfähigkeit, und was sich nicht bewährt, wird verworfen: An den verselbstän- digten Kategorien wird gezeigt, dass und wie in ihnen absichtsvoll handelnde historische Subjekte verborgen sind. Dies ist die positive Ansicht der Kritik: Sie zeigt die Menschen tätig, wo die Apologetik zeitlose Form behauptet.

Als Weihrauch der ominösen Substanz dient die mystifizierte, weil schematisierte und automatisierte Dialektik. Sie ist das Perfideste an Hegels zusammengestohlenen Galimatias. Die analytisch-synthetische Methode ist bei Fichte das Werkzeug in der Hand des Kritikers, mit dem er die verdinglichten Begriffe auseinandernimmt und die ihnen zugrundeliegenden Vorstellungen kenntlich macht. Bei Hegel ist sie "Selbstbewegung des Begriffs", die ohne tätiges Subjekt auskommt: Was als Subjekt erscheint, ist lediglich Agens der sich entfaltenden (und wieder zusammenfaltenden) Substanz. - Und in dieser Form konnte sie, als es soweit war, sich zum allbereiten Arka- num in Stalins "Dialektischem Materialismus" fügen.

Nach all dem angehäuften Unrat wird die Wissenschaftslehre heute wieder zum Reinigungsmittel des theoreti- sierenden Verstandes, "indem sie den Menschen auf seine eigenen Füße stellt"; auf die Füße, ja.

*) Diese Beschreibung träfe auf den jüngeren Schellings zu. Sie stammt auch nicht von Marx selbst, sondern von Moses Hess, dessen Kenntnisse lückenhaft waren. Marx hat sie später nie wieder aufgegriffen.

Donnerstag, 2. April 2015

Fühlen, anschauen, reflektieren.


Lo Spinario

Wie kann nun das Gefühl Gegenstand eines Begriffs werden? Bei der Anschauung wird eine Realität voraus- gesetzt, aber beim Fühlen nicht, das Fühlen ist selbst die Realität, die vorkommt. Ich fühle nicht etwas, sondern ich fühle mich. 

Welches ist nun der Übergang aus dem Gefühle zur Anschauung? Ich kann kein Gefühl anschauen, außer in mir; soll ich ein Gefühl anschauen, so muss ich doch fühlend sein. Es wird schlechthin reflektiert. Das Ich er- hebt durch eine neue Reflexion, die mit absoluter Freiheit geschieht, sich über sich selbst, [es erhebt] sich das Anschauende über sich, in wiefern es fühlend ist; es wird dadurch selbständig.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 71






Mittwoch, 1. April 2015

Begriff heißt Absicht.


David

Eine freie Handlung ist nur möglich nach einem frei entworfenen Begriff von ihr...
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 71


Nota. - Der Begriff Begriff spielt im Deutschen eine Sonderrolle, für die es in anderen Sprachen kaum eine Ent- sprechung gibt. Und in der Schulsprache der deutschen Philosophen erst recht, fast möchte man sagen, er sei ihr shibboleth: Wer's nicht richtig ausspricht, gehört nicht dazu. 

Vor Kant bestand die Philosophie (der Wolff-Baumgarten'schen Schule) nur aus Begriffen. Es wurde definiert, angehäuft und konstruiert. Kant musste erst wieder daran erinnern, dass man unter einem Begriff sich auch etwas müsse vorstellen können, und das sei nur aus der Anschauung herzuholen. Einem Philosophieren, das nur aus dem Verknüpfen von Begriffen bestünde, wollte er mit der Kritik der reinen Vernunft ein für allemal ein Ende setzen. 

Fichtes Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl setzte ein System in die Welt, wo die Begriffe 'sich selbst be- wegten', mit den denkenden Individuen gleichsam als ihren Vehikeln - ein begriffshubernder Automat mit dem ominösen Dreisprung als perpetuum mobile, von dem Kant sich nicht träumen ließ. Für Fichte selbst jedoch war Kant auch in diesem Punkt nicht konsequent genug, er hing unversehens noch der alten rationalistischen Gewohnheit an. Bei Fichte beziehen sich Begriffe gar nicht mehr auf irgend ein Sein, sondern überhaupt nur noch auf Handlungen, die in ihnen vorab als Zwecke vorgestellt werden. Der Begriff ist immer nur eine gefasste Absicht.
JE