Miró, Deux personnes et une libellule 1938
V. Wie und auf welche Weise sollen nun in einem materiellen Körper durch Veränderungen desselben Begriffe ausge-/drückt werden? Die Materie ist ihrem Wesen nach unvergänglich: Sie kann weder vernichtet noch kann neue hervorgebracht werden. Hierauf könnte der Begriff von der Veränderung des gesetzten Körpers sonach nicht gehen. Ferner, der gesetzte Körper soll ununterbrochen fortdauern; es sollen demnach dieselben Teile der Materie bei einander bleiben und den Körper fortdauernd ausmachen. Und dennoch soll er durch jeden gefass- ten Willen der Person noch verändert werden. Wie kann er nun ununterbrochen fortdauern und dennoch unauf- hörlich, wie zu erwarten ist, verändert werden?
Er ist Materie. Die Materie ist unteilbar bis ins Unendliche. Er, d. i. die materiellen Teile in ihm bleiben, und er würde dennoch verändert werden, wenn die Teile ihr Verhältnis untereinandeer selbst, ihreLage zu einander veränderten. Das Verhältnis der Mannigfaltigen zueinander nennt man die Form. Die Teile demnach, inwiefern sie die Form konstituieren, sollen bleiben; aber die Form soll verändert werden - (Inwiefern sie die Form konstituieren, sage ich: Es könnten also unaufhörlich welche sich abtrennen, wenn sie nur in demselben ungeteilten Momente durch andere ersetzt würden, ohne dass die geforderte Dauer des beschriebenen Körpers dadurch beschädigt würde.) - Demnach - unmittelbar durch den Begriff entsteht Bewegung der Teile, und dadurch Veränderung der Form.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 59f.
Nota. - Schon unter der Zeitgenossen hat die Pedanterie von Fichtes Darstellungen einigen Spott hervorge- rufen. Zu bedenken ist aber, dass es sich um den heikelsten Punkt der abendländischen Metaphysik handelt, das pp. Leib-Seele-Problem. Hätte er betörend duftende Wortblumen verwerdet, hätte er sich vielleicht kürzer, auf jeden Fall graziöser ausdrücken können, aber seine prosaische Auffassung gestattete nur eine prosaische Wort- wahl. - Bemerken Sie immerhin, dass er sich's nicht leicht macht und sich jeder Mühsal unterzieht, wo immer die Sache sie mit sich bringt. Von jedem Philosophen kann man das nicht sagen.
JE
IV. Der abgeleitete materielle Körper ist gesetzt als Umfang aller möglichen freien Handlungen der Person, und nichts weiter. Darin allein besteht sein Wesen.
Die Person ist frei heißt nach Obigem: sie wird lediglich durch das Entwerfen eines Begriffs von Zwecke, ohne weeteres, Ursache eines genau diesem Begriffe entsprechenden Objekts; sie wird bloß und lediglich durch ihren Willen als solchen Ursache: denn einen Begriff vom Zweck entwerfen heißt Wollen. Aber der beschriebene Körper soll ihre freien Handlungen enthalten; in ihm also müsste sie auf die beschriebene Weise Ursache sein. Unmittelbar durch ihren Willen, ohne irgend ein anders Mittel, müsste sie in ihm das Gewollte hervorbringen; wie sie etwas wollte, müsste es in ihm geschehen.
Ferner - da der beschriebene Körper nichts weiter ist als die Sphäre der freien Handlungen, so ist durch seinen Begriff der Begriff der letzteren [und] durch den Begriff der letzteren der seinige erschöpft. Die Person kann nicht absolut freie, d. h. unmittelbar durch den Willen wirkende Ursache sein, außer in ihm. Wenn ein bestimm- tes Wollen gegeben ist, so lässt sich sicher auf eine ihm entsprechende Veränderung im Körper schließen. Um- gekehrt kann in ihm keine Bestimmung vorkommen, außer zufolge einer Wirksamkeit der Person; und aus einer gegebenen Veränderung in ihm lässt sich ebenso sicher auf einen bestimmten und demselben entspre- chenden Begriff der Person schließen. - Der letztere Satz wird erst in der Zujunft seine gehörige Bestimmtheit und seine volle Bedeutung erhalten.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 59
Nota. - Fichte redet, und an gegebener Stelle hat er es ausgesprochen, vom artikulierten Teil des Körpers; dem, der dem Willen untersteht.
Und es wird klar: Die 'Sphäre der Freiheit', die das eine Vernunftwesen dem andern zuspricht, indem er es als ein solches anerkennt, ist zuerst einmal dessen eigner Leib. Das ist so selbstverständlich nicht, wie es dem heu- tigen Leser vorkommt, doch solange Leibeigenschaft, und sei es in der gemilderten Form der Erbuntertänig- keit, bestand, musste es 'deduziert' werden. Und in systematischer Hinsicht ist es noch immer nicht überflüssig.
JE
Nota. Das
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III. Diese Sphäre ist ein Bestimmtes; also
das Produzieren hat irgendwo seine Grenzen, und das Produkt wird als
ein vollendetes Ganzes im Verstande, dem Vermögen des Festhaltens,
aufgefasst und erst eigentlich dadurch ge- setzt (fixiert und
gehalten). Die Person wird durch dieses Produkt bestimmt nur, inwiefern
jenes Produkt dassel- be bleibt, und hört auf, es zu sein, wenn jenes
aufhört. Nun aber muss nach Obigem die Person, so gewiss sie sich als
frei setzt, sich auch als fortdauernd setzen. Sie setzt also auch das
Produkt als fortdauernd Dasselbe; als ruhend, festgesetzt und
unveränderlich, als ein mit einem Male vollendetes Ganzes.
Aber ruhende und einmals für immer bestimmte Ausdehnung ist / Ausdehnung im Raume. Jene
Sphäre wird so- nach gesetzt als ein im Raum ausgedehnter und seinen
Raum erfüllender beschränkter Körper, und in der Ana- lyse, deren
Bewusstsein uns allein möglich ist (da die geschilderte Synthesis oder
Produktion nur für die Mög- lichkeit der Analyse, und durch sie für die
Möglichkeit des Bewusstseins vorausgesetzt wird), notwendig als ein
solches gefunden.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 58f.
Nota. - Zunächst: Das ominöse setzen ist entschlüsselt als festhalten, auffassen und fixieren - nämlich im Verstand.
Wir sind aus der Transzendentalphilosophie übergetreten ins reelle Recht. Hier ist die Rede nicht mehr von 'dem Ich' als Noumenon, als absolutem Subjekt der Vernunft, sondern von wirklichen Mensch aus Fleisch und Blut, denen Vernünftigkeit als ihre Bestimmung angemutet wird - als ihre Bestimmung nämlich in dem Bereich, wo sie mit Menschen ihresgleichen wirklich in Verkehr treten - 'wechsel wirken'. In der Wirklichkeit ist das Ich alias das Ver- nunftwesen nichts anderes als ein Leib, der von einem freien Willen bewegt wird.
JE
Nota. Das
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Blechen, Bau der Teufelsbrücke, Ausschnitt, 1833
Das Reale
bedeutet mir das Objektive, das Ideale nur das Subjektive im Bewusstsein.
Beides wird nun besonders betrachtet als bestimmbar, und dieses Denken gibt uns
das bloß Intelligible. Das Intelligible ist sonach
nichts an sich, sondern etwas für die Möglichkeit unserer Erklärung Vorauszusetzendes.
So behandelt es auch Kant, und jede andere Ansicht wäre transzendent.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 192, S. 167
Nota. -
Das Reale ist das, was sich mir im Gefühl anzeigt. Ich bestimme es als dieses; ich mache mir einen Begriff. So kommt es in meinem Bewusstsein vor, er ist das Intelligible am jeweils Realen. Es ist Noumenon, das Phä- nomen wird selbst nicht angeschaut, sondern gefühlt. Es ist das Gefühl, das angeschaut und begriffen wird.
JE
Für die Transzendentalphilosophie ist Vernunft die absolute Zweckursache.
Nota: Die Transzendentalphilosophie hat zu ihrem Gegenstand nicht die Welt, sondern unsere Vorstellungen von der Welt. Unsere Vorstellungen von der Welt sollen vernünftig sein, damit wir dasjenige an der Welt, für das wir kausal sind, vernünftig machen können.
Die Wirkursache ist immer das Vorstellen selbst.
Botticelli, aus Maria mit den Engeln
Das Handeln des freien Wesens außer
mir, auf welches so geschlossen ist, verhält sich zu dem mir
angemuteten Handeln, wie der angefangene Weg zu der Fortsetzung
desselben. Es ist mit gegeben eine Reihe der Glieder, durch welche der
Zweck bedingt ist; eine Reihe, die ich vollenden soll. Zuförderst ist
sonach alles Handeln freier Wesen ein Hindurchgehen durch unendlich
viele Mittelglieder, die bloß durch die Einbildungskraft ge-fasst
werden, wie bei der Bewegung durch unendlich viele Punkte. Es
fordert mich jemand auf heißt: Ich soll an die gegebene Reihe des
Handelns etwas anschließen; er fängt an und geht bis auf einen gewissen
Punkt, von da soll ich anfangen.
Nun liegt hier ein unendliches
Mannigfaltiges der Handlungsmöglichkeiten, welche bloß durch
Einbildungs-kraft zusammengefasst werden. Denn das Handeln mehrerer
Vernunftwesen ist eine einzige durch Freiheit bedingte Kette. Die ganze
Vernunft hat nur ein einziges Handeln. Ein Individuum fängt an, ein
anderes greift ein und so fort, und so wird der ganze Vernunftzweck
durch unendlich Viele bearbeitet und ist das Resultat von der Einwir- kung
Aller. Es ist dies keine Kette physischer Notwendigkeit, weil von
Vernunftwesen die Rede ist. Die Kette geht immer in Sprüngen, das
Folgende ist immer durchs Vorher-/gehende bedingt, aber nicht bestimmt und wirklich gemacht. (vid. Sittenlehre) Die Freiheit besteht darin, dass aus allen möglichen nur ein Teil an die Kette angeschlossen werde.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 232f.
Nota I. – "Die
ganze Vernunft hat nur ein einziges Handeln." Ist das eine Vorhersage
ex ante? Oder ist es eine Interpretation ex post? Wo befinden wir uns:
Ganz am Anfang der "Kette", und er verspricht uns erst: So wird es sein?
Oder schon mittendrin in der Kette: Wir haben schon ein ganzes Stück
Weges geschafft und können schon annehmen: Hier geht es weiter zum
Vernunftzweck...? – Das eine ist die dogmatische Verkündigung einer
(schon jetzt) prästabilierten Harmonie, für die er eine Berechtigung
nicht nur nicht nachgewiesen, sondern nicht einmal problematisch
reklamiert hat. Das andre ist eine Art Pascal'sches pari: Ich will so handeln, als ob es Vernunft gä- be, dann werde ich wenigstens vernunftmäßig gehandelt haben.
Oder mit den Worten des Manns ohne Eigenschaften: "Ich schwöre Ihnen", erwiderte Ulrich ernst, "dass weder ich noch irgendjemand weiß, was der, die, das Wahre ist; aber ich kann
Ihnen versichern, dass es im Begriff steht, verwirklicht zu werden!" "Sie sind
ein Zyniker!" erklärte Direktor Fischl und eilte davon.
16. 10. 15
Nota II. - Zwei Auffassungen der Vernunft sind möglich, beide hat Fichte jeweils vertreten, offenbar ohne sich ihrer Unvereinbarkeit bewusst zu werden: Erstens, Vernunft als Gehalt ist immer da gewesen, woher auch immer sie kam, und Sache des zur Vernunft berufenen Menschen ist es, ihre Gehalte nicht nur in der Vorstellung, son- dern in seinen Handlungen in der Sinnenwelt auf zufinden und zu realisieren. Zweitens, Vernunft ist die Tätigkeit der Vernunftwesen selbst, und nur durch sie werden sie, machen sie sich zu solchen. Hier ist der Gehalt nicht seit Ewigkeit gegeben, sondern problematisch als Projekt auf gegeben:* das unendliche Übergehen vom unbe- stimmt- Bestimmbaren zur Bestimmung.
In der ersten Auffassung steht der Gehalt als Bestimmtheit schon immer fest. In der zweiten Auffassung ist der Gehalt durch Fortbestimmen immer erst noch zu er finden. Auf Standpunkt der zweiten ist Vernunft nur mög- lich als gemeinsames Handeln einer Reihe vernünftiger Wesen. Auf dem Standpunkt der ersten müsste auch einer für sich allein vernünftig sein können.
Vom Standpunkt der Transzendentalphilosophie ist nur die eine Auffassung möglich. Die andere wäre dogmati- sche Metaphysik auf mystischem Untergrund.
*) gr. problêma heißt Aufgabe.
JE
Bleibt die Frage, wie der Begriff, den ich mir selbst gemacht habe, unter die Leute kommen und zu ihrem Verbindungsmittel werden konnte.
Dafür liefert Fichtes Rechtsbegriff das Standardmodell.
*
Rekapitulation: Meine Absicht erscheint an meinem Gegenstand als dessen eigene Bestimmung. Dies, solange meine Tätigkeit nur im Vorstellen besteht, lediglich als Vorstellung. Dabei gerät meine Absicht wie meine Vor- stellung leicht in Vergessenheit, und die Bestimmung des Gegenstandes scheint ihm selber anzugehören. Und so darf es bleiben - solange ich nur vorstelle. Begriff lediglich 'für mich', in der Anschauung.
Das reale Tätigwerden geschieht dagegen außer mir in Raum und Zeit: am Gegenstand selbst; zumeist mit der Hand. Damit hört dessen Bestimmung auf, lediglich meine Sache zu sein: Eine andere Intelligenz kann - beifällig oder ablehnend - zur Kenntnis nehmen; nicht bloß in der Vorstellung, sondern 'mit den Händen'. Allerdings nur in der Vorstellung, sofern er nicht selber tätig wird - mit den Händen. In der bloßen Vorstellung bliebe er ihm in der Schwebe, als lediglich möglich und als solcher noch nicht ganz bestimmt; weniger als ein Begriff denn als eine Ahnung.
Zu seinem Begriff wird ihm meine Bestimmung des Gegenstandes in dem Moment, da er an ihm selber tätig wird - und also meine Bestimmung bestätigen oder verwerfen muss: mit den Händen. Werden und bleiben sie beide an ihm tätig, so bestimmen sie ihn weiter, bestimmen ihn - nein: ihre Tätigkeit und durch sie ihn - wechsel- seitig; und erreichen einen Punkt, wo ihr sich konkretisierender (Zweck-)Begriff sprachliche Form annehmen muss, um fort bestimmt werden zu können. Sie teilen ihn und können ihn mit teilen und sich zu einer Reihe ver- nünftiger Wesen ausbilden.
So entsteht eine intelligible Welt, landläufig als Vernunft bekannt - der logische und historische Ausgangspunkt der Transzendentalphilosophie sowohl als ihr Gegenstand.
*
In der Wirklichkeit wird man sich die Ausbilduung einer Reihe vernünftiger Wesen prozessierend und syste- misch vorstellen müssen: Die praktische Wechselwirkung macht ja keine Pausen, und die Arbeit, gemeinsame Begriffe zu synthetisieren, ebensowenig. Es wird sich, wie noch heute bei der gewöhnlichen Alltagskonversa- tion, um einen inventorisch tastenden Dauerversuch gehandelt haben. Die Bedingung ist immer der Schritt zu praktischer Tätigkeit in der Sinnenwelt, in Raum und Zeit und Licht und Luft. Anders als in Licht und Luft könnten sie denselben Gegenstand nämlich gar nicht treffen, nicht einmal in der Vorstellung; denn täten sie es durch Zufall, könnten sie es nicht wissen.
Und wenn ich's recht bedenke, ist es auch an den Spitzen der Wissenschaft bis heute so geblieben; mit der Zu- gabe, dass dort dem Bestimmen der Begriffe eine eigene Abteilung gewidmet wird. Da kann die Wissenschafts- lehre bis heute allezeit regulierend behilflich sein.
Nach rationaler Auffassung ist die Welt ein unbegrenzter, aber endlicher Raum, der vollständig von Bedeu- tungsquanten ausgefüllt ist, die einander einschränken und bestimmen. Viele dieser Quäntchen mögen noch unerkannt sein, doch nicht zuletzt darum ist ihr Raum unbegrenzt.
Daneben und aus eigener Evidenz gilt der Satz, die Bedeutung der Begriffe bestünde aus ihrer Verwendung im Sprachspiel.
Beide gemeinsam, der eine stillschweigend, der andere als Gemeinplatz der gehobenen Konversation, liefern alternierend das Standardmodell zeitgenössischen Vernunftgebrauchs. Dabei tun sie beide, als kennten sie ein- ander gar nicht.
Denn sie sind beide verschiedenen Ursprungs und weisen in verschiedene Richtung. Ihre Partnerschaft ist rein pragmatisch, nebeneinander eiern sie mehr als dass sie rundliefen, für die Unzulänglichkeiten der einen muss immer die andere aufkommen.
Eine der beiden vorherrschenden Parteien in der gegenwärtigen Philosophie macht sich nun daran, die beiden unter denselben Hut zu bringen, und nennt sich wohl darum, will es mir scheinen, die systematische.
*
Wie immer in solchen Fällen, weist die Transzendentalphilosophie den Ausweg aus den Aporien, nämlich in ihrer zugespitzten Form, der Fichte'schen Wissenschaftslehre.
Der Begriff ist Bestimmtheit als dieses. Bestimmbar ist nicht das an und für sich Fremde, auf das ich stoße. Be- stimmbar ist, was ich an ihm, mit ihm vorhabe. Was 'es' ist, werde ich erfahren, indem ich diese (oder jene) Absicht an ihm versuche: an dem Widerstand, den es ihr leistet.
Bestimmung ist Absicht. Sie gilt vorab meiner Tätigkeit, bevor diese meinen Gegenstand trifft. Bestimmung ist zuerst Zweck begriff.
Bevor ich noch meine Absicht im Gegenstand tätig verwirklicht habe, habe ich sie mir in der Reflexion vorge- stellt. Was an meiner Tätigkeit Absicht war, erscheint nun an ihrem Gegenstand als dessen Begriff. Aus meiner un- ruhigen Tätigkeit ist ein ruhendes Sosein geworden. Aus tätigem bestimmen sachliche Bestimmtheit. Im Begriff ging das agile, dynamische Moment verloren. Übrig bleibt die Bestimmung so, als wäre sie selbst ein Seiendes.
*
Bis hierher war 'das Ich' mit sich und dem Gegenstand allein. Das dürfte in unserer wirklichen Geschichte niemals vorgekommen sein. In Wahrheit werden die Menschen an den Dingen immer gemeinsame Zwecke gemeinsam verwirklicht haben, notgedrungen. In Wahrheit standen sie immer miteinander in engerem oder weiterem Verkehr. Sachlich so wie in ihrer Vorstellung. In der transzendentalen Nacherzählung macht das Ich seine Tätigkeiten an seinen Gegenständen allein. In der historischen Wirklichkeit wird schon immer eine Gemein- schaft von Individuen - 'das Ich' - sowohl den Gegenständen begegnet als ihre Absichten gegen sie gefasst haben; die Individuen wurden Iche überhaupt erst, indem sie am gemeinsamen Bestimmungsprozess beteiligt waren.
Man kann es anders ausdrücken: Die Individuen, die ihre eigenen Absichten für sich allein realisiert haben und an denen es nicht gefehlt haben mag, konnten weder sachliche noch begriffliche Spuren hinterlassen.
Was auf dasselbe herauskommt. Denn in der Betrachtung nach Maßgabe der Begriffe bleibt nur das Allgemeine erhalten. Das Individuelle geht unter.
*
Untergegangen ist vor allem das Individuelle schlechthin: die Tätigkeit, richtiger das tun. Wo ist im rationalen System die Tätigkeit geblieben? Die Tätigkeit blieb in der Verknüpfung der Begriffe erhalten. Logik ist das allge- meine Schema des Handels. Was in der wirklichen Vorstellung dynamisch als Tätigkeit des Bestimmens* vor- kam, ist in der logischen Darstellung zur statische Anschauung der Formeln - Verhältnis, Methode - geronnen. Sie steht nun selbstständig als tote Form neben dem ebenso toten begrifflichen Stoff.
Das Verfahren kam aber nicht vor der Tätigkeit und lag ihr zugrunde, sondern entstand aus der nachträglichen Reflexion auf sie; sie liegt ihm zu Grunde. Das wird im rationalen System ins Gegenteil mystifiziert; das ist der harte Kern aller Metaphysik.
*) Das Schließen ist das synthetische Fortschreiten in der Bestimmung.
*
Metaphysik ist die ständige Versuchung der Vernunft in ihrer alltäglichen Gebrauchsform. Dort schadet sie nicht, sondern regt womöglich noch die Phantasie an. Anders ist es in den nichtalltäglichen Gebräuchen; überall dort etwa, wo es nicht mehr nur um das Verhältnis von Mitteln und Zwecken geht, sondern um die Zwecke selbst.
So in den Fragen den Rechts. Im Naturrecht ist Fichte an den Punkt gelangt, wo er von der kritischen Rekon- struktion eines Begriffs zu dessen Verwendung im reellen Gebrauch übergehen muss. Mit andern Worten: Hier verlässt er den Boden der Transzendentalphilosphie und tritt in eine faktische Wissenschaft über. Leider hat er es nicht bemerkt.
Nota. Das
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Fichte hat im Ersten Hauptstück seiner Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre aus
dem Jahre 1796, das ich auf diesem Blog wiedergegeben habe, besagte
'Prinzipien' zusammengefasst. Nicht minutiös ent- wickelt wie in der Nova methodo, sondern
eher lehrhaft vorgetragen, aber so musste es sein. Es sollte der Leser
(wie zuvor seine Hörer) bis an den Punkt geführt werden, wo die
transzendentale - kritische und spekulative - Rekonstruktion aus notwendigen Vostellungen einhält und eine
positive wissenschaftliche Deduktion aus Begrif- fen möglich wird.
Das gibt Anlass zu einer allgemeinen Betrachtung.
*
Vernunft
ist eine Tätigkeit und keine Sache. Sie erfordert einen Stoff, ein
Verfahren und eine Energie. Ihr Stoff sind die Begriffe, ihr Verfahren
sind die logischen Schlussregeln. Was ihre Energie ist, bleibt
einstweilen offen.
Die
Untersuchung der Vernunft in specie beginnt mit Kant. Sein erster
Gegenstand sind die Erfahrungsbegrif- fe. Es gibt darüber hinaus Begriffe
ohne sinnliches Substrat. Diese sind aus jenen abstrahiert; mit welchem
Recht?
Zuerst
ist da eine Flut sinnlicher Reize. Aus der greift wie mit Kellen die
Vernunft etliche heraus und fasst sie zu Begriffen zusammen. Die Kellen
identifiziert Kant als zwölf Kategorien und zwei Anschauungsformen.
Weiter geht er nicht.
Es
stellt sich erstens die Frage: Woher die Kellen? Und zweitens: Von
allein schöpfen sie nicht; es muss sie einer zur Hand nehmen. Und woher die Schlussregeln stammen, lässt Kant völlig unerörtert.
Fichte
begann, wo Kant stehenblieb: Die Begriffe wurden von Menschen
geschaffen, indem sie Kellen betätig- ten. Wie sie zu betätigen sind,
wussten sie, weil sie sie selber hergestellt hatten. Die Spur verfolgt
er und stößt ganz am Schluss aus das Ich, das sich selbst setzt, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt.
Die
Hypothese wäre zu verifizieren, indem der Schlusspunkt der Analyse zum
Ausgangspunkt einer syntheti- schen Rekonstruktion genommen wird: Man
sieht dem aufgefundenen Ich Schritt für Schritt bei seiner Tätig- keit zu,
und wenn wir einen Weg finden, auf dem so die von uns eingangs
vorgefundene Vernunft lückenlos nachgebaut werden kann, so wird es der
sein, den die Vernunft wirklich gegangen ist.
Man
erkennt: Es ist die Geschichte ihrer Selbstschöpfung. Sie hat keine
andere Voraussetzung als das Selbst- setzen eines Ichs. Daraus folgt alles
andere. Es folgte nicht aus Notwendigkeit - unendliche viele Abwege
waren möglich (und werden faktisch auch gegangen worden und spurlos wieder verwachsen sein) -, sondern aus Frei- heit, aber dass es folgte, war der faktische und logische Ausgangspunkt der Analyse, zu dem die Synthesis zu- rückgeführt hat.
Wir
finden in der Synthese, wie der Stoff entstanden und wie das Verfahren
selbst gesucht und gefunden wur- de, wir müssen rückschließen, dass die
treibende Energie dieselbe war, aus der heraus das Ich sich überhaupt
erst gesetzt hat. Weil sie keine ander Bestimmung aufweist als diese, nennt Fichte sie den reinen Willen.
*
Kritisch verfährt die Wissenschaftslehre in ihrem von Kant eröffneten ersten, dem analytischen Teil. In ihrem konstruktiv-synthetischen zweiten Teil verfährt sie spekulativ. Doch
spekuliert sie nicht ins Blaue hinein, son- dern auf ein festumrissenes
Ziel hin: unser wirklich gegebenes System der Vernunft aus Begriffen und
Schluss- regeln, über dessen treibende Energie wir uns inzwischen auch
klargeworden sind.
An diesem Punkt - dass ein System von Begriffen entstanden ist und dass sich das Denken Regeln geschaffen hat - ist die Vernunftkritik vollendet und hat die Wissenschaftslehre ihre Arbeit getan.
Was jetzt noch folgen kann, sind die positiven Bestimmungen der Wissenschaften in concreto. Von
den kritischen Grundsätzen, die die Wissenschaftslehre in ihrem
analytischen sowohl wie in ihrem synthetischen Teil entwik- kelt hat, wird
sie sich in ihrer Erkenntnis leiten lassen; aber ihr Gegenstand werden sie nun nicht mehr.
*
Der Begriff des Rechts ist nun gefasst, und es kann aus Begriffen fortargumentiert werden.
Nur durch Handlungen, Äußerungen ihrer Freiheit in der Sinnenwelt, kommen vernünftige Wesen in Wechsel- wirkung miteinander; der Begriff des Rechts bezieht sich sonach nur auf das, was in der Sinnenwelt sich äußert; was in ihr keine Kausalität hat, sondern im Innern des Gemütes verbleibt, gehört vor einen Richterstuhl, den der Moral. Es ist daher nichtig, von einem Rechte auf Denkfreiheit, Gewissensfreiheit u.s.f. zu reden. Es gibt zu diesen inneren Handlungen ein Vermögen und über sie Pflichten, aber keine Rechte.
Nur inwiefern vernünftige Wesen wirklich im Verhältnisse mit einander stehen und so handeln können, dass ihre Handlungen Folgen haben für den andern, ist zwischen ihnen die Frage vom Rechte möglich, wie aus der geleisteten / Deduktion, die immer eine reelle Wechselwirkung voraussetzt, hervorgeht. Zwischen denen, die sich nicht kennen oder deren Wirkungssphären gänzlich von einander geschieden sind, ist kein Rechtsverhält- nis. Man verkennt den Rechtsbegriff ganz, wenn man z. B. von den Rechten Längstverstorbener auf die Leben- digen redet. Gewissenspflichten kann man wohl haben gegen ihr Andenken, aber keinesweges zu Recht bestän- dige Verbindlichkeiten.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S.55f.
Nota. - In der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft, die F. noch nicht kennt - im Industriesystem - stehen im verallgemeinerten Tausch auf dem Markt alle mit allen in einer reellen Wechselwirkung. Aber dies ist keine Sache des Rechts, sondern seiner positiven Grundlagen: eine Sache der Politik.
Ansonsten ist festzuhalten: Wo immer vom Verhältnis vernünftiger Wesen zu einander die Rede ist, geht es um Handlungen, die Wirksamkeit (auch) auf andere haben, und das sind Taten in der materiellen Welt, aber nicht de- ren Begriffe oder Vorstellungen. Die mag jeder für sich behalten. Allenfalls kann er sie aussprechen, als Auffor- derung zum Beispiel, doch so gewinnen sie Kausalität erst durch einen Willensakt des Hörenden.
JE
Nota. Das
obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
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Der Rechtsbegriff ist der Begriff eines Verhältnisses zwischen Vernunftwesen. Er findet daher nur unter der Bedingung statt, dass solche Wesen in Beziehung auf einander gedacht werden. Es ist nichtig, von einem Rechte auf die Natur, auf Grund und Boden, auf die Tiere u.s.f. bloß als solche, und nur die Beziehung zwi- schen ihnen und den Menschen gedacht, zu reden. Die Vernunft hat über diese nur Gewalt, keineswegs ein Recht, denn es entsteht in dieser Beziehung gar nicht die Frage nach dem Rechte.
Ein anderes ist, dass man sich etwa ein Gewissen machen kann, dieses oder jenes zu genießen. Aber dies ist eine Frage vor dem Richterstuhl der Moral und wird nicht aus Bedenklichkeit, dass die Dinge, sondern dass unser eigener Seelenzustand dadurch verletzt werden möge, erhoben. Wir gehen nicht mit den Dingen, son- dern mit uns selbst zu Rate und ins Gericht.
Nur wenn mit mir zugleich ein anderer auf dieselbe Sache bezogen wird, entsteht die Frage vom Rechte auf die Sache als eine abgekürzte Rede, statt der, wie sie eigentlich heißen sollte, vom Rechte auf den anderen, ihn vom Gebrauche dieser Sache auszuschließen.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 54
Nota. - Der Absatz hat zuerst einen praktisch-politischen Sinn: Er zielt gegen das Grundeigentum, d. h. gegen dessen historisch-rechtliche Herleitung. Eigentum beruht nach Fichte ursprünglich nicht auf Arbeit - Formation -, sondern auf Besitzergreifung: Okkupation (dies gegen Rousseau). Eigentum ist ein Gewaltverhältnis, das wo- möglich durch dies oder das, aber nicht durch die Vernunft zu rechtfertigen ist.
Philosophisch aktuell ist aber wieder die Unterscheidung von Recht und Moral. Dass die Erhaltung unserer na- türlichen Umwelt so vielen Menschen inzwischen am Herzen liegt, ist selber die Folge einer Zivilisation, die - zwar erst in den Anfängen, aber fortschreitend - von Vernunft geprägt ist. Aber es ist eine Sache moralisch han- delnder Individuen. Rechtlich und gemeinschaftlich bindend ist dagegen die Verpflichtung der einen gegen die andern, die Naturbedingungen, unter denen sich die Gattung H. sapiens ausgebildet hat, so zu erhalten, dass sich H. sapiens weiter ausbilden kann.
Man muss nicht glauben, man stärke das rechtliche Empfinden, indem man ihm moralische Motive beimengt, oder das moralische Gewissen, indem man ihm rechtliche Befugnisse anheftet. Das Gegenteil ist der Fall, beide zu vermischen schwächt ihre jeweilige Geltung und schädigt beide. Je entschiedener im öffentlichen Raum - dort, wo die vernünftigen Wesen einander begegnen - Recht herrscht, umso freier - freier von außermoralischen Motiven - ist das moralische Urteil der Einzelnen. Das Recht muss, um gelten zu können, notfalls vom Gemeinwesen ge- waltsam erzwungen werden; für die Moral wäre ein solcher Versuch tödlich.
JE
Ob etwa des Sittengesetz dem Rechtsbegriffe eine neue Sanktion gebe, ist eine Frage, die gar nicht in das Na- turrecht, sondern in eine reelle Moral gehört und in ihrer Zeit wird beantwortet werden. Auf dem Gebiete des Naturrechts hat der gute Wille nichts zu tun. Das Recht muss sich erzwingen lassen, wenn auch kein Mensch einen guten Willen hätte; und darauf geht eben die Herrschaft des Rechts aus, eine solche Ordnung der Dinge zu entwerfen. Physische Gewalt und sie allein gibt ihm auf diesem Gebiete die Sanktion.
So bedarf es keiner künstliche Vorkehrungen, um Naturrecht und Moral zu scheiden: Denn wenn man nichts anderes vor sich genommen hat, als Moral - eigentlich auch diese nicht einmal, sondern Metaphysik der Sitten -, so wird man nach der künstlichen Scheidung doch nie etwas Anderes unter seinen / Händen finden, als Moral. - Beide Wissenschaften sind schon ursprünglich und ohne unser Zutun durch die Vernunft gesetzt und sind völ- lig entgegengesetzt.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S.54f.
Nota. - Recht und Moral sind einander entgegengesetzt: Da sagt er mehr, als ihm anscheinend bewusst ist. Im- merhin, philosophisch betrachtet lässt er als Moral - die ja doch, um gebieten zu können, material und positiv sein muss - nur ihre Grundlegung gelten: Metaphysik der Sitten, und die ist formal und problematisch. Nur, wo die Moral in conreto gebietet, kann sie ja auch dem Recht, nämlich wo es selber positiv wird, widersprechen: nur, wo beide jeweils praktisch werden.
Fichtes Thema war noch, dass unter seinen Zeitgenossen viele waren, die das Recht aus der Moral herleiten wollten - so, dass die Gesetze vor ihr sich rechtfertigen müssten. Zu vielen galt noch das kirchliche Dogma als verbindlich und mochten nirgends davon absehen. Für den heutigen Leser ist die Aufgabe umgekehrt: Wo man meint, das Private sei politisch, wird man dazu neigen, die Stimme meines Gewissens, die nur mir und immer hier und jetzt gebietet, darzustellen als den vorgängigen Konsens aller guten Menschen - eben als Gesetz. Das ist nicht nur politisch selbstmörderisch; es ist un- und antimoralisch.
JE
Sie erkennen den Zusammenhang des Fotos mit dem Text nicht? Es gibt auch keinen.
Im übrigen gehört das Bild mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Sollte es Ihres sein und Sie missbilligen seine Verwendung an dieser Stelle, teilen Sie es mir bitte auf diesem Blog mit.
JE