Donnerstag, 10. September 2015

Wie ist die Wahrnehmung meiner selbst möglich?


Lothar Sauer

Ich nehme einen bestimmten Zustand meiner selbst wahr, heißt offenbar: Ich beziehe diesen bestimmten Zustand auf meinen ganzen Zustand, auf das ganze mögliche System meines Seins. Also allem Mannigfaltigen in mehreren Zeitmomenten liegt ein Entgegengesetztes in einem Momente zum Grunde.

Nun liegt in jenem Systeme meines Seins das Substrat desjenigen, das jetzt insbesondere auf eine bestimmte Weise wahrgenommen wird, mit darin und wird mit dem Ganzen zugleich gesetzt. Das selbe Substrat X wird sich also entgegengesetzt und auf sich bezogen, sonach gesetzt in verschiedener Rücksicht.

Das passendste Beispiel dazu ist mein Lieb. Ich habe kein Totalgefühl desselben (hier ist nur von dem artikulierten Teil desselben die Rede); ich fühle nur einzelne Glieder, und durch Beziehung derselben auf einander bekomme ich erst einen Begriff vom Ganzen. Ich nehme nur wahr, in wiefern Veränderung da ist. Ich fühle nur, in wiefern ich einen Teil im Verhältnisse zum Ganzen verändere.

Ich kann meine Hand nur wahrnehmen, in wiefern ich sie in eine gegen das Ganze verschiedene Lage bringe. Aber Bewegung ist nur in Beziehung auf Ruhe möglich.  –  Ruhe ist der terminuns a quo; wenn  ich die Hand bewege, so muss ich sie denken als stille gelegen habend. Die Hand wäre hier das Substrat, Ruhe und Bewegung die beiden Rücksichten, die unzertrennlich sind.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Nachschrift K. Chr. Fr. Krause, Hamburg 1982, S. 162

[Rechtschreibung angepasst]









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