Freitag, 24. Februar 2017

Bestimmen ist das Einbilden von Qualitäten.

Kandinsky, 1914

Niemand wird sich des Sterbens oder Geborenwerdens bewusst. Es gibt also keinen Moment des //190// An- fangens. Dies synthetische Denken hat zwei Teile; welches ist nun das Verhältnis beider? Ersteres ist das Be- stimmte, letzteres das Bestimmende. Z. B. wie ist denn das Denken einer gegenwärtigen und einer abwesenden Sinnesvorstellung unterschieden, oder wie ist der gegenwärtige Moment von allen andern verschieden? Er ist bloß das Bestimmte, und das Vergangene [wird] als bestimmend gedacht. Das Gegenwärtige wird bestimmend werden, wenns einmal das Vergangene sein wird, aber von der Zukunft weiß ich nach gar nichts, das Vorausge- setzte ist bestimmend und bestimmt.

So ist klar: Der Zweckbegriff soll sein ein Bestimmendes zum wirklichen Wollen. Letzteres soll ein Bestimmtes sein, aber wohl kann es ein Bestimmendes werden, davon reden wir aber nicht. -

Also der Zweckbegriff ist nichts Wirkliches, sondern bloß gesetzt, [um] das Wollen zu erklären. Das Auswählen des Zweckbegriffs aus den mannigfaltigen Möglichen wird als das Bestimmende gedacht.
________________________________________________
Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 189f.
  




Nota. - Bestimmen ist das Schlüsselwort der Wissenschaftslehre. Ist es ein Begriff? - Der quasi-ontologische Grundstein ist Tätigkeit, und was ist Tätigkeit? Es ist im weitesten Sinn das Übergehen vom Brestimmbaren zum Bestimmten. Worauf bezieht sich aber 'bestimmen'? Nicht aufs Sein; das ist oder ist nicht. Sondern auf Gelten oder auf Bedeutung oder das, was man an einem Seienden als sinnhaft finden kann. 

Doch anders als das - da- - Sein lässt sich Geltung nicht formalisieren. Nichts bedeutet "überhaupt", sondern immer nur dieses oder jenes; und nur diesem oder jenem. Es ist etwas Neues, das hinzukommt - zwar aus Bedin- gungen 'hervor gegangen', aber nicht aus ihnen zusammenengesetzt. Mit andern Worten: Logisch, nämlich aus de- finierten Begriffen und geprüften Verfahren, lässt es sich nicht herleiten. Darum nennt F. seine Darstellungs- weise eine genetische: Es sind sinnhafte, qualitative Setzungen, die sich nicht 'aus einander entwickeln', sondern die ein Tätiger generieren muss, wenn sie geschehen sollen, und deren sinnhafter Implikationen er sich erst in nachträglicher Reflexion gewiss wird.

Qualitäten lassen sich nicht definieren, dazu müssten sie in Relation stehen, aber dann wären sie relativ und nicht qualitativ. Man kann sie nur anschauen, indem man sie einbildend selbst hervorbringt.
JE


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen