Mittwoch, 22. August 2018

Das Gefühl der Gewissheit.


Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen übereinstimmt? Aber wo- her wissen sie denn, daß sie sich in diesem Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins Unendliche getrieben, und ein Wis- sen ist schlechthin unmöglich. – Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das Gefühl? /

Es ist klar, daß dieses Gefühl nur mein Denken begleitet und nicht eintritt ohne dieses. – Daß das Gefühl eine Wahrheit geben solle, ist unmöglich und würde keinen Sinn haben. Es, dieses Gefühl der Gewißheit und Wahr- heit, begleitet nur ein gewisses Denken. 

Es ist klar, daß, wenn ein solches Denken die Bedingung der Vernünftigkeit selbst ist und das Gefühl der Gewiß- heit unabtrennlich einfaßt, alle Menschen über dieses Gefühl übereinkommen müssen und es jedem anzumuten ist, wenn es ihm auch nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht des Unmittelbaren überhaupt nirgends stattfindet. 

Es ist dieses Gefühl ein intellektuelles Gefühl.

Es ist dies der Grund aller Gewißheit, aller Realität, aller Objektivität.

Das Objekt ist ja nicht durch die sinnlichen Gefühle: denn auch diese sind nur Prädikate desselben, die schon ein Objekt, schon eine Erfassung dessen, was eigentlich nur subjective [sic] ist, voraussetzen. Es ist durch das Den- ken. – Drum ist dieses nicht ein bloßes Denken. Woher das in ihm entsprechende [sic]? Aus dem intellektuellen Gefühle.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 146f.]  



Nota I. - Gewiss ist ein Denken, das sich seiner gewiss ist - das ist ja wohl eine Tautologie. Wie auch anders? Ausdrücklich sagt er: Wahrheit verbürgt es nicht. Es bezeugt lediglich die Wahrhaftigkeit dessen, der so oder so meint. Die Gründe für sein Someinen wird er verteidigen müsse gegen jeden andern aus der Reihe vernünftiger Wesen, dessen Gefühl der Gewissheit einer andern Meinung gilt. Und sie werden streiten. Dass sie sich einigen, setzt voraus, dass das Gefühl der Gewissheit des Einen schließlich derselben Meinung gilt wie das Gefühl der Gewissheit des Andern. Doch ob oder ob nicht, steht nirgends geschrieben. 

Wenn es über dem Gefühl meiner Wahrhaftigkeit, d. h. dem Gefühl der Übereinstimmung meines Denkens mit sich selbst, ein Gefühl für die Wahrheit geben sollte, wäre es das Gefühl der Übereinstimmung meines Meinens mit einem Sein-an-sich. Nicht nur ist die Idee eines Gefühls für ein Ansich Unfug; Unfug ist die Vorstellung von einem Ansich.

Mit andern Worten: Durch kein wie immer geartetes Gefühl wird Streit überflüssig. Die geprüften Gründe werden bestehen, die mangelhaften Gründe müssen weichen. Einer mag trotzig auf seiner widerlegten Meinung behar- ren, und wenn er reich nud stark ist, kommt er im Leben damit eine Weile durch. Doch auf die Dauer - und im Kreise der Gelehrten recht bald - werden die bewährten Gründe aufgehoben und die widerlegten verworfen. Es werden mit der Zeit Gesichtspunkte auftreten, die für eine Revision sprechen; dann beginnt derselbe Prozess aufs neue. Mehr Wahrheit gibt es nicht. Und wozu könnte sie gut sein.

Nota II. - Von einer Stimmungslage - "mir ist grad so" - ist natürlich nicht die Rede. Sondern von einer denkprak- tischen Erfahrung: 'Wie immer ich es anstelle - anders geht es nicht.' Wenn ich mich nicht selbst für beschränkt halten wollte - was ich nicht könnte, wenn ich es wäre -, müsste ich annehmen: Ein anderer kann es auch nicht. Wenn er mich eines bessern belehrt, bin ich betreten und sage erstmal ein Weile nichts.
JE




Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  
JE

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