Freitag, 3. August 2018

Kann ich mir den Vernunftzweck als verwirklicht denken?

aus Mehr Wirklichkeit

Ich denke, es ist möglich, daß die Vernunft ihrem Zwecke entgegengehe und sich ihm annähere. Dies möchte etwa als ein willkürliches Denken, ein bloßes problematisches Setzen, ein Denken, das weiter auch nichts für sich hat als die bloße Denkmöglichkeit, Nicht-Undenkbarkeit, erscheinen. – Dieses Denken ist in einem gewissen Zusammenhange des Denkens notwendig: und dies ergibt erst eine logische Notwendigkeit. – Setzte ich mir den Zweck wirklich in meinem Handeln, so setzte ich ihn freilich in irgendeiner zukünftigen Zeit als wirklich: dies geht aus der Logik hervor.

Aber beide Gemütsbestimmungen scheinen gegenseitig voneinander abzuhängen – und man hat es häufig so betrachtet -, beide miteinander zu stehen und zu fallen, und es zeigt sich kein Drittes. Ich soll und kann den Zweck der Sittlichkeit mir nicht vorsetzen, wenn ich nicht schon von seiner Ausführbarkeit überzeugt bin, hat man häufig gesagt, und so das erste vom letzten abhängig gemacht. – Ich kann ihn nicht für ausführbar halten und werde es nicht, wenn ich ihn mir nicht setze, kann man sowohl sagen. Warum soll ich ihn mir setzen?

Kurz: im bloßen logischen Verhältnisse ist beides nur unter Bedingung gewiß – und sonach keins. Es muß eine unmittelbare Gewißheit eintreten. Diese ist ein Gefühl, ich soll schlechthin diesen Zweck mir setzen: und ihn schlechthin für ausführbar halten: ihn für ausführbar halten und ihn setzen. Beides ist Ein Denken, nicht zwei: Keins ist die Folge vom andern: sondern beides ist Eins: und daß dies wahr und gewiß und unfehlbar ist, ist Notwendigkeit, die ich nur fühle, nicht erschließe aus andern Sätzen. /

Da es unmittelbare, nur fühlbare Gewißheit ist, so kann man es keinem andemonstrieren: aber bei jedem sicher voraussetzen, indem diejenigen, die es haben und die über den Zusammenhang des menschlichen Wissens nach- denken, erkennen, daß jedes andere Wissen sich nur darauf gründet: und daß jeder, der etwas weiß, unvermerkt und ihm vielleicht selbst unbekannt, von jenem Wissen ausgegangen ist. Es läßt sich jedem anmuten, daß er sich, welches von der Freiheit abhängt, mit sich selbst gehörig bekannt machen, in sich einkehren solle, wo er denn ohne allen Zweifel es in sich finden wird.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 149ff.]
 



Nota I. - Hier stoßen wir auf einen ersten Winkelzug: "Setzte ich mir den Zweck wirklich in meinem Handeln, so setzte ich ihn freilich in irgendeiner zukünftigen Zeit als wirklich: dies geht aus der Logik hervor." Setze ich mir einen Zweck, so handle ich frei: 'Praktisch ist alles, was aus Freiheit möglich ist.' Was hat dies aber mit Logik zu tun? Die Logik ist unfrei und theoretisch. Wer anders hat uns so dringlich belehrt, zwischen beiden Reichen einen Unterschied zu machen, wie Fichte selbst? Man ahnt: Er führt was im Schilde.


21. 12. 13

Nota II. - Nochmal in Ruhe: Setze ich mir einen Zweck, so setze ich zunächst einmal nur - mich, nämlich als wol- lend. In zweiter Linie aber: den Zweck; nämlich als einen gewollten. Ändert der Zusatz "wirklich in meinem Han- deln" etwas daran? Indem ich handle, setze ich mich als handelnd - mehr nicht? Da ich nie 'überhaupt' handle, sondern so, setze ich mich als so handelnd. Und was heißt so? Dem Zweck entsprchend. Indem ich wirklich so handle, setze ich den Zweck als einen, der meinen Willen dazu bestimmt, so zu handeln. Einem Zeitpunkt, an dem der Zweck realisiert ist, kommen wir so auch logisch nicht einen Fingerbreit näher. Ich setze mich durch mein Wollen, mein Wollen bestimme ich durch meinen Zweck. 

Das wirkliche Handeln ist logisch gar nicht zu fassen, es kann nur angeschaut werden, und in der Anschauung zeigt sich: es kann gelingen und es kann scheitern. Doch das macht "logisch" dem Handeln gar nichts aus, es bleibt ganz dasselbe. Wenn ich meine, ich müsste mir diesen Zweck setzen, dann setze ich als möglich, dass ich ihn er- reiche, und als möglich, dass ich ihn nicht erreiche. Für mein Handeln ändert sich dadurch nichts. 

Logisch wäre es was anderes, wenn ich wüsste, dass ich den Zweck nicht erreichen werde; es wäre unlogisch, Kraft daran zu verschwenden. Sittlich - und davon ist hier die Rede - könnte ich immer noch meinen: Ich setze micht als den recht-Wollenden, darauf kommt es mir an. Wenn ich meinen rechten Willen realisieren kann, werde ich es be- grüßen; und wenn nicht, werde ich es bedauern - um der Andern willen, denen an den Resultaten gelegen ist und nicht an meinem guten Willen.

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Bedenke: 'Unendliche Annäherung' gibt es nicht. Wieviel Meilen ich auch zurückgelegt habe - dem Unendlichen bin ich keinen Fingerbreit näher gekommen; der Abstand, der zwischen uns liegt, bleibt immer - unendlich.
JE



 

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