Samstag, 9. April 2016

'Begriff' in der Wissenschaftslehre - und anderswo.


Lieber Leser, sollten Sie, wie ich hoffe, außer in dieses Blog auch gelegentlich in meine Philosophierungen schauen, wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich den Begriff 'Begriff' dort anders gebrauche als Fichte in der Wissenschaftslehre.

Dort beginnt das Bewusstsein faktisch mit dem 'Gefühl', und das ist nichts anderes der Reiz, den die Nerven- enden dem Zentrum melden. (Nur bis hierhin reicht die faktische, reale Voraussetzung der Wissenschaftslehre, ab da beginnt das transzendentale Schema:) Dessen Bewertung als so oder anders, als süß oder sauer, geht be- reits über das Fühlen hinaus: ist Anschauung, nämlich tätiges Verhalten in so fern, als es bestimmend ist. Nicht aber die Tätigkeit des Bestimmens selbst, sondern erst ihr Produkt wird 'bewusst' in specie: als eine 'Qualität', als Süße, Säure, Bitterkeit… Diese sind Begriffe: Tätigkeiten 'als Ruhe vorgestellt'.

Etwas, das vorgestellt wird, ist nicht 'an sich' Begriff oder Anschauung: Das sind sie beide nur in ihrem je- weiligen Verhältnis zu einander; als das, worauf reflektiert wird, im Unterschied zur Tätigkeit des Reflektierens selbst; sukzessive Stufen der Reflexion. Denn Tätigkeit kann nur 'angeschaut' werden, 'begriffen' werden kann nur ihr Produkt. (Indessen lässt sich jede Tätigkeit, die als solche nur angeschaut werden kann, durch Abstrak- tion aus ihrer Verlaufsform in der Zeit herauslösen und 'als Ruhe vorstellen'; dies freilich nur durch einen Kraftakt der Vorstellung.)

In meinen Philosophierungen ist ein 'Begriff' jedoch der bestimmte Platz, den er im hypothetisch angenomme- nen Raum der festgestellten und einander wechselseitig einschränkenden Bedeutungen einnimmt. Mit andern Worten, während in der Wissenschaftslehre das System der Vernunft in seinem Werden dargestellt wird, ist es hier als schon-geworden vorausgesetzt.


Corollarium

'Begriff' ist in der WL noch immer Bild – eine individuelle Vorstellung = Vorstellung eines Individuums. Er ist noch nicht SymbolZeichen für eine Vorstellung, das als solches anderen Individuen mitteilbar und mit an- dern Symbolen verknüpfbar wäre. Eine (neue) Vorstellung lässt sich (durch fortschreitendes Bestimmen) immer nur actu aus einem bestimmten Vorstellen hervorbringen, aber nicht logisch aus ('als ruhend angeschauten') Vor- läufern "ableiten". Es muss immer dieser nächste Schritt getan werden, damit eine weitere Vorstellung ent- steht, die ihrerseits begreifbar ist.

Wo F. von Begriff redet, ist dessen Symbolcharakter noch nicht (mit)gemeint, sondern lediglich die Dimension der Gefasstheit; nicht die Dimension der Mitteilbarkeit. Sondern gewissermaßen der Begriff an sich, nicht für Andere; realistisch besehen: auch nicht für mich.

aus e. Notizbuch


Lehrsatz

Begriff ist die jeweils zweite semantische Ebene. – Begriff ist in der WL stets das Reflexionsprodukt in seinem Verhältnis zu der Anschauung, auf die sich die Reflexion bezog. Das gilt schon für die erste Anschauung selbst, insofern sie auf die absolut erste semantische Ebne reflektiert: das "Gefühl"; und darunter versteht F. dasselbe wie Locke unter sensus und die zeitgenössische Hirnforschung unter einem physiologischen Reiz. Im Verhältnis zu "Gefühl" ist Anschauung "Begriff".

Beide sind nicht gleichrangig. Dies ist die niedere, jenes die höhere Stufe. Es ist dasselbe Verhältnis wie das von Sein und Geltung, von Stoff und Form. Nicht an sich. Doch im Bewusstsein ist eine nicht ohne die an- dere da; beide gleichzeitig. Sein und Geltung, Stoff und Form sind nur Vorstellungsweisen.





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