Samstag, 16. April 2016

Soll aber das Ich Objekt des Bewusstseins werden?



Nun fragt es sich: Ist unser bisheriges Räsonnement eine Deduktion, oder ist wieder etwas vorausgesetzt worden, wie im vorigen Paragraphen? Ist es erwiesen, dass mit dem Ich ein NichtIch vereinigt werden müsse? Oder haben wir wieder etwas vorausgesetzt, und welches könnte das Vorausgesetzte sein?

Durch das Reflexionsgesetz des Entgegensetzens sind wir darauf gekommen, dieses haben wir in der Anschauung nachgewiesen. Dies könnte also das Vorausgesetzte nicht sein. Die Voraussetzung liegt darin: Wir sind ausgegangen von dem Gedanken, wenn das Ich selbst wieder Objekt unseres Bewusstseins sein soll, so folgt, dass ein NichtIch gesetzt werden muss. Aber soll denn das Ich Objekt des Bewusstseins werden? Dies ist nicht bewiesen.

Im vorigen Paragraphen wurde bewiesen, dass allem Bewusstsein unmittelbares Bewusstsein vorausgehen müsse; aber dies ist nie ein Objektives, sondern immer das Subjektive in allem Bewusstsein. Das Bewusstsein, aus dem wir jetzt argumentiert haben, ist nicht unmittelbar, es ist Repräsentation des unmittelbaren, aber es selbst nicht. Das unmittelbare ist Idee und kommt nicht zu Bewusstsein. Das erste Denken des Ich war ein freies Handeln, aber daraus folgt kein notwendiges. Das Bewusstsein des Ich ist nicht ohne Bewusstsein des NichtIch, dies ist bewiesen. Nun können wir zwar postulieren, aber dann müssten wir es auch als Postulat ankündigen; es würde dann Teil des vorausgesetzten Grundsatzes. Ob es notwendig sei, so zu postulieren, werden wir sehen, wenn wir höher steigen. Wir haben weder erwiesen noch bewiesen ein NichtIch, sondern wir hätten bewiesen ein Wechselverhältnis zwischen Ich und NichtIch.

4) Wir haben nun die gegenwärtige Synthesis mit der vorigen zu vergleich und an die Kette anzuknüpfen:

Im vorigen Paragraphen wurde bemerkt, dass man Tätigkeit nicht setzen könne, ohne ihr Ruhe entgegenzusetzen; hier: dass man keine bestimmte Tätigkeit setzen könne, ohne ihr eine bestimmbare entgegenzusetzen. Also das Verfahren in beiden, worauf es ankommt, um vom einen zum andren überzugehen, war in beiden Untersuchungen dasselbe. Die gegenwärtig deduziert Handlung ist mit der vorigen dasselbe, wir lernen sie nur besser kennen. Ist sie dasselbe, so muss auch das, worauf übergegangen wird, dasselbe sein, also Ruhe und Bestimmbarkeit muss dasselbe sein, sie muss in ihr enthalten sein, denn eben wenn eine Tätigkeit als solche noch bloß bestimmbar ist, hat sie den Charakter der Ruhe und ist keine Tätigkeit. Vermögen ist nicht Handlung, sondern das, wodurch Handlung erst möglich wird. Dadurch, dass Tätigkeit begriffen wird, wird sie zum Begriff. [Nota. – Tätigkeit außerhalb der Zeit, jenseits des Verlaufs; d. h. als abgeschlossen betrachtet.JE]

Man könnte auch umgekehrt sagen: So ists mit der Bestimmbarkeit. Nur ist hier die Bemerkung zu machen, dieser Begriff ist nur Begriff in Beziehung auf die Anschauung des Ich, in Beziehung auf das NichtIch ist sie selber Anschauung. In der Anschauung ist die Tätigkeit in Aktion, im Begriff nicht, sondern das ist sie bloßes Vermögen. Wird aber diese Tätigkeit im Begriff bezogen auf das NichtIch, so ist sie Anschauung. Wir dürften sonach zwei Anschauungen bekommen, innere und äußere; intellektuelle und eine andere, die sich auf das NichtIch bezieht.

In diesem Zustande des Gemüts, den wir jetzt betrachten, gibt’s zwei abgesonderte Hälften, die eine ist die des Beabsichtigten, die andere die des notwendig Gefundenen, welches wir nennen wollen das Gegebne. Die Absicht war, eine Tätigkeit zu setzen, und es wurde Ruhe mitgefunden. Die Absicht war ferner, eine bestimmte Tätigkeit zu setzen, und es wurde ein bestimmbare mitgefunden. In der ersten Sphäre ist zweierlei enthalten: erstens in sich zurückgehende wirkliche Tätigkeit = A; zweitens, was durch diese was durch diese Tätigkeit zu Stande gekommen ist = B. In der gegebenen [Sphäre] liegt abermals zweierlei: erstens bestimmbare Tätigkeit (id est bestimmbar zum wirklichen Handeln, denn in anderer Rücksicht mag sie selbst wieder bestimmbar sein) = C. Zweitens das durch diese bestimmte Tätigkeit hervorgebrachte / NichtIch = D.

Dies untersuchen  wir nach der oben vorgetragenen Lehre von der Anschauung und Begriff.

Alles Bewusstsein geht aus von dem oben angezeigten unmittelbare Bewusstsein (§1). Das durch und in diesem Bewusstsein sich selbst Setzende = A ist eine von uns, die wir philosophieren, mit Freiheit der Willkür hervorgebrachte Repräsentation des unmittelbaren Bewusstseins. (Das unmittelbare Bewusstsein ist in allem Bewusstsein das Bewusstseiende, aber nicht das, dessen man sich bewusst ist, das Auge sieht hier das Sehen des Auges). Die Repräsentation brachten wir hervor mit Willkür. Wir hätten auch von etwas anderem reden können; so haben wir zur Seite liegen lassen, ob es nicht in anderer Rücksicht mit Notwendigkeit repräsentiert werden könne. – Diese A, dieses Zuschauen des sich Setzens, ist Anschauung, und zwar innere, intellektuelle Anschauung. –
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Wissenschaftslehre nova methodo, S. 39f.


Nota. - "Dieser Begriff ist nur Begriff in Beziehung auf die Anschauung des Ich, in Beziehung auf das NichtIch ist sie selber Anschauung." Ein Begriff ist nicht an sich ein solcher; sondern stets nur im Verhältnis zu einem Angeschauten, zu dem er sich verhält.
JE 



Nota II. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. 

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