Donnerstag, 7. Juni 2018

Bedenkliches zum Verfahren, II.

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Man fasse das Fortschreiten im Bestimmen als Stufengang auf. Auf jeder Stufe hinterlässt das lebendige Vor- stellen als ein Caput mortuum, als 'Gedächtnisspur', einen Begriff. Aber nicht auf den Begriff wird aufgebaut, er 'ruht' ja und bewegt sich nicht. Fortgeschritten wird immer nur im lebendigen Vorstellen. Die Begriffe werden jeweils abgelegt - und wie dann daraus im Verkehr des vernünftigen Wesen untereinander ein reelles System als Bild der Welt entsteht, geht die Transzendentalphilosphie nicht mehr an.

Nicht die Begriffe sind das Wahre der Vorstellung, sondern das Vorstellen ist das Wahre des Begreifens.

Die Darstellung muss, das wiederholt Fichte immer wieder, diskursiv verfahren - also in paradoxaler Form das lebendige Vorstellen durch Verknüpfung ruhender Begriffe beschreiben. Sie kann das Paradox nicht vermeiden, sondern immer wieder nur daran erinnern.

Fichte führt nun stets den Stufengang des Bestimmens als lebendiges Vorstellen vor. Aber sein Vorgehen ist ja ein doppeltes: Das reale Vorstellen ist stets von der idealen Anschauung begleitet - es wird reflektiert. Und beim Reflektieren stößt es - nein: er, Fichte - wieder auf die abgelegten Begriffe. Aber die macht er jetzt doch zum Prüfstein und Maßstab des Vorstellens, wenn er nämlich jedesmal darlegen will, dass und wie die neue Vor- stellung schon in der ihr vorangegangenen Vorstellung unbemerkt angelegt und vorausgesetzt war: Dann destilliert er nämlich aus der Definition des vorangegangenen Begriffs die Bestimmung der neuen Vorstellung.

Entsprechend konstruiert wirkt daher manch eine seiner Deduktionen; er entwickelt dann nicht eine Vorstellung aus der andern, sondern kombiniert Begriffe. Das jeweils im einzelnen Fall auseinanderzulegen ist mühselig, es schwirrt einem der Kopf. Es wäre schon ein Wunder, wenn Fichte sich nicht gelegentlich verheddert hätte; zu- mal er die Unterscheidung selber nie so scharf ausgesprochen hat.

27. 12. 16 


Eigentlich wollte ich hierfür Beispiele sammeln. Dann kam mir die Idee, einem eingefleischten Philologen die dankbare Aufgabe schmackhaft zu machen, in der Nova methodo nach Beispielen systematisch zu suchen. Dabei würden in F.'s Deduktionen voraussichtlich allerlei Unsauberkeiten im Detail zutage treten. Immerhin hat er wiederholt gesagt, er wolle sein' Lebtag nichts bewiesen haben, wenn man ihm in seinen Herleitungen auch nur einen Schnitzer nachweisehn könne...

Nun war es Fichtes persönliches Anliegen, die Wissenschaftslehre quasi wasserdicht zu beweisen. Wir Leser dür- fen uns aber fragen: Wozu soll das gut sein? Sie hat überhaupt nur als Ganze Bestand - oder eben nicht. Und einem Unwilligen beweisen kann man sie sowieso nicht: Was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist. Die Brauchbarkeit (und wozu) der Wissenschaftslehre lässt sich überhaupt nicht an ihrer diskursiven Darstellung, die grundsätzlich und immer problematisch sein muss, beurteilen, sondern daran, ob der Vorstellungskomplex, den sie umfasst, den Denkenden, der sie sich zu eigen macht, in die Lage versetzt, sowohl philosophische Sätze als auch Resultate der realen Wissenschaften systematisch auf ihren Bestand zu prüfen.

Bewähren kann sich die Transzendentalphilosophie immer nur praktisch. Und ihre Praxis ist Kritik.


Eine feste Terminologie könne er, solange er noch mit dem Aufbau der Wissenschaftslehre beschäftigt sei, nicht einführen, denn um Begriffe bestimmen zu können, müsse das System bereits abgeschlossen sein (sagt Fichte irgendwo am Anfang der Nova methodo). 

Doch wie soll man sich den 'Abschluss' wohl vorstellen? Den Anfang des Systems - der postulierte Grund-Satz, aus dem alles her- und herausgeleitet werden soll - haben wir (hat er) uns selbst gegeben. Aber ein Schlusspunkt ist schlechterdings nicht zu fassen, nämlich als Begriff: Denn das Verfahren der Vernunft ist unendliches Bestim- men, macht sie an einem Bestimmten Halt, hört sie auf, sie selbst zu sein. Vernunft ist nur actu, anders ist sie nicht.

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