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Negativ angeschaut ist sie keine sinnliche [Anschauung],
die Form der sinnlichen Anschauung ist Übergehen vom Bestimmbaren zur
Bestimmtheit. Dies muss in jenem Wollen, insofern es intellektuell
angeschaut wird, ganz und gar wegfallen, und es bleibt nur ein bloßes
Anschauen unserer Bestimmtheit, die da ist, aber nicht wird. (Die
Anschauung der Form nach versteht sich von selbst, denn das Ich muss
beibehalten werden.) Es wäre sonach ein bloßes Anschauen meiner selbst
als eines Bestimmten.
Wie wird nun diese
Bestimmtheit erscheinen? Erscheinung passt nur auf sinnliche
Wahrnehmung, wie kommt sie also in der sinnlichen Wahrnehmung vor? Als
ein Wollen, aber der Charakter des Wollens ist nach dem Obi- gen ein
Sollen, ein Fordern. Sonach müsste diese Bestimmtheit erscheinen als
bestimmtes, absolutes Sollen, als kategorische Forderung. Diese bloße
Form des Sollens, dieses absolute Fordern ist noch nicht das Sittengesetz; dieses wird es erst, in wiefern es auf eine sinnliche Willkür
bzogen wird, und davon ist hier noch nicht die Rede.
Man könnte es nennen reinen Willen, abgesondert von aller Bedingung
der Anschauung. Dieser müsste es sein, welchen wir jenem Denken, das wir
beschrieben, zum Grunde legen. Aber nun weiß ich wohl das Was, auf
wel- ches jenes Denken geht, aber nicht das Wie. Das vermittelnde Glied
zwischen diesem Denken und Wollen müsste ein Gefühl sein, denn es ist
ein notwendiges Denken. Was könnte dies nun für ein Gefühl sein?
Gefühl ist Beschränkung des Strebens, sonach müsste das Streben über jene durch das reine Wollen ursprüng- //143//lich
bestimmte Streben-Sphäre hinausgehen; und aus der Beschränktheit dieses
Strebens durch das reine Wollen würde das Gefühl des Nichtdürfens über
jene Sphäre des Sollens innerhalb dieser Sphäre, entstehen [sic].
(Das
Herausgehen über jene durch den reinen Willen bestimmte Sphäre ist
selbst etws Sinnliches, weil es dem reinen Wollen, dem eigentliche
wahren ich entgegegesetzt ist.)
Wir
finden also Freiheit und Beschränktheit ursprünglich vereinigt in der
kategorischen Forderung, die notwen- dig angenommen werden muss, wenn
Bewusstsein erklärt werden soll: Freiheit, indem angefangen werden soll,
Beschränktheit, in wiefern über die bestimmte Sphäre nicht
hinausgegangen werden soll.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 142f.
Nota I. - Ich finde mich vor als zum Wollen bestimmt: Ich soll. Das
soll eine Beschränkung meines Strebens sein, nicht etwa eine
Verstärkung. Es soll ihm (F.) dadurch eine Sphäre entstehen, in die
hinein er nicht darf. Dazu braucht er das Gefühl. Das Gefühl, auf das er hinauswill, ist der Denkzwang!
Der hat sich doch nicht en pas- sant erledigt, sondern er hat ihn auf
der Hinterhand behalten: Er braucht ihn, damit "über die bestimmte
Sphä- re nicht hinausgangen werden" darf. Was führt er im Schilde?
Nota II. -
Festzuhalten bleibt immer: Indem das Ich daran geht, sich zu bestimmen,
findet es sich vor als... schon bestimmt, nämlich zum Wollen. Wieder
erscheint der erste Schritt als ein zweiter. Das ist der
dialektisch-paradoxale Inhalt der intellektuellen Anschaunng: Das Ich
setzt sich selbst als sich vorausgesetzt; es kann sich nur als (vor-)bestimmt setzen.
20. 12. 16
Nota III. - Wenn sonst alles gesagt ist, was man philosophisch über die Wissenschaftslehre sagen kann, bleibt metaphilosophisch immer noch hinzuzufügen: Die Wissenschaftslehre ist eine Anthropologie in politischer Absicht. Ihr Ausgangs- und Zielpunkt ist Freiheit. Aber Freiheit nicht als Beliebigkeit, sondern Freiheit zur Selbstbestimmung; Freiheit, die, durch ihre Prämisse bedingt, notwendig zur Vernunft führt. Mit andern Worten - die Wissenschaftslehre muss Freheit als Pflicht darstellen. Sie muss es so darstellen, dass das Ich, wenn es sich als wollend vorfindet, sich ipso facto als sollend anschauen muss. Der Willen der Iche ist frei. Doch ob sie wollen, steht ihnen nicht frei.
Dass Wollen sollen bedeutet, ist das Paradox, das zu bestimmen die Wissenschaftslehre sich zum Zweck setzt. Dabei kann einem wohl schwindelig werden.
JE
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