Mittwoch, 13. Juni 2018
Ein transzendentaler Scherz.
Im System gibt es keine Zeit. Aber aus dem System der Vorstellung soll eine Zeit, die ja selber eine Vorstellung ist, entstehen. Die Aporie ist Fichte nicht entgangen. Nicht aus dem Setzen soll daher die Zeit entstehen, das ge- schieht idealiter alles gleichzeitig; sondern durch das Deliberieren: das Abwägen und Wählen aus mannigfal- tigen Möglichkeiten. In diesem retardierenden Moment geschieht nichts – und gerade das dauert.
– Die Hirnphysiologen haben – das ist nun aber auch schon eine Weile her – aus dem Umstand, dass jeder Zustand des Gehirns unvermeidlich auf einen und aus einem vorhergehenden Zustand folgt, ohne dass ein Zentralorgan namens Ich eingriffe, auf die Determiniertheit unseres Willens geschlossen und die Freiheit be- stritten. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Libet-Experiment: Zwischen dem Moment, in dem im Gehirn nachweislich die Breitschaft zu einer bestimmten Handlung x getroffen ist, und dem Beginn ihrer Ausführung vergeht offenbar eine Denkpause von einer Fünftelsekunde. In dieser Spanne könnte – seitens desselben Ge- hirns! – noch der Einspruch geschehen: Nein, tu das nicht! Dieser neuerdings experimentell wieder bestätigte Versuch gibt der Freiheit noch eine ganz kurze, aber dadurch umso größere Chance: Der Mensch kann nein sagen! Nachdem er sie nämlich zum Überlegen genutzt hat.
Nach Fichte nun liegt in diesem Moment des Deliberierens – ganz allgemein: des Übergehens vom Bestimmba-ren zum Bestimmten – nicht nur die (einzige) Realität der Freiheit, sondern überdies die Entstehung der Zeit: der Übergang aus der idealen Tätigkeit ins Sinnliche. In specie geht die Zeit hervor aus unserm Wollen, soweit
es ursprünglich als rein angenommen wird: Dass wir wollen, ist gewissermaßen das einzige Apriori, das die Wis- senschaftslehre 'an sich' gelten lässt. Doch das bestimmbare Wollen muss erst bestimmt werden: Man kann im- mer nur dieses wollen. Die Auswahl aus den unendlich vielen Handlungsmöglichkeiten, alias das 'Entwerfen eines Zweckbegriffs', dauert.
*
Was ist daran der Scherz?
Wann immer man in der Transzendentalphilosophie einen Begriff antrifft, der sich wie in einem Wörterbuch unmittelbar in einen Begriff der Erfahrung übersetzen lässt – oder andersrum –, ist Vorsicht geboten. Es ist fast immer eine Bananenschale.
31. 12. 15
Nachtrag. - Ein Fehler habe ich heute nicht daran gefunden. Es bleibt dabei: Es ist eine äußere Analogie, die für sich allein gar nichts beweist. Aber sie ist verblüffend und witzig. Das allein sollte dazu animieren, die dahinter- liegende Philosophie genauer zu prüfen. In ebendem Sinn gebe ich sie hier zum Besten.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen