Freitag, 1. Juni 2018

Ein absoluter Anfang ohne Grund.

nach Dalí

Jenes Übergehen als solches wird angeschaut als seinen Grund schlechthin in sich selbst habend, die Handlung dieser Tätigkeit heißt darum reale Tätigkeit, welche der idealen, die die erste bloß rein abbildet, entgegengesetzt wird; sonach wird die Tätigkeit des Ich in diese beiden Arten eingeteilt. ... 

Die Handlung des sich selbst Setzens des Ich ist ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit; wir müssen / darauf reflektieren, wie das Ich es macht, um von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit überzugehen.

Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Man muss nur zusehen, was man erblickte. Jeder wird sehen: es gibt keine Vermittelndes. Das Ich geht über, weil es übergeht, es bestimmt sich, weil es sich bestimmt, dies Übergehen geschieht durch einen sich selbst begründenden Akt der absoluten Freiheit; es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. ...

Die Tätigkeit, die sich darin äußert, soll heißen reale Tätigkeit; der Akt, durch welchen er sich äußert, ein prak- tischer; das Feld, worin er sich äußert, das praktische, diesem Akte haben wir zugesehen und sehen ihm noch zu. Die Tätigkeit, womit dies geschieht, soll heißen ideale Tätigkeit.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 46f.


Nota. - Aus nichts wird nichts, wird Fichte später, nach seiner dogmatischen Wendung, sagen - wo es nämlich erstmals ausdrücklich um das Woher - und also um Warum und Wozu - der Vernunft geht. 'Gab es' Vernunft, bevor 'das Ich sich setzte', dann war sie der Grund seines Setzens und sie war der absolute Anfang ohne Grund. 

Der Transzendentalphilosoph Fichte hätte diese Darstellung als transzendent und eo ipso als dogmatisch ver- worfen. Er hätte vielmehr gesagt: Das sich-Setzen des Ich als das grundlose Übergehen vom Unbestimmten zum Bestimmteren ist selbst der Anfang der Vernunft; nur als ein solches hat das Wort Vernunft überhaupt eine Bedeutung.

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Die Aufgabe, die die Wissenschaftslehre sich gestellt hat, war nicht das transzendent-dogmatische Projekt, die Welt und alles, was in ihr vorkommt, aus ihren Ursachen zu erklären; nämlich so, dass aus der Ersten Ursache alles andere mit Notwendigkeit erfolgen musste. Das hatten die metaphysischen Systeme vor Kants koperni- kanischer Wende versucht. 

Die Transzendentalphilosophie wusste sich damit zu bescheiden, das vorgefundene Faktum der Vernunft zu er- klären. Sie muss nicht erklären, weshalb ein Ich 'sich gesetzt hat': Es hat es getan, das ist das Faktum, von dem wir ausgehen müssen. Dass das Auftreten der Vernunft in der Welt notwendig war, kann und darf sie gar nicht be- haupten, denn dazu müsste sie hinter die Vernunft zurückgreifen - vor den Punkt, als 'es' sie 'gab'. Dazu müsste sie der Vernunft entraten. Die war aber Ausgangs- und Zielpunkt der Transzendentalphilophie.

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Insofern kann man Fichte der Inkonsequenz nicht zeihen. Denn mit seinem Einknicken vor Jacobi und seiner Bereitschaft, den Glauben der Vernunft voranzuschicken, hat er genau das getan: der Vernunft entraten.
JE


 

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