Mittwoch, 1. Oktober 2014
Klotz am Bein.
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Die Vernunft bestimmt durch sich selbst ihr Handeln, weil sie sich selbst anschauend und endlich ist.
Dieser Satz hat eine doppelte Bedeutung, da das Handeln der Vernunft von zwei Seiten angesehen wird. In der Sittenlehre wird er nur auf das vorzugsweise so genannte Handeln bezogen, das vom Bewusstsein der Freiheit begleitet ist, und daher selbst auf dem gemeinen Gesichtspunkte für ein Handeln anerkannt wird; das Wollen und Wirken. Aber der Satz gilt ebensowohl von dem Handeln, welches man als ein solches nur auf dem transzendentalen Gesichtspunkte findet, dem Handeln in der Vorstellung.
Das Gesetz, welches die Vernunft [sich] selbst für das erstere gibt, das Sittengesetz, wird von ihr selbst nicht notwendig befolgt, weil es sich an die Freiheit richtet; dasjenige, welches sie sich für das letztere gibt, das Denkgesetz, wird notwendig befolgt, weil die Intelligenz in Anwendung desselben, obwohl tätig, doch nicht frei tätig ist.
Das ganze System der Vernunft sonach, sowohl in Ansehung dessen, das da sein soll, und dessen, das zufolge dieses Sollens als seiend schlechthin postuliert wird, nach der ersteren Gesetzgebung; als in Ansehung dessen, das als seiend unmittelbar gefunden wird, nach der zweiten Gesetzgebung, ist durch die Vernunft selbst als notwendig im Voraus bestimmt. Was aber die Vernunft selbst nach ihren eigenen Gesetzen zusammengesetzt / hat, sollte sie ohne Zweifel nach denselben Gesetzen auch wieder auflösen können: oder die Vernunft erkennt notwendig sich selbst vollständig, und es ist eine Analyse ihres gesamtem Verfahrens, oder ein System der Vernunft möglich.
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System der Sittenlehre, SW IV, S. 58f.
Nota.
Das Was des Sittengesetzes sei 'als notwendig im Voraus bestimmt', und dieses als vollbracht vorgestellt, wird 'als seiend schlechthin postuliert'. - Das Sittengestz richtet sich zwar an den Einzelnen - du sollst - und macht sich als Richtspruch des Gewissens vernehmlich; aber das Endresultat aller dieser einzelnen Pflichten zusammengenommen ergäbe nicht nur ein in sich stimmiges Ganzes, sondern 'die Vernunft' soll es sogar rückblickend als das von ihr vorweg Postulierte erkennen können?!
Das ist nur als prästabilierte Harmonie denkbar; nämlich wenn die Vernunft als eine außer- und überindividu- elle, Alles lenkende Substanz vorgestellt wird. Das käme für den Leser, der Fichte als den 'Begründer des Deutschen Idealismus' kannte, nicht überraschend. Wer aber Fichte vielmehr als Transzendentalphilosophen kennen gelernt hatte, wird vergeblich in seinem Werk nach der Stelle suchen, wo er diese Vorstellung von Vernunft 'vor unsern Augen hat entstehen lassen'. Aber nur, weil er diese Vorstellung von einem Vernunftsystem von vorherein schon hatte, konnte ihm einfallen, ein 'System der Sittenlehre' darunter zu fassen.
So wie Kant das Ding an sich als Caput mortuum der Wolff-Baumgarten'schen Metaphysik mit sich geschleppt hat, hängt dem Kritizisten Fichte allezeit der scholastische intellectus agens am Bein - und sogar am Hals und würgt.
JE
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