So gewinnt Fichtes Satz, die Wissenschaftslehre sei die pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes, einen fassbaren Sinn: Die Wissenschaftslehre beschreibt den Weg, den die Intelligenz nehmen musste, um zur Vernunft zu kommen.
Als 'pragmatisch' wurde bis ins neunzehnte Jahrhundert eine Geschichtsschreibung verstanden, die nicht ein-fach erzählen wollte, "wie es gewesen ist", mit all den Zufällen, Peripetien und anekdotischen Seitenwegen; sondern aus den dummen Fakten eine Entwicklung auf einen erwünschten Zweck hin destillieren will; in der Regel, um die Geschichte eines Volks, einer Nation, eines Staates als den unaufhaltsamen Aufstieg der gerade re-gierenden Dynastie darzustellen: nicht nur, dass es so war, sondern dass es so kommen musste, und dass es gut so war; Geschichtsschreibung als vulgäre Apologetik.
Diesen Spieß dreht Fichte um. Die Geschichte der Intelligenz ist keine Privatangelegenheit, sondern die Aus-bildung einer Reihe vernünftiger Wesen. Eine solche wird nun nicht postuliert, sondern als vorgefunden berichtet: Zu Fichtes Lebzeiten gibt es 'Vernunft'. Die rationalistischen Metaphysiken mit ihrer dogmatischen Fetischisierung der Begriffe war soeben von der Kant'schen Kritik überwunden worden. War das autonome Subjekt der Aufklärung erst noch Projekt gewesen, nimmt es mit der (französischen) Revolution und ihrem Widerhall, der (deutschen) Ro-mantik historische Gestalt an.
Die Wissenschaftslehre rekonstruiert das Schema, das die Intelligenz (die menschliche, von einer andern wissen wir nichts) historisch entwickelt hat und genetisch entwickeln musste, um vernünftig zu werden.
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