Donnerstag, 18. August 2016

Möglichkeit ist ein Schweben des Zweckes zwischen Sein und Nichtsein.


Verlag freies Geistesleben

Das praktische Ich (denn dadurch erklären wir alles) erscheint im Entwerfen des Begriffs seiner Wirksamkeit frei in Absicht des Zusam-/menordnens des Mannigfaltigen; darin besteht die Freiheit der Wahl. Ist aber der Begriff einmal entworfen und wird nach ihm gehandelt , dann hängt die Folge nicht mehr von ihm [=dem prak-tischen Ich] ab, sondern es ist in Rücksicht derselben gebunden. Die Anschauung, die ihrer Natur nach gebunden ist, wird im ersten Falle, wenn der Begriff entworfen wird, vom Praktischen hin- und hergerissen zwischen Sein und Nichtsein, im Schweben zwischen Entgegengesetzten. Im zweiten Falle, wo gehandelt wird, wird das An-geschaute dadurch, dass das Praktische selbst gebunden ist, mitgebunden; der Grund der Bestimmtheit der Intelligenz hängt ab von der Bestimmtheit des Praktischen.

Im ersten Falle heißt es der Begriff von einer bloß möglichen, im zweiten von einer wirklichen Handlung. Jetzt ist die Fragte, was x sei, beantwortet; x ist eine wirkliche Handlung und einer bloß möglichen entgegengesetzt.

Corollaria: 

1) Diese Begriffe sind besondere Bestimmungen der Intelligenz in Beziehung auf das in ihr notwendig hinzu-zudenkende praktische Vermögen. Wird das praktische Vermögen gesetzt als selbst Begriffe erschaffend, so ist dann die Intelligenz selbst frei, und dann entsteht der Begriff des Möglichen; wird es gesetzt als wirklich han-deln, so ist es in Rücksicht der Folge des Mannigfaltigen gebunden, und die Intelligenz mit ihm.

2) Alles Wirkliche und Mögliche ist wirklich und möglich lediglich in Beziehung auf die Handlung des Ich; denn wir haben es von der Anschauung des Handelns abgeleitet. Die Anschauung eines Wirklichen bedingt alle Anschauung, mithin alles Bewusstsein

Bewusstsein des Wirklichen oder Anschauung des Wirklichen heißt Erfahrung, also geht alles Denken von der Erfahrung aus und ist durch sie bedingt. Nur durch Erfahrung werden wir für uns selbst etwas, hinterher können wir von der Erfahrung abstrahieren.

Anschauung des Wirklichen ist nur möglich durch Anschauung eines wirklichen Handelns des Ich; also jede Erfahrung geht aus vom Handeln, es ist nur durch sie möglich [sic]. Ist kein Handeln, so ist keine Erfahrung, und ist diese nicht, so ist kein Bewusstsein.
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Wissenschaftslehre nova methodo, S. 59f.



Nota. - Möglichkeit 'ist' lediglich in der Vorstellung, nämlich sofern der Begriff von einem Zweck gefasst wurde; ist nicht die Latenzform von 'Sein', sondern ein Zweck, der zwar entworfen, aber noch nicht handelnd realisiert wurde. (Zur Erinnerung: Nach Kants Kategorienlehre gehört Möglichkeit neben Wirklichkeit und Notwendigkeit zu den Modalitäten; sie sind a priori.)
JE



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