Dienstag, 18. August 2015

Die Aufforderung ist das Apriori der Vernünftigkeit.

Lothar Sauer

Ich finde mich zuvörderst als handeln Könnendes, rein als Handelndes bin ich gemacht durch mich, durch den Willen, nicht aber mir selbst gegeben. Als handeln Sollendes kann ich mich finden.

Was ist denn nun das Denken des Handelns seinem Charakter nach für ein Denken?

Das Handeln ist ein Fortfließen, es ist also ein versinnlichtes Denken, nur erscheint mir das Entwerfen eines Zweckbegriff nicht als ein Handeln, sondern als ein bloßes Denken, als etwas / außer mir als ein Ding. Wie ist beides verbunden? Durch die Anschauung meines Handelns, die insbesondere auch drum ... stattfinden muss, weil bloß durch sie eine Zweckerfüllung entsteht.

Ich finde mein Handeln als etwas Gegebenes, als ein Mögliches.* Gesetzt, ein Mensch hätte noch nichts getan (welches absurd ist und nur auf einen Augenblick gesetzt worden), dennoch soll er etwas tun. Es wird also postuliert, dass er schon einen Begriff vom Handeln habe. Dieser Begriff, der bei ihm nicht aus der Erfahrung kommen kann, müsste bei ihm ein Begriff a priori sein. So hier: Ich finde mich als ein Handelnsollendes, drin liegt das Handeln schon drinnen [sic]. Das ist ganz klar eine Versinnlichung, die zusammengesetzt ist aus dem Zweckbegriffe, der kein Handeln ist, und dem Realisieren, das nicht gefunden wird, also gleichsam zwischen beiden in der Mitte schwebend.

Was schaue ich denn nun an? Etwas durch die Einbildungskraft Versinnlichtes. Im Handeln ist nicht bleibende Gestalt, weder des Subjekts, noch des Objekts. Das Denken des Handelns ist ganz sinnlich, und eine solche Ansicht ist von der Synthesis, durch die das Bewusstsein zustande kommt, unzertrennlich. Nun muss ich zu dem bestimmten Handeln etwas Bestimmbares setzen; da das Bestimmte sinnlich ist, muss auch das Bestimmbare sinnlich sein. Das Bestimmbare war nach dem Obigen meine Individualität, meine sinnliche Kraft, darum muss dieses auch als ein Sinnliches erscheinen. 

Was ist nun meine Individualität? Mein versinnlichtes Sollen. Eine Aufforderung zur freien Tätigkeit als Faktum in der Sinnenwelt. Es ist Beschränktheit meiner Freiheit in einer besonderen Sphäre, oder bestimmte Bestimmbarkeit meiner selbst. Die Aufforderung eines Sollens muss also erscheinen als Wahrnehmung, welche eine ganz eigene Idee dieses Systems** ist, eine ganz eigne Erklärungsweise, die Wirksamkeit in der Sinnenwelt zu erklären. Sie ist nichts als objektive versinnlichte Wahrnehmung meiner Bestimmung, auf andere und mit anderen Vernunftwesen in Wechselwirkung zu handelt. 

*) [= als etwas als möglich Gegebenes]
**) der Wissenschaftslehre
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 229f.


Nota. - Wir erinnern uns: Vernunft ist aus Freiheit handeln. Auch das Tier 'handelt', aber nicht aus einem Zweckbegriff, sondern naturbestimmt. Das macht den Unterschied der beiden aus. Aber wie kommt der Mensch dazu, sich einen Zweckbegriff zu setzen? - Dass er es tut, ist ein Faktum, doch ebendieses gilt es zu erklären; zu erklären, wie der Mensch zum Menschen, zu einem Vernunftwesen geworden ist. Aus der Erfahrung (aus seiner tierischen Vorgeschichte) kann er von Zwecken nichts wissen. Die einzige Erklärung: Er hat den Zweckbegriff "a priori". Er - nämlich sofern er Individuum ist. Dem Individuum ist der Zweckbegriff a priori! Es hat ihn nicht aus Erfahrung, sondern 'von außen', er ist ihm durch eine Aufforderung geworden. Die Aufforderung kam ihm aus einer 'Reihe vernünftiger Wesen'. Das Apriori für die Vernünftigkeit der mensch- lichen Individuen stammt aus dem Verkehr. Der Verkehr selbst ist das Apriori.

Die Wissenschaftslehre ist keine Anthropologie 'des Menschen überhaupt', sondern eine Anthropologie des bürgerlichen Menschen.
JE



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