Sonntag, 31. Januar 2016

Am Anfang des Bewusstsein steht ein ästhetisches Wahrnehmen.


É. Manet, 1867

Ein Bestimmbares durch meinen Willen gibts nur, in so fern wirklich im Bewusstsein ein bestimmter Wille da ist, denn das Bestimmbare ist nur durch das Bestimmte möglich, und letzteres ist bloß Resultat eines Überge-hens aus der bloßen Bestimmbarkeit, und Bestimmbares ist eben das, wodurch übergegangen wird.

Diese beiden müssen schlechthin bestimmt sein. Hier ist leicht Irrtum möglich, nämlich im Fortgange eines schon angeknüpften Bewusstsein lässt sich ein Bestimmbares denken, ohne daraus zu wählen; aber beim An-fange des Bewusstseins ist eine solche Abstraktion nicht möglich.  – 
Bestimmbares und Bestimmtes müssen also notwendig eins sein. Folglich müsste mit jener Erkenntnis vom Objekte (dem Bestimmbaren für ein mög-liches Wollen) ein empirisches Wollen unmittelbar im demselben Moment vereinigt sein. Uns im wirklichen Bewusstsein scheint Wahl und Dekret des Willens so, dass die Wahl dem Wollen vorhergeht. –

Hier geht das Bestimmbare dem Bestimmten voraus, aber indem ich wähle, weiß ich doch, dass ich wähle. Dies heißt nicht anderes, als dass ich meine Deliberation auf ein Wollen beziehe. Aber woher weiß ich denn, was Wollen heißt? Nur in wiefern ich schon gewollt habe. Diese Form des Wollens beziehe ich demnach auf die Wahl; das möglich Wollen kann ich nur durchs wirkliche Wollen kennen. Hier stehen wir am Anfang des Bewusstsein, wo die Form des Wollens nicht übergetragen werden kann; hier müsste Wollen und Deliberieren zusammenfallen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 175


Nota. – Wollen und Deliberieren fallen zusammen im ästhetischen Wahrnehmen. Im Geschmacksurteil ist die Wahrnehmung selbst unmittelbar von einem Gefühl des Beifalls oder der Ablehnung begleitet. Es ist insofern unbegründet, aber es hat den ungemeinen Vorzug, dass es ist – und selber die Reihe wirklichen Wollens und Be-stimmens begründet. (Zur Erinnerung: Die Wissenschaftslehre ist nicht die historische Erzählung davon, wie ein wirkliches Bewusstsein sich bildet, sondern das abstrakte Schema vollendeter Vernünftigkeit.)
JE




Samstag, 30. Januar 2016

Denken ist unvollständig bestimmtes Wollen.


Ein empirisches Wollen erscheint als Übergehen von der Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit, charakterisiert durch die völlige Kontraktion meines ganzen Wesens auf einen einzigen Punkt; da dies beim Denken nicht ist, da man zwischen Entgegengesetzten schwebt. 

(Alles empirische Wollen ist etwas Bestimmtes, aber es gibt zweierlei Bestimmtheit, unvollendete und vollen-dete, erstere erscheint als Denken, letztere als Wollen; in dem Denken ist noch ein Blick aufs / Entgegenge-setzte, aber wenn ich will, will ich dies und nichts anderes, das andere durchs Denken Angeschaute liegt nicht im Wollen.

Nun erscheint alle Bestimmtheit als Übergehen pp. – Es gibt also auch zweierlei Bestimmbarkeit: eine fürs Denken und eine fürs Wollen, das Denken selbst ist Bestimmbarkeit des Wollens. Wollen ist quasi die zweite Potenz unseres empirischen Vermögens, Denken ist die erste.)
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 175f.










Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Dienstag, 26. Januar 2016

Ein pragmatischer Vernunftbegriff.


R. Doisneau

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts – seit dem Ende des 30jährigen Krieges – waren sich, außer den Theologen jeder Konfession, alle einig, dass Vernunft es war, die von nun an zu herrschen hätte. In den philosophischen und juristischen Traktaten der folgenden anderthalb Jahrhunderte dürfte kein Begriff öfter vorgekommen sein. Merkwürdig nur: Zum Thema wurde Vernunft nie. Was sie sei, woher sie kommt, wodurch wir von ihr wissen, wurde nicht gefragt. Sie offenbarte sich, indem man sich ihrer befleißigte. 

Denn wie sie zu verfahren hätte, lag inzwischen auf der Hand, nämlich nach dem Vorbild der Mathematik. Diesen galileischen Grundgedanken hatte Descartes in seinem Discours de la méthode kanonisiert: Clare et distnicte definierte Begriffe werden verknüpft nach den seit Aristoteles nicht wesentlich erweiterten Regeln der formalen Logik und ergeben Schlüsse von der Evidenz der Demonstrationen der Geometer. Vernünftigkeit war zuerst einmal eine Methode.

Descartes hatte ursprünglich kritisch argumentiert, gegen die Mannigfaltigkeit und Unentscheidbarkeit der rivalisierenden Meinungen: Geprüft werden sollten nicht erst die fertigen Resultate, sondern bereits die Wege des Denkens. Aber die dogmatische Falle lag schon im kritischen Grundprinzip verborgen. Indem das mathe-matische Modell zum Einheitsprinzip von denkender Seele und ausgedehnter Materie bestimmt wird, werden Natur und Geist in Parallele gesetzt: La Raison besteht in der Identifikation von realer Ursache – raison – mit dem logischen Grund: raison. Natur und Vernunft erklärten einander, die Begriffe vermittelten, das Verfahren füllte sich mit Stoff. Daraus entstanden die großen metaphysischen Systeme mit den beiden Polen Leibniz und Spinoza und manchem Malebranche dazwischen. Statt der Methode trat der Gehalt in den Vordergrund. Aus Vernunft wurde Rationalismus, aus kritischem Verfahren wurde ein Fetischismus der Begriffe.

*


Ihm galt Kants Versuch einer Vernunftkritik. Anstoß gab der Streit um den Kausalitätsbegriff, in dem empiri-sche Ursachen und logische Gründe zusammenfallen. Begriffe, die nicht auf Erfahrung beruhen, sind leer, doch ohne Begriffe ist die Anschauung blind. Erfahrung beruht auf den Anschauungsformen Raum und Zeit und den zwölf kategorialen Begriffsfamilien als Bedingung ihrer Möglichkeit. Wie, woher, wodurch wir zu ihnen gelangt sind, ließ er offen; um, wie spitze Zungen meinen, Platz für den Glauben zu schaffen (mochten sie doch vom Himmel gefallen sein). Das Apriori wurde zur Zuflucht aller gewendeten Dogmatiker, die hier ein Asyl für das vertriebene Ding-an-sich gefunden hatten. Das war eine Halbheit, die Vernunftkritik drohte an den Orthodoxen Kantianern zu scheitern, dabei konnte es nicht bleiben.

Die Halbheit zu ergänzen war Zweck der Wissenschaftslehre: die Rückführung der Begriffe hinter die Grenz-linie des Apriori zurück auf die Tätigkeit des intellegierenden Subjekts, und das hieß: die Rückführung der festgestellten Begriffe auf die ihnen zu Grunde liegenden dynamischen Vorstellungen. Gegenstand der Wissen-schaftslehre ist das Vorstellen selbst und nicht erst seine mannigfaltigen Produkte. Das Grundmodell: Die lebendige Intelligenz steht vor einem unendlichen Reich des Bestimmbaren – und gehört selber dazu, denn indem sie ihr jeweils Anderes bestimmt, bestimmt sie sich selber mit. Dabei kommt sie freilich nie zu einem Ende, weder bei der Bestimmung der Welt noch bei der Bestimmung ihrer selbst. Denn so weit der Weg auch sei, den sie beim Bestimmen schon zurückgelegt hat, so bleibt das Feld vor ihr doch so weit wie je: unendlich.

Vernünftig ist nun eine Intelligenz, die diesen Gang nimmt; nicht seine einzelnen Stufen, sondern das Vorgehen selber: ein stetiges Fortschreiten vom relativ Unbestimmten zum Bestimmteren. Es ist als solches ein unent-wegtes Urteilen, doch nicht die Urteile machen die Vernünftigkeit aus, sondern der Urteilende: Wenn ich einen vernünftigen Tutor habe, dem ich vertraue, und übernehme seine Urteile, dann mögen die Urteile vernünftig sein, aber ich bin es nicht – weil sie nicht meine sind. Vernünftigkeit ist hier wieder ein Verfahren, aber es ist nicht formal vorbestimmt einerseit als 'Methode' und nicht andererseits material vorgegeben durch monadische 'Begriffe', sondern entwickelt selber seine Vorstellungen aus/einander. Es ist selber formal und material in Einem.

*

Wenn aber Vernunft in einem tätigen Verständnis von ihrem Ursprung an vom Subjekt selbstgemacht ist – wie kann es sein, dass auf ihrem Boden, und darauf kam es an, Verständigung möglich ist? In der Wirklichkeit sind die Subjekte keine unendlich bestimmbaren Iche, sondern sehr unterschiedliche, sehr endliche Individuen. Macht jedes seine Vernunft selber? Irgendwie muss sie ihrem je individuellen Tätigwerden doch schon vorausge-setzt sein, wie anders könnte sie sonst zum allgemeinen Medium taugen?

Das ist der Widerspruch der Wissenschaftslehre. Er manifestiert sich darin, dass Fichte von Anbeginn schwankt zwischen einem kritisch pragmatischen und einem dogmatisch substanziellen Vernunftbegriff. 

Dabei hält er den Schlüssel schon in der Hand. "Dieser Begriff der Selbstheit der Person ist nicht möglich ohne Begriff von einer Vernunft außer uns; dieser Begriff wird also auch konstruiert durch Herausgreifen aus einer höheren, weiteren Sphäre. Die erste Vorstellung, die ich haben kann, ist sie Aufforderung meiner als Individu-um zu einem freien Wollen."* 

Schlechthin-tätig ist das Ich 'an sich', dazu bedarf es keiner Aufforderung. Zum Bestimmen muss es aufgefor-dert werden – vom Unbestimmten zum Bestimmten fortzuschreiten. Bestimmen heißt einer Sache einen Zweck zurechnen. "Der Zweck wird uns in der Aufforderung gegeben, also die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären. ... Doch wird uns der Zweck nicht als Bestimmtes, sondern überhaupt der Form nach gegeben, etwas, woraus wir wählen können. ... Kein Individuum kann sich aus sich selbst erklären. Wenn man also auf ein erstes Individuum kommt, worauf man kommen muss, so muss man auch ein noch höheres unbegreifliches Wesen annehmen."** 

Der Zweckbegriff ist die Grundform des Begriffs: Begreifen heißt die Sache einem Zweck zuordnen. Die Tätigkeiten der Subjekte durch Begriffe regulieren heißt Zwecke miteinander vereinbaren. So geschah es schon, als das Ich in die Welt trat, wo es eine 'Reihe vernünftiger Wesen' bereits vorfand; sie ist das unbegreifliche hö-here Wesen. Die Aufforderung erging in dem Moment, als das Ich in die Reihe eintrat und sich damit zum Indivi-duum bestimmte. Seine Teilhabe an der Vernünftigkeit ist von Anfang an vermittelt durch die der AndernSie ist selber Vermittlung. 'Vernunft' nennen wir einen Zustand, in dem das Handeln Aller vernünftig ist. Vernunft als Zu-stand ist keine Sache, sondern ein tätiges Verhältnis – die Verkehrsweise einer 'Reihe vernünftiger Wesen'; ist nicht bestimmt, sondern allezeit sich-selbst-bestimmend. 

Aufgekommen ist sie gegen Mitte des 17. Jahrhunderts.

*) Nova Methodo, S. 177

**) ebd., S. 178

Sonntag, 24. Januar 2016

Meine Emendation der Wissenschaftslehre.




Der letzte Grund, auf den die Wissenschaftslehre in ihrem ersten, analytischen Teil stößt, ist das Noumenon des Wollens-überhaupt. Aus dieser Triebkraft allein ist der wirkliche Gang der Intelligenz zu erklären (=der zweite, synthetische Gang der Wissenschaftslehre)

Wollen ist aber stets Wollen von Etwas, wollen setzt einen Zweck, an dem es sich bestimmen kann. Dem Nou- menon des Wollens-überhaupt steht daher das Noumenon eines Zwecks-überhaupt gegenüber. Sowenig wie jenes ist er aber bestimmt; er ist bestimmbar, und dieses unendlich. Zweck-überhaupt ist die nicht erschöpfba- re Idee des Absoluten, und der Gang der Intelligenz wäre ohne sie ohne Richtung und könnte eine Vernunft nie ergeben.

Fichte bastelt vorübergehend an dem Paradox eines irgendwie-doch-schon-bestimmten Absoluten. Daraus kann nichts werden. Da trifft ihn der Offene Brief Jacobis. Prompt geht er ihm auf den Leim und bekehrt sich zu einem re- alen
Absoluten.* Ab da werden seine Darstellungen der Wissenschaftslehre zu dogmatisch konstruierender Me- taphysik.

Meine Verbesserung ist nur ein kleine, aber eine entscheidende. Das Noumenon des Absoluten ist eine Idee, und da es diejenige Idee ist, die alles Werten überhaupt erst möglich macht, ist es eine ästhetische Idee.

Dies zum einen.

Zum andern ist Vernunft in ihrer tätigen Form als Vernünftigkeit nicht die endliche Summe von soundsoviel individuellen Leistungen, sondern ein gegebener – vorgefundener – Zustand: das Verhältnis einer "Reihe ver- nünftiger Wesen" untereinander. Als ein solches ist es den individuellen Intelligenzen und ihren Erfahrungen 'a priori' vorausgesetzt als Bedingung ihrer Möglichkeit.

Mit andern Worten, Vernünftigkeit ist keine Privatsache, sondern das Verhältnis zwischen einem 'Ich' und einer 'Welt'.

Doch nicht alles, was mir vorkommt, berührt 'das Ich'. Es juckt die Nase, kribbelt im Fuß, denkt an den letzten Sommer. Das widerfährt mir persönlich, das Ich als das Prinzip meiner Vernünftigkeit wird davon nicht berührt. Der eine findet Charlie Chaplin komischer, der andere Buster Keaton. Einen fasziniert Michael Jackson, einen andern David Bowie: Das ist Sache des Geschmacks, und der urteilt einzeln und immer ad hoc. So ist es mit der Moralität. Ihre Ratschlüsse geschehen und gelten hic et nunc. Abstraktionen sind ihr nicht bloß fremd, sondern zuwider.

Das sind Sachen, die mich persönlich berühren  also nicht 'mein Ich'; die 'in der Welt' vorkommen, aber nur in meiner Welt und nicht in unserer Welt. Das eine geht die 'Reihe vernünftiger Wesen' etwas an, das andre nicht. (Recht ist eins; Moral ist ganz was anderes.)

Das ist meine zweite Emendation.

Beide hängen aber miteinander zusammen, nämlich in der regulativen Idee eines Absoluten; und in specie darin, dass es unbestimm- und nicht erschöpfbar ist
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*) – das zwar nicht bestimmt, aber vorgängig immer schon sich-selbst-bestimmend war.








Nota. 
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Das Schema der Vernunft; oder Die Anthropologie der bürgerlichen Welt.

oliver moor, pixelio.de

Fichte will gar nicht erklären, auf welchem Weg ein individuelles Ich zu seinem so oder anders gearteten Be-wusstsein kommt. Er will erklären, warum, wie und inwiefern Vernunft in einer Gesellschaft, sei es als Realität, sei es als Postulat, zur Herrschaft kommt. 

"Aufforderung" zur Vernüftigkeit ist deren Bedingung; nicht historisch und kausal, indem 1. das Ich sich setzt, 2. sich ein Nichtich entgegensetzt, um sich 3. diesem entgegenzusetzen, und dann immer so weiter bis an den Punkt, wo dann die Aufforderung geschieht; sondern logisch und systemisch: 1., 2., 3. und alle weiteren Schritte fänden gar nicht erst statt, wenn die Aufforderung nicht erginge. –

Denn die Aufforderung ergeht nicht individuell von dir an mich. Die Aufforderung ergeht durch die Begeg-nung mit einer "Reihe vernünftiger Wesen", in die ich hineingeboren wurde. Vernunft als herrschender Zustand ist den individuellen Ichs vorausgesetzt. Sie muss nicht mehr entstehen durch den verallgemeinernden Verkehr der sich verständigenden Individuen, sondern ist als apriorische 'Systemeigenschaft' der bürgerlichen Welt schon gegeben.
 (Erst) das bürgerliche Individuum ist a priori Anteilnehmer einer Gesellschaft. Daraus folgt alles Weitere auf einen Schlag und lässt sich eo ipso nur als System, als zeitloses "Schema" darstellen.

Die Wissenschaftslehre ist die Vollendung der Kant'schen Vernunftkritik. Der geschichtliche Bericht, wie es zu diesem herrschenden Zustand gekommen ist, fällt nicht in ihre Verantwortung, er ist eine Sache der historischen Realwissenschaften.


Nachtrag.

Das / Bewußtsein ist also von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren.  Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 30f.






Freitag, 22. Januar 2016

Heroischer Nihilismus.


F. Català-Roca

Nein, es war nicht der Vorwurf des Atheismus, der Fichte ins Bockshorn gejagt hat; den hatte er souverän und reinen Gewissens von sich gewiesen. Es war vielmehr Jacobis Einwand, dass die Wissenschaftslehre in Absicht der Lebensführung nur einen Nihilismus zeitigen könnte. Wenn die Philosophie in ihrer vernünftigsten Form – und als diese erkannte er die Wissenschaftslehre – zu dieser Konsequenz führe, dann sei die Philosophie – je-denfalls in ihrer vernünftigsten Form – zu verwerfen. Dem wusste Fichte nichts entgegenzusetzen, und er fing zu schlingern an.

Jacobi hatte Recht, aber mir macht er nicht bange. Wenn der Nihilismus ein heroisch-ästhetischer ist, sei er mir willkommen. Das Wahre ist an sich schön, es ist nicht darauf angewiesen, sich irgendwem nützlich zu machen.





Die Wissenschaftslehre ist die ganze Philosophie.



Ob die Philosophie ein Fach ist, mag ich gar nicht entscheiden. Das finge an mit einem Pfennigfuchsen dar-über, was man alles dazu zählen will und was nicht, und da bisse sich die Katze in den Schwanz. In zweieinhalb Jahrtausenden hat sich in Europa – anderswo nicht – eine Tradition der kritischen Reflexion auf das, WAS wir wissen, und darauf, WIE wir wissen, ausgebildet. Da haben sich Einsichten angesammelt – selbst wenn man’s bloß kritisch nimmt –, die nur vielleicht liebenswerte, aber dummfreche Rotznasen ignorieren können, wenn sie sich denn diesen Dingen zuwenden wollen.

Daraus sind an den Universitäten Fakultäten und 'Fachbereiche' hervorgegangen. Dass es ein 'Fach' ist, be-haupten sie gern, um das Monopol zu wahren, das sie seit 150 Jahren darüber haben. Als nichtakademischer Privatmann kann ich das eigentlich nicht gutheißen.

Ich verteidige also nicht die Selbstständigkeit 'der Philosophie'. Ich verteidige die Einzigkeit der Wissenschafts-lehre (in meiner Emendation, versteht sich). Sie ist der harte Kern, der Prüfstein, die Kritik des Wissens, soweit es mehr sein soll als die Sammlung verwertbarer Fakten.

Das Sammeln verwertbarer Fakten dient dazu, das Leben einfacher, bequemer, befriedigender zu führen. Was immer über solche Fragen hinausgeht, läuft früher oder später auf die Eine Frage zu, wohin und wozu man sein Leben führen will. Das nennt man herkömmlich Praktische Philosophie. Um die Wörter geht es ja nicht, Philo-sophie ist kein eingetragenes Warenzeichen. Es geht darum, dass sie nicht wirklich wissenschaftlich, nämlich nicht wirklich kritisch sein können: denn sie wollen – und müssen, wenn sie was taugen sollen – positiv werden und Zwecke behaupten; wenn Sie so wollen, im weitesten Sinn 'politisch'. Das ist nicht Wissenschaft, sondern Meinungs-Kampf.

Gottseidank gibt es die Kritik und die Wissenschaftslehre als den Fels, auf dem sie baut! So haben die mannig-faltigen Meinungen immerhin etwas Gewisses, woran sie sich halten können; wenn schon nicht positiv, so doch negativ: was alles nicht geht. 


 Der springende Punkt ist aber: Die Wissenschaftslehre ist nicht der Bericht darüber, 'wie das Ich sich konsti-tuiert', 'wie das Bewusstsein zustande kommt' und 'welches meine Pflichten sind'. Sie ist ein abstraktes Modell jenseits von Raum und Zeit – Schema, sagt Fichte immer wieder; "ohne alle Erfahrung" – von einem Bewusst-sein, das vernünftig verfährt. Die Wissenschaftslehre ist das Schema der Vernünftigkeit.

*

Ist es also "rein formal"? "Bloße Methode"? – In der Wissenschaftslehre geht sowas gar nicht. Denkbar wäre es nur, wenn das Materiale – der Stoff oder die autarken Bedeutungspartikel – vorgegeben wäre und das Verfahren sich ganz auf deren Verknüpfung beschränken könnte. (So etwas hat Hegel an Schellings dialektischer Triade bemängelt: Das ginge klipp-klapp und ohne Inhalt; während bei ihm der Inhalt des Begriffs seine Bewegung vorausbestimmte...)

Mit andern Worten, wenn als Material der Begriff vorausgesetzt wird. Aber der Begriff ist ein Derivat. Ursprüng-lich war er Vorstellung, und die ist eine Abstraktion von der Tätigkeit 'vorstellen'. Eine Vorstellung 'gibt es', wenn und sofern einer sich etwas vorstellt; sonst nicht. Als Begriff ist sie aus der Tätigkeit herausgerissen und zu einem Dauernden mumifiziert.

Gegenstand der Wissenschaftslehre ist aber der Gang des Vorstellens selbst. Es ist der Gang vom Bestimmba-ren, weil Unbestimmten oder wenig bestimmten, zum Bestimmteren. Das ist offenbar keine bloß formale Be-stimmung. Das Bedeutungsfeld wird von Schritt zu Schritt enger, aber dichter. Es ist nicht Kombination, son-dern Qualifizierung. Das Verfahren ist der Gehalt, aktual. Für andere darstellen, nämlich so, dass sie's nur nach-lesen müssten, lässt es sich nicht. Man muss schon das Vorstellen selber betreiben, um seiner gewärtig zu werden.

*

Summa summarum – die Wissenschaftslehre ist die ganze Philosophie. Außerdem gibt es nur Kritik.




Donnerstag, 21. Januar 2016

Real oder ideal?



Fichtes Gebrauch von 'real' und 'ideal' ist nur scheinbar verwirrend.  Ein An sich gibt es bei ihm nicht, das wissen wir doch schon, also ist nichts an sich real und nichts an sich ideal, sondern Eins immer nur in Hinblick auf das Andre. Es ist einfach die Unterscheidung von erster und zweiter semantischer Ebene; zwischen Objekt-ebene und Metaebene:

"Die Begriffe Reales und Ideales gelten nur relativ, in den Zwischenräumen liegen Mittelglieder, die ideal und real sind, je nachdem man sie vorwärts oder rückwärts bezieht."

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 200






Mittwoch, 20. Januar 2016

Das einzig Dauernde ist der Handelnde.


pixabay

Wir wollen jetzt einmal den Stoff dieser Anschauung liegen lassen und sie der Form nach bestimmen und das, was mit ihr zusammenhängt.

Wir wollen die einzelnen Momente dieser Anschauung X aufzeigen.

Zuvörderst: Nach dem Obigen fühlt das Ich sich selbst in der Anschauung. Durch dieses Gefühl wird erst ein Anschauung meine Anschauung (voriger Paragraph). Dies gilt von aller Anschauung, also auch von der An-schauung X. Ich fühle mich als das Anschauende, nicht ich schaue mich an als anschauend, denn im Anschau-en verliert das Ich sich im Objekte

Das Angeschaute in X ist das ich selbst, es ist zugleich das Fühlende in dieser Anschauung, beide sind sonach eins und dasselbe. Woher diese Identität? Wie kommen wir vor im Bewusstsein? Endlich: wie ist denn die Anschauung X oder was wird angeschaut? Nach dem obigen Paragraphen können wir weiter nichts sagen als: Das Ich wird angeschaut als anschauend Y. Das Ich fühlt sich als anschauend (voriger Paragraph). Hier verwandelt sich das Selbstgefühl in Selbstanschauung.

Was kann das Objekt der Anschauung X sein? Ich bin in Y in Beziehung auf ein Objekt anschauend, diesem soll ich zusehn, wie ist dies möglich? Nicht unmittelbar (voriger Paragraph); die Anschauung X soll die entgegensetzten Gefühle A und B vereinigen. Ich Objekt müsste sonach etwas beiden Gemeinschaftliches sein; nur, da von Veränderung des Zustandes die Rede ist, so müsste es etwas in der Veränderung Fortdauerndes sein. In den Gefühlen als solchen gibt es so etwas Fortdauernde niocht, denn A und B sind sich entgegengesetzt. Im Gefühl A kommt kein Fühlendes überhaupt vor, ebenso in B, denn jedes Gefühl ist ein Bestimmtes, aber ein Fühlendes, das nur überhaupt fühlt, ist kein Bestimmtes.

Nach dem obigen können wir sagen: Das einzig Dauernde ist das Handelnde, und zwar das idealiter handelnde. Dies müsst Objekt der Anschauung X sein, und zwar qualis talis; denn anders kennen wir es nicht. Aber wie kann es zum Objekt der Anschauung werden?
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 91



Dienstag, 19. Januar 2016

Am Ich ist nichts anschaubar als sein Übergehen.


Es entsteht also eine Veränderung im Zustande des Ich. / Es sind sonach vorhanden zwei Gefühle A und B (bloße Gefühle der Beschränktheit); was nach dem vorigen Paragraphen aus dem Gefühle überhaupt, und hier aus dem Gefühle A erfolgt, das muss auch in dem Gefühle B erfolgen. Da aber die Gefühle A und B verschie-den sind, so muss auch alles, was aus ihnen erfolgt, verschieden sein. Dies eröffnet uns eine wichtige Aussicht, welche sich uns über das Innere des menschlichen Geistes mehr verbreitet [sic]

Vor der Hand ists uns um die Vereinigung dieser verschiedenen Gefühle im Bewusstsein zu tun. Dies wird uns weiter führen.

Oben Paragraph 6 hatten wir eine ähnliche Frage aufgeworfen: wie das Mannigfaltige des Gefühls auf einander bezogen und und unterschieden werden könne. Dies hat die materiale Schwierigkeit gelöst, nicht aber die for-male: Worin werden denn die zwei Zustände vereinigt? Wenn ich sage: Das Gefühl A, beziehe ich mich auf meinen ganzen Zustand; so B. Mein Zustand ist in A und B ganz, nur dass jetzt ein A, dann ein B abgerechnet ist, dann habe ich einen Faden, woran ich A und B festhalte. Aber woran halte ich diesen Faden fest? Wir ha-ben ein was, aber kein wie, das diesen Zustand festhält.

Man sehe die Vereinigung an als die Vereinigung der entgegengesetzten Gefühle A und B, oder als entgegen-gesetzte Zustände an [sic]. Das ganze System der Sensibilität kann nicht gefühlt werden, denn sie ist nichts Po-sitives, sondern lediglich ein Verhältnis. Aber schon oben haben wir gefunden, dass die Tätigkeit des Ich nur angeschaut werden kann als ein Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Man kann daher auch sa-gen, in Absicht des Ich ist nichts anschaubar als das Übergehen.

Also jenes Übergehen, das nicht gefühlt werden kann, weil es nichts Positives ist, müsste etwa angeschaut wer-den; wir wissen aber noch nicht, wie oder ob eine solche Anschauung möglich sei. Wir wissen nur, dass sie nicht gefühlt werden könne. Doch aber muss, wenn der Übergang da sein soll, dieser für das Ich da sein.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 88f. 



Nota.  "Nichts Positives, sondern lediglich ein Verhältnis": Dies ist festzuhalten. Nichts Positives, sondern lediglich ein Verhältnis ist das System der Sensibilität. Das bezieht sich auf unsere tatsächliche Sinnlichkeit. In der Tat fühlen wir nicht unsere Gesamtbefindlichkeit, sondern immer nur das, was sich daran ändert und aus dem Verhältnis als Einzelnes heraustritt. 

Nichts Positives, sondern nur ein Verhältnis ist aber 'das Ganze' überhaupt. Das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, heißt es seit Aristoteles. In seiner organologischen, fast animistischen Vorstellungswelt hat er zwi-schen Realem und Idealem nicht unterschieden. So aber Fichte: Idealiter ist 'das Ganze' nicht mehr als die Sum-me seiner Teile, sondern etwas anderes; nämlich ein Verhältnis  kein Was, sondern ein Wie. Als solches 'er-scheint' es erst auf einer höheren Reflexionsebene; 'mehr' ist ein völlig unpassender Ausdruck.
JE



Montag, 18. Januar 2016

Der Gegenstand des Gefühls ist Materie.


Wie ist es nun möglich, dass das Ich vor allem Handelns voraus eine Erkenntnis der Handlungsmöglichkeiten habe? Es gehört für diese Handlungsmöglichkeiten ein Positives des Man-/nigfaltigen, wodurch das Mannigfaltige erst würde, und das nicht weiter zergliedert werden könnte, und dass es Grundeigenschaften geben müsse; das Gefühl ist eins, es ist Bestimmtheit, Beschränktheit des ganzen Ich, über die es nicht hinausgehen kann. Es ist die letzte Grenze, es kann sonach nicht weiter zergliedert und zusammengesetzt werden, das Gefühl ist schlechthin, was es ist und weil es ist. Das durch das Gefühl Gegebene ist die Bedingung alles Handelns des Ich; die Sphäre, aber nicht das Objekt.

Die Darstellung des Gefühls in der Sinnenwelt ist das Fühlbare und wird gesetzt als Materie. Ich kann keine Materie hervorbringen oder vernichten, ich kann nicht machen, dass sie mich anders affiziere, als sie ihrer Natur nach tut. Entfernen oder annähern kann ich sie wohl. Das Positive soll Mannigfaltigkeit sein. Es müsste also mannigfaltige Gefühle geben, oder der Trieb müsste auf mannigfaltige Art affizierbar sei; welches man auch so ausdrücken könnte: Es gibt mehrere Triebe im Ich.

Diese Mannigfaltigkeit der Gefühle ist nicht zu deduzieren oder aus einem Höheren abzuleiten, denn wir stehen hier an der Grenze. Dieses Mannigfaltige ist mit dem Postulate der Freiheit postuliert; hinterher wohl wird dieses Mannigfaltige im Triebe sich zeigen als Naturtrieb und wird aus der Natur erklärt werden; aber die Natur wird erst selbst zufolge des Gefühls gesetzt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 68f. 


Nota. - Das Gefühl ist die Grenze; auf der einen Seite beginnt das Ich, auf der andern die empirische Person.(Sie verstehn mich schon: Das ist eine Metapher.) JE




Sonntag, 17. Januar 2016

Bestimmen der Tätigkeit heißt einschränken.


Lothar Sauer

Wird die reale Tätigkeit des Ich beschränkt, so entsteht notwendig, da die ideale Tätigkeit immer bleibt, eine / Anschauung, vor der Hand nur die des Beschränkenden. Dieses ist sonach ein ganz bestimmter Zustand des Ich. Von ihm aus kann eine genetische Einsicht in das jetzt Gesagte gegeben werden. An diesem Zustande soll eine Veränderung erfolgen, wie und woher wissen wir nicht, wir haben sie wirklich postuliert. 

Das Ich wird durch diese Veränderung in seiner Beschränktheit beschränkt*. Oben war das Ich das Beschränk-te, hier wird das Beschränkte beschränkt. Im ersten Zustand (vorige Paragraphen) ist das Ich, und es ist irgend etwas, es ist fixirt, gehalten. Ein bestimmtes Streben in ihm, weil es beschränkt ist, oder Tätigkeit in ihm ist ne-giert, welches der Charakter des Seins ist.

*[=weiter beschränkt]
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 93f.
  

Nota. - Hier wird abermals deutlich, dass die Darstellung im System nur die Darstellung eines abstrakten Modells sein kann. Denn realiter ist jede Tätigkeit beschränkt, weil sie gegen ein Objekt geht, an dem sie eine Schranke findet: Andernfalls fände sie nicht statt. Aber hier geht es um die "als Erklärungsgrund" eingeführte Abstrak-tion einer 'Tätigkeit an sich'. An sich heißt aber uneingeschränkt und unendlich. Es ist eine Fiktion, die dem Ich als seine Bestimmung zugerechnet wird. Nur so ist sie ja (weiter) bestimmbar und kann zur Erklärung des Bewusst-seins dienen.
JE

Samstag, 16. Januar 2016

Das Postulat unbedingter Agilität.




Verändert sich etwa der Zustand unserer Beschränktheit und die ihm korrespondierende Welt von selbst? Dies ist nicht zu erwarten, denn es gehört zum Charakter der Welt, dass sie nur ist, nicht wird, sie fängt keine Hand-lung an. Die Sache müsste etwa so sein, dass schon in unserer Natur in unserer Bestimmtheit ein Prinzip der Veränderung läge, so wie dies bei den Pflanzen und Tieren der Fall ist. Tiefer unten wird sich so etwas finden. -

Es verhalte sich wie es wolle, so darf ich diesem Postulate der Veränderung hier nur hypothetische Gültigkeit zuschreiben. Sollte sich aber zeigen, dass nur allein durch eine solche Annahme und ohne sie nicht das Be-wusstsein erklärt werden könnte, dann hätte ich das Recht, sie kategorisch zu postulieren.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 88


Nota Es ist das Postulat einer unbedingten Agilität – Wollen, Trieb, Streben , das die Wissenschaftslehre zu einer Anthroplogie macht; wobei es fast gleichgültig ist, ob erst hintenrum oder schon vornerum.
JE



Freitag, 15. Januar 2016

Der Übergang vom Gefühl zur Anschauung.


Lothar Sauer

Das Ganze ist nichts als  Verhältnisse, und doch soll es Etwas werden. Dies liegt in der Natur der idealen Tätig-keit, und dieser ihr produktives Vermögen zu erörtern ist unser vorzügliches Geschäfte, z. B. dass Materie im Raum ausgedehnt sei, und dass diese nichts sei als das Verhältnis auf unsere Empfindung.

Hier sind wir beim Entstehungsorte des Systems unserer Sensibilität für uns, und unsere gegenwärtige Voraus-setzung, dass unsere Gefühle angeschaut werden, erklärt dieses System der Sensibilität, so wie dieses unsere Voraussetzung unterstützt.

Eine Veränderung von A zu B wird angeschaut, ist also ein Bestimmtes, aber dies ist nichts ohne Bestimmba-res. Also keine Veränderung lässt sich anschauen ohne Veränderlichkeit; soll aber diese Etwas sein, so kann sie nur sein eine Zusammensetzung aus der Anschauung mehrer Veränderungen. 

Diese besondere  und von der im vorigen Paragraphen aufgestellten verschiedene  Anschauung heiße X, sie ist nicht Anschauung überhaupt, sondern Anschauung eines Übergehens.

So gewiss angeschaut wird, schwebt dem Anschauenden ein Objekt vor, welches sein Objektives davon erhält, dass die Anschauung darauf bezogen wird. Diese Veränderlichkeit wird also hier schon zu einem Etwas, weil eine Anschauung darauf geht. (Das System unserer Veränderlichkeit ist ist unser Leib. Dieser ist ja etwas, soll ausgedehnt sein im Raume, dies wird er lediglich durch die Anschauung.) Die Anschauung X ist eine Anschau-ung des Ich selbst. Es wäre nun das Fühlende im System der Sensibilität erschöpft. Das Ich dauert in allen Ge-fühlen fort. X wäre die Anschauung des Ich, in dieser Anschauung fände es sich selbst als Objekt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 90


Nota. - Wenn Fichte sein Modell auch so darstellen muss, als ob ein Moment auf das andere folgte, ist das System doch zeitlos zu verstehen: Es geschieht nicht alles nach und nach einander, sondern ist auf einen Schlag durch einander.
JE





Donnerstag, 14. Januar 2016

Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme.


Lothar Sauer

Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme. Bei dieser Annahme beruft man sich auf einen inneren Zustand. Man geht bei dieser Überzeugung in sich zurück in das Innere, man ist sich bewusst eines Zustandes, aus welchem man auf das Dasein von Gegenständen außer sich schließt. 

Nun ist man aber, inwiefern man sich bewusst ist, ein vorstellendes Wesen, man kann also nur sagen, man sei sich der Vorstellung von Dingen außer uns bewusst, und weiter wird eigentlich auch nichts behauptet, wenn man sagt, es gebe Gegenstände außer uns. Kein Mensch kann unmittelbar behaupten, dass er Sinne habe, son-dern nur, dass er notgedrungen sei, so etwas anzunehmen. Das Bewusstsein geht nur auf das, das in ihm vor-kommt, aber dies sind Vorstellungen. 

Damit begnügen wir uns aber nicht, sondern machen schnell einen Unterschied zwischen der Vorstellung und dem Objekt und sagen, außer der Vorstellung liege noch etwas Wirkliches. Sobald wir auf den Unterschied der Vorstellung und des Objekts aufmerksam werden, sagen wir, es sei beides da. Alle vernünftigen Menschen (selbst der Idealist und Egoist, wenn er nicht auf dem Katheder steht) behaupten immerfort, dass eine wirk-liche Welt da sei. 

Wer sich zum Nach-/denken über diese Erscheinung in der menschlichen Seele erhoben hat, muss sich wun-dern, da hier eine scheinbare Inkonsequenz ist. Man werfe sich also die Frage auf: Wie kommen wir dazu, an-zunehmen, dass noch außer unsrer Vorstellung wirkliche Dinge da seien? Viele Menschen werfen sich diese Frage nicht auf, entweder, weil sie diesen Unterschied nicht bemerken, oder weil sie zu gedankenlos sind. Wer aber diese Frage aufwirft, erhebt sich zum Philosophieren, diese Frage zu beantworten ist der Zweck des Philo-sophierens, und die Wissenschaft, die sie beantwortet, ist die Philosophie.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 3f.



Nota.  Jeder vernünftige Mensch glaubt an die Wirklichkeit der Welt, auch Fichte, und vermutlich sogar, wenn er auf dem Katheder stand. (Allenfalls könnte er einwenden: Geglaubt habe er gar nichts mehr, sobald er auf sein Katheder stieg.)
JE




Mittwoch, 13. Januar 2016

Das gemeine Bewusstsein ist das des Handelns und der Erfahrung; die Spekulation abstrahiert davon.



Den Gesichtspunkt des Individuums kann man den gemeinen nennen, oder den der Erfahrung. Wird er gene-tisch angesehen a priori, wenn man auf ihn kommt, so findet sich, dass man durch das Handeln auf ihn kom-me, er heißt daher der praktische. Alle philosophische Spekulation ist nur möglich, in wie fern abstrahiert wird (im Handeln findet keine Abstraktion statt), und heißt darum der ideale Gesichtspunkt. Der praktische Ge-sichtspunkt steht unter dem idealen.

Wenn der Philosoph auf dem praktischen Gesichtspunkt steht, so handelt er wie jedes andere Vernunftwesen, und wird nicht durch Zweifel gestört, weil er weiß, wie er auf diesen Standpunkt kommt. Die Spekulation kann nur den stören, der erst angefangen hat zu spekulieren, aber noch nicht im Reinen ist; dem kritischen Philoso-phen kann so etwas nicht einfallen, weil die Resultate der Erfahrung und der Spekulation immer zusammentref-fen. 

Es gehört aber Festigkeit dazu, sich von dem einen Gesichtspunkt auf den andern zu setzen; hierin fehlt oft der Anfänger, der durch realistische Zweifel in der Spekulation gestört wird, der wird auch im Handeln durch ideali-stische gestört.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 25



Nota. - Während des Handelns reflektieren: das kann sich nur leisten, wer den ständigen Perspektivwechsel gewöhnt ist; wer etwa das Denken berufsmäßig treibt. Alle andern sollten beherzigen: Alles zu seiner Zeit!
JE



[Ende der Zweiten Einleitung]






Dienstag, 12. Januar 2016

Das Verhältnis des Systems zur Erfahrung.



Verhältnis dieses Systems zur Erfahrung.

In der Erfahrung, welche durch dieses System deduziert werden soll, findet man die Objekte und ihre Beschaffenheiten; in dem System selbst die Handlungen des Vernunftwesens und die Weisen desselben, inwiefern Objekte durch sie hervorgebracht werden, denn der Idealismus zeigt, dass alle andre Art, zu den Objekten zu kommen, keinen Sinn habe.

Der Philosoph fragt, wie entstehen Vorstellungen von den Dingen, die außer uns sein sollen? Dann die Vorstellungen von Pflicht, Gott und Unsterblichkeit. Diese Frage heißt soviel: Wie kommen wir zu den Objekten, die diesen Vorstellungen entsprechen? Man könnte die notwendigen Vorstellungen objektive Vorstellungen nennen, weil sie auf ein Objekt bezogen werden. 

Dies gilt auch von den Vorstellungen der Pflicht, Gottheit und Unsterblichkeit. Man kann daher fragen: Woher das Objekt für uns? Die Philosophie enthielte sonach ein System solcher Handlungen, wodurch Objekte für uns zu Stande kommen. Aber gibt es denn nun wirklich solche Handlungen, wie im Idealismus vorgetragen werden? Hat das darin Vorgetragene Realität, oder ist es nur von der Philosophie erdichtet?

Zuvörderst, der Idealismus stellt auf eine Reihe von ursprünglichen Handlungen. Dass es eine Reihe gibt, wird nicht behauptet, dies wäre gegen das System, denn darin heißt es: Das Erste kann nicht sein ohne eine Zweites usw. Die Handlungen kommen also nicht einzeln vor, da ja die eine nicht ohne die andere sein soll. 

Mit einem Schlage bin ich und / ist die Welt für mich. Aber im System müssen wir, was eigentlich nur eins ist, als eine Reihe von Handlungen betrachten, weil wir nur Teile, und zwar bestimmte, auffassen können. Wenn das Vernunftwesen nach gewissen Gesetzen in der Erfahrung verfährt und so verfahren muss, so muss es auch im Gebiete der Philosophie verfahren. Ein Gedanke muss an den andren angeknüpft werden. 

Dann muss man den, der so fragt, bitten zu bedenken, was er denn eigentlich frage. Was heißt denn wirklich, was heißt Realität? Nach dem Idealismus: das, was notwendig im Bewusstsein vorkommt. Kommen denn  diese Handlungen vor, wo und wie? Auf dem Gebiete der Erfahrung nicht, kämen sie da vor, so wären sie selbst Erfahrung und gehörten nicht in die Philosophie, welche den Grund der Erfahrung angeben soll. Also eine solche Wirklichkeit wie die der Erfahrung haben diese Handlungen nicht, auch kann man nicht sagen, diese Handlungen geschähen in der Zeit, weil die Erscheinungen nur [=nur die Erscheinungen] Realität in der Zeit haben.

Herr Prof. Beck, der die Kritik der reinen Vernunft gefasst [=richtig aufgefasst] hat, will nicht über die Erfahrung hinausgehen, Dadurch wird alle, auch seine, Philosophie abgeschnitten. Auch ist es nicht Kants Meinung, denn er fragt, wie ist Erfahrung möglich. Er erhebt sich also über sie.

Aber das, was nicht im Gebiete der Erfahrung liegt, hat keine Wirklichkeit im eigentlichen Sinn, es darf nicht in Raum und Zeit betrachtet werden, es muss betrachtet werden als etwas notwendig Denkbares, als etwas Idea-les. Z. B. das reine Ich ist in diesem Sinn nichts Wirkliches; das Ich, das in der Erfahrung vorkommt, ist die Person. Wenn jemand das reine Ich als philosophischen Begriff darum tadelt, weil es nicht in der Erfahrung vorkommt, so weiß er nicht, was er will.

Wer sich zur Philosophie erhebt, für den haben diese Handlungen Realität, nämlich die des notwendigen Den-kens, und für dieses ist Realität [sic]. Diese Realität hat auch die Erfahrung. So gewiss wir sind und leben, so gewiss muss die Erfahrung sein, und so gewiss wir philosophieren, so gewiss müssen wir / diese Handlungen denken. Im Bewusstsein des Philosophen kommt etwas vor, was im gemeinen Menschenverstand als solchen [sic] nicht vorkommt, das Bewusstsein des Philosophen erweitert sich, und dadurch wird es ein vollständiges, vollendetes. Sein Denken erstreckt sich so weit, wie es nur gehen kann.

Über die Erfahrung hinaus kann gefragt werden, und dies geschieht; aber über die Philosophie kann mit Ver-nunft nicht gefragt werden; z. B. was der Grund der Beschränktheit an sich sei, dies widerspricht sich selbst und wäre eine Absurdität. Es wäre eine Anwendung der Vernunft, die von aller Vernunft abstrahiert wäre.

Das Fortschreiten von Realität zu Realität, von einer Stufe des Bewusstseins zur anderen, ist der Gang des natürlichen Menschen, und wir können da drei Stufen annehmen:

1) Er verknüpft die Objekte der Erfahrung nach Gesetzen, aber ohne dessen sich bewusst zu sein. - Jedes Kind, jeder Wilde sucht zu dem Zufälligen einen Grund, urteilt also nach den Gesetzen der Kausalität, ist sich aber dessen nicht bewusst. 

2) Der, der über sich reflektiert, bemerkt, dass er nach diesen Gesetzen verfährt; dem entsteht ein Bewusstsein dieser Begriffe. In dieser zweiten Region kann es wohl kommen, dass man die Resultate dieser Begriffe für Eigenschaften der Dinge hält; dass man sagt, die Dinge an sich sind in Raum und Zeit.

3) Der Idealist bemerkt, dass die ganze Erfahrung nichts sei als ein Handeln des Vernunftwesens.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 22ff.