Dienstag, 17. Juli 2018

Auch historisch entstehen das Ich und die Welt miteinander.

C. D. Friedrich, Der Wanderer über dem Nebelmeer, 1818
 
Für jene Urvölker, von denen wir noch Denkmäler haben, die ihre Erfahrungen noch wenig vereinigten, son- dern die einzelnen Wahrnehmungen zerstreut in ihrem Bewusstsein liegen ließen, war keine solche wenigstens weit fortgehende Kausalität noch Wechselwirkung. Fast alle Gegenstände in der Sinnenwelt belebten sie und machten dieselben zu ersten freien Ursachen, wie sie selbst waren. Ein solcher Zusammenhang hatte für sie nicht etwas keine Realität, sondern er war überhaupt nicht da für sie.

Wer aber seine Erfahrungen zur Einheit verknüpft, - und die / Aufgabe dazu liegt auf dem Wege der synthe- tisch fortschreitenden menschlichen Vernunft und musste über kurz oder lang aufgenommen werden, - der muss notwendig auf jene Weise verknüpfen, und für sie hat der dadurch gegebene Zusammenhang des Ganzen Realität.
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Grundlage der Naturrechts..., SW III, S. 25f.
 



Nota I. -  Das Ich ist nicht nur 'genetisch', nach der materialen Logik der auseinander hervorgehenden Vorstellun- gen, sondern auch empirisch-historisch das unvermeidliche Komplement der 'Welt'. Die Vorstellung vom auto- nomen Subjekt und die Vorstellung von einem durch allgemeine Gesetze formierten Universum bilden gemeinsam die mentale Basis für die Durchsetzung der bürgerlichen Verkehrsweise in der Gesellschaft.

30.10. 14  



Nota II. - Die ursprünglichste Bewusstseinsverfassung, die uns zugänglich ist, war der Animismus; ein jedes Ding ist ein Ich wie ich, mit eignem unergründlichen Willen begabt wie alle andern; eine Monade unter unzählbar vie- len. So bleiben mir die Dinge unzugänglich, ich kann ihr Was und Wie nur erraten, und wenn mir übersinnliche Mächte wohlgesonnen sind, kann ich sie womöglich beschwören. Einen Zusammenhang zwischen ihnen kann ich nicht nur nicht erkennen, sondern ich kann ihn mir nicht einmal vorstellen.


Mit der Ausweitung des Ackerbaus wird Kooperation regulär, Erfahrungen werden in der Gruppe geteilt und weitergereicht und überleben die Einzelnen. Mit fortschreitender Kultur wird die Welt objektiver - oder richtiger: mit zunehmender Objektivität entsteht erst eine Welt. Zusammenhang wird zu ihrem primordialen Kennzeichen - noch vor den Einzelmerkmalen der individuellen Gegenstände (die ihre Eigenmächtigkeit eo ipso verlieren). Alles Andere ist nicht länger gleichermaßen anders unter sich, sondern zuerst anders als Ich. Indem die Welt alles Andere wird, werde ich zu einem Ich.
 

Die übersinnlichen Mächte der animistischen Zeit waren uns wohlgesonnen, weil sie mit uns verwandr waren. Sie hatten unsern Stamm begründet und hielten ihn zusammen. Zum Animismus gehört das Totem. Solange die Menschen in nomadisierende Gruppen zerteilt waren, reichten die Stammesbeziehungen aus, Freund und Feind zu unterscheiden. Für sesshafte Landwirte, die ihren Boden zu verteidigen hatten und befestigte Städte bauten, wurden Staatsgottheiten nötig, die mit den Stammesgründern nur noch anekdotisch verbunden waren und im Kult des täglichen Lebens an ihre Stelle traten. (Die römischen Hausgötter mögen totemistische Überreste ge- wesen sein.)

Bis die Welt zu Allem Andern und das Ich das Andere alles Andern wurde, war es ein weiter Weg. Der Ort, an dem es schließlich geschah, war der Markt als der Allgemeine Vermittler, der Alle nur darum vermitteln kann, weil er sie zuvor zu konkurrierenden Einzelnen entzweit hat. Das autonome Subjekt ist das philosophische Kor- relat zu Newtons Universum: "der gestirnte Himmel über mir und das Sittengesetz in mir", resümiert Kant. Und wo Kant aufgehört hat, hat Fichte begonnen.
JE


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