Sonntag, 8. Juli 2018

'Verkörperte' Vernunft.

Leonardo

Auf ein bestimmendes Physisches wird also geschlossen, welches zugleich auch ein Bestimmbares ist, welches demnach nicht gerade so handeln musste, sondern in seinem Bestimmen ausgewählt hat von einer ins Unend- liche verschiedenen Mannigfaltigkeit. Kurz, es ist eine physische Kraft wie die meinige, die bloß von der Frei- heit abhängt und bloß von ihr bestimmt wird auf unendlich mannigfaltige Weise.

Ich denke sie, ich denke sie - wie alles - bestimmt als Quantum, als individuelle //234// Kraft. Zugleich erscheint sie mir als etwas Sinnliches im Raume. Also das Wirkende zu der Aufforderung fällt mir notwendig aus als ein materieller, bechränkter Körper. Mein Denken der Vernunft außer mir ist sinnlich, ich denke so einen Körper nicht bloß, sondern realisiere ihn auch in der sinnlichen Anschauung, es ist damit Gefühl verknüpft, nämlich das der mir angemuteten Selbstbeschränkung. Dadurch wird eine sinnliche Gestalt durch Anschauung hinge- worfen.

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 233f. 



Nota. - Es geht hier um die 'Reihe vernünftiger Wesen', von der an mich die 'Aufforderung' zur Vernünftigkeit ergangen sein soll. Tatsächlich begegnen mir nur physische Individuen, wie ich eines bin. Auf deren Vernünftig- keit konnte ich nur schließen - anschauen kann ich sie nicht. Der Vereinigungspunkt - 'Synthesis' - ist, dass ich in 'den Andern' eine physische Kraft erkenne wie die meine: als etwas Sinnliches im Raume; das indes allein von ihrer Freiheit abhängt, wie die meine von der meinen.

Ihre physische Kraft kann ich in ihren Handlungen anschauen. Dass ihnen wie mir Selbstbeschränkung angemutet ist - anzumuten ist? -, fühle ich: Das geschieht vor der Anschauung. 

Er steckt in einer Sackgasse. Er soll das Geistige in das Sinnliche hineinbringen, schafft es aber nicht. Da kommt ihm das Gefühl als Deus ex machina gerade recht; oder als asylum ignorantiae, wie die Scholastiker gesagt hätten. Er verniedlicht es zu einem terminologischen Problem, indem er sinnliches und 'intellektuelles' Gefühl unter dieselbe Kategorie zusammenfasst. Doch was er zur gefälligen Auflösung seinen Hörern selber überlässt, ist das Problem in all seiner Blöße: Wie kann es sein, dass wir bei aller Freiheit im Denken immer wieder an einen Punkt kommen, wo wir nicht anders können, als ebenso zu urteilen? 

Bei sinnlichen Gefühlen hilft es oft, die Zähne zusammenzubeißen. Doch als schiere Intelligenz aufgefasst, habe ich gar keine Zähne.
JE




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