Fragonard, Der Dichter
... wie weiss der Philosoph, was er als nothwendige Handlungsweise der Intelligenz aufnehmen und was er als ein zufälliges liegen lassen solle?
Das kann er nun schlechterdings nicht wissen, wofern nicht etwa dasjenige, was er erst zum Bewusstseyn erheben soll, schon dazu erhoben ist; welches sich widerspricht. Also giebt es für dieses Geschäft gar keine Regel, und kann keine geben. Der menschliche Geist macht mancherlei Versuche; er kommt durch blindes Herumtappen zur Dämmerung, und geht erst aus dieser zum hellen Tage über. Er wird Anfangs durch dunkle Gefühle* (deren Ursprung und Wirklichkeit die Wissenschaftslehre darzulegen hat) geleitet; und wir hätten noch heute keinen deutlichen Begriff, und wären noch immer der Erdkloss, der sich dem Boden entwand, wenn wir nicht angefangen hätten, dunkel zu fühlen, was wir erst später deutlich erkannten.
*) Es erhellet daraus, dass der Philosoph der dunklen Gefühle des Richtigen oder des Genie in keinem geringe- ren Grade bedürfe, als etwa der Dichter oder der Künstler; nur in einer anderen Art. Der letztere bedarf des Schönheits-, jener des Wahrheits-Sinnes; dergleichen es allerdings giebt.
________________________________________________________________
Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie SW Bd. 1, S. 72
Nota. - Das Genie steckt in der Einbildungskraft. Anders als der Dichter oder Künstler begnügt sich der Philo- soph allerdings nicht mit dem Finden. Er will aus dem Gefundenen "etwas machen": er will aufbauend anknüp- fen. Dazu muss er seine Tauglichkeit für den Zweck, um dessentwillen er gesucht hat, überprüfen. Dafür braucht er Begriffe. Und wenn er es Andern mitteilen will, sowieso.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen