Montag, 23. Juli 2018

Wie kommt das Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen?


Alle Ansicht ist subjektiv oder objektiv. Ich sehe mein Bestimmen, und zugleich muss ich auch ein Bestimmtes erblicken, nach dem Bestimmen wird das Bestimmte gedacht: ersteres ist das obenliegende Unmittelbare. Dieses Verhältnis heißt: Das Bestimmen oder der Zweckbegriff des Ich soll den Grund enthalten für die Beschaffenheit des Objekts. So kommt der Satz des Grundes ins Gemüt, er bedeutet eben dies Verhältnis, in welchem, wenn es bloß analysiert wird, ein Verschiedenes durcheinander hindurch gedacht [wird].

In dieser Kate-//196//gorie ist ein vermitteltes Denken wie in allem. Es kann zwar allerdings im diskursiven Den- ken herauf oder herunter gestiegen werden, aber das ursprüngliche Denken nimmt es so an, dass die Ursache die Wirkung so mache, wie sie ist, dass das Sein von der Ursachen ausgehe und weiter fortgehe. Dieses Denken geht aus von dem Denken meiner selbst, ich finde mich urprünglich als wollend, aus diesem folgt ein Wirken, an dieses in mir liegende Wirken knüpft sich notwendig an ein Bewirktes, da es kein Bestimmen ohne ein Be- stimmtes gibt. Das Verhältnis ist, dass das Bestimmte durch das Bestimmende hindurch gesehen wird. -

Man könnte sagen wollen: Der Grund ist das Bestimmende des Bestimmten, oder das in ihm Quantität Geben- de. Aber die Wissenschaftslehre weiß bloß von einem Denken, nicht von Bestimmenden und Bestimmten als Objekten. Warum dies geschehen muss, ist schon erörtert: da es Bedingung des Selbstbewusstseins ist, welches ein Subjektobjekt ist. Alles hier Aufgestellte ist ein Teil der Synthesis, durch das allein ein Ich für mich zu Stan- de kommen kann. 

So viel über die Form, wie das Denken eines Bestimmten ans Denken eines Bestimmenden sich anschließt; jetzt zur Materie: Der Unterschied des Zweckbegriffs und des reellen Objekts, dessen Ansicht durchs erstere vermit- telt wird, ist bekannt. Das erstere ist etwas durch bloßes Denken Hervorgebrachtes, letzteres soll das Entgegen- gesetzte sein. Dies hat wichtige Folgen. Zuvörderst, dieses Objektive und Reelle außer dem Denken, wo ist es denn außer dem Denken? Im Gefühl und fürs Gefühl, das reelle Denken soll Denken fürs Gefühl sein, da das ideale nur sich selbst denkt und darstellt. 

Hier sonach ist der Platz, wo das Denken aus sich selbst herausgeht, sich bezieht auf etwas außer ihm und ob- jektives Denken oder eigentlich Anschauung ist.
 
Man kann die gesamte Aufgabe der Wissenschaftslehre so ausdrücken: Wie kommt das Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen? 

Dieses geschieht auch durch Vermittelung: die, dass das Ich nun zuvörderst herausgehe aus seinem ursprüng- lich Reinsten, aus dem Denken; daraus geht es fort zu dem Gefühl, //197// dies vermittelt das Herausgehen aus sich selbst, die Annahme einer Außenwelt. Der Platz nun, wo an das bloße Denken sich etwas anknüpft, was kein Denken ist, ist hier. Hier wird vom Denken fortgegangen zum Gefühl. Aber wenn wir dies noch näher ansehen, so scheint es doch nicht Stich halten zu wollen.

________________________________________________
 Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 195ff.


Nota. -  Dass das "ursprünglich Reinste" des Ich das Denken wäre, bedarf dringend der Erläuterung. Gemeint kann hier nur sein: das reine Wollen. So ist 'das Denken' an dieser Stelle nicht ein Denken überhaupt, sondern das Denken eines Zweck begriffes. Denn ob dieser oder jener Zweck gesetzt wird, ist im Denken noch schwebend, nur dass einer zu wählen ist, ist ihm vorgegeben. Nicht das Deliberieren, sondern die Zweckhaftigkeit ist das Wesen des Denkens: reines Wollen. 'Bloßes Denken' ist Deliberieren und Wollen, "das erste ist problematisches, das zweite kategorisches." Im übrigen kommt es auf die Terminologie nicht an. Sachlich ist immer die Rede von einem relativ Unbestimmten, das im sich-Bestimmen allezeit voranschreitet.

Wohlbemerkt: Es wird nicht behauptet, dass es dies muss. Denn wozu es bestimmt ist, hat es ja eben selber zu bestimmen. Warum kann dennoch die Wissenschaftslehre festen Schrittes vorwärtsgehen und ihrer Sache sicher sein? Sie beschreibt ja jenes Bewusstsein, das den Fortschritt zu Vernunft getan hat; ob das notwendig war, braucht sie nicht zu erörtern, sie setzt im Gegenteil voraus, dass es aus Freiheit geschah, sonst war all ihre Arbeit umsonst. Was man von ihr aber verlangen kann, ist: dass sie uns zeigt, wie es möglich war. Anders als die dogmatischen Metaphysiken, die ihr vorangingen und den Weltengang auf strenge Notwendigkeit bauten, darf die Transzendentalphilosophie sich darauf beschränken, die Bedingungen der Möglichkeit einzusehen. Möglichkeit ist ein Abkömmling der Freiheit, und nur auf Freiheit gründet die Transzendentalphilosophie ihre Wirklichkeiten.
JE





Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen