Sonntag, 2. Dezember 2018
Das Denken verliert sich im Gegenstand.
Postulat
Man denke sich den Begriff Ich und denke dabei an sich selbst. Jeder versteht, was dies heißt, jeder denkt dar-unter etwas, er fühlt sein Bewusstsein auf eine gewisse Weise bestimmt; / dass er sich eines Gewissen bewusst ist. Man bemerke nun, wie man es mache, indem man diesen Begriff denkt.
Man denke sich irgend ein Objekt, z. B. die Wand, den Ofen. Das Denkende ist das Vernunftwesen, dieses frei Denkende vergisst sich aber dabei, es merkt seine freie Tätigkeit nicht. Dies muss aber geschehen, wenn man sich auf den Standpunkt der Philosophie erheben will: Im Denken des Objekts verschwindet man in demsel-ben, man denkt das Objekt, aber nicht, dass man selber das Denkende sei.
Indem ich z. B. die Wand denke, bin ich das Denkende und die Wand ist das Gedachte. Ich bin nicht die Wand, und die Wand ist nicht Ich, beide – das Denkende und das Gedachte – werden also unterschieden. Nun soll ich das Ich denken. Ich bin also, wie in allem Denken, das Handelnde; mit derselben Freiheit, mit der ich die Wand denke, denke ich auch das Ich. Beim Denken des Ich wird auch etwas gedacht, es wird aber das Denkende und das Gedachte nicht so unterschieden, wie beim Denken der Wand. Beide sind eins, das Denkende und das Ge- dachte. Beim Denken der Wand geht meine Tätigkeit auf etwas außer mir, beim Denken des Ich aber geht es auf [m]ich zurück.
(Der Begriff der Tätigkeit braucht nicht erklärt zu werden, wie sind uns derselben unmittelbar bewusst, sie besteht in einem Anschauen.)
Der Begriff oder das Denken des Ich in dem auf-sich-Handeln des Ich selbst und ein Handeln im Handeln auf sich selbst gibt ein Denken des Ich, und nichts anderes. Das Ich ist, was es sich selbst setzt, und weiter nichts, und das, was sich selbst setzt und in sich zurückgeht, wird ein Ich, und nichts anderes.
In sich zurückgehende Tätigkeit und Ich sind eins, beide erschöpfen einander gegenseitig. Dieser Satz könnte Schwierigkeiten erregen, wenn man unter dem Ich in dem aufgestellten Satz mehr verstünde, als darunter ver-standen werden soll.
_________________________________________________
Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 28f.
Nota I. – Aufmerksamkeit ist gerichtet, sonst wäre sie keine. Richte ich sie auf dieses, ziehe ich sie ab von jenem. Indem ich auf den Gegenstand merke, kann ich nicht auf mich merken, und umgekehrt.
Das ist keine Besonderheit der menschlichen Aufmerksamkeit: Dem Tier geht es nicht anders. Die Besonder-heit der menschlichen Aufmerksamkeit ist: Wir können unsere Aufmerksamkeit willkürlich lenken. Das kann das Tier nicht. Es kann auf sein Ich nicht aufmerksam werden,* und darum hat es keines.
*) Es sei denn, wenn es klug ist – wie manche Affen und wohl auch Raben –, im Spiegel.
5. 3. 16
Nota II. - Die Betriebsenergie allen Handelns ist Wollen. Handeln ist intentional. Seine abstrakteste Form ist Den- ken. Denken ist Absicht - Absehen auf und ipso facto von. Es ist gerichtet. Noch wenn es 'sich selbst' denkt, strebt es von sich fort und auf ein Anderes zu. Es denkt also nicht "sich selbst", sondern 'sich' als ein Anderes.
Das ist das natürliche Bewusstsein des gemeinen Menschenverstandes, und der ist Vernunft. Um zu einem Begriff von Ich zu kommen, muss das Denkende sich Gewalt antun und von seiner natürlichen Gerichtetheit losreißen. Nur so ist kritische alias Transzendentalphilsophie möglich: künstlich. Dass ihr das Publikum nie in Scharen zulief, liegt in der Natur des Sache.
JE
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen