Samstag, 22. Dezember 2018

Alles Gegebene ist bestimmbar.

J. Pollock, N° 6

Man denke das Bestimmbare als Etwas. Dieses Prädikat kommt ihm zu, denn es ist anschaubar. Unter diesem Etwas, welches in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, wählt die absolute Freiheit. Sie kann in ihrer Wahl nicht gebunden sein, denn sonst wäre sie nicht Freiheit. Sie kann ins Unendliche mehr oder weniger wählen, kein Teil ist ihr als der letzte vorgeschrieben. Aus dieser Teilbarkeit ins Unendliche wird vieles folgen (der Raum, die Zeit und die Dinge); unendlich teilbar ist alles, weil es eine Sphäre für unsere Freiheit ist.

Hier ist die praktische Tätigkeit nicht gebunden, weil sie sonst aufhören müsste, Freiheit zu sein, aber darin ist sie gebunden, dass sie nur aus dem Bestimmbaren wählen muss. Das Bestimmbare erscheint nicht als hervorgebracht, weder durch ideale noch durch reale Tätigkeit. Es erscheint als gegeben zur Wahl. Es ist gegeben heißt nicht, es ist dem Ich überhaupt gegeben, sondern dem wählenden praktischen Ich. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 57


Nota I - Was immer gegeben ist, ist als bestimmbar gegeben.


29. 10. 15

Nota II. - Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: Würde die Transzendentalphilosophie von nichts Wirklichem handeln, wäre sie überflüssig. Zwar füge ich hinzu: Wenn sie von Wirklichem handelte, von dem wir Erfahruung haben, wäre sie genauso überflüssig. Was aber bleibt übrig? Das, was geschehen sein muss, bevor wir Erfahungen machen konnten; will sagen: bevor wir zur Vernunft ka- men.

Wenn wir keine Erfahrung davon haben, können wir es nur rückblickend aus seinen Wirkungen spekulativ er- schließen. Es handelt sich ja nicht um etwas außer uns, das geschehen wäre, ohne dass wir dabei waren. Es lag nicht an dem, was geschehen ist, dass wir keine Erfahrung davon haben, sondern daran, dass uns die Fähigkeit zum Erfahren noch gefehlt hat. Ausgangspunkt unserer Reflexion ist also die Erfahrung; was ist sie, durch welche Leistung wird sie möglich, welches sind deren Bedingungen?

An obiger Stelle hat der Transzendentalphilosoph schon einige Schritte getan - auf seinem re konstruktiven Rückweg. Vom abstrakt-allgemeinen Ich ist die Rede.

Nicht von den wirklichen historischen Menschen wie du und ich: Die sind vielmehr alle in eine Welt gekommen, die anscheinend rundum bereits bestimmt war. Nämlich durch eine Reihe vernünftiger Wesen, in die wir hinein- geboren wurden. Dass uns dann im Lauf des Lebens immer mehr Sachen begegneten, die wider Erwarten noch unbestimmt waren, hat uns staunen gemacht, und wenn wir auf etwas stießen, das offenbar falsch bestimmt war, war es jedesmal ein Skandal. So ist die Philosophie entstanden, die Kritische zumal. Denn wenn er sich aufge- fordert fühlt, Vorgefundenes selber zu bestimmen, dämmert ihm der Verdacht, auch die vorgefundenen Bestim- mungen könnten von Ichen seinesgleichen vorgenommen sein - früher.

Die Transzendentalphilosophie entwirft nun ein Modell. Sie nimmt an ein noch unbeschriebenes Blatt - Lockes Tabula Rasa -, von dem nur eines schon feststeht: Von einem dort frei zu wählenden Punkt muss eine Linie zum entwickelten System unserer Vernunft führen. Und nun sucht sie Schritt für Schritt nach dieser Linie. Dieser Schritt führt in die richtige, jener Schritt in die falsche Richtung. Ob so oder so, kann man vorab nur ahnen, man wird es immer und immer wieder versuchen müssen.

Dann stößt besagtes Ich allerdings immer wieder auf ein ihm anschaulich Gegebenes, das nicht bestimmt und daher bestimmbar ist. Es ist nicht als dieses, sondern zur Wahl 'gegeben'. 

Es liegt nicht 'im Wesen' des Etwas, dass es bestimmbar ist; es liegt vielmehr im Charakter des Ich, dass es be- stimmend ist, denn das macht seine Vernünftigkeit aus, welche die Voraussetzung der Untersuchung war. Sein Bestimmen geht ins Unendliche, denn nie kommt die Vernunft an ein Ende. Bestimmbar ist immer auch alles von andern bereits Vor bestimmte. Es ist unendlich fort- und folglich um bestimmbar. Vernunft ist wesentlich kri- tisch.
JE




 

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