Dienstag, 18. Dezember 2018

Anschauen ist Tätigkeit.

Joshua Rreynolds

II. Diese Sphäre wird gesetzt durch eine usprüngliche und notwendige Tätigkeit des Ich, d. h. sie wird angeschaut und wird dadurch zu einem Reellen. 

- Da gewisse Resultate der Wissenschaftslehre nicht füglich vorausgesetzt werden können, so stelle ich die hier nötigen kurz vor. - Man hat nicht die leiseste Ahnung, wovon bei der transzendentalen Philosophie und ganz eigentlich bei Kant die Rede sei, wenn man glaubt, dass beim Anschauen es außer dem Anschauenden und der Anschauung noch ein Ding, etwa einen Stoff, / gebe, auf welchen die Anschauung gehe, wie etwas der gemeine Menschenverstand das leibliche Sehen zu denken pflegt. 

Durch das Anschauen selbst und lediglich dadurch entsteht das Angeschaute; das Ich geht in sich selbst zurück; und diese Handlung gibt Anschauung und Angeschautes zugleich; die Vernunft (das Ich) ist in der Anschauung keineswegs leidend, sondern absolut tätig; sie ist in ihr produktives Einbildungsvermögen. Es wird durch das Schauen etwas hingeworfen, etwa, wenn man ein Gleichnis will, wie der Maler aus seinem Auge die vollendete Gestalt auf die Fläche hinwirft, gleichsam hinsieht, ehe die langsame Hand ihre Umrisse nachmachen kann. Auf dieselbe Weise wird hier die genannte Sphäre gesetzt.

Ferner - das sich selber als tätig anschauende Ich schaut seine Tätigkeit an als ein Linienziehen. Dieses ist das ur- sprüngliche Schema der Tätigkeit überhaupt, wie jeder, der jene höchste Anschauung in sich erregen will, fin- den wird. Diese ursprüngliche Linie ist die reine Ausdehnung, das Gemeinsame der Zeit und des Raumes, aus welcher die letzteren erst durch Unterscheidung und weitere Bestimmung entstehen. Sie setzt nicht den Raum voraus, sondern der Raum setzt sie voraus; und die Linien im Raume, d. h. die Grenzen der in ihm Ausgedehn- ten, sind etwas ganz Anderes.  Ebenso geschieht in den Linien die Produktion der Sphäre, von welcher hier die Rede ist, und sie wird dadurch ein Ausgedehntes.

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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 
SW Bd. III, S. 57f. 



Nota. - Die Wissenschaftslehre ist nicht auf der Suche nach dem wirklich Wahren. Sie ist nicht Metaphysik, son- dern Vernunftkritik. Sie will den Gang unseres Vorstellens zuerst ergründen und dann nachzeichnen. 

Wohlbemerkt nicht unseres wirklichen Vorstellens. Das mag bei dem einen so, bei dem andern anders ausfallen, und dabei ganz verschiedene Ergebnisse zeitigen. Sondern das Vorstellen nach seinem formalen Schema, unab- hängig davon, was in specie vorgestellt wird.

Ausgehen kann das Vorstellen immer nur vom Anschauen. Der gemeine Menschenverstand schaut Etwas an. Etwas, das ist. Der kritische Philosoph dagegen weiß: Für mich 'ist' nur, was ich fühle, weil und indem es meiner Tätigkeit Widerstand leistet. Was ich anschaue, ist daher nicht der Gegenstand, sondern das Gefühl, das ich durch seinen Widerstand erfahre. Auf sein (Da-)Sein schließe ich nur aus meinem Gefühl. Bedingung ist immer mein Tätigsein.

Daher ist auch mein Anschauen nicht Empfangen eines Eindrucks, sondern Setzen eines Bildes. Das Gefühl 'ist'. Aber was es ist - wie ich es fühle, als was ich es fühle - bestimme Ich.

Ein Raum ist nicht da, bevor ich nicht etwas in ihn hinein sehe: 'eine Linie ziehe'. Eine Zeit ist nicht da, bevor in nicht etwas tue, das dauert. Raum und Zeit sind Orte meines Tätigseins. Ohne mein Tätigsein 'gäbe es' sie nicht.

Eine Sphäre meiner Freiheit gäbe es nicht, wenn ich sie nicht in Anspruch nähme.
JE





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