Diese mannigfaltigen Gefühle sind völlig entgegengesetzt und haben nichts miteinander gemein, es gibt keinen Übergang von einem zum anderen. Jedes Gefühl ist ein bestimmter Zustand des Ich. Sonach wäre das Ich selbst ein Mannigfaltiges - aber wo bliebe dann die Identität des Ich? Das Ich soll diese Zustände auf sich beziehen; es soll es als sein Mannigfaltiges ansehen. Wie ist dies möglich?
Kant beantwortet die Frage, wie das Mannigfaltige im Bewusstsein vereinigt werde, vortrefflich, aber nicht, wie das Mannigfaltige der Gefühle, da doch die Beantwortung des ersten sich auf die Beantwortung des ersten gründet [sic]. Er bezieht (vide Kritik der Urteilskraft) alle Gefühle auf Lust und Unlust. Nun muss es aber zwischen der Beziehung der Gefühle auf Lust und Unlust ein Mittleres geben, wo-/durch dies Beziehung erst möglich werde. Um zu empfinden, ob A oder B mehr Lust gewähre, muss ich sie erst beide beisammen haben, um sie zu vergleichen. Wie bekomme ich nun beide beisammen?
Wenn man z. B. zwei Weine kostet, nicht um zu sehen, welcher von beiden besser schmeckt, sondern nur, um die Verschiedenheit des Gefühls zu wissen, so scheint eine solche Vergleichung unmöglich, denn wenn man den einen schmeckt, schmeckt man den anderen nicht. Es ist immer nur ein Geschmack, und zum Vergleichen gehört doch zweierlei, und jedermann weiß doch, dass er diesen Vergleich anstellen kann.
Man muss hier auf das Verfahren merken. Bei dem Kosten ist Tätigkeit. Man fasst seinen ganzen Sinn auf den Gegenstand, den man kostet, zusammen und konzentriert ihn auf denselben. Man bezieht dieses besondere Gefühl auf die ganze Sinnlichkeit. So wie das beim Kosten des ersten geschieht, so geschieht es auch beim zweiten; dadurch werden beide mit etwas Gemeinschaftlichem zusammengehalten, nämlich mit der ganzen Sensibilität, welche in beiden Momenten dieselbe bleibt.
Es wird bei dieser Erklärung angenommen ein System der Sensibilität überhaupt, welches schlechthin vor aller Erfahrung da sein soll, welches System aber nicht als solches unmittelbar gefühlt wird, sondern vermittelst dessen und in Beziehung auf dasselbe alles Besondere gefühlt wird, was gefühlt werden mag. Das Besondere ist eine Veränderung des gleichmäßigen Zustands des ersten.
____________________________________________
Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 69f.
Nota. - Ist es selbstverständlich? Ich sage es trotzdem: Anders als das Ich ist das sinnliche Individuum aller Er- fahrung und mithin allem Bewusstsein vorausgesetzt. Es muss nicht nachträglich aus dem Ich herausgerechnet werden.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen