Donnerstag, 18. Februar 2016

Anerkennung ist der Punctum saliens der Vernunft.


germanische Ratsversammlung, Trajanssäule

Das Verhältnis freier Wesen zu einander ist demnach notwendig auf folgende Weise bestimmt und wird gesetzt als so bestimmt: Die Erkenntnis des Einen Individuums vom anderen ist bedingt dadurch, dass das andere ihn als ein freies behandele (d. i. seine Freiheit beschränke durch den Begriff der Freiheit des ersten). Diese Weise der Behandlung aber ist bedingt durch die Handelsweise des ersten gegen das andere; diese durch die Handels-weise und durch die Erkenntnis des anderen, und so ins Unendliche fort. Das Verhältnis freier Wesen zu ein-ander ist daher das Verhältnis einer Wechselwirkung durch Intelligenz und Freiheit. Keines kann das andere anerkennen, wenn nicht beide sich gegenseitig anerkennen; und keines kann das andere behandeln als ein freies Wesen, wenn nicht beide sich gegenseitig so behandeln.

Der aufgestellte Begriff ist höchst wichtig für unser Vorhaben, denn auf demselben beruht unsere ganze The-orie des Rechtes. Wir suchen ihn daher durch folgenden Syllogismus deutlicher und zugänglicher zu machen.

I. Ich kann einem bestimmten Vernunftwesen nur insofern anmuten, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen, inwiefern ich selbst es als ein solches behandele.

1) Das Bedingte in dem aufgestellten Satz ist

a. nicht, dass dasselbe an sich und abstrahiert von mir und meinem Bewusstsein, etwa vor seinem eigenen Ge-wissen (das gehört in die Moral) mich anerkenne, sondern dass es mich nach meinem und seinem Bewusstsein, syn-thetisch in Eins vereinigt, (nach einem uns gemeinschaftlichen Bewusstsein), dafür anerkenne, so dass ich ihn, so gewiss er für ein vernünftiges Wesen gelt-/ten will, nötigen könne, zuzugestehen, er habe gewusst, dass ich selbst auch eines bin.

b. nicht, dass ich überhaupt nachweisen könne, ich sei von vernünftigen Wesen überhaupt als ihresgleichen an-erkannt worden; sondern dass dieses bestimmte Individuum C mich dafür anerkannt habe.

2) Die Bedingung ist

a. nicht, dass ich etwa nur den Begriff von C als einem vernünftigen Wesen fasse, sondern dass ich wirklich in der Sinnenwelt handle. Der Begriff bleibt im Innersten meines Bewusstseins nur mir, nicht dem außer mir zugäng-lich. Nur Erfahrung gibt dem Individuum C etwas, und diese errege ich lediglich durch Handeln. Was ich den-ke, kann der andere nicht wissen.

b. nicht, dass ich nur dem gefassten Begriffe nicht entgegen handle, sondern dass ich ihm wirklich gemäß handle, mich wirklich auf eine Wechselwirkung mit C einlasse. Außerdem sind wir geschieden und sind gar nichts für einander.

3. Grund des Zusammenhanges.

a. Ohne eine Einwirkung auf ihn kann ich nicht wissen oder ihm nachweisen, dass er nur überhaupt eine Vor-stellung von mir, von meiner bloße Existenz habe. Gesetzt auch, ich erscheine als ein Objekt der Sinnenwelt und liege in der Sphäre der für ihn möglichen Erfahrungen, so bleibt doch immer die Frage: ob er auf mich reflektiert habe; und diese kann er lediglich sich selbst beantworten.

b. Ohne Handeln auf ihn nach dem Begriffe von ihm als vernünftigen Wesen kann ich ihm nicht nachweisen, dass er mich notwendig für ein vernünftiges Wesen hätte anerkennen müssen, so gewiss er selbst Vernunft hat. Denn jede Äußerung der Kraft kann von einer nach mechanischen Gesetzen wirkenden Naturmacht herkom-men; nur die Mäßigung der Kraft durch Begriffe ist untrügliches Kriterium der Vernunft und der Freiheit.

II. Aber ich muss allen vernünftigen Wesen außer mir in allen mögliche Fällen anmuten, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 44f.



Nota. – Real ist Vernunft nur als das vernünftige Handeln vernünftiger Individuen: in actu. Als ruhender Zu-stand gedacht, wäre sie das Verhältnis allgemeiner gegenseitige Anerkennung; idealiter: die bürgerliche Gesell-schaft; wobei es ganz egal ist, was die Leute denken – es kommt einzig darauf an, wie sie handeln.
JE






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