Der Mensch (so alle endliche Wesen überhaupt) wird nur unter Menschen ein Mensch; und da er nichts an-deres sein kann denn ein Mensch und gar nichts sein würde, wenn er dies nicht wäre – sollen überhaupt Menschen sein, so müssen mehrere sein. Dies ist nicht eine willkürlich angenommene, auf die bisherige Erfahrung oder auf andere Wahrscheinlichkeitsgründe aufgebaute Meinung, sondern ist eine aus dem Begriff des Menschen streng zu erweisende Wahrheit. Sobald man diesen Begriff vollkommen bestimmt, wird man von dem Denken eines Einzelnen aus getrieben zur Annahme eines zweiten, um den ersten erklären zu können. Der Begriff des Men-schen ist sonach gar nicht Begriff eines Einzelnen, denn ein solcher ist undenkbar, sondern der einer Gattung.
Die Aufforderung zur freien Selbsttätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen. Es dringt sich hierbei jedem die Frage auf: Wenn es notwendig sein sollte, einen Ursprung des ganzen Menschengeschlechts und also ein erstes Men-schenpaar anzunehmen – und es ist dies auf einem gewissen Reflexionspunkt allerdings notwendig – , wer erzog denn das erste Menschenpaar? Erzogen mussten sie werden, denn der geführte Beweis ist allgemein. Ein Mensch könnte sie nicht erziehen, da sie die ersten Menschen sein sollen. Also ist es notwendig, dass sie ein anderes vernünftiges Wesen erzogen [habe], das kein Mensch war – es versteht sich, nur so weit, bis sie sich selbst unter einander erziehen konnten. Ein Geist nahm sich ihrer an; ganz / so, wie es eine alte ehrwürdige Urkunde vorstellt, welche überhaupt die tiefsinnigste, erhabenste Wahrheit enthält und Resultate aufstellt, zu denen alle Philosophie am Ende doch wieder zurückmuss.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 39f.
Nota. - Sonst in pädagogischen Dingen ein entschiedener Anhänger Rousseaus, stellt F. sich hier ebenso energisch auf den Standpunkt von dessen Widersacher Herder: 'Nur durch Erziehung wird der Mensch zum Menschen.' Es ist die Idee von einer zweiten, selbstgemachten Natur des Menschen, die seine erste, physische Natur überlagert und umgeprägt hat; und die allein die Eingangsthese rechtfertigen kann. Die aber lässt F. fort! In seinem Schwanken, ob wohl der Mensch seine Vernünftigkeit selbstgemacht, oder ob er die Vernunft von oben 'vernommen' habe, entscheidet er sich hier unmissverständlich für die kreationistische Antwort.
Wenn Fichte später sagt, "Aus nichts wird nichts", um die Ungewordenheit, Ewigkeit und Vorbestimmtheit der Vernunft zu erweisen, hat er sie freilich als Substanz ihrem Wirklichwerden vorausgesetzt. Doch kann sie ja in ihrer Wirklichkeit nichts anderes sein als vernünftiges Handeln. Zu dem kann man nicht nur, sondern kann man allein sich selbst bestimmen; nicht bloß zum Handeln überhaupt, sondern gerade zu seiner Vernünftigkeit, so haben wir es von ihm gelernt.
JE
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