Freitag, 13. Mai 2016

Das Bestimmbare ist gegeben zur freien Wahl.



A) Wie schon oben erwiesen, entwirft sich das praktische Ich einen Begriff von seiner Tätigkeit, welcher der Zweckbegriff heißt.

Die Tätigkeit des Ich ist ein Übergehen von der bloßen Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit. Die letztere wird aus der / Summe der ersten herausgerissen, und der herausgerissene Teil ist der, der begriffen wird.

Das Ich bestimmt sich, heißt, es wählt unter dem Bestimmbaren aus, die Wahl geschieht nach dem Begriffe, sonach war das Ich als Intelligenz nicht frei.

Man denke das Bestimmbare als Etwas. Dieses Prädikat kommt ihm zu, denn es ist anschaubar. Unter diesem Etwas, welches in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, wählt die absolute Freiheit. Sie kann in ihrer Wahl nicht gebunden sein, denn sonst wäre sie nicht Freiheit. Sie kann ins Unendliche mehr oder weniger wählen, kein Teil ist ihr als der letzte vorgeschrieben. Aus dieser Teilbarkeit ins Unendliche wird vieles folgen (der Raum, die Zeit und die Dinge). Unendlich teilbar ist alles, weil es eine Sphäre für unsere Freiheit ist.

Hier ist die praktische Tätigkeit nicht gebunden, weil sie sonst aufhören müsste, Freiheit zu sein, aber darin ist sie gebunden, dass sie nur aus dem Bestimmbaren wählen muss. Das Bestimmbare erscheint nicht als hervorgebracht, weder durch reale noch durch ideale Tätigkeit; es erscheint als gegeben zur Wahl. Es ist gegeben heißt nicht, es ist dem Ich überhaupt gegeben, sondern dem wählenden, praktischen Ich. Wir haben oben gesehen, dass das Bestimmbare aus den Gesetzen der idealen Tätigkeit hervorkommt. Man kann sagen, es ist durch die Natur der Vernunft gegeben.

Die Freiheit besteht darin, dass unter allem gewählt werden kann; die Gebundenheit darin, dass unter dieser Summe gewählt werden muss. Wir erhalten hier einen Begriff der bestimmten Summe für die Wahl der Freiheit; ein Teil der Summe heißt eine bestimmte Tätigkeit oder Handlung.

Anmerkung 1) Wir erhalten hier eine Summe des Bestimmbaren; dies kommt daher, weil wir über unsere vorige Reflexion wieder reflektieren, sie wird jetzt aufgefasst als ein bestimmter Zustand des Gemüts, aber dadurch wird alles vollendet und ganz, was darin liegt. Im Paragraph 1 war von einer Totalität des Bestimmbaren nicht die Rede und konnte es nicht sein, weil das Anschauende selbst in dem Bestimmbaren sich verlor.
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Wissenschaftslehre nova methodo, S. 57f.


Nota. - Wenn irgendwo, dann wird hier sinnfällig, dass das transzendentale Ich, von dem hier die Rede ist, mit dem wirklichen historischen Individuum... ich will nicht sagen: gar nichts, aber doch nur in der alleräußersten Abnstraktion zu tun hat. Kein Mensch, weder wenn er auf die Welt kommt, noch gar, wenn er dort schon eine Weile unterwegs war, findet sich je vor einer Sphäre von Bestimmbarem, aus der er frei wählen kann - und von da aus weiter ins Unendliche.

So kann es sich nur ein schon sattsam zur Vernunft Gekommener vorstellen, der sich ausmalt, wie er es anstellen würde, wenn er alles nochmal von vorne machen müsste - ohne doch vergessen zu haben, wo er am Ende eigentlich hinsoll.

Die wirklichen Individuen finden sich vielmehr in einer Welt vor, die von Bestimmungen aller Art längst vollgestopft ist und wo sich höchstens in ganz unverhofften Bedeutungslöchern die Möglichkeit oder gar die Notwendigkeit auftut, 'aus Freiheit' selber bestimmen zu können und müssen. Der im oberen Satz Angesproche-ne wird ihm allerdings sagen, dass er gerade mit sich selbst ebendies ununterbrochen tut: nur merkt er's kaum mal.
JE



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