Mittwoch, 25. Mai 2016

I. Einleitung: Das Bewusstsein geht nur auf das, was in ihm vorkommt.




ERSTE EINLEITUNG 

(vorgetragen in den öffentlichen Vorlesungen)


Es werden darin beantwortet folgende drei Fragen:
I. Was ist Philosophie?
II. Wie wird sie im Systeme der WissenschaftsLehre behandelt?
III. Welche Veränderungen mit dem sonstigen Plane vorgenommen werden sollen und wie sie [sic] in diesen Vorlesungen behandelt werden soll.


ad I. Es soll keine bloße Definition gegeben werden, keine bloße Formel, bei der man weiter nichts denkt; sondern es soll genetisch gezeigt werden, was Philosophie sei; das heißt, es soll dargetan werden, wie der menschliche Geist zum Philosophieren kommt.

Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme; bei dieser Annahme beruft man sich auf einen inneren Zustand. Man geht bei dieser Überzeugung in sich zurück in das Innere, man ist sich bewusst eines Zustandes, aus welchem man auf das Dasein von Dingen außer sich schließt. Nun ist man aber, inwiefern man sich bewusst ist, ein vorstellendes Wesen, man kann also nur sagen, man sei sich der Vorstellung von Dingen außer uns bewusst, und weiter wird eigentlich auch nichts behauptet, wenn man sagt, es gäbe Gegenstände außer uns.

Keine Mensch kann unmittelbar behaupten, dass er Sinne habe, sondern nur, dass er notgedrungen sei, so etwas anzunehmen. Das Bewusstsein geht nur auf das, was in ihm vorkommt, aber dies sind Vorstellungen.

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 3


Nota. - Ich habe mich schließlich doch entschlossen, die ganze WL nova methodo abzuschreiben und ins Internet zu stellen. Das wird viel Arbeit machen und eine ganze Weile dauern. 

Meine Absicht ist, ein Arbeitsinstrument öffentlich verfügbar zu machen: einen lesbaren, weil teilweise kommentierten Text der nach meinem Urteil 'gültigsten' Fassung der Fichte'schen Transzendentalphilosophie. Im Internet wird er der Volltextsuche zugänglich. Ich warne jedoch davor, ihn in akademischen Zusammenhängen zu benutzen, und namentlich vor dem Kopieren von 'Stellen'. Ich habe durchgängig die Rechtschreibung modernisiert, die Interpunktion zur Verständlichkeit verändert und viele Absätze in Krauses Nachschrift eingefügt. Wenn Sie zitieren wollen, müssen Sie sich schon an die Gesamtausgabe oder an die Edition von Felix Meiner halten.

Mit dem Zitieren sollten Sie sich aber ohnehin zurückhalten. Fichte hat seinen Hörern stets abgeraten, seinen Vortrag mitzuschreiben: Das werde sie nur beim Verstehen behindern. Er empfahl, höchstens Stichpunkte zu notieren und zu Hause die Vorlesungen zu rekonstruieren, und zwar ein jeder mit seinen eigenen Worten, denn auf die Wortwahl komme es nicht an, sondern auf das, was gemeint ist, und das erschließe sich ja doch nur aus dem Sinnzusammenhang. 

Krause hat also entweder Fichtes Rat nicht befolgt und hat mitgeschrieben; dann dürfte man nach Fichte nicht sicher sein, dass er alles recht verstanden hat. Oder er hat ihn befolgt, dann würden Sie Krauses Worte zitieren und nicht die von Fichte.

Freilich ist ein philologisches Herangehen an die Wissenschaftslehre sowieso verfehlt. Man kann nicht diese 'Stelle' gegen jene 'Stelle' abwägen, sondern immer nur ganze Gedankenstränge gegeneinander, doch wenn man die versteht, kommt es auf die Wörter nicht mehr an.
JE





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