A. Böcklin, Selbstbildnis
2. Um uns selbst zu finden, müssen wir die Aufgabe denken, uns auf eine gewisse Weise zu beschränken. Diese Aufgabe ist für jedes Individuum eine andere, und dadurch eben wird bestimmt, wer dieses Individuum eigentlich sei. Diese Aufgabe erscheint nicht auf einmal, sondern im Fortgange der Erfahrung analytisch jedesmal, inwiefern ein Sittengebot an uns ergeht; aber in dieser Aufforderung liegt zugleich, da wir praktische Wesen sind, zu einem bestimmten Handeln Aufforderung. Dies ist für jedes Individuum auf besondre Art gültig. Jeder trägt sein Gewissen in sich und hat ein ganz besonderes.
Aber die Weise, wie das Vernunftgesetz allen gebiete, lässt sich nicht in abstracto aufstellen. So eine Untersuchung wird von einem hohen Gesichtspunkte aus angestellt, auf welchem die Individualität verschwindet und bloß auf das Allgemeine gesehen wird. Sittenlehre [ist] WissenschaftsLehre des Praktischen, die insbesondere Ethik wird; d. h. das praktische Handeln überhaupt, das Handeln kommt aber durch die Grundlage [der gesamten Wissenschaftslehre] immerfort vor, indem auf [unleserlich; ich rate: 'Freiheit'] der ganze Mechanismus gründet, daher kann die besondre Wissenschaftlehre des Praktischen nur sein eine Ethik.
Diese lehrt, wie die Welt durch vernünftige Wesen gemacht werden soll, ihr / Resultat ist Ideal, in wiefern dies Resultat sein kann, da es nicht begriffen werden kann.
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Wissenschaftslehre nova methodo, S. 241f.
Nota. - 'Wie die Welt durch vernünftige Wesen gemacht werden soll' - das bezieht sich ja nun wohl auf den Raum, in dem die 'Reihe vernünftiger Wesen' einander begegnen; auf unsere Welt, wie ich das nenne. Auf meine Welt, in der ich mit meinem 'ganz besonderen' Gewissen allein bin und wo ich Anderen nichts schulde, bezieht es sich offenkundig nicht. Vernunft gehört in den Bereich des Politischen, Moralität im eigentlichen Sinn gehört ins Reich des Privaten.
Mit einander in Konflikt geraten können sie da, wo ich auch im öffentlichen politischen Bereich persönlich, 'existenziell' gefordert bin, weil beiden Sphären sich ausnahmsweise überschneiden; dann rangiert auch im Politischen die 'Gesinnungsethik' über der 'Verantwortungsethik'.
Dass Fichte beide Bereiche vermengt, lässt sich verstehen, da er noch ganz am Anfang bürgerlich vernünftiger Verhältnisse stand, da gab es noch wenig anschauliches Material. Aber ein systematischer Fehler ist es auch dann noch. Dass der Freiheitsherold Fichte vom preußischen Hofphilosophen Hegel als Progagandist eines Polizeistaats hingestellt werden konnte, war zwar gehässig, aber so unverdient nicht. Öffentliches und Privates, Politisch-Rechtliches und Moralischen gehören zu verschiedenen Welten, wo sie vermengt werden, ist von reeller Freiheit nicht mehr die Rede. Vernunft, die totalitär wird, hört auf, eine zu sein.
JE
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