Sonntag, 22. Januar 2017

Meine Gefühle bringe ich selbst hervor und auch nicht.


ehm.cz 

Anmerkung. Bis in den vorigen Paragraphen stiegen wir von unten herauf zum Intelligiblen, jetzt ist der Weg umgekehrt. 

Wir haben gesehen: Denken ist nicht ohne Anschauung, nun müsste bewiesen werden, dass Anschauung nicht ohne Gefühl sei. Wir haben allenthalben etwas Ursprüngliches gefunden beim Denken, das reine Wollen; beim Anschauen des Materiellen, beim Gefühl dürfte nun wohl auch etwas Ursprüngliches sein?

Schon oben wurde gesagt: Ich bin ursprünglich bestimmt; im System der Sensibilität muss eine Veränderung hervorgehen. Hier ist die Frage, wo kommt diese Veränderung her?

Diese Veränderung kann ich nicht hervorbringen; denn ich könnte sie nur hervorbringen nach einem Begriffe von ihr, den habe ich aber nicht, sie müsste sonach von außen hervorgebracht worden sein, aber dann wäre sie nicht für mich, sie wäre Ding an sich. Es müsste daher so sein, dass ich die hervorbrächte und auch nicht, beides müsste zusammen sein. Dass sie von außen hervorgebracht würde, wäre Beschränktheit, dass ich sie hervorbrächte, wäre Tätigkeit. Die Aufgabe wäre sonach, Beschränktheit und Tätigkeit zu vereinigen.

Veränderung an sich ist nichts, sondern sie entsteht nur für ein diskursives Denken. Mein reines Sein verändert sich gar nicht, und doch kommt der Begriff der Veränderung im Bewusstsein vor, und insofern entsteht eine Zeit.

//161// Es ist also die Frage, wie entsteht der Begriff der Veränderung vor aller Freiheit der Abstraktion?

α) Ich nehme einen bestimmten Zustand meiner selbst wahr, ich beziehe diesen bestimmten Zustand auf meinen ganzen Zustand, auf das ganze mögliche System meines Seins. Also allem Mannigfltigen in mehreren Zeitmomenten liegt ein Entgegengesetztes in einem Momente zu Grund.

β) Nun liegt in jenem Systeme meines Seins das Substrat desjenigen, das jetzt insbesondre auf eine bestimmte Weise wahrgenommen wird, mit darin und wird mit dem Ganzen zugleich gesetzt. Dasselbe Substrat X wird sich also entgegengesetzt und auf sich bezogen, sonach gesetzt in verschiedener Rücksicht.


Das passendste Beispiel dazu ist mein Leib; ich haben kein Total gefühl desselben (hier ist nur von dem artiku- lierten Teile desselben die Rede). Ich fühle nur einzelne Gleider, und durch Beziehung derselben auf eineinader bekomme ich erst einen Begriff vom Ganzen. Ich nehme nur wahr, in wiefern Veränderung da ist. Ich fühle nur, in wiefern ich einen Teil im Verhältnisse zum Ganzen verändere.

Ich kann meine Hand nur wahrnehmen, in wiefern ich sie in eine gegen das Ganze verschiedene Lage bringe. Aber Bewegung ist nur in Beziehung auf Ruhe möglich. - Ruhe ist der Terminus a quo; wenn ich meine Hand bewege, so muss ich sie denken als sille gelegen habend. Die Hand wäre hier das Substrat, Ruhe und Bewegung die beiden Rücksichten, die unzertrennlich sind.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 161f.



Nota. -"Es ist hiere nur vom artikulierte Teil desselben die Rede": Das ist keine opportune Einschränkung; nur der unterliegt meinem freien Willen, nur der kommt also in Hinblick auf das System der Vernunft in Betracht. Gefühle mag ich auch am Blinddarm haben, aber den kann ich nicht 'von innen' beeinflussen, sondern nur durch Inanspruchnahme ärztlicher Kunst und Wissenschaft 'von außen'.

Wäre wie Wissenschaftslehre, wie viele meinen, eine Entwicklungslehre 'des Bewusstseins', dann wäre es allerdings verwegen, "das Gefühl" grundsätzlich aus der 'Beschränkung meiner realen Tätigkeit' zu erklären; der Blinddarm meldet sich auh gern, wenn einer gar nichts tut. Die Wissenschaftslehre ergründet, 'was Vernunft ist'; da spielt der Blinddarm nicht systematisch eine Rolle, sondern schlimmsten Falls eine akzidentielle. 
JE





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